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Dzifa Vode, Johannes Kloha et al. (Hrsg.): Schreiben lernen und lehren im Studium der Sozialen Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 18.01.2024

Cover Dzifa Vode, Johannes Kloha et al. (Hrsg.): Schreiben lernen und lehren im Studium der Sozialen Arbeit ISBN 978-3-7639-7053-7

Dzifa Vode, Johannes Kloha, Cosimo Mangione, Frank Sowa (Hrsg.): Schreiben lernen und lehren im Studium der Sozialen Arbeit. wbv Media GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2023. 204 Seiten. ISBN 978-3-7639-7053-7. 36,90 EUR.
Reihe: Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft.

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Entstehungshintergrund und Thema

Die Besonderheiten von Schreibprozessen in Schule, Hochschule und Beruf werden zunehmend analysiert. So hat die Gesellschaft für Schreibdidaktik und Schreibforschung im wbv Verlag die Reihe „Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft“ initiiert, in die das Buch als Band 16 aufgenommen wurde. Auch an Hochschulen entstanden punktuell Zentren für Schreibberatung und Schreibdidaktik. Dieses Buch vereint Beiträge, die sich mit schreibwissenschaftlichen und -didaktischen Facetten von Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit befassen, verfasst von Lehrenden der Disziplin.

Herausgeber:innen

Dr. Dzifa Vode ist Mitarbeiterin des Schreibzentrums der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm (TH) Nürnberg. Prof. Dr. Johannes Kloha, Prof. Dr. Cosimo Mangione und Prof. Dr. Frank Sowa lehren und forschen an der Fakultät Sozialwissenschaften der TH Nürnberg und haben sich u.a. damit befasst, (wissenschaftliches) Schreiben im Studium der Sozialen Arbeit zu fördern und zu untersuchen.

Aufbau und Inhalt

Das Vorwort der Reihenherausgebenden Gerd Bräuer & Kirstin Bromberg (S. 7–8) weist auf die noch junge Disziplin der Schreibwissenschaft und das in diesem Band versammelte kokonstruktiv erzeugte Wissen zum Schreiben in der Sozialen Arbeit hin. Im Anschluss daran sprechen die Herausgeber:innen „Eine Einladung zum Schreibenlehren und -lernen im Studium der Sozialen Arbeit“ (S. 9–26) aus. Obwohl Schreiben in der Sozialen Arbeit „Mittel für vieles“ (S. 9) darstelle, sei die Vermittlung von Schreibkompetenz in den Studiengängen kaum vorhanden. Praktiker:innen stöhnen häufig über überbordende Schreibarbeit. Anhand der vier Zwischenüberschriften demonstrieren die Autor:innen, wie eine Hinführung zum Schreiben im Studium den „Grundstein für eine lebenslange Praxis“ (S. 10) legen könne. Erkenntnissen aus dem Studienqualitätsmonitor und von Studienabbruchbefragungen zufolge können die Anforderungen an das Schreiben verschiedener Textsorten im Studium ein Misserfolgsfaktor sein, wobei es wenig Wissen über die Schreibförderung an Hochschulen gebe. Das Produzieren von Texten und damit die Gegenstandsstrukturierung gehöre zu den Selbstverständlichkeiten, mit denen ein Fall erst zum „Fall von“ und „Fall für“ und Gegenstand von Reflexionsprozessen werden könne. In der Einzelfallarbeit können über Dokumentationen Lebenslagen rekonstruiert und hermeneutisch erschlossen werden. Schließlich werde über das Schreiben wissenschaftliches Wissen generiert und (nicht nur qualitative) Forschung angeregt.

Die folgenden 10 Beiträge sind vier thematischen Abschnitten zugeordnet.

Teil I: Studentische Schreibpraxis zwischen Hochschulsozialisation und Profession (S. 29–73)

Die Wirksamkeit der eigenen Disziplin schreibend erfahren. Student:innen entwickeln Schreibstrategien für eine kritisch-fundierte Darstellung der Wirkmächtigkeit ausgewählter Theorien der Sozialen Arbeit

In einer Lehrveranstaltung im Masterstudiengang (Sommersemester 2019) an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, hat Prof. Dr. Bettina Radeiski Schreibprojekte zur Wirkmächtigkeit von ausgewählten Theorien der Sozialen Arbeit initiiert und den Studierenden eine intensive Aufarbeitung von Fragen aus der Praxis ermöglicht. Aufgeteilt in sieben Gruppen haben sich die Studierenden auf eine für sie handlungsrelevante Theorie geeinigt, die sie daraufhin analysieren und beschreiben sollten, wo sie ihr „in der Praxis begegnen“, was sie zum Verständnis der Praxis beitragen kann, wo sie Plausibilitäts- oder Aussagelücken entdecken und andere Aspekte mehr. Nach dem Semesterablaufplan sollten sich die Studierenden zuerst mit der Theorie befassen, danach festlegen, woraufhin sie die Theorie prüfen wollen und schließlich die Ergebnisse theoretisch fassen und in einem Essay so verschriftlichen, das das Ergebnis in der fakultätseigenen Zeitschrift veröffentlicht werden kann. Radeiski berichtet über den semesterbegleitenden Beratungsprozess für die Studierenden: Manche zweifelten an der Herangehensweise, andere an den Fragen an die Theorie oder an der Abstraktheit der Aussagen, wieder andere suchten sich einen eigenen Weg, ergänzten die Textsorte oder die Theorie. Eine Gruppe gab ihr Vorhaben auf und eine andere getraute sich den Text nicht zu publizieren.

Schreiben und Dokumentieren als Baustein professioneller Handlungskompetenz (angehender) Professioneller der Sozialen Arbeit

Dr. Carmen Hack ist Professorin an der Fachhochschule Kiel. Sie exemplifiziert die Bedeutung des professionellen Schreibens am Beispiel der Kinder- und Jugendhilfe, einem Handlungsfeld, in dem Dokumentieren von Sachverhalten, fachliche Beurteilung, Vermerke, Zwischen-, Entwicklungs- und Hilfeplan(fortschreibungs-)berichte und gutachterliche Stellungnahmen zu den Querschnittaufgaben gehören und insbesondere, wie z.B. beim zuletzt genannten Dokumententyp auch Standards (z.B. Trennung von Dokumentation und Kenntlichmachen von Interpretation und fachlicher Bewertung) entsprechen müssen. Neben den von Merchel (2004) formulierten 10 Kernpunkten für die Praxis des Dokumentierens sieht die Autorin auch die berufsethischen Normen für beachtenswert. Im Schreiben-Lernen operationalisiert sich nach Ansicht von Hack die Kompetenzorientierung des Studiums der Sozialen Arbeit. Mit einem beispielhaften Lehrkonzept demonstriert sie, wie in einer Lehrveranstaltung „Berichte schreiben in der Kinder- und Jugendhilfe“ vorgegangen werden könnte. Mit der Implementierung der erforderlichen Schreibkompetenz trage damit Lehre auch zur professionellen Handlungskompetenz bei.

Wissenschaftliches und reflektierendes Schreiben als Elemente der Praxisreflexion. Erprobung eines Workshops zur Einbettung wissenschaftlichen Schreibens in Praxisbegleitveranstaltungen

Zielsetzung und Hauptanliegen von Prof. Dr. Johannes Emmerich (Fliedner Fachhochschule in der Kaiserswerther Diakonie) & Kira Speckenwirth (Mitarbeiterin des Bildungswerks für Theater und Kultur in Hamm) bestehen darin, die dual Studierenden bei der Anfertigung eines qualitativ hochwertigen Praxisberichts als Leistungsnachweis zu unterstützen. Ausgehend von der Beobachtung, dass Studierende der Sozialen Arbeit wissenschaftlich-objektive und persönlich-reflektierende Schreibstile vermengen, weil sie die Charakteristika der Textsorten nicht kennen, entwickelten Emmerich & Speckenwirth einen Schreibworkshop, bestehend aus der Anfertigung eines One-Page-Papers (wissenschaftlich) und eines Tagebucheintrags (reflektierend). Der Workshop orientiert sich am acht-stufigen Konzept der Schlüsselsituationen nach Tov et al. (2016), fokussiert die „reflection in action“ (Stufe 3), setzt auf die Community of Practice und hat die Theorie-Praxis-Relationierung zum Inhalt. Mithilfe auch darstellender methodischer Elemente erlernen die Studierenden Kognition und Emotion zu trennen und dies auch in den Textsorten umzusetzen. Ersten Evaluationen (mündlich und schriftlich) zufolge hat der Workshop die Qualität der Praxisberichte verbessert. Angesichts einer prognostisch ansteigenden Zahl an dual und berufsbegleitend Studierenden beinhaltet diese Form der Praxisbegleitung erhebliches Potenzial zur Theorie-Praxis-Verzahnung als Element professioneller Handlungskompetenz.

Teil II: Schreiben als Instrument der professionellen Entwicklung (S. 77–127)

„Tutto a posto e niente in ordine“. Ein Praxisbeispiel: Ethnografische Feldnotizen als Reflexionstool für angehende Professionelle in der Sozialen Arbeit

Helen Schindler, seit 2021 Referentin in der politischen und sozialen Jugend- und Erwachsenenbildung im Caritas-Pirckheimer-Haus Nürnberg, gibt Einblick in einen Ausschnitt von Notizen aus ihrem Arbeitstagebuch, das sie konsequent während ihres Praktischen Studiensemesters im Wintersemester 2018/2019 in einem Frauenhaus in Reggio Calabria absolviert hat. Angestiftet von einem Lehrenden des Studiengangs hat sie die Aufzeichnungen zur Routine gemacht und in italienischer Sprache O-Töne und Situationen aus dem Arbeitsalltag notiert und in deutscher Sprache auf der Metaebene reflektiert. Auf Basis der Annahmen zur reflexiven Praxisethnografie von Riemann (2004) analysiert die Autorin die Notizen wieder und arbeitet verständnis- und verständigungshemmende Settings, Stimmungen, Stereotypisierungen, biografische Verstrickungen der Mitarbeitenden, Rollenkonflikte einer Praktikantin, soziale Wirklichkeitskonstruktionen, strukturell und institutionell verankerte Deutungs- und Machtverhältnisse sowie gesellschaftlich bedingte Ohnmachtsgefühle von Sozialer Arbeit heraus. Beeindruckt von den eigenen Erfahrungen mit der Textanalyse und der u.a. dadurch generierten Entwicklung von professioneller Handlungskompetenz plädiert die Autorin für die Verankerung von ethnografischem Schreiben im Studium der Sozialen Arbeit.

Schriftpraktiken als Wissenserzeugung Sozialer Arbeit – Potenziale für Disziplin und Profession

Dr. Nina Erdmann, Professorin an der Technischen Hochschule Köln, setzt sich mit den Spezifika der beruflichen Schriftpraktiken in den Organisationen der Sozialen Arbeit unter Bedingungen von Entscheidungs- und Handlungsdruck – im Gegensatz zum wissenschaftlichen Schreiben – auseinander und offenbart zahlreiche Desiderata fehlender Aufmerksamkeit im Studium, in der Profession und in der Forschung. Daraus abgeleitet entwickelt sie „Facetten einer Theorie des Schreibens Sozialer Arbeit“ (S. 96) und hangelt sich an der (1) Wissensentwicklung durch und im Schreiben in der Praxis (wer weiß etwas, was wird gewusst, wie sicher wird es gewusst und wie manifestiert sich das Wissen), (2) den „Antinomien des Schreibens Sozialer Arbeit“ (S. 98), wie z.B. der alltägliche Handlungsdruck, Schreiben als untergeordnete Tätigkeit, spezifische Fachsemantik versus verschiedene Adressat:innenkreise, Wiedergabe sozialer Komplexität und „Erzählstil“, (3) spezifischen Schriftpraktiken in den Handlungsfeldern entlang. Daraus leitet die Autorin „Potenziale für die Professionsentwicklung“ (S. 102) ab, wie z.B. die Reflexion verschiedener Formen des Schreibens mit Beginn des Studiums, die o.g. Antinomien zu thematisieren und Schriftpraktiken kontrastiv zu betrachten. Mit Blick auf die Disziplinentwicklung schlussfolgert sie, die Materialisierung Sozialer Arbeit handlungsfeldspezifisch zu betrachten und in einer von Interdisziplinarität charakterisierten Profession den Fachkern der Sozialen Arbeit zu profilieren.

„… und vielleicht bekommst du ja dann noch einen fünften Brief außerhalb der Reihe.“ Zur Beziehung von Dialog und Erkenntnis im studentischen Brief

Dr. Kirstin Bromberg, Professorin an der Ostfalia Hochschule in Wolfenbüttel, offenbart auf sehr vergnügliche Weise und unter Einbettung von Beispielen aus der Lehrveranstaltung, wie das Briefeschreiben den Wissens- und Erkenntnisgewinn anregen kann. Mithilfe des Formats der „doc.post“ (S. 120) schreiben Studierende regelmäßig nach Lehrveranstaltungen Briefe an selbst gewählte Adressat:innen (Familie, Freude, ehemalige Masterstudierende usw.). Briefserien werden sogar – nach Offenlegung der Bewertungskriterien – als Leistungsnachweis verwendet. Der als dialogische Kommunikationsform eingeordnete Brief entfaltet nach den bisherigen Forschungsarbeiten der Autorin genau darin seine Kraft, wo er sich nicht auf die reine Wiedergabe von Gehörtem beschränkt, sondern wo er Bezug nimmt auf vorher Gedachtes, dieses umarbeitet, revidiert, in Bezug setzt und argumentiert, altes Wissen mit neuem verbindet, gedankliche Suchbewegungen anregt, neue Fragen aufwirft, eigene Erkenntnisse in den Kontext von gesellschaftlichen Phänomen einbettet und reflektiert. Zudem hat die Verfasserin die für die Nutzung der Briefkorrespondenz interessante Entdeckung gemacht, dass die Beziehung zwischen schreibender und empfangender Person für die „Qualität der gedanklichen Auseinandersetzung“ (S. 118) essenziell sei. Daran entfalte sich der Dialog, nicht ob der Brief abgeschickt werde oder nicht.

Teil III: Textuelle Wirklichkeitskonstruktionen verstehen (S. 131–166)

Aktenidentitäten: Rekonstruktive Annäherungen an professionelle Schreibpraktiken

Dr. Claudia Streblow-Poser, Professorin an der Fachhochschule Dortmund, veranschaulicht an ihrem Wahlpflichtseminar „Aktenidentitäten und ihre soziale De-kontextuierung in der Kinder- und Jugendhilfe“ zum einen, wie Schriftstücke praktisches soziales Handeln vorbereiten oder zusammenfassen und welchen Legitimationen sie gehorchen (ökonomisch, rechtlich, organisatorisch). Zum anderen arbeitet sie mithilfe von Arbeitsaufträgen anhand von Dokumenten, die Studierende aus ihren Praxiskontexten mitbringen, mit ihnen heraus, welche Auswirkungen die Dokumentationspraxis für die Wahrnehmung eines Falls haben. Zur Einübung des „analytischen Blicks“ (S. 136) rekurriert sie auf eine Adaption der dokumentarischen Methode nach Bohnsack (2020) und verbindet sie mit Gruppenpräsentationen zu den analysierten Dokumenten analog zu Forschungswerkstätten. Auszugsweise präsentiert die Autorin Mechanismen, wie normative Zuschreibungen erfolgen, die Adressat:innenperspektive ausgeklammert wird, was eine „nicht moralisierende Schreibpraxis“ (S. 141) bewirken und wie ein (verständlicher) organisatorischer Aktionismus situative Hilfe verhindern kann. In diesem Seminar werden sozialarbeiterische Praxen aufgedeckt, die von reflektierten Praktiker:innen und solchen, die zur Professionalisierung beitragen, unbedingt über- und neubedacht werden sollen.

Von den Dokumenten her gedacht: Berufliches Schreiben und reflexive Professionalität in der Sozialen Arbeit

Auch Prof. Dr. Thomas Ley, Katholische Hochschule NRW in Münster & Dr. Ute Reichmann, Leiterin des Fachbereichs Bildung, Sport und Kultur des Landkreises Göttingen und Verfasserin des utb-Bandes „Schreiben und Dokumentieren in der Sozialen Arbeit“ (2022), der fast in jedem Beitrag referenziert wird, konstatieren, wie sehr das berufliche Schreiben als „unhintergehbare Grundlage des professionellen Handelns“ (S. 149) im Studium Sozialer Arbeit vernachlässigt werde. Als „profane bürokratische Tätigkeit“ (S. 150) werde Aktenarbeit ins Abseits gedrängt, was die Bedeutung z.B. für eine Falldokumentation absolut verkenne und auch die Anforderungen an diejenigen, die sie leisten müssen. Am Beispiel der Erstellung eines Hilfeplans im Hilfeplanverfahren (z.B. im SGB VIII) demonstrieren Ley & Reichmann mit einem „materialitätsorientierten Zugang“ (S. 150), welchen Aktivitätsgrad dieses Dokument hat (als Erinnerungshilfe, Legitimation und kommunikative Ordnung). Der Hilfeplan sei vielschichtig und diffus zugleich, da (1) ein Verwaltungsakt, (2) ein „materieller und medialer Strukturgeber“ (S. 157), (3) ein „Instrument des Fallverstehens, der Aushandlung und der Entscheidung“ (S. 158), (4) eine vertragliche Vereinbarung (ein Kontrakt im Sinne der Neuen Steuerung), (5) eine Zielbearbeitungsmatrix und (6) ein „kooperatives (und riskantes) Schreibprojekt“ (S. 161). Eine elaborierte berufliche Schreibkompetenz erachten Ley & Reichmann als einen passenden Schutz, um Deprofessionaliserungstendenzen in der Sozialen Arbeit vorzubeugen.

Teil IV: Schreiben als Werkzeug zur Generierung von wissenschaftlichem Wissen im Studium der Sozialen Arbeit (S. 169–203)

Von der Lehrforschung zum Sammelband. Biografische Perspektiven auf eine Stadtgesellschaft im Strukturwandel

Der Beitrag von Prof. Dr. Ute Fischer & Prof. Dr. Dierk Borstel, beide an der Fachhochschule Dortmund tätig, offenbart den Lesenden die Planung und Durchführung eines Lehrforschungsprojekts zur Sozialen Stadt Dortmund, das sie im Sommersemester 2014 und Wintersemester 2014/2015 mit Studierenden durchgeführt haben. Die beiden Lehrenden haben die zeitgeschichtlichen, sozialstrukturellen und soziodemografischen Fakten kompiliert, die Studierenden führten Interviews mit ausgewählten Personen und bereiteten das Material (nach der Methode der Grounded Theory) auf und konnten schließlich anhand verschiedener Biografien, Lebenslagen und Lebenswelten Perspektiven der Sozialen Stadt verdeutlichen, die sie – unter Beratung einer Journalistin der TU Dortmund – zu einer Reportage verdichteten und in einem Sammelband publizierten. Der Natur eines Lehrforschungsprojekts entsprechend durchliefen die Beteiligten nicht nur alle Phasen eines Forschungsprozesses (Fragestellung, Design, Materialerhebung und Auswertung, Ergebnisdarstellung), sondern auch viele Optionen des Umgangs mit und der Produktion von Textsorten. Eine besondere Note erhielt der Schreibprozess durch das Ziel, einen leicht lesbaren und das Feld inkludierenden Text zu verfassen – eine Anforderung, denen sich zukünftige Sozialarbeiter:innen aktiv zu stellen haben.

Habituelle Hürden überwinden: Die Rolle der eigenen Lernbiografie für das Schreibenlehren in der Sozialen Arbeit

Die Sozialpädagoginnen Martina Pistor & Julia Körndl, beide im Qualifizierungsprozess zum Master, berichten von den Resultaten ihrer Interviewstudie zum Zusammenhang von sozialer Herkunft, Erfahrungen bei der Schreibsozialisation während des Studiums, akademischem Werdegang, Lehrüberzeugungen und Schreibprozessförderung in der Lehre. Basierend auf der Annahme, dass mehr Lehrende aus nicht-akademischer Herkunft an Hochschulen für angewandte Wissenschaften vorhanden seien, befragten die Autorinnen vier Lehrende der Sozialen Arbeit. Als Hürden auf dem Weg zum akademischen Schreiben sind Scham, Zweifel, Kritik und Kränkungen nachweisbar, die teilweise ursächlich dafür waren, Hilfe anzunehmen. Die empfundene Kluft zwischen eigener Sprache und erwarteter Wissenschaftssprache machte oft sprachlos. Als Lehrende motivieren die Befragten Studierende für das Schreiben, bringen Verständnis auf und warnen, nicht auf das „Hochstapler-Syndrom“ (S. 194) hereinzufallen. Insbesondere machen sie auf vorhandene Angebote aufmerksam, integrieren schreibpraktische Unterstützung in ihre Lehre und bieten auch Einzelcoachings an. Aus den Erkenntnissen schlussfolgern die Autorinnen die Habitus-Struktur-Konflikte individuell zu thematisieren und zugleich mögliche strukturelle Benachteiligungs- oder Ausschlussmechanismen an den Hochschulen zu bedenken, d.h. die Habitus-Vielfalt der Studierenden und Lehrenden als Potenziale zu nutzen.

Diskussion

Die inhaltlichen Facetten zur Bedeutung von und zum Erwerb von professioneller Schreibkompetenz regen dazu an, Studiengänge daraufhin unter die Lupe zu nehmen, um dem Anspruch einer generalistischen Vorbereitung auf die Handlungsfelder gerecht zu werden. Die Autor:innen lassen keinen Zweifel daran, wie wichtig das Erlernen wissenschaftlichen Schreibens als unhintergehbare Komponente einer akademischen Ausbildung ist. Ergänzend plädieren sie aber dafür, eine die Professionalität auszeichnende sichere Anwendung von Textsorten, die in der Handlungspraxis gefordert werden, in den Blick zu nehmen, d.h. entweder direkt als Gegenstand von Lehre zu machen oder an bestehende Inhalte anzudocken, um auch der proklamierten Anwendungsnähe des Studiums Genüge zu leisten. Der Band enthält in unterschiedlichen Kontexten viele Anregungen, wie die in der Praxis geforderte Qualität des Schreibens entsprechender Textsorten vonstattengehen kann und vertraut auf die Expertise und das Interesse der Fachdozierenden. Angenehm fällt auf, dass sich die Verfasser:innen nicht darin ergehen, zu pauschal Ratgebenden zu werden oder in der Etablierung von Schreibzentren das Non-Plus-Ultra sehen. Auch limitierende Rahmenbedingungen von Organisationen und deren regelsetzenden (reflektierten) Kulturen und Praktiken werden offen thematisiert und als Gegenstand einer „Macht des Faktischen“ angesprochen. Die Stärke des Buches besteht gerade darin, kein Lamento auf die unzureichende Berücksichtigung des professionellen Schreibens im Studium anzustimmen, sondern zu ermuntern, die Ausgangslage in den Studienprogrammen daraufhin zu analysieren, wie der Erwerb dieser Kompetenz bisher adressiert wird, Ideen zur Veränderung aufzuzeigen, die Lehr- und Lernsettings zu untersuchen, wie die Aneignung gefördert werden kann und was an wissenschaftlichem Wissen und theoretischen Auffassungen generiert werden kann.

Die noch überschaubare wissenschaftliche Gemeinschaft, die sich mit professionellem Schreiben in der Sozialen Arbeit beschäftigt, sieht die Textproduktion als disziplinübergreifende Querschnittaufgabe und ist offen für inter- und transdisziplinäre Erkenntnisse. So gesehen erhält man mit dem Buch auch Einblick in den Forschungsstand und nicht nur einen schreibdidaktischen Abriss. Die Herausgebenden haben Lehrende um Beiträge gebeten und auch die Studierendensicht eingebunden, wie sie auch Erkenntnisse über biografische Erfahrungen von Lehrenden mit dem Erlernen von Schreibkompetenz integrieren. Sie stellen den Einzelbeiträgen eine Fokussierung ihres Anliegens voran und markieren die thematische Klammer. Vereinzelt gibt es angesichts der Einzelaufsätze kleine Redundanzen bei der Skizzierung der Ausgangslage. An wenigen Stellen erkennt man Hinweise auf die durch Digitalisierung und Standardisierung initiierten Prozesse in der Dokumentation (vor allem in der Praxis ausgelöstes Verwaltungshandeln). Sehr zaghaft ist an einer Stelle angedeutet, was Texterzeugung mithilfe von Optionen der künstlichen Intelligenz für das Schreiben-Lernen in der Sozialen Arbeit mit sich bringen wird.

Fazit

Das Buch animiert zum Über- und Nachdenken über die Textproduktion in der Sozialen Arbeit und den Erwerb in einem sich als anwendungsorientiert bezeichnenden Studiengang. Es handelt sich um eine impulsgebende und lohnenswerte Lektüre für alle, die offen sind, Lehre und praktisches Handeln in der Sozialen Arbeit zu reflektieren.

Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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Zitiervorschlag
Irmgard Schroll-Decker. Rezension vom 18.01.2024 zu: Dzifa Vode, Johannes Kloha, Cosimo Mangione, Frank Sowa (Hrsg.): Schreiben lernen und lehren im Studium der Sozialen Arbeit. wbv Media GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2023. ISBN 978-3-7639-7053-7. Reihe: Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31602.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.


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