Claudia Beutter, Marion Jonassen et al.: Beraten im Organisationskontext
Rezensiert von Tatjana van de Kamp, 25.09.2024
Claudia Beutter, Marion Jonassen, Volker Kiel, Eric Lippmann: Beraten im Organisationskontext. Coaching, Team- und Organisationsentwicklung.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2023.
235 Seiten.
ISBN 978-3-17-036012-9.
29,00 EUR.
Reihe: Psychologische Beratung in der Praxis.
Thema
Die Beratung auf der Ebene von Organisationen, Teams und Einzelpersonen kann aufgrund der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen und innerhalb dieser Ebenen sowie jedes Systems mit seiner Umwelt sehr komplex werden. Der systemisch-konstruktivistische Beratungsansatz bemüht sich, diesen Wechselwirkungen professionell und wertschätzend zu begegnen. Die Beratungsarbeit verfolgt den Ansatz der „Hilfe zur Selbsthilfe“ und unterstützt die Autonomie und Selbstorganisation von Gruppen und Einzelpersonen. Der vorliegende Band gibt einen Überblick zum systemischen Beratungsverständnis und seinen Methoden.
AutorInnen
Claudia Beutter, Marion Jonassen, Prof. Dr. Volker Kiel und Prof. Dr. Eric Lippmann sind als Beratende, Dozierende und teilweise auch als Lehrsupervisierende am Zentrum Leadership, Coaching & Change Management am Institut für Angewandte Psychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) tätig. Prof. Dr. Eric Lippmann ist zudem ehemaliger Leiter des Zentrums.
Aufbau
Im Buch wird der Kontext der Organisationsberatung in vier Teilen aufbereitet:
- Das erste Kapitel „Grundverständnisse von Organisation und Beratung“ beginnt mit einem Überblick über die klassischen Organisationstheorien und erklärt das systemische Beratungsverständnis.
- Im zweiten Kapitel „Beratung und Coaching im Spannungsfeld von Person – Rolle – Organisation“ fassen die AutorInnen die Grundlagen des Coachings mit den typischen Phasen zusammen und beschreiben in der Praxis übliche Coaching Methoden von A bis Z.
- Kapitel drei fokussiert auf „Teamberatung gestalten“ und beleuchtet neben der Auftragsklärung, Vertragsgestaltung und Beratungsphasen vor allem die systemischen Grundannahmen und Ordnungsprinzipien sowie systemisch-lösungsorientierte Strukturaufstellungen in der Teamberatung nach Sparrer und Varga von Kibéd.
- Im vierten und letzten Kapitel „Das Feld der Organisationsberatung betreten“ geht es um systemtheoretische Ansätze und Handlungsprinzipien für die Organisationsberatung, insbesondere die partizipative und iterative Herangehensweise, Werte und Kulturentwicklung, Perspektivenerweiterung sowie die Balance zwischen Autonomie der Betroffenen und Implementierung der Strukturen für eine selbststeuernde Organisation.
Inhalt
Das Ziel systemischer Beratung besteht darin, autonome selbstregulierende Kräfte und Wachstumsprozesse zu fördern (S. 164).
In der Teamberatung betonen die AutorInnen eine sorgfältige Auftrags- und Rollenklärung sowie die Aushandlung tragfähiger sozialer Kontrakte. Sie stützen sich auf die gruppendynamische Aktionsforschung von Kurt Lewin und Jacob Moreno, die systemisch-lösungsorientierten Ansätze von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg, die Hypnotherapie von Milton Erickson sowie systemische Strukturaufstellungen nach Sparrer und Varga von Kibéd. Besonders hervorgehoben werden dabei
- Die Rolle des gegenseitigen Feedbacks als Instrument für Selbststeuerung, soziales Lernen sowie die Verringerung blinder Flecken in der Selbst- und Fremdwahrnehmung.
- Die Wichtigkeit, bei der Beratungsarbeit systemische Ordnungsprinzipien zu beachten: Diese umfassen nach Sparrer und Varga von Kibéd die Prinzipien der Zugehörigkeit, der Anerkennung der Reihenfolge, Anerkennung der Hierarchie und des höheren Einsatzes sowie des Vorrangs von erbrachter Leistung und Kompetenz mit den dazugehörigen Metaprinzipien der Nichtverleugnung, der Anwendungsreihenfolge der Prinzipien sowie des Ausgleichs von Geben und Nehmen. Die Beachtung dieser Prinzipien kann helfen, zu erkennen, wo Nützliches, wie Anerkennung und Würdigung von Einsatz, verstärkt werden kann (S. 143), vor allem dort, wo sich Irritationen oder Störungen in der Zusammenarbeit zeigen (S. 153).
- Systemisch-lösungsorientiere Strukturaufstellungen von Symbolen oder Repräsentanten, die ein Team als Modell abbilden und simulieren: Mit Strukturaufstellungen lassen sich Beziehungs- und Kommunikationsstrukturen veranschaulichen, Konflikte nachstellen, künftige Entwicklungen simulieren und Handlungsoptionen erproben.
Organisationsberatung verstehen die AutorInnen als ganzheitlichen Ansatz mit einer partizipativen und iterativen Herangehensweise basierend auf selbstregulativen Prozessen mit immanenten Feedbackschleifen. Diese Selbstorganisationsformen erfordern eine professionelle Gestaltung, die einen Zwangskontext schafft, der dem Gedanken dem Autonomiegedanken zunächst widerspricht, jedoch als notweniger Schritt zu einer dauerhaft resilienten Organisation gilt (S. 167 f.).
Weiterhin ist die Unternehmenskultur zu berücksichtigen, die sich aus grundlegenden Werten, dem Verhalten der Führungskräfte und der Interaktionsmuster innerhalb der Organisation emergent entwickelt. Werte spielen eine zentrale Rolle in der Beratung ebenso wie das Verhalten der Führungskräfte, das letztlich darüber entscheidet, wie ernst diese Werte genommen werden (S. 172).
Weitere systemische Ansätze sind nach Maturana die Berücksichtigung der Autonomie und der strukturellen Kopplung, der Fähigkeit lebender Systeme, sich strukturell an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. BeraterInnen können Menschen nicht direkt beeinflussen, jedoch durch geeignete Impulse und Interventionen Veränderungen anregen. Menschliche Entwicklung erfolgt durch Beziehung und Austausch mit anderen Menschen und kann gefördert werden durch eine Erweiterung eigener Sichtweisen, die Ausbildung eines gemeinsamen sprachlichen Bereichs sowie einer entwicklungsförderlichen Atmosphäre von Vertrauen, Loyalität, Wertschätzung und Zugehörigkeit. Die Beratungsarbeit basiert auf der konstruktivistischen Annahme, dass wir uns unsere Wirklichkeit durch die Verarbeitung und Interpretation von Reizen aus der Umwelt sowie durch unsere Sprache selbst erschaffen. Die Wahrnehmung der Umwelt kann im Coaching durch Interventionen wie zirkuläre oder hypothetische Fragen, Reframing, Einbeziehung und Einnehmen der Perspektive der Betroffenen erweitert werden. Dabei sind vielfältige Wechselwirkungen und Kreislaufkausalitäten zu beachten, sowohl auf mikroskopischer Ebene, auf der sich Mitglieder in ihren Einzelinteressen und Handlungen gegenseitig beeinflussen, als auch in einer Kreislaufkausalität mit der makroskopischen Ebene der von außen gesetzten Rahmenbedingungen, die von der Führung, unter anderem in Reaktion auf die Aktivitäten auf mikroskopischer Ebene, gesetzt werden.
Für Beratende ist es wichtig, die eigenen Wahrnehmungen zu reflektieren, Sinn und Bedeutungen zu erkennen, an die Organisationskultur anzuknüpfen, auf Lösungen und Ressourcen zu fokussieren, Autonomie zu berücksichtigen und Selbstorganisationsfähigkeiten zu nutzen, sowie partizipativ und iterativ vorzugehen. Erfolgskritisch für die Glaubwürdigkeit und Stimmigkeit der Beratung sind vor allem Wertschätzung sowie echtes Interesse.
Diskussion
Beutter und ihre KollegInnen versuchen, auf wenigen Seiten ein großes Feld von Organisationstheorien über Systemtheorie und Coaching bis hin zur organisationalen Beratung zu bearbeiten. Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über systemisch-lösungsorientierte Prinzipien und Beratungsansätze. Es ist jedoch kein praktischer Beratungsleitfaden, da nicht alle beratungsrelevanten Punkte und Methoden in aller Ausführlichkeit und Tiefe behandelt werden. Für einzelne Methoden werden relevante Quellen und Literatur im Text so offengelegt, dass man sich nach Bedarf darüber informieren kann.
Zu einigen kritischen Fragestellungen bleiben die AutorInnen etwas vage, beispielsweise beim Thema des organisationalen Veränderungsprozesses hin zur Selbstorganisation oder bei der Begleitung des neuen Führungsverständnisses, das Machtansprüche aufgibt und Selbstorganisation zulässt. Dennoch können Studierende und Beratende viel über das systemische Beratungsverständnis und seine Methoden im Organisationskontext aus dem Buch mitnehmen.
Fazit
Das Buch „Beratung im Organisationskontext“ vermittelt einen hilfreichen Überblick über Coaching, Team- und Organisationsentwicklung aus systemisch-lösungsorientierter Perspektive. Es umfasst die Einbettung in den historischen Kontext, Grundlagen des Coachings sowie systemischer Grundprinzipien und wichtige Interventionen für die Einzel-, Team- und Organisationsberatung.
Rezension von
Tatjana van de Kamp
Dipl. Kauffr., MA (Arbeits- und Organisationspsychologie)
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Zitiervorschlag
Tatjana van de Kamp. Rezension vom 25.09.2024 zu:
Claudia Beutter, Marion Jonassen, Volker Kiel, Eric Lippmann: Beraten im Organisationskontext. Coaching, Team- und Organisationsentwicklung. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2023.
ISBN 978-3-17-036012-9.
Reihe: Psychologische Beratung in der Praxis.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31543.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.
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