Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Sabine Maschke: Die Sozialräumliche Karte

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Schröder, 21.12.2023

Cover Sabine Maschke: Die Sozialräumliche Karte ISBN 978-3-7799-7236-5

Sabine Maschke: Die Sozialräumliche Karte. Anwendungen in Forschung und Praxis. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2023. 167 Seiten. ISBN 978-3-7799-7236-5. D: 15,00 EUR, A: 15,50 EUR.
Reihe: Grundlagentexte Methoden.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand
Kaufen beim Verlag

Thema

Der Band präsentiert die Sozialräumliche Karte, die sich in ihrer Erkenntnistheorie unter dem Rahmen der Dokumentarischen Methode verortet und das Zeichnen sowie die gesprochenen Worte der Interviewten als Instrumente zur Datenerhebung berücksichtigt. Anhand von Forschungsprojekten, die darauf abzielen, Bildungsprozesse in sozialen Räumen zu rekonstruieren, werden exemplarisch die methodischen Schritte bei der Datenerhebung und -auswertung veranschaulicht. Zum Abschluss wird die Anwendung der Sozialräumlichen Karte als Instrument im Coaching vorgestellt.

Autorinnen

Dr. Sabine Maschke ist Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Philipps-Universität Marburg.

Verena Bosso (früher Wellnitz) ist Doktorandin und Dozentin an der Philipps-Universität Marburg.

Marie Baesch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation.

Aufbau

Neben der Einleitung gliedert sich der Band in verschiedene Kapitel. Zunächst führen die Kapitel 2 und 3 historisch und theoretisch in die Verwendung von (Sozialräumlichen) Karten zu Forschungszwecken ein. Kapitel 4 erläutert das methodische Vorgehen, gefolgt von drei exemplarischen Anwendungsbeispielen aus Forschungsprojekten in den Kapiteln 5 bis 7. Ein resümierendes Kapitel zu den Potenzialen der Sozialräumlichen Karte für die Forschung (Kapitel 8) sowie ein Kapitel zur praktischen Anwendung im Coaching (Kapitel 9) sind ebenfalls enthalten. Das abschließende Kapitel 10 fungiert als Checkliste für eigene Forschungsvorhaben unter Verwendung der Sozialräumlichen Karte.

Inhalt

Nach der Einleitung (Kapitel 1) wird in Kapitel 2 von Verena Wellnitz die historische Entwicklung der Sozialräumlichen Karte skizziert. Dabei wird einerseits betont, dass Karten keine neutralen oder objektiven Abbilder der Welt sind, und andererseits hervorgehoben, dass sie in der qualitativen Forschung als Mittel zur Rekonstruktion impliziten Wissens Beachtung finden sollten. Die nachfolgenden Kapitel des Buches stammen von Sabine Maschke. Kapitel 3 führt in die theoretischen Grundlagen ein. Hierbei geht es um das Verständnis von sozialem Raum, Bildungsprozessen als Aneignung sozialer Räume, die Bedeutung von Habitus in transformatorischen Bildungsprozessen sowie um Übergänge als Räume der Möglichkeiten für Bildungsprozesse. Die These wird vertreten, dass Bildungsprozesse, verstanden als Veränderungen im Selbst- und Weltverhältnis, nicht ausschließlich durch Krisen ausgelöst werden, sondern auch aus alltäglichen Erfahrungen resultieren können.

Diese Annahme wird in den folgenden Kapiteln empirisch überprüft, indem die exemplarische Anwendung der Sozialräumlichen Karte in Forschungsprojekten zu Bildungsprozessen in sozialen Räumen untersucht wird. Die methodischen Erläuterungen zur praktischen Anwendung der Sozialräumlichen Methode (Kapitel 4) stellen die Dokumentarische Methode als methodologisches Gerüst vor, das eine Verknüpfung von Text und Bild in der Analyse erlaubt. Außerdem wird die Sozialräumliche Karte von der Narrativen Landkarte abgegrenzt, die in verschiedenen Forschungslogiken angewendet wird und deren methodologische Grundlagen bisher noch nicht abschließend geklärt sind. Die Analyse-Schritte spiegeln die Vorgehensweise der Dokumentarischen Methode wider, umfassend eine formulierende Interpretation, die den immanenten Sinngehalt herausarbeitet (was wird gesagt?), und eine reflektierende Interpretation, die implizites oder vorreflexives Wissen rekonstruiert (wie wird die Realität des Erzählenden produziert?).

Im weiteren Verlauf des Buches, insbesondere in Kapitel 5, wird detailliert die Analyse von Zeichnungen eines Kindes und einer Jugendlichen zu subjektiven Bildungsräumen anhand der Sozialräumlichen Karte vorgestellt. Es erfolgt eine Analyse der Zeichnungen sowie im Anschluss die Interpretation der parallel zur Zeichnung aufgezeichneten Kommentare des Interviewten. Kapitel 6 und 7 präsentieren in einer abgespeckten Version (ohne beispielsweise die Vorikonografie darzustellen) zwei weitere Auswertungen mit der Sozialräumlichen Karte zu den Themen Erwachsenwerden und Professionalisierung von angehenden Lehrkräften. Kapitel 8 fasst die Erkenntnisse zusammen, dass Bildungsprozesse nicht nur durch Krisen, sondern auch durch subtilere Formen ausgelöst werden können („transformatorische Lightversion“, S. 137). Das Kapitel schließt mit der Begründung, warum die Sozialräumliche Methode ein geeignetes Forschungsinstrument ist, um (insbesondere) Bildungsprozesse zu erforschen. Kapitel 9 zeigt auf, wie die Sozialräumliche Karte auch methodisch im Coaching eingesetzt werden kann, um einen selbstreflexiven Erkenntnisgewinn für die Coachees zu erzielen. Der Band endet mit einer Checkliste zum Einsatz der Sozialräumlichen Karte in Forschungsvorhaben.

Diskussion

Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der praktischen Anwendung der Sozialräumlichen Karte zur Rekonstruktion von Bildungsprozessen. Die Lektüre ist äußerst bereichernd, da sie ermöglicht, das Potenzial dieser Methode zur Erkenntnisgewinnung tatsächlich nachzuvollziehen – ähnlich einem Schulterblick. Die Einordnung der Methode innerhalb des erkenntnistheoretischen Rahmens der Dokumentarischen Methode wird überzeugend präsentiert. Es könnte noch weiter diskutiert werden, inwiefern die Sozialräumliche Methode mit der von Jeanette Böhme und Tim Böder präsentierten Bildanalyse kompatibel ist. Diese Art der Bildanalyse erschließt die Eigenlogik des Bildes weniger über den Inhalt (was auf dem Bild zu sehen ist), sondern primär über die Analyse der Formen (siehe Böhme und Böder 2020). Obwohl der Band sehr logisch aufgebaut ist und die Methode der Sozialräumlichen Karte verständlich dargestellt wird, hätte es mir geholfen, die Forschungsprojekte besser zu verstehen, wenn zu Beginn mehr Informationen zum Kontext und insbesondere zur Fragestellung geliefert worden wären. Diese Details sind jedoch im Anschluss an die jeweiligen Kapitel in einer tabellarischen Darstellung der Ergebnisse enthalten.

Der Band ist vor allem für Forschende hoch interessant, deren Interesse auf dem Gebiet von Bildungs-, Übergangs- und Professionalisierungsprozessen liegt. Es wäre interessant zu prüfen, ob die Methode auch für andere Fragestellungen anwendbar ist – hierfür bietet der Band jedoch ebenso eine solide Grundlage.

Fazit

Der Band leistet Pionierarbeit, indem er eindrucksvoll zeigt, wie die Sozialräumliche Methode sowohl die Auswertung von Zeichnungen und verbalen Äußerungen veranschaulicht als auch empirisch darlegt, dass Bildungsprozesse nicht nur durch Krisen, sondern auch durch subtilere Erfahrungen rekonstruiert werden können. Ebenso überzeugend ist die praktische Anwendung zur biografischen Selbstreflexion, wie im Beispiel des Coachings gezeigt wird.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Schröder
Professor für Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Fakultät für Sozialwissenschaften
Website
Mailformular

Es gibt 22 Rezensionen von Christian Schröder.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Christian Schröder. Rezension vom 21.12.2023 zu: Sabine Maschke: Die Sozialräumliche Karte. Anwendungen in Forschung und Praxis. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2023. ISBN 978-3-7799-7236-5. Reihe: Grundlagentexte Methoden. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31590.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht