Elli Scambor, Daniel Holtermann (Hrsg.): Ist Sorgearbeit nichts für Männer?
Rezensiert von Dr. Maik Stöckinger, 07.11.2023

Elli Scambor, Daniel Holtermann (Hrsg.): Ist Sorgearbeit nichts für Männer? Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2023. 64 Seiten. ISBN 978-3-7841-3605-9. D: 9,00 EUR, A: 9,30 EUR.
Thema
Auch in den 2020er-Jahren ist Care-Arbeit bzw. Sorgearbeit immer noch in erster Linie Arbeit, die von Frauen verrichtet wird. Dies ist in den verschiedensten Facetten wissenschaftlich längst ausgeleuchtet, vorangetrieben unter anderem durch feministische Sozialwissenschaften. Bestätigt wird diese Arbeitsteilung aktuell beispielsweise durch Zeitverwendungsstudien. Sie wird auch weiterhin auf dem Arbeitsmarkt sichtbar über sogenannte Frauen- und Männerberufe. Was also ist neu an diesem Buch?
Autor:innen
Die Autor*innen beschäftigen sich mit Männlichkeitsforschung und fürsorglicher Männlichkeit. Elli Scambor leitet das Institut für Männer- und Geschlechterforschung in Graz.
Entstehungshintergrund
In einer Art Vorwort erklären die Herausgeber*innen und der Verlag für die vorliegende Reihe „Soziale Arbeit kontrovers“, in welche dieses Buch gehört, sie wollen „aktuelle Fragen der sozialen Arbeit aufgreifen und in knapper, handlicher Form Orientierungshilfen zur Verfügung stellen“ (S. 3). Die Reihe soll, so das Ziel, der Komplexität der Themen jedoch trotz der Kürze gerecht werden.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in sechs Kapitel untergliedert. Kapitel 1, die Einleitung, trägt das Ziel des Buches vor und verweist auf die Definition von Care, die dem Werk zugrunde liegt. Dabei wird auch die Sozialarbeit als Teil von Care verstanden.
Kapitel 2 trägt den Titel „Die Hauptrolle in der Care-Arbeit bleibt weiblich“ und beschäftigt sich mit aktuellen Zahlen aus Deutschland. Dabei wird auf den Gender Care Gap in der unbezahlten und bezahlten Care-Arbeit und die Entwicklung der vergangenen Jahre eingegangen. Hier wird auch der Fachkräftemangel im Care-Segment thematisiert.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Frage, wie Care-Berufe weiblich geworden sind. Beschrieben wird dies anhand der Vergeschlechtlichung von MINT- und SAHGE-Berufen. Dargelegt werden hier gesellschaftlich-strukturelle (z.B. Geschlechterstereotype) und individuelle Faktoren (Berufsorientierung). Thematisiert werden Bezüge von Geschlechterklischees zu Steinzeit-Metaphern, unterschiedliche vergeschlechtlichte Bewertungen gleichen Verhaltens und die Rolle des Androzentrismus. Die Unterkapitel widmen sich sodann den Schwerpunkten der geschichtlichen Entwicklung von Care und Care-Berufen (3.1), die unterschiedliche Bewertung von Produktions- und Reproduktionsarbeit im Kapitalismus (3.2), der Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt (3.3) sowie der Grundsteinlegung vergeschlechtlichter Berufswahl in frühesten Kindesjahren (3.4).
In Kapitel 4 richten die Autor*innen ihren Blick auf Männlichkeiten im Feld der Care-Arbeit. Im ersten Unterkapitel werden „un-caring masculinities“ mithilfe des Konzeptes hegemonialer Männlichkeit beschrieben, welches unter anderem auf machtvolle Männlichkeitsanforderungen verweist (4.1). Mit Bezug zu Nancy Fraser stellen die Autor*innen diesen in Unterkapitel 4.2 das Modell der caring masculinities zur Seite und gehen dabei auch auf gesellschaftliche Benefits dieses Modells ein. In 4.3 beschäftigen sich Scambor und Holtermann mit Geschlechterfragen innerhalb des Care-Segments der unbezahlten Pflege. Es wird beispielsweise dargestellt, wann und wie Frauen und Männer unterschiedlich pflegen, wenn sie pflegen. Unterkapitel 4.4 widmet sich Männlichkeit in bezahlter Care-Arbeit und wie Männer ihr Männlichkeitsbild auch in einem sogenannten Frauenberuf konstruieren.
Kapitel 5, welches betitelt ist mit „Förderung von fürsorglichen Männern im Alltag“, beginnt mit sechs politischen Forderungen (S. 41 f.). Die folgenden beiden Unterkapitel richten den Blick auf fehlende caring masculinities in der pädagogischen Arbeit (5.1) und Möglichkeiten zur Überwindung dieser Leerstelle mithilfe von Empowerment für Care von Jungen und dem Abbau tradierter Männlichkeitsmuster (5.2). In Unterkapitel 5.3 wird eine konkrete Methode aus der Praxis der pädagogischen Arbeit vorgestellt.
Kapitel 6 dient als Fazit und stellt „Benefits für alle“ (S. 49) vor, wenn Männer eine Hauptrolle in Care übernähmen.
Diskussion
Es ist nicht das Anliegen der Autor*innen, einen weiteren Textbeitrag zur bereits vorhandenen Fülle im Fachdiskurs beizusteuern, denn sie schreiben selbst mehrfach, dass die Inhalte hinlänglich bekannt sind – zumindest im Fachdiskurs. Das Ziel ist, wie zuvor beschrieben, eine knappe und handliche Orientierungshilfe zu verfassen. Dies kann als gelungen betrachtet werden. Zudem wurde der kurze Text der Komplexität des Themas gerecht, ohne dabei in Unlesbarkeit durch eine hohe Konzentration an Fachvokabular zu verfallen. Zahlreiche zentrale Autor*innen der Care-Debatte werden herangezogen. Sollte etwas vermisst werden, könnte es allenfalls der Einbezug des doing gender sein.
Es bleibt ein Wehrmutstropfen: Das Konzept caring masculinities, dem das Buch zugrunde liegt, hält die geschlechtliche Binarität aufrecht und will letztlich nur für eine Neu-Stereotypisierung sorgen, indem alten Stereotypen entsagt wird. Das Ergebnis scheint vorhersehbar: Es wird eine weitere Ausdifferenzierung der Stereotype geben, es wird Wechsel von Zuschreibungen geben, aber das Problem der Differenzierung wird so nicht überwunden werden können.
Fazit
Das Buch ist eine gelungene, knackige Zusammenfassung des sozialwissenschaftlichen Care-Diskurses. Das Werk wird seinem Anspruch gerecht und es kann als Handreichung für Menschen in der beruflichen Praxis der Sorgearbeit, zu der auch die Soziale Arbeit gezählt wird, dienen.
Rezension von
Dr. Maik Stöckinger
Hochschuldozent*in für Soziale Arbeit
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Es gibt 1 Rezension von Maik Stöckinger.
Zitiervorschlag
Maik Stöckinger. Rezension vom 07.11.2023 zu:
Elli Scambor, Daniel Holtermann (Hrsg.): Ist Sorgearbeit nichts für Männer? Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2023.
ISBN 978-3-7841-3605-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31547.php, Datum des Zugriffs 02.12.2023.
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