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Karl Birkhölzer, Ansgar Klein et al. (Hrsg.): Dritter Sektor/Drittes System

Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 20.12.2005

Cover Karl Birkhölzer, Ansgar Klein et al. (Hrsg.): Dritter Sektor/Drittes System ISBN 978-3-8100-3994-1

Karl Birkhölzer, Ansgar Klein, Annette Zimmer, Eckhard Priller (Hrsg.): Dritter Sektor/Drittes System. Theorie, Funktionswandel und zivilgesellschaftliche Perspektiven. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2005. 315 Seiten. ISBN 978-3-8100-3994-1. 34,90 EUR. CH: 52,20 sFr.
Reihe: Bürgergesellschaft und Demokratie - Band 20.

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Das Thema

"In diesem Band wird die Bilanz der Entwicklung des Dritten Sektors/Dritten Systems gezogen. Behandelt werden die theoretische Fundierung und praktische Schlussfolgerungen für die Entwicklung. [... Es] stellen sich auf der Grundlage des angesammelten empirischen Materials und des Stellenwerts dieses Bereichs für den zivilgesellschaftlichen Diskurs neue theoretische und praktische Fragen: Brauchen wir eine Theorie zum Dritten Sektor/Dritten System und durch welche Eckpunkte und Ausrichtungen zeichnen sie sich aus? Welche wirtschaftlichen und sozialen Effekte sind künftig von Nonprofit-Organisationen zu erwarten? Auf diese Fragen gehen die Beiträge des Bandes ein." (Klappentext)

Die Herausgeber

  • Dr. Karl Birkhölzer ist Leiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe Lokale Ökonomie an der TU Berlin.
  • Dr. Ansgar Klein ist Geschäftsführer des Bundesnetzwerkes für das bürgerschaftliche Engagement in Berlin.
  • Dr. Annette Zimmer ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft in Münster.
  • Dr. Eckhard Priller ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum für Sozialwissenschaften in Berlin.

Aufbau

Nach der Einleitung durch die Herausgeber und einem einführenden Artikel von Helmut Anheier u.a. über Entwicklungslinien internationaler Zivilgesellschaft gliedert sich der Band in drei große Kapitel:

  1. Theorie zum Dritten Sektor/Dritten System
  2. Wandel von Funktion und Dynamik von Dritte-Sektor-Organisationen
  3. Soziale Ökonomie und Arbeit im Dritten Sektor bzw. Dritten System

1. Theorie zum Dritten Sektor/Dritten System

Die ersten Artikel des ersten Teils bestreiten die Herausgeber selber. Sie stellen Forschungsstand, Diskussionslinien sowie nationale und internationale Herausforderungen dar. Komplettiert wird dieser Teil durch einen Beitrag von Holger Backhaus-Maul und Gerd Mutz zur Handlungskoordination und -logik gemeinnütziger Organisationen und von Rudolf Bauer mit Anmerkungen zur Theoriefähigkeit des "Dritten Sektors".

2. Wandel von Funktion und Dynamik von Dritte-Sektor-Organisationen

Teil 2 wird ebenfalls durch einen einführenden Artikel aus dem Herausgeberkreis eingeleitet. Es folgen Beiträge von:

  • Antonin Wagner: "Der Dritte Sektor in gesellschaftsvertraglicher Sicht" - im Mittelpunkt steht die Frage nach den grundlegenden vertragstheoretischen Fundamenten zwischen Organisationen des Dritten Sektors und Staat.
  • Sebastian Braun: "Bürgergesellschaft und sozialer Zusammenhalt" - Thema sind die Integrationsleistungen von freiwilligen Vereinigungen.
  • Dietmar Dathe und Ernst Kistler: "Zur arbeitsmarktpolitischen Funktion des Dritten Sektors" über Hoffnungen und Realität des Dritten Sektors als "Beschäftigungsmotor".
  • Christina Stecker und Stefan Nährlich: "Die dunkle Seite von Dritte-Sektor-Organisationen" - ein Text mit kritischen Anmerkungen zur Fähigkeit des Dritten Sektors zur Ausbildung von sozialem Kapital.

3. Soziale Ökonomie und Arbeit im Dritten Sektor bzw. Dritten System

Teil 3 versammelt eine Reihe eher praktischer Erfahrungsberichte und Projekte. Es sind dies:

  • Mel Evans: The Work of the CONSCISE Projekt
  • Günther Lorenz: Das EQUAL-Projekt als zivilgesellschaftlicher Ansatz zum Erhalt und zur Schaffung von Arbeitsplätzen
  • Ulrike Kalb: Zur alltäglichen Gratwanderung eines sozialen Unternehmens im Dritten System
  • Lothar Binding: Haushaltswirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen zur Förderung sozialer Unternehmen im Dritten Sektor
  • Ingo Bode u.a.: Integrationsarbeit jenseits von Markt und Staat. Was leisten soziale Unternehmen im Bereich der Beschäftigungsförderung?
  • Patrick Ostermann/Karen Voigt: Spezifische Merkmale und Potenziale der Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen des Dritten Systems im Kulturbereich in den MOE-Staaten

Zielgruppen

Dieses Werk wendet sich in den ersten beiden Teilen klar an das theoretisch interessierte Publikum, dessen Anliegen der wissenschaftliche Diskurs des Dritten Sektors ist. So sind die Artikel der ersten beiden Teile stellenweise ohne entsprechendes Hintergrundwissen kaum einzuordnen. Wer jedoch über den entsprechenden Background verfügt, für den dürfte die Lektüre durchaus lohnenswert sein. Der dritte, eher praktische Teil, spricht auch den an der Praxis sozialer NPOs interessierten Leser an. Hilfreich sind die einleitenden und hinführenden Artikel der Herausgeber, die einen sinnvollen Rahmen abgeben und gleichzeitig den Forschungsstand jeweils abstecken.

Diskussion

Im Folgenden sollen drei wichtige Aspekte dieses Buches kurz diskutiert werden.

1. Die Wandlungsprozesse im Dritten Sektor: In fast allen Artikeln wird deutlich herausgearbeitet, wie sehr sich die Bedingungen verändern (z.B. durch die europäische Integration), unter denen die Organisationen des Dritten Sektors arbeiten, und wie letztere sich auf diese Veränderungen anzupassen versuchen. Insbesondere die Wandlung von rein anwaltschaftlichen zu sozialwirtschaftlichen Organisationsformen wird häufig thematisiert. Dabei wird deutlich, dass selbstverständlich aus Dritte-Sektor-Organisationen keine reinrassigen Marktteilnehmer werden, dass sie vielmehr "multifunktional" sind, d.h. zur traditionellen Identität (Lobbyismus) neue Aspekte hinzufügen (Dienstleistungsaspekte). Zu glauben, diese Multifunktionalität und Heterogenität sei eher ein Vorteil, weil sich die Leistungen von Wohlfahrtsverbänden im Vergleich zu Marktteilnehmern nicht "rechnen müssen" (Zimmer/Priller S. 57), ist jedoch nur dann nachzuvollziehen, wenn man die Zerreißproben, die sich in diesem Spannungsfeld auftun, zugunsten eher systematisch-politikwissenschaftlicher Typisierungen ignoriert. Vermutlich sind Wohlfahrtsverbände viel mehr in Marktprozesse involviert als ihre typisierende Einordnung in den Dritten Sektor vermuten lässt. Was es für Wohlfahrtsverbände bedeuten würde, "nur noch" Marktteilnehmer zu sein, wäre eine interessante, leider im Band wenig reflektierte Frage. Ihnen zudem einfach "Innovationsfähigkeit" (ebd.) zuzusprechen, ist empirisch gesehen vielleicht etwas voreilig.

2. Die zivilgesellschaftliche Rolle des Dritten Sektors: Eine für die Zukunft der sozialen Organisationen im vereinten Europa nicht unwichtige Fragestellung wird in verschiedenen Artikeln immer wieder thematisiert: die Frage nach der Rolle der NPOs in der Zivilgesellschaft. Es geht dabei um das, was häufig als "Soziales Kapital" oder auch weniger wissenschaftlich "Sozialer Kitt" genannt wird. Welchen Beitrag also leisten Organisationen des Dritten Sektors für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft? Hier sollte der Artikel von Sebastian Braun hervorgehoben werden, der am Beispiel einer empirischen Untersuchung von Sportverbänden eine differenzierte Antwort auf diese Frage geben kann. Er weist nach, dass eine integrative Wirkung vor allem nach innen, also zu den Vereinsmitgliedern selbst, vorhanden ist, kaum aber eine nach außen. Sein Fazit ist ernüchternd: "Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass die im Diskurs über die Bürgergesellschaft gängige Vorstellung, jede freiwillige Vereinigung kennzeichneten dieselben Integrationsleistungen in innen- und außenintegrativer Hinsicht, ausgesprochen fragwürdig ist." (150). Damit stellt sich natürlich in aller Schärfe die Frage, was eigentlich gerade diesen Sektor so förderungswürdig macht. Die Arbeit von Sebastian Braun zeigt im Übrigen auch, warum empirische Untersuchungen so mancher letztlich doch wieder nur im System der eigenen Dogmen kreisenden Theoriestudie überlegen sind.

In dieselbe Richtung zielt auch der hervorragende Beitrag von Christina Stecker und Stefan Nährlich ("Die dunkle Seite von Dritte-Sektor-Organisationen"), der ebenfalls daran zweifeln lässt, ob dem Dritten Sektor per se immer positive Eigenschaften zugeschrieben werden können, wie es beispielsweise das Gemeinnützigkeitsrecht tut. Ebenfalls am Beispiel der Sportvereine, aber auch der sattsam nachgewiesenen Steuerungsmängel der Wohlfahrtsorganisationen wird ein differenziertes Bild der Leistungsfähigkeit des Dritten Sektors herausgearbeitet. Besonders augenfällig wird dieses Urteil, wenn die Autoren davon berichten, dass auch rechtsradikale Organisationen sich als Nonprofit-Organisationen definieren lassen, "insbesondere, wenn sie formelle, im Sinne der Abgabenordnung und als eingetragene Vereine arbeitende soziale Hilfsorganisationen darstellen." (188f). Es stockt einem förmlich der Atem, wenn man liest, welche "Kameradschaften" sich da unter dem Deckmantel der NPO verstecken und man fragt sich ernsthaft, wie man an anderer Stelle des Buches undifferenziert vom positiven Beitrag des Dritten Sektors zu "citizenship" sprechen kann. Es ist das Verdienst dieses Artikels, dieses viel zu einfache Bild erschüttert zu haben.

3. Die Relevanz des Dritten Sektors für den Arbeitsmarkt: Welche Auswirkungen haben die Organisationen des Dritten Sektors auf den Arbeitsmarkt? Können soziale Organisationen zur Linderung des Arbeitsmarktproblems beitragen und wenn ja: was? Da ist zum einen der Beschäftigungssituation in den Organisationen selbst zu untersuchen, zum anderen aber auch deren Fähigkeit, Menschen zu integrieren, die aus dem Arbeitsmarkt herauszufallen drohen. In ihrem Beitrag zeigen Dietmar Dathe und Ernst Kistler anhand empirischer Forschungen die arbeitsmarktpolitische Relevanz des Dritten Sektors sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht auf. Im Untersuchungszeitraum (Jahr 2000) zeigen sich durchwegs positive Beschäftigungseffekte, so dass sich die Autoren zu sagen trauen: "Der Dritte Sektor ist in arbeitsmarktpolitischer Perspektive eindeutig als Beschäftigungsmotor zu bezeichnen." (174) Die Feststellung allerdings, dass der "Vermarktlichung" des Sozial- und Gesundheitswesens damit "deutliche Grenzen gesetzt" sind (175), verlässt dann doch wieder den empirisch gesicherten Grund und ist eher im Bereich der Spekulation angesiedelt. Es könnte ja durchaus auch sein, dass gerade in Gesellschaften hoher Marktorientierung Organisationen des Dritten Sektors besonders gut gedeihen.

Einen sehr praxisorientierten aber umso erfrischender zu lesenden Artikel zur zweiten Problematik, der Frage nämlich, wie und ob es dem Dritten Sektor gelingt, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, hat Ulrike Kalb verfasst. Sie beschreibt die Alltagsprobleme, die ein junges soziales Unternehmen hat, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, benachteiligte Jugendliche zur Beschäftigung zu verhelfen. Der Beitrag, der ohne Literaturverweise auskommt, versteckt seine Qualität, die in der Authentizität des selbst Erlebten liegt, fast etwas verschämt. Dabei macht sie sehr deutlich, was hinter manch vollmundiger Lobpreisung des Dritten Sektors als Wachstumsmotor steckt: der unendliche Kampf der Organisationen um das wirtschaftliche Überleben einerseits und die Verwirklichung ihrer ideellen Ziele andererseits. Zu diesen Anstrengungen gehören die dauernde Unsicherheit, die zermürbenden Auseinandersetzungen mit einer überbordenden Bürokratie, einer kaum noch plausibel zu machenden Förderpraxis und der Unmöglichkeit einer Planung über den Tag hinaus. "Unter solchen Umständen", so das Fazit der Autorin, "ist eine halbwegs geplante sozialunternehmerische Tätigkeit zu Gunsten der Zielgruppe kaum noch möglich." (239)

Ausstattung

Das Buch ist neben den vielfältigen Inhalten gut ausgestattet: So werden die einzelnen Autoren ausführlich beschrieben, die Abstracts geben einen guten Einblick in die einzelnen Inhalte und lassen eine gezielte Nutzung des Buches zu. Angesichts der vielen Artikel wäre ein Stichwortverzeichnis hilfreich gewesen.

Fazit

Das Buch ist für all diejenigen Praktiker und Wissenschaftler lesenswert, die sich über Forschungsstand, Fragestellungen und Praxis des Dritten Sektors informieren wollen. Insbesondere dürfen sich Lehrende und Studierende der Sozialwissenschaften angesprochen fühlen.

 

Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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Es gibt 56 Rezensionen von Wolfgang Klug.

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ISSN 2190-9245