Anna Puzio: Über-Menschen
Rezensiert von Thomas Barth, 08.12.2023
Anna Puzio: Über-Menschen. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus.
transcript
(Bielefeld) 2022.
389 Seiten.
ISBN 978-3-8376-6305-1.
D: 45,00 EUR,
A: 45,00 EUR,
CH: 54,90 sFr.
Reihe: Edition Moderne, Postmoderne.
Thema
Der Transhumanismus gewinnt zunehmend Aufmerksamkeit als technophile Weltanschauung und (sogar auch politische) Bewegung. Anna Puzio legt aus Sicht der philosophischen Anthropologie eine Kritik des Transhumanismus (TH) vor und fragt: Wie verändern sich Mensch und Körper durch Technik und welches Menschenverständnis resultiert daraus für den TH? Als Ziele des TH markiert sie Perfektionierung, Kontrolle und Macht und ein Menschenbild, das zentral auf Information basiert. Dieses reduktionistische Menschenbild lasse den TH in die Nähe der Eugenik geraten und enthülle im TH prototalitäre Aspekte einer Ideologie, die sie mit dem Nationalsozialismus vergleicht. In scharfer Abgrenzung zum TH, aber in überraschend affirmativer Haltung zur technologischen Selbstoptimierung, entwickelt Puzio ihre Technikanthropologie mit Bezug auf den kritischen Posthumanismus und Donna Haraway.
Autorin und Entstehungshintergrund
Anna Puzio (Dr. phil.), geb. 1994, studierte katholische Theologie, Philosophie und Germanistik in Münster und München und promovierte mit der hier als Buch vorliegenden Promotionsschrift an der Hochschule für Philosophie München im Rahmen eines interuniversitären Promotionskollegs mit der Katholischen Stiftungshochschule München und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, finanziert durch die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung. Puzio forscht zu TH, Technikanthropologie und Technikethik, sie publizierte u.a. zu Moraltheologie sowie zum Theologiestudium im digitalen Zeitalter.
Aufbau und Inhalt
Drei Teile umfassen zehn Kapitel. Der erste Teil „Transhumanismus“ beschreibt die transhumanistische Bewegung, Ausgangspunkt sind Schlüsseltexte (Transhumanist FAQ, Transhumanist Declaration), deren Entstehungskontext, Persönlichkeiten, Begriffe, Definitionen und Ziele des TH. Puzio folgt der Systematik von Janina Loh auch in der etwas verwirrenden Einteilung TH/tPH/kPH, wobei der TH im tPH (technischer Posthumanismus) radikalisiert wird, der kPH (kritischer Posthumanismus) jedoch eine völlig andere Bewegung darstellt: Im kPH wird geisteswissenschaftlich das heutige Menschenverständnis auf Basis postmoderner bzw. poststrukturalistischer Theorie reflektiert und weiterentwickelt. Abschließend erörtert Teil 1 das Verhältnis zur Religion: Im TH stechen zwar „religiöse Semantik und eine Fülle an religiösen Motiven“ hervor, etwa Unsterblichkeit, ewiges Leben, Heilsvorstellungen, die Beseitigung von Leid, die Möglichkeit eines entkörperlichten Daseins. Doch der Religion wird vom TH, der sich von ihr abgrenzen will, auch mangelnde Vernunft, Intoleranz und Unwissenschaftlichkeit vorgehalten (S. 54).
Der zweite Teil „Das Menschenverständnis des Transhumanismus“, der 230 der 360 Seiten umfasst, diskutiert v.a. auch das Körperverständnis des TH -vor dem Hintergrund der Porträts sechs führender Protagonist*innen des TH: Aubrey de Grey, James Hughes, David Pearce, Max More und Natasha Vita-More sowie Nick Bostrom, auf die im Buch immer wieder rekurriert wird. Puzio analysiert fünf Diskurse des TH: Vorstellungen der menschlichen Natur, der Mensch als Maschine, der Mensch als Gen-Code, der Mensch als Gehirn (Neuroscience) sowie das Verhältnis von Körper und Geist (Metaphysik). Überall findet sie „unterbestimmte Begriffe“, dem TH innere- sowie Widersprüche zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und beklagt auf Basis des „engen Konnexes von Anthropologie und Ethik“ ein reduktionistisches Menschenverständnis sowie die „fehlende menschenbejahende Grundhaltung des TH“ durch „eine radikale Abwertung und Diskriminierung des Menschen gegenüber der Maschine“ (S. 230).
Die Ziele des TH sieht Puzio im Streben nach Perfektionierung, Kontrolle und Macht, die sich hinter Visionen einer „Steigerung des gegenwärtigen menschlichen Daseins“ (S. 231) verbergen, sich religiöser Motivik bedienen, von „gottähnlichen Fähigkeiten und himmlischen Zuständen“ reden und „paradiesische Klänge“ anschlagen, „auch wenn sich ihre Vorstellungen von denen der Religion sehr unterscheiden“ (S. 232). Anstelle einer unsterblichen Seele im Himmel trete bei einigen TH-Richtungen der „Upload“ des Geistes als Programmcode in den Computer, was Puzio als Gipfel einer Körperabwertung sieht. Der TH seinerseits bringe jedoch Körperabwertung mit Christentum und Platonismus in Verbindung, von denen er sich abzugrenzen sucht: „Die transhumanistische Sicht auf den Körper wird als harmlos abgetan, wenn Hughes sie z.B. mit Praktiken der 'Abtötung des Fleisches' vergleicht: der 'Selbstgeißelung im Katholizismus', der Selbstkastration in frühen griechischen und christlichen Sekten…“ (S. 258). Andere TH-Bestrebungen zielen dagegen auf die fleischliche Perfektionierung sexueller Lust zu ungekannter Ekstase transhumaner „superpersonen“: So „werde eine 'superperson' neue Geschlechtsorgane und mehr sexuelle Möglichkeiten mit sich bringen. Eine weibliche 'superperson' werde beispielsweise über mehrere Körperöffnungen verfügen“ (S. 260). Hier sieht Puzio „Vorstellungen von Männern für Männer“ und eine Instrumentalisierung des Körpers (S. 261). Aber letztlich konkretisiere sich das Menschenverständnis des TH als Anthropologie der Information, der eine metaphysische Essenz zugesprochen werde: „Die Information konstituiert im TH das Wesen des Menschen. In gnostischer Motivik soll der reine Geist vom stofflichen Körper befreit werden, der aber im TH nicht mehr Pneuma ist, sondern 'pure Form', substratunabhängige Information“ (S. 266).
Im Kapitel „Der Transhumanismus -eine Ideologie?“, folgt Puzio der Totalitarismus-Theorie Hannah Arendts und findet „protototalitäre Aspekte“ im TH: „Für den Nationalsozialismus bedeutet das beispielsweise, dass »nichts ›logischer‹ und konsequenter ist, als daß man […] parasitäre Rassen oder dekadente Völker eben auch wirklich zum Absterben bringt.« Der TH ist nicht in der Position, seine Visionen in Gesellschaft und Politik voll umzusetzen. Dennoch gilt auf diese Gefahr, auf die Arendt aufmerksam macht, auch hinsichtlich des TH wachsam zu bleiben. Denn denkt man die transhumanistischen Gedanken zu Ende und zieht daraus strikte Konsequenzen, dann gilt auch hier das Recht des Stärkeren, des ökonomisch Gewinnbringenden, des Produktiven oder der Maschine“ (S. 275f).
Der dritte und kürzeste Teil „Anthropologie 2.0“ sucht nach Möglichkeiten die Anthropologie weiterzuentwickeln und verwirft dafür die vernichtend kritisierten Ansätze von TH und des ihn steigernden tPH (technischer Posthumanismus). Anders zu bewerten ist der kPH, der kritische Posthumanismus, der auf postmoderne und poststrukturalistische Theorien zurückgeht. Puzio geht es darum, „dass vor dem Hintergrund der modernen Technologien weiterhin am Projekt der Anthropologie festgehalten werden kann, diese aber transformiert werden muss“ (S. 291). Dazu gelte es, auf die Schnittstellen von Mensch, Körper und Technik zu schauen, wo sich zeige, dass Technologie das gesellschaftlich bestimmte Körperverständnis ebenso ändern könne wie dies politisch-kulturelle Richtungen taten, etwa die Punk-Bewegung (S. 300). Sie erörtert Selbstoptimierungen wie kosmetische Operationen als „Technologien des Selbst“ (Foucault), die helfen können unser gegenwärtiges Körperverständnis auszuweiten (S. 352). Puzio führt kulturwissenschaftlich in den kPH ein: Über die Figurationen des Posthumanen, wie (Technik-)Monster, Superroboter, Hybride in der Science-Fiction. Mit der Techno-Feministin Donna Haraway und ihrem berühmten Cyborg-Manifesto sei der Frage nachzugehen, was Menschsein morgen bedeuten könne. Im letzten Absatz zitiert sie für den kritischen Umgang mit künftiger Biopolitik Haraway: „Als AnthropologInnen möglicher Formen des Selbst sind wir zugleich TechnikerInnen für den Entwurf von Wirklichkeiten, die eine Zukunft haben“ (S. 356).
Diskussion
Die sehr materialreiche und engagierte Kritik am Transhumanismus und seinen teilweise überschießenden Visionen kontrastiert mit einer tendenziellen Kritiklosigkeit gegenüber heutiger Techniknutzung und Gesellschaft, so dass sich die Dissertation stellenweise fast wie ein Werbetext liest wenn Puzio schreibt: „Das neuste Model (Apple Watch 6) ermittelt sogar den Blutsauerstoffgehalt. Da sie den Schlafrhythmus erfasst und wasserfest ist, muss sie gar nicht mehr abgenommen werden. Mit der Apple Watch können Fitnessziele gesetzt und erreicht werden (…) Die Bewegungsaktivitäten lassen sich teilen, sodass man mit seinen Kontakten in einen Wettbewerb treten kann.“ (S. 306) Fraglich scheint, ob es sich dabei, wie Puzio meint, wirklich um autonomieförderliche „Technologien des Selbst“ handelt oder eher um eine (andernorts von ihr kritisierte) Kommerzialisierung des Körpers -die hier zudem mit einer neoliberalen Ideologie des Wettbewerbs unterlegt ist. Puzio berichtet, wie vornehmlich junge Frauen heute eine Schönheits-OP unter Vorlage eines mit digitalen „Filtern“ aufgehübschten Selfies anstreben und wie auf Instagram Abmagerungswettbewerbe ein besonders knochiges Schlüsselbein belobigen. Doch auf die dort und in anderen „Social Media“-Plattformen epidemische Anorexie geht sie nicht ein. Kritikwürdig scheint ihr offenbar auch nicht, dass im Rahmen künftigen digitalen „social engineering“ Probleme wie „Finanzcrash, Klimaschutz oder revolutionäre Bewegungen“ unter Kontrolle gebracht werden sollen (S. 312). Dass hier Ökologie, Finanzregulierung und politische Unterdrückung technokratisch auf eine Stufe gestellt werden, ist problematisch. Puzios Ideologie-Kritik am TH ist zudem auf Arendts Totalitarismus-Theorie begrenzt, vergleicht den TH i.d.S. mit Stalinismus und vor allem der NS-Ideologie. Die heute nach Ansicht vieler Gesellschaftskritiker westliche Länder dominierende Ideologie ist aber der Neoliberalismus (vgl. z.B. Reimer 2023). Dieser formt maßgeblich Gesellschaft und Technologien eines Digitalen Kapitalismus, der tief in Alltag und Leben der Menschen hineinwirkt. Der Neoliberalismus wird leider nicht erwähnt, obwohl er starke Bezüge zu digitalen Technologien und Medien aufweist und mit dem TH u.a. Ziele der Optimierung, Kontrolle und Macht teilt. Diese Auslassungen schmälern jedoch nicht Puzios philosophische Kritik am TH oder ihren Ansatz einer dem kPH Donna Haraways folgenden neuen Anthropologie.
Fazit
Anna Puzio untersucht, wie sich Mensch und Körper durch Technik verändern und was daraus für den Transhumanismus folgt, dessen Ziele in Perfektionierung, Kontrolle und Macht liegen. Der TH zeige dabei ein reduktionistisches Menschenbild sowie prototalitäre Aspekte einer Ideologie. In deutlicher Abgrenzung zum TH, aber affirmativer Haltung zur technologischen Selbstoptimierung entwickelt Puzio ihre Technikanthropologie auch mit Ideen des kritischen Posthumanismus, besonders der Techno-Feministin Donna Haraway.
Rezension von
Thomas Barth
Dipl.-Psych, Dipl.-Krim.
Mailformular
Es gibt 17 Rezensionen von Thomas Barth.
Zitiervorschlag
Thomas Barth. Rezension vom 08.12.2023 zu:
Anna Puzio: Über-Menschen. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus. transcript
(Bielefeld) 2022.
ISBN 978-3-8376-6305-1.
Reihe: Edition Moderne, Postmoderne.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31580.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.