Rainer Orban, Gabi Wiegel: Ein Pfirsich ist ein Apfel mit Teppich drauf
Rezensiert von Dipl. Soz. Päd. Detlef Rüsch, 24.03.2025

Rainer Orban, Gabi Wiegel: Ein Pfirsich ist ein Apfel mit Teppich drauf. Systemisch arbeiten im Kindergarten.
Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2023.
251 Seiten.
ISBN 978-3-8497-0508-4.
D: 34,95 EUR,
A: 36,00 EUR.
Reihe: Systemische Pädagogik.
Thema
In diesem Buch geht es um systemisches Arbeiten in Kindertageseinrichtungen sowohl im praktischen Sinne als auch von den theoretischen Hintergründen her. Der Titel beschreibt hier schon sehr treffend, wie jede Person eine andere Sicht auf die Welt hat. Was für den einen eher ein Apfel mit einem Teppich darauf ist, ist für andere einfach nur ein Apfel. Und so geht das Autorenduo auf ganz unterschiedliche Aspekte der Welt von Kitas ein, ohne sich dabei zu sehr in Details zu verlieren.
Autor:in
Rainer Orban verfügt als Diplom-Psychologe noch über eine Reihe weiterer Qualifizierungen. So ist er Lehrender für Systemische Therapie und Beratung (DGSF), Systemischer Supervisor (SG), Coach und Video-Home-Trainer, Fort- und Ausbildner beim Institut n.i.l. sowie Autor mehrerer Bücher
Gabi Wiegel ist Erzieherin, Mediatorin, kreative Kindertherapeutin, Systemische Therapeutin, Supervisorin (SG), Coach und war langjährig Leiterin einer Kindertagesstätte. Außerdem war sie Mitglied der DJI- Kommission für die Entwicklung des Kompetenzprofils für Kita-Leiter und -Leiterinnen und ist als Fort- und Weiterbildnerin sowie Fachberaterin in der Jugendhilfe tätig. Im Institut n.i.l. wirkt sie als Coach und Supervisorin und beim Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung e.V. (nifbe) in der Prozessbegleitung.
Entstehungshintergrund
Dieses Buch ist die sechste Auflage eines zuerst 2009 erschienenen Buches mit dem gleichen Titel. Für diese Auflage aus dem Jahr 2023 wurde der Text von Rainer Orban und Gabi Wiegel vollständig überarbeitet und erweitert. Damit hat man tatsächlich ein ausgesprochen aktualisiertes Werk vorliegen.
Aufbau
Das sehr gut strukturierte Buch ist sehr kleinteilig aufgebaut und enthält nach einem Vorwort und einer Einleitung zunächst einen kurzen Überblick „systemisch-ganzheitlich, geht das?“, um sich dann mit den Theoretischen Grundlagen zu befassen, ehe konkret auf die Einrichtungen spezialisiert wird mit dem Kapitel „So organisieren sie Ihre Kindertagesstätte – systemisch!“. Im vierten Abschnitt steht „Die Grundhaltung in der Anwendung- Kooperation und Partizipation bei Kindern und Eltern, ehe das Kapitel „Selfcare – Für sich selbst sorgen“, „Ein Dank – statt eines Nachwortes“ sowie ein Anhang mit vielen Vorlagen, eine gründlich aktualisierte Literaturliste sowie Informationen über den Autor bzw. die Autorin das Buch abschließen. Jedem Kapitel ist eine zusammenfassende Darlegung vorangestellt, was die Leserschaft in dem folgenden zu erwarten hat.
Inhalt
1. Inhaltsverzeichnis
Zunächst ist hervorzuheben, dass das Inhaltsverzeichnis sehr kleinteilig angelegt ist und so wichtige Punkte sogleich erfasst werden können.
2. Vorwort
In dem Vorwort greift Prof. Dr. Dr. Christian Schubert einzelne Aspekte des Buches hervor, konzentriert sich aber mehr darauf, dass „alle Lebensentitäten miteinander zusammen (hängen), nichts darf getrennt gesehen werden, und höher komplexe Nichtstoffliches ist weniger komplexem Stofflichen übergeordnet.“ (S. 9).
3. Einleitung
Hier erläutern Rainer Orban und Gabi Wiegel die Hintergründe zu dem Buch bzw. der überarbeiteten Neuauflage und schildern mögliche Umgangsweisen bzw. Leseweisen des Buches.
4. Systemisch-ganzheitlich, geht das?
In diesem grundlegenden Kapitel beschreibt das Autorenduo seine systemische Grundhaltung und stellt die Arbeit in einer Kindertageeinrichtung in einen größeren Rahmen sowohl gesellschaftlich, in Bezug auf die Identität jedes einzelnen Menschen als auch in Bezug auf den Lebensverlauf. Hier helfen vor allem vier Graphiken und eine Übung, sich in die Haltung der Ganzheitlichkeit zu begeben.
5. Theoretische Grundlagen
Dieses längste Buchkapitel mit 100 Seiten ist eine vielschichtige Darlegung darüber, was systemische Theorie ausmacht, welche Entwicklung es gegeben hat und wie beispielsweise Hypothesen, unser Blick auf die Welt, Synergetik und vieles andere mehr Auswirkungen auf unser Zusammenleben hat. Bei der Einführung in die Systemtheorie wird der Konstruktivismus, die Hypothesenbildung, „Chaos und Struktur“, Ordnung durch positive Rückkopplung, Selbstorganisation und Synergetik beschrieben, ehe dann Themen wie Bindung, Resilienz, Lernen oder auch Bewegung passend aufgegriffen und mit hilfreichen Graphiken, Fotos und Tabellen erläutert werden.
6. So organisieren Sie ihre Kindertagesstätte – systemisch!
In diesem zweitlängsten Kapitel beschreibt das Autorenduo intensiv, wie eine Kindertagesstätte so im Alltag gestaltet werden kann, dass sowohl inhaltlich von der Arbeit her als auch organisatorisch eine systemische Struktur erfolgen kann. Sowohl organisationsberaterisch als auch hinsichtlich der pädagogischen Prozesse, d.h. der Team- und Elternarbeit als auch in Bezug auf Kooperationen, Personalentwicklung, Qualitäts- und Gesundheitsmanagement, werden hier zahlreiche Informationen gegeben und Impulse gesetzt. Dabei wird in diesem Abschnitt zuerst der Organisationsbegriff näher definiert, um dann die pädagogischen Prozesse speziell in einer Kita näher zu hinterfragen: Welche Vorinformationen können genutzt und welche Ressourcen berücksichtigt werden? Wie können konkrete Ziele definiert und Ergebnisse beurteilt werden? Zwei standardisierte Beobachtungsverfahren (Der Baum der Erkenntnis sowie Bildungs- und Lerngeschichten) werden vorgestellt, ehe die Aufgaben einer Leitung im besonderen thematisiert werden. Hier wird zunächst die Logik der Organisation pädagogischer Prozesse der Logik von Verwaltungen gegenübergestellt, um dann die acht Rollen einer Führungskraft näher zu erläutern:
- a) Vorgesetzte
- b)Fachmann
- c) Mitarbeiterin
- d) Kollege
- e) Coach
- f) Moderator
- g) Unternehmerin
- h) Prozessbegleiterin
Im Weiteren fokussieren die Ausführungen auf die Teamarbeit, wo es um Teamentwicklung (insbesondere durch das Twin-Star-Modell von Ben Furman, das Tuckman-Modell und die SWOT-Analyse), die Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen, die Bedeutung von Fortbildungen, Hospitationen und Supervision sowie eine hilfreiche Besprechungs- und Kooperationskultur geht.
7. Die Grundhaltung in der Anwendung – Kooperation und Partizipation bei Kindern und Eltern
Dieses etwas kurze Kapitel erläutert sehr bündig, welche Aspekte für eine systemische Arbeit mit Kindern als auch für die Kooperation und Partizipation mit Eltern hilfreich sein können.
Hierbei wird zuerst grundlegend das Wichtige für eine systemische Arbeit mit Kindern beschrieben. Insbesondere die Anerkennung der jungen Menschen in ihrem persönlichen So-Sein, das Unterstützen von natürlicher Neugier oder auch der Einbezug von weiteren Bezugspersonen wie Reinigungskräfte oder Köchin werden hier dargestellt. Danach wird erläutert, wie Kindern auf Augenhöhe begegnet werden kann und wie wichtig es ist, im ursprünglichen systemischen Sinne mehr Ermöglichungs- und Erfahrungsräume zu schaffen. Bei den anschließenden Erläuterungen zur Erziehungspartnerschaft mit den Eltern werden die Kooperation und Partizipation hervorgehoben; wobei nicht nur die einzelnen Eltern in den Fokus genommen werden, sondern auch der Elternrat. Bei den Ausführungen zu konkreten Gesprächen werden systemische Grundgedanken und Vorgehensweisen beschrieben.
8. Selfcare – Für sich selbst sorgen
Vielseitig, bündig beschriebene Möglichkeiten zur Selbstfürsorge werden hier vorgestellt. Dabei stehen vor allem fünf Übungen im Mittelpunkt der Erläuterungen. Hierzu zählen das „Replay – ein kleines Interview mit sich selbst“, „Die Energieskala“, „Die Wunderfrage“, „Zukunft gestalten“ und die Übung „Kleine Schritte führen auch zum Ziel“, ehe abschließend auf „Morbus Aufschieberitis“, die Tendenz, Aufgaben vor sich her zu schieben, eingegangen wird.
9. Dank und Anhang
Nach einem prägnanten Dank werden in einem ausführlichen Anhang einzelne systemische Methoden dargestellt und (Eltern- bzw. Mitarbeiter-) Gesprächsleitfäden zur Verfügung gestellt.
10. Literaturverzeichnis
Das siebenseitige Literaturverzeichnis wurde für die erweiterte Neuauflage des Buches um ca. drei Duzend Titel erweitert und aktualisiert. Eine sehr weit gestreute Auswahl, die sowohl eher praxisorientierte als auch mehr theorie- bzw. hintergrundgeleitete Titel berücksichtigt,
11. Autorenvorstellung
Hier werden Rainer Orban und Gabi Wiegel persönlich hinsichtlich ihrer beruflichen Vitae einzeln ausführlich vorgestellt.
Diskussion
Dieses Buch ist sehr gut gegliedert und liefert meist im ausgewogenen Maße sowohl theoretische Informationen als auch praxisrelevante Hilfestellungen bzw. Betrachtungshinweise. Die Ausführungen von Rainer Orban und Gabi Wiegel sind kritisch, fachlich und wissenschaftlich fundiert sowie stetig praxisrelevant. Es ist für die Lesbarkeit ausgesprochen hilfreich, dass neben dem textsprachlichen Teil viele Grafiken bzw. Tabellen einflossen sind, um die verschiedenen Bereiche noch verständlicher zu machen. Bei der Literatur ist die Auswahl breitgefächert und neben Buchtiteln sind einige Verweise auf Publikationen aus dem Internet enthalten. Hervorzuheben ist außerdem das so gut durchdachte, variantenreiche Text- und Grafiklayout. So wird es auch der Leserschaft leicht gemacht, gerade thematisch relevante Passagen aufzugreifen.
Fazit
Ein fundamental wichtiges Buch, das weiterhin topaktuell ist. So schafft es das Autorenduo in sprachlich äußerst zugänglicher Weise, kompliziertere Sachverhalte gut zu verdeutlichen. Es wird klarer, wie z.B. Handlungsschritte begangen, dokumentiert und erörtert sowie reflektiert werden können und wie die persönliche Haltung das professionelle Handeln beeinflusst. Zudem wird sehr sichtbar, wie ausgesprochen komplex sich das professionelle Agieren und Organisieren in Kindertagesstätten gestaltet. Für alle in Kitas agierenden Fachkräfte als Lektüre unbedingt zu empfehlen! Ein fachlicher „Pageturner“ für einen systemisch gründlich gestalteten Arbeitsalltag!
Rezension von
Dipl. Soz. Päd. Detlef Rüsch
Dipl.Soz.päd., systemischer Familientherapeut, Jugendsozialarbeiter an einer Mittelschule, Kinderschutzfachberater
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