Thomas Trenczek, Britta Tammen et al.: Grundzüge des Rechts
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 05.12.2023
Thomas Trenczek, Britta Tammen, Wolfgang Behlert, Arne von Boetticher: Grundzüge des Rechts. Studienbuch für soziale Berufe.
Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2023.
6. vollst. überarbeitete u. erweiterte Auflage.
942 Seiten.
ISBN 978-3-8252-8835-8.
Reihe: Studienbücher für soziale Berufe.
Verrechtlichung
Die „globale, freiheitliche, demokratische Ethik“, wie sie in der allgemeinverbindlichen, nicht relativierbaren „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. Dezember 1948 formuliert wird, postuliert, dass „die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“. Ethisches, moralisches, soziales und politisches Rechtsdenken und -handeln ist die Basis für ein menschenwürdiges Dasein. Wissen und Macht, Situation und Perspektivenwechsel sind individuelle und gesellschaftspolitische Paradigmen, die sich positiv wie auch negativ auf das Zusammenleben der Menschen auswirken.
Sie müssen als Bildungs- und Erziehungsprozesse erkannt, thematisiert und realisiert werden. Die Philosophin von der New Yorker University, Miranda Fricker, prägte mit ihrer Studie „Epistemic Injustice. Power and the Ethics of Knowling“ (2007) den Begriff „Epistemische Ungerechtigkeit“, indem sie die Frage stellte, welche Gelegenheiten und Prozesse bewirken, dass und wie wir wissen, wie wir uns verhalten, die uns auf den verschiedenen Kanälen des Daseins begegnen und beeinflussen. Um die Kakophonien zu überwinden, die durch Ego-, Ethnozentrismus, Rassismus, Faschismus und Populismus auftreten, braucht es die Gewissheit, dass die Menschheit nur dann gemeinsames, humanes Wissen erwerben und leben kann, wenn alle guten Stimmen zu hören und zu verstehen sind und kein Mensch wegen Vorurteilen und Diskriminierung vom kollektiven Erkenntnisprozess ausgeschlossen wird.
Es ist An- und nicht Ausschluss, Integration nicht Menschenfeindlichkeit, legitimer Machtge-, nicht Machtmissbrauch, die eine „Tugend-Epistemologie“ bestimmt. Das schwierige, anstrengende und den Intellekt herausfordernde und befördernde Bemühen nach gutem, erkenntnisbezogenem Verhalten verlangt nach einem ethischen Gerüst, mit dem Zeugnisungerechtigkeit und hermeneutische Ungerechtigkeit erkannt, verhindert und ersetzt werden durch Zeugnisgerechtigkeit und hermeneutische Gerechtigkeit (Miranda Fricker 2023, www.socialnet.de/rezensionen/​30603.php).
Entstehungshintergrund und Herausgeberteam
Recht und Unrecht sind Antonyme, die den Menschen begegnen und konfrontieren. Es sind die humanen Herausforderungen, gutes, gelingendes Denken und Tun als Grundlage des Humanismus zu erkennen und zu leben. Denn ein friedliches, gerechtes, menschenwürdiges Zusammenleben erfordert eine gemeinsame, gleichberechtigte, demokratische Verständigung darüber, wer wir sind und wie wir werden und geworden sind, wer und was wir sind (Joachim Bauer 2022, www.socialnet.de/rezensionen/​29229.php). Rechtsbewusstsein ist keine Beckmesserei, auch keine Prophetie und keine Weltleugnung, sondern Lebens- und Sicherheitsgerüst. Wenn wir davon ausgehen, dass alles, was der Mensch individuell und kollektiv denkt und tut, politisch und rechtlich bestimmt ist, kommen dem Rechtswissen und der -kompetenz eine unverzichtbare, grundlegende Bedeutung zu (Arnold Köpcke-Duttler 2004, www.socialnet.de/rezensionen/3106.php).
Es sind die familialen, schulischen, verwandtschaftlichen, nachbarschaftlichen, nationalen und internationalen, globalen Zusammenhänge, die vergangenheitsbestimmt und traditionell als gesellschaftliche Werte und Normen fortgeschrieben, den aktuellen Veränderungs- und Transformationsprozessen angepasst und für zukünftiges, generationsübergreifendes Ordnungsdenken vorbereitet werden. In freiheitlich-demokratischen Gesellschaften vollzieht sich Rechtsverständnis als verfasstes, gesetzliches Recht und unterliegt den Bedingungen von Teilhabe und Kritik. Professionelle Rechtsgrundlagen gründen auf mündlich überlieferte und verschriftlichte Prämissen, die im öffentlichen, rechtlichen, gleichberechtigten Diskurs entstehen und sich etablieren. In der gesellschaftspolitischen, sozialen Auseinandersetzung bieten Lehr-, Arbeits- und Handbücher Anhaltspunkte für ein rechtsbewusstes Dasein. In den pädagogischen Arbeitsfeldern – Familie, Schule, Soziale Arbeit – dienen die Kompendien als Basis für sach- und rechtswirkliches Handeln.
Das Studienbuch für soziale Berufe – „Grundzüge des Rechts“ – wird in sechster, überarbeiteter und erweiterter Auflage 2024 vom Autorenteam Thomas Trenczek, Wolfgang Behlert und Claudia Beetz von der Jenenser Ernst-Abbe-Hochschule, Britta Tammen von der Hochschule Neubrandenburg und Arne von Boetticher von der FH Potsdam vorgelegt.
Aufbau und Inhalt
Neben dem 16-seitigen Abkürzungsverzeichnis, Vorwort, Glossar, einem Verzeichnis von „Altersstufen im Recht“, einer „Auswahl wichtiger Aktenzeichen“, gutachterlichen Hinweisen und dem elfseitigen Literaturverzeichnis und dem 32-seitigen Sach- und Personenregister, wird das Handbuch in fünf Teile gegliedert: Im ersten Teil werden „Allgemeine Grundlagen“ thematisiert, im zweiten „Grundzüge des Privatrechts“ dargestellt, im dritten „Grundzüge des Öffentlichen Rechts“ erläutert, viertens geht es um „Grundzüge des Strafrechts“, und im fünften Teil um „Querschnittsgebiete“.
Die Auflistung der Titel der jeweiligen Fachbeiträge soll den Umfang und Gebrauchswert des Handbuchs verdeutlichen:
- Recht und Gesellschaft (Trenczek/​Behlert)
- Verfassungsrechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit (Behlert/​Trenczek)
- Grundlagen der Rechtsanwendung (Trenczek)
- Rechtsverwirklichung (Trenczek)
- Rechtsschutz (Trenczek)
- Außergerichtliche Konfliktregelung (Trenczek)
- Allgemeine Grundlagen des Privatrechts (Beetz/​Trenczek)
- Familienrecht (Behlert/​Beetz/​Trenczek)
- Sozialrecht – Allgemeines Sozialverwaltungsrecht (Trenczek/von Boetticher)
- Sozialversicherungsrecht (von Boetticher/​Tammen)
- Kinder- und Jugendhilferecht (Tammen/​Trenczek)
- Existenzsicherungsrecht (von Boetticher/​Tammen)
- Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (von Boetticher)
- Sonstiges Sozialrecht (Tammen)
- Jugendschutzrecht (Tammen/​Trenczek)
- Migrationsrecht (Behlert)
- Grundzüge des Strafrechts (Trenczek)
- Aufsichtspflichten und Haftung (Tammen /Trenczek)
- Unterbringung und Freiheitsentziehung (Behlert/​Trenczek)
- Arbeitsrecht (Behlert).
- Diskussion
Ein Handbuch hat grundlegend zwei bedeutsame Ansprüche. Zum einen dient es der professionellen Vergewisserung des Fach- und Sachwissens auf einem speziellen Gebiet beruflichen Handelns; zum anderen als Nachschlagewerk bei spezifischen Fragestellungen, An- und Herausforderungen. Es ist die Mischung aus theoretischen und praktischen To-Do-Aktivitäten, Handlungsanregungen und -versicherungen, die auf Rechtsnormen beruhen, und die im dialogischen, rechtsphilosophischen Diskurs bedeutsam sind. Es sind die (kongruenten und Kontroversen) Auffassungen über Gerechtigkeit und Gleichheit, Individualismus und Freiheit, Gemeinwohl und Solidarität, die ethisch-moralisch, faktisch und selbstverständlich im kategorischen Imperativ sprichwörtlich zum Ausdruck kommen: „Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinen andern zu!“. Die Verankerung und Präsentation einer individuellen und lokal- und global-gesellschaftlichen, logischen Rechtsordnung setzt eine freiheitlich-demokratische Einstellung voraus. Institutionell und organisatorisch wird der Rechtsrahmen verwaltungsmäßig, pädagogisch und juristisch gesetzt. Es sind Beratungs-, Hilfs- und Schutzfunktionen, die besonders in der Sozialen Arbeit gefordert sind.
Fazit
Das Handbuch wird dem Anspruch, auch ein Lehrbuch für in der pädagogischen und Sozialen Arbeit Lernenden und professionell Tätigen zu sein, nicht nur durch die umfassenden Themen- und fachlichen Informationen und Präsentationen gerecht, sondern auch, dass mit Symbolen ausgewiesene Fragen und Arbeitsanweisungen die Leserinnen und Leser zum eigenen Denken und Handeln aufgefordert werden. Es ist „die emanzipatorische Kraft des Rechts“, die ein gelingendes, gutes Leben der Menschen möglich macht!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 05.12.2023 zu:
Thomas Trenczek, Britta Tammen, Wolfgang Behlert, Arne von Boetticher: Grundzüge des Rechts. Studienbuch für soziale Berufe. Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2023. 6. vollst. überarbeitete u. erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-8252-8835-8.
Reihe: Studienbücher für soziale Berufe.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31576.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.
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