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Marina Liakova: Migrationssoziologie

Rezensiert von em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin, 17.03.2025

Cover Marina Liakova: Migrationssoziologie ISBN 978-3-8487-7997-0

Marina Liakova: Migrationssoziologie. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2024. 240 Seiten. ISBN 978-3-8487-7997-0. 24,00 EUR.
Reihe: Studienkurs Soziologie.

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Thema

Migration ist ein Schlüsselthema in der aktuellen Politik und seit geraumer Zeit auch in den Gesellschaftswissenschaften, da Migrationen mehr als nur räumliche Bewegungsvorgänge sind und zu erheblichen Veränderungen in der Sozialstruktur, in den Werten und Normen einer Gesellschaft führen.

Die Migrationssoziologie ist ein Teilgebiet der Migrationsforschung und untersucht die vielfältigen Ursachen, Dimensionen und Folgen lokaler und globaler Migrationsbewegungen systematisch aus einer speziell sozialwissenschaftlichen Perspektive seit den 1920er Jahren.

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um ein Lehrbuch, in dem die Autorin die komplexen Zusammenhänge der Migration und Theorien der Migrationssoziologie anhand zahlreicher Beispiele aus verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Kontexten veranschaulichen möchte.

Autorin

Dr. habil. Marina Liakova ist Privatdozentin am Institut für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe.

Aufbau und Inhalt

Abgesehen von der Einleitung ist das Lehrbuch in 13 Lektionen gegliedert. Es enthält ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Sachregister.

In der Einleitung geht es zunächst um die Bedeutung der Migrationssoziologie. Die Autorin geht hierbei auf die Fragen „Was ist Soziologie?“ und „Warum Migrationssoziologie?“ ein. Darauf folgen Erläuterungen zum Aufbau des Buches und zur Auswahl der Themen in den jeweiligen Lektionen.

In der ersten Lektion mit der Überschrift Migration national, transnational und global widmet sich die Autorin dem Thema Migration in seinen nationalen, transnationalen und globalen Dimensionen. Sie geht auf die Gründe ein, warum das Thema Migration an Bedeutung zunimmt. Sie erklärt, was Migration ist, und thematisiert die Ursachen für die Migrationsbewegungen und Typen der Migration anhand theoretischer Sichtweisen auf die Migrationsproblematik. Abschließend stehen „Rückkehrwanderungen“ in ihrem Fokus.

In der zweiten Lektion geht es um soziologische Migrationsforschung. Hier gibt die Autorin einen Überblick über die Forschungsmethoden der Soziologie, im Besonderen die der Migrationssoziologie. Sie geht den Fragen nach, wie diese Methoden eingesetzt werden, was ihre Besonderheiten sind, wie man Forschungshypothesen formuliert und wie man eine Forschungsarbeit gestaltet. Die Autorin geht bei der Erläuterung der quantitativen Methoden auch auf die Kategorie „Migrationshintergrund“ ein.

Migration und soziale Ungleichheiten sind das Thema der dritten Lektion. Im Fokus stehen die Verwobenheit und das Zusammenwirken zwischen Migration und sozialer Ungleichheit. Die Autorin gibt hier Antworten auf folgende Fragen: Was sind „soziale Ungleichheiten“? Inwieweit tragen die Migrationsbewegungen zur Überwindung der sozialen Ungleichheiten bei? Wie wirken sich die verschiedenen Migrationsprozesse und Mobilitätsformen auf die lokale und globale soziale Ungleichheit aus?

Die meisten Menschen auf der Welt migrieren auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen. Sie suchen nach Möglichkeiten, überhaupt arbeiten zu können oder nach neuen Karrierechancen. Die gängigste Form der Wanderung ist entsprechend die Arbeitsmigration, die denn das Thema der vierten Lektion ist. Bevor die Autorin auf die Besonderheiten der Arbeitsmigration eingeht, klärt sie den Begriff Arbeitsmigration und gibt einen historischen Überblick zur Arbeitsmigration nach Deutschland, mit Besonderheiten der Gastarbeitermigration und Vertragsarbeiter:innen in der DDR. Anschließend wird die Arbeitsmigration in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im 21. Jahrhundert sowie die Arbeitsmigration von Fachkräften bzw. hochqualifizierten Personen erläutert.

In der fünften Lektion geht es um die Fluchtmigration. Zunächst werden die Begriffe „Flucht“ und „Asyl“ nach dem geltenden internationalen Recht definiert, bevor Schutz und Asyl in historischer Perspektive thematisiert und die Ursachen und die Folgen der Fluchtmigration erläutert werden. Im Weiteren wird erläutert, wie die Fluchtbewegungen und Schutzoptionen international und national in Deutschland geregelt werden. Abschließend geht die Autorin auf die sozialwissenschaftliche Asyl- und Fluchtforschung ein, wobei sie auch die Lücken im europäischen Asylsystem aufzeigt und mögliche Lösungsansätze anspricht.

In der sechsten Lektion beschäftigt sich die Autorin mit dem Begriff irreguläre Migration. Sie geht zunächst auf folgende Fragen ein: Welche Migration wird als irregulär bezeichnet? Nach welchen Kriterien erfolgt das? Wer erarbeitet die Merkmale, nach denen eine Migration als regulär und eine andere als irregulär zu bezeichnen ist? Welche Typologien und Formen der irregulären Migration gibt es? Was sind die Motive und Ursachen irregulärer Wanderungsbewegungen? Wie wird die irreguläre Migration statistisch erfasst? Welche Strategien der Nationalstaaten und der supranationalen Akteure wie die EU zur Verhinderung der irregulären Migration werden diskutiert? Wie sieht der Alltag eines Menschen aus, der irregulär eingewandert ist? Abschließend geht die Autorin auf das Thema des Menschenhandels mit der Spezifik des Kinder- und Frauenhandels ein.

Die Autorin betitelt die siebte Lektion „Bildungsmigration“. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Bedeutung der Migration für die Bildungschancen der Individuen. Zunächst wird der Zusammenhang zwischen Bildung und sozialen Ungleichheiten thematisiert und der Frage nachgegangen, inwieweit die Bildung eine Schlüsselrolle in den modernen Gesellschaften spielt. Es wird dann aufgezeigt, dass Bildung sich auf die soziale Positionierung der Individuen auswirkt und die soziale Teilhabe mitbestimmt. Ferner wird der Zusammenhang zwischen Migration und Bildungschancen dargestellt und aufgezeigt, welche Wirkung der Migrationshintergrund eines Menschen im Bildungskontext hat. Weitere Themen dieser Lektion sind die Problematik der Ausbildung und der Hochschulbildung mit dem Fokus auf die internationalen Studierenden in Deutschland.

Die achte Lektion handelt von Migration und Gender. Zunächst wird hier auf den Begriff „Gender“ eingegangen, bevor erläutert wird, wie die soziologische Migrationsforschung für weibliche Migration sich geöffnet hat und welche Bereiche im Themenfeld „Gender und Migration“ aktuell sind. Im Hinblick auf die genderbasierten Besonderheiten der Migrationsbewegungen wird u.a. die Frage diskutiert, ob Frauen häufiger als Männer migrieren und was die Feminisierung der Migration bedeutet. Es wird ferner auf die Thematik der Transidentitäten und queeren Identitäten sowie der Emanzipation im Kontext der Migrationsbewegungen eingegangen. Ein weiteres Thema sind „globale Versorgungsketten“. Hierbei wird analysiert, inwiefern dieser Begriff mit dem Genderbegriff verbunden ist. Zum Abschluss dieser Lektion werden „transnationale Familien“ thematisiert.

Das Thema der neunten Lektion ist Migration und Medien. Die Autorin zeigt hier auf, wie bestimmte Bilder der Migrantinnen und Migranten medial konstruiert und öffentlich reproduziert werden. Im Mittelpunkt stehen die Fragen: Inwieweit wirken sich diese Bilder auf die Mediennutzung der Migrantinnen und Migranten aus? Welche Medien nutzen die Migrantinnen und Migranten in Deutschland, und wo liegen ihre Präferenzen? Inwieweit spielen Mediennutzung und mediale Darstellung eine Rolle für die soziale Teilhabe der Menschen mit Migrationshintergrund?

Sind Migrantinnen und Migranten oder Ausländerinnen und Ausländer, die sich in Deutschland aufhalten, krimineller oder gewalttätiger als die Einheimischen? Was sind die möglichen Ursachen für die Ausübung von Gewalt und für die Bereitschaft, kriminell zu handeln? In dieser Lektion mit dem Titel Migration, Gewalt und Kriminalität geht es um Antworten, die die soziologische Forschung zu diesen Fragen liefert.

Auch wenn in der Migrationsforschung die Themen Migration, Gesundheit und Alter oft ausgeklammert werden, da statistisch gesehen überwiegend junge und gesunde Menschen migrieren, widmet die Autorin die elfte Lektion diesen Themen, da immer mehr Migrantinnen und Migranten in Deutschland im fortgeschrittenen Alter leben und für sie selbst und für die Migrationsgesellschaften die Fragen nach Gesundheit, Pflege, Tod und Trauer in der Migration von erheblicher Bedeutung sind. Bevor die Autorin in diesem Kapitel auf den Zusammenhang zwischen Migration und Gesundheit eingeht, klärt sie die Frage nach der Definition der Gesundheit und nach den sozialen Dimensionen von Gesundheit und Krankheit. Sie thematisiert auch die Covid-19-Pandemie in Verbindung mit der Migration sowie die „Gesundheitsprävention in einer Migrationsgesellschaft“. Im letzten Teil mit dem Titel „Alt werden in der Migration“ geht die Autorin ebenso auf Themen wie die Pflege der älteren Migrantinnen und Migranten, die Problematik des Konsums im Alter sowie der Umgang mit der Trauer und dem Tod in der Migration ein.

Die vorletzte Lektion handelt von Migration, Nationalstaat und Staatsangehörigkeit. Hier thematisiert die Autorin nach der Klärung des Begriffs „Nation“ die Bedeutung der Nationalstaaten, der Landesgrenzen und der Staatsbürgerschaft im Kontext der Migration. Sie klärt die Typen von Aufenthaltsgenehmigungen und geht auf den Einfluss der Staatsbürgerschaft zum einen auf das Aufenthaltsrecht und zum anderen auf die soziale Teilhabe des Individuums. Sie geht ferner auf die Frage ein, ob und wie Migration politisch gesteuert werden kann, und thematisiert abschließend die „Staatsbürgerschaft als Kapital“.

Das Schlusskapitel, Lektion 13, thematisiert „Wir“ und „die Anderen“ – Formen der Ausgrenzung und Überwindung in der Migrationsgesellschaft. Ausgehend davon, dass in den globalen und lokalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontexten, in denen Migration und Mobilität an Bedeutung gewinnen, die Frage nach dem Zusammenleben unterschiedlicher ethnischer, religiöser und sozialer Gruppen von Menschen von besonderer Bedeutung ist, geht die Autorin hier zunächst auf die folgenden Formen der Ausgrenzung ein: Ausländerfeindlichkeit, „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Darauffolgend beschäftigt sie sich mit folgenden Themen: Rassismus und kritische Rassismusforschung, Diskriminierung sowie „Multikulturalismus“ vs. „Leitkultur“. Zum Abschluss stellt die Autorin Diversity Management und interkulturelle Trainings als mögliche Strategien zur Überwindung der Ausgrenzung vor.

Diskussion

In ihrem Lehrbuch „Migrationssoziologie“ behandelt Marina Liakova die wesentlichen Aspekte der Migrationssoziologie. Die behandelten Themen sind sorgfältig ausgewählt und fachlich korrekt dargestellt. Abgesehen von kleinen Schwächen wie dem Begriff „Bildungsmigration“ als Überschrift für die siebte Lektion (vom Inhalt des Kapitels her wäre „Migration und Bildung“ zutreffender) ist das Lehrbuch sprachlich sehr verständlich geschrieben. Das Buch ist zwar in der Lehrbuchreihe für Studierende der Soziologie an Universitäten und Hochschulen erschienen, das Buch ist aber sicher auch für Studierende anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen wie der Sozialen Arbeit gut geeignet. Sie finden eine gut gelungene, übersichtliche und inhaltlich komprimierte Einführung in grundlegende Themenbereiche der Migrationssoziologie. Es bietet einen niederschwelligen Einstieg in die Thematik. Es ist zudem didaktisch sinnvoll und anschaulich strukturiert mit einer vorangestellten knappen Zusammenfassung mit Zielangaben bzw. mit zu beantwortenden Fragen im jeweiligen Kapitel und mit Arbeitsfragen zur Vertiefung und Diskussion sowie mit Lektüreempfehlungen/​Literaturtipps am Schluss des jeweiligen Kapitels. Diese sind für die Studierenden sicher hilfreich. Die Diskussionsfragen können auch von Lehrenden als Leitfragen für Seminarvorbereitungen genutzt werden.

Fazit

Dieses Lehrbuch von Marina Liakova ist grundsätzlich eine lesenswerte, einführende Lektüre für Studierende sozialwissenschaftlicher Disziplinen.

Rezension von
em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin
Duale Hochschule BW Villingen-Schwenningen, Fakultät für Sozialwesen
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Es gibt 110 Rezensionen von Süleyman Gögercin.

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ISSN 2190-9245