Judith Fritz, Nino Tomaschek (Hrsg.): Partizipation
Rezensiert von Dr. Harald Schmidt, 12.12.2024
Judith Fritz, Nino Tomaschek (Hrsg.): Partizipation. Das Zusammenwirken der Vielen für Demokratie, Wirtschaft und Umwelt.
Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2023.
230 Seiten.
ISBN 978-3-8309-4731-8.
34,90 EUR.
Reihe: University Society Industry - 12.
Thema
Der besprochene Band sucht die zentrale Frage „Wie gelingt es, die Beteiligung der Menschen für Demokratie, Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Zielsetzungen in einem wirkungsvollen Maßstab zu erreichen?“ aus vielfältiger Perspektive zu beantworten. Partizipation wird als Schlüsselmoment in den Feldern Demokratie, Ökonomie und Nachhaltigkeit identifiziert und aus multidisziplinärer Perspektive untersucht.
Herausgeber:in
Judith Fritz ist als Programm-Managerin am Postgraduate Center der Universität Wien tätig. Sie befasst sich mit lebenslangem Lernen, transdisziplinärer Zusammenarbeit und Weiterbildung.
Nino Tomaschek ist Leiter des Postgraduate Center der Universität Wien. Er arbeitet in vielfältigen Funktionen in den Bereichen der Entwicklung von Organisationen und Management.
Entstehungshintergrund
Es handelt sich um den zwölften Band der Reihe „University – Society – Industry: Beiträge zum lebensbegleitenden Lernen und Wissenstransfer“, deren erklärte Absicht darin besteht, die Diskussionsstände des Weiterbildungsprogramms am Postgraduate Center der Universität Wien abzubilden. Dieses offene Angebot zielt auf eine Stärkung des Austausches zwischen Universitäten, Unternehmen und gesellschaftlichen Institutionen. Der angestrebte Wissensaustausch zwischen den Sphären Wissenschaft, Beruf und Zivilgesellschaft dient der Suche nach Antworten auf die Frage: „Wie bündeln wir unsere Kräfte, um den zukünftigen Herausforderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt gemeinsam zu begegnen?“
Aufbau
Die Struktur des 230 Seiten umfassenden Bandes folgt dem oben beschriebenen Hintergrund. Die Herausgebenden haben 15 Aufsätze, an welchen mehr als 30 Autorinnen und Autoren mitgewirkt haben, in drei Abschnitte untergliedert. Den Rahmen um diese drei thematischen Schwerpunkte bilden ein Vorwort der Herausgeber sowie eine Kurzvorstellung der Autorinnen und Autoren sowie der Herausgeber am Schluss des Bandes. Sach- oder Personenregister sind nicht enthalten. Die Literaturhinweise und Quellenbelege sind den einzelnen Aufsätzen angegliedert.
Inhalt
Angesichts der Menge der Aufsätze und Zahl der beteiligten Autorinnen und Autoren wird mit Rücksicht auf den Umfang der Rezension auf die Vorstellung der Schaffenden verzichtet.
Die Herausgebenden erklären, dass eine umfassende Transformation der Lebensweise auf unserem Planeten notwendig sei, um seine ökologischen Grenzen zu wahren, zu einer Erkenntnis, welche mittlerweile von weiten Teilen der Gesellschaft getragen werde. Zudem lägen Konzepte zur Abwendung der uns drohenden Krisen auf dem Tisch. Und zur Durch- oder Umsetzung dieser Konzepte sei das Zutun von Vielen erforderlich (Vorwort S. 7). Somit wird Partizipation zum Schlüsselbegriff; und die Beantwortung der Frage „Wie aber gelingt es, die Beteiligung der Menschen für Demokratie, Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Zielsetzungen in einer wirkungsvollen Maßstabsgröße zu erreichen?“ (S. 7) zur Aufgabe der gesammelten Aufsätze.
Im ersten Teil geht es dann um „Bürger*innenräte“, den ersten österreichischen Klimarat und die Bedeutung von Stadtteilarbeit zur Stärkung von Partizipation. Besprochen wird die Einbindung marginalisierter Gruppen oder auch stimmloser Interessen (zukünftige Generationen, Tiere) sowie die Rolle der politischen Bildung bei der Förderung von Mündigkeit und Selbstwirksamkeitserfahrungen.
Im zweiten Teil befassen sich die Beiträge mit Wirtschaftsmodellen mit der Zielrichtung, den sozialökonomischen Umbau zu meistern und soldarisches Wirtschaften zu befördern. Konsumpraktiken werden auf nachhaltige Wirkung überprüft und genossenschaftliches Handeln gerät in den Blick.
Der dritte Abschnitt widmet sich dem Zusammenhang von Partizipation und grüner Transformation. Hier wird die Bedeutung der kollektiven Entscheidungen und veränderten Verhaltensweisen gegenüber der technischen Innovation im Prozess der sozialökologischen Transformation hervorgehoben. So werden milieuspezifische Wahrnehmungen der Klimaproblematik aufgezeigt, Beteiligungsformate und Partizipationsformen auf lokaler ebenso wie globaler Ebene untersucht sowie die Erkenntnisse aus Verhaltensbiologie, Verhaltensökonomie und Psychologie diskutiert. Zudem werden auch juristische Fragen bezüglich des Spannungsfeldes von Protestierenden und deren zivilrechtlicher Haftung angegangen.
Diskussion
Die Beantwortung der zentralen Fragen des Bandes ist weniger eine anspruchsvolle denn eine titanische Aufgabe. Selbstverständlich kann von den Beitragenden nicht erwartet werden, mit einem Zwölfseiter gordische Knoten zu durchschlagen. Doch angesichts der Zielsetzung der Reihe wäre es doch schön, die Erkenntnisse komplexer Forschungsprozesse in „mundgerechter“ Art aufzubereiten, so dass der Transfer in außeruniversitäre Sphären erfolgreich vollzogen werden kann. Das gelingt nur schwer, wenn beispielsweise einem äußerst dichten und informativen Text „Ökonomische Partizipation und Demokratie: das erfolgreiche Modell der Genossenschaften als Form des kooperativen Wirtschaftens“ von sechs Seiten Länge ein ebenso langer wissenschaftlicher Anhang beigestellt wird (S. 105-116). Die hoch anregende inhaltliche Darstellung genügt sich in der Beschreibung historischer Beispiele und hat für die so wichtige Übertragung auf die uns heute vorliegenden Herausforderungen nur wenige Zeilen am Schluss des Beitrages übrig.
Dieses Beispiel zeigt ein grundsätzliches Defizit des Bandes auf, in dem sehr kurze Beiträge vereint sind, welche ihre zumeist lohnenden Themen in dem gebotenen Rahmen oft lediglich anreißen können. So lässt – ein weiteres Beispiel – die Diskussion um die kritisch-emanzipatorische und subjektorientierte Politische Bildung (S. 71-77) den Lesenden mit der Frage zurück, wie die hohen Ansprüche an Selbstwirksamkeitserfahrungen und individuelle Demokratiekompetenz erreicht werden sollen. Dieser Frage lässt sich eine weitere – grundsätzliche – an den Band hinzufügen: Inwiefern ist es möglich und von den Betroffenen überhaupt gewünscht, die geforderten hohen Partizipationsgrade zu erreichen?
Hierzu wird der Lesende tatsächlich mit griffigen, konkreten Ergebnissen der Forschung konfrontiert, wenn beispielsweise klar herausgestellt wird, dass (persönlicher) Nutzen deutlich stärker wirkt als abstrakte Moral, wenn es darum geht, Individuen zu Verhaltensänderungen zu motivieren (S. 157). Diese Annahme lag nahe. Potenzieller persönlicher Nutzen und persönliche Betroffenheit fördern die Motivation zur Teilhabe in Aushandlungsprozessen. Eine Ebene darunter entscheiden dann die individuellen Einschätzungen der Betroffenheit, des Nutzens und der Erfolgsaussichten. Hierbei sind, abgesehen vom institutionellen Framework, emphatische und intellektuelle Kompetenzen entscheidend.
Fazit
Teilhabe fordert in allen ihren Dimensionen (Input, Prozess, Output) relevante Ressourcen wie Zeit, Kompetenz, und Ausdauer von den Mitgliedern einer Gemeinschaft. Die Hebung dieser Ressourcen und die Motivation zu ihrem Einsatz sind hochkomplexe individuelle (Erkenntnis-)Prozesse. Das kollektive „Gelingen“ dieser individuellen Bemühungen steht nicht in der Macht der gesammelten Aufsätze. Doch sie stellen einen Versuch zur Mehrung und zum Transfer von Erkenntnissen dar.
Rezension von
Dr. Harald Schmidt
M.A.
Mailformular
Es gibt 12 Rezensionen von Harald Schmidt.
Zitiervorschlag
Harald Schmidt. Rezension vom 12.12.2024 zu:
Judith Fritz, Nino Tomaschek (Hrsg.): Partizipation. Das Zusammenwirken der Vielen für Demokratie, Wirtschaft und Umwelt. Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2023.
ISBN 978-3-8309-4731-8.
Reihe: University Society Industry - 12.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31551.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.