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Andrea Knoke, Heike Moerland et al. (Hrsg.): Übergänge gestalten - Resozialisierung stärken

Rezensiert von Prof. Dr. Gaby Temme, 24.02.2025

Cover Andrea Knoke, Heike Moerland et al. (Hrsg.): Übergänge gestalten - Resozialisierung stärken ISBN 978-3-7841-3614-1

Andrea Knoke, Heike Moerland, Heidi Ott (Hrsg.): Übergänge gestalten - Resozialisierung stärken. Beiträge aus der Straffälligenhilfe. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2023. 120 Seiten. ISBN 978-3-7841-3614-1. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.

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Herausgeberinnen

Die drei Herausgeberinnen sind Diplom-Sozialarbeiterinnen/-pädagoginnen und bei Einrichtungen des evangelischen Glaubens in NRW und Bayern beschäftigt. Heike Moorland und Heidi Ott gehören zum Vorstand des Evangelischen Bundesfachverbandes Existenzsicherung und Teilhabe e.V. (EBET). Andrea Knoke ist Vorsitzendes des Fachausschusses Straffälligenhilfe von EBET. Zusätzlich ist sie Mediatorin und Regionalleitung von Bethel Süd. Heike Moorland ist zudem Juristin. Sie leitet das Berufsfeld berufliche und soziale Integration der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Heidi Ott besitzt einen Abschluss als Betriebswirtin Sozialwesen. Sie ist als Referentin Straffälligenhilfe, Wohnungsnotfallhilfe und Schuldnerberatung im Diakonischen Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern e.V. tätig.

Entstehungshintergrund

Bei der Veröffentlichung handelt es sich um eine ergänzte Zusammenfassung von Beiträgen, die für die Fachwoche Straffälligenhilfe im November 2022 erstellt wurden. Das Ziel des Buches ist es die „Vielfalt des Übergangsmanagements“ abzubilden (S. 8). Das Werk soll darstellen, wie „der Übergang in Freiheit gelingt oder verbessert werden kann“ (S. 7).

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in drei Abschnitte unterteilt: Grundlagen zum Übergangsmanagement (S. 9–70), Strukturen und Perspektiven des Übergangsmanagements (S. 71–96) und Praxisfelder (S. 103–120).

Im ersten Abschnitt geht Eduard Matt auf den Forschungsstand zu Entlassungs- und Übergangsmanagement: Konzeption – Praktiken – Rahmenbedingungen ein. Er stellt Bezüge zur Rückfall- und Desistance-Forschung her und appelliert für eine integrationsorientierte Sozialarbeit. Er verortet die Umsetzung eines solchen Übergangsmanagements auf drei Ebenen: Klient:in (Beratung, Unterstützung, Qualifikation, Motivation), Organisationen (Justizvollzugsanstalt, insbesondere Sozialer Dienst, Jobcenter, Freie Straffälligenhilfe, Bewährungshilfe) und Gesellschaft (Integrationspolitik, Verbesserung der Bereitschaft der Gesellschaft Haftentlassene wiederaufzunehmen). Um dies umzusetzen, bedürfe es gemeinsamer Ziele der Institutionen und Professionen. Anerkennung und Respekt sowie hohe Fachlichkeit müssten die Grundlage sein. Zudem seien die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen (u.a. Landesresozialisierungsgesetze) sicherzustellen und in der Praxis auch zu leben.

Heinz Cornel verdeutlicht in dem mit ihm geführten Interview „Übergänge gestalten durch Kooperation, Partizipation und rechtliche Normierung“, dass Haftvermeidung die beste Vorbereitung auf die Integration ist. Dazu gehören die Entkriminalisierung und – sofern eine sofortige Haftvermeidung nicht möglich ist – die Unterbringung im Offenen Vollzug, sowie das Gewähren von Lockerungen, inklusive des Langzeitausgangs. Dazu müssten nicht nur die Justizvollzugsanstalten, sondern auch die Gerichte erkennen, dass eine lange Inhaftierung nicht zur Resozialisierung beitrage. Das Übergangsmanagement müsse ein Konzept der durchgehenden Hilfe ohne sachfremde Personalwechsel, die Planung und Durchführung von allen Beteiligten sowie die frühzeitige Beteiligung der betroffenen Menschen sicherstellen. Aufgrund der Problematik fehlender Ressourcen in der Praxis müssten Landesresozialisierungsgesetze ein Recht auf Resozialisierungshilfen festschreiben. Zudem fehle es immer noch an einer angemessenen Entlohnung und Sozialversicherung der Gefangenen, mit Folgeproblemen für die Zeit nach der Haft. Notwendig seien soziale Integrationszentren im Sinne niedrigschwelliger Angebote. Dies wäre auch ein Signal der Kriminalpolitik in Richtung Integration.

Barbara Sieferle nähert sich dem Thema aus kulturanthropologischer Perspektive. Sie stellt Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt zu langzeitinhaftierten (ab vier Jahren), haftentlassenen Männern dar. Anhand von Ali und Markus verdeutlicht sie die Problematik des Dazwischen und des fehlenden normalen Alltags (Überforderung mit Technik, vielen Menschen, sozialen Situationen) nach der Entlassung und gelungenen, sowie gescheiterten Ritualen zur Erleichterung des Übergangs. Sie kritisiert die Verwendung von Begriffen wie Klient:innen, Haftentlassenen, Kriminellen oder Straffälligen, weil diese den Menschen auf den Gefängnisaufenthalt reduzieren. Strukturelle Bedingungen für Kriminalität seien zu reflektieren. Es gehe darum, Menschen nicht als ‚die Anderen‘ zu markieren. Es sei viel gewonnen, „wenn wir etablierte Denk- und Wahrnehmungsmuster hinterfragen und Menschen […] als Menschen begegnen. Dann erscheint Ali nicht mehr vornehmlich als ‚Klient der freien Straffälligenhilfe‘ und als ‚krimineller Ausländer‘, sondern vielmehr als Mensch, der gerne Snooker spielt und Gemüse-Lasagne isst, der mit Freude Stadtspaziergänge unternimmt und Kreuzworträtsel löst, der sich kreative Taktiken des Umgangs mit dem Stigma Gefängnis und seiner Langzeitarbeitslosigkeit angeeignet hat. Und Markus erscheint dann nicht als ‚Proband der Bewährungshilfe‘ oder als ‚Forschungssubjekt der Kulturanthropologie‘, sondern als fürsorgender Vater und Ehemann, mit feinsinnigem Humor und Lachfalten im Gesicht.“ (S. 51).

Uta Wagner beschäftigt sich mit der Thematik „‚Und ich war ganz ehrlich allein‘ – Übergänge aus dem Jugendgefängnis im Kontext der Lebenslage von Flucht/​Migration“. Anhand der Erfahrungen von Jamal, der mit 13 Jahren aus seinem Heimatland geflüchtet ist und in Deutschland als junger Erwachsener zweimal zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde, arbeitet die Autorin die Bedeutung der Sozialen Arbeit und des unsicheren Aufenthaltsstatus für den Übergang heraus. Uta Wagner verdeutlicht die Relevanz des Ankommens und der Möglichkeit, sich etwas aufbauen zu dürfen, insbesondere für junge Menschen mit Fluchterfahrung.

Der zweite Abschnitt des Buches „Strukturen und Perspektiven des Übergangsmanagements“ umfasst die Beschreibung des Netzwerkes Integration der Senatsverwaltung Berlin (Katja Adolph, Svenje Marten), des strukturierten Übergangsmanagements im Sinne von Care-Management in den 36 Justizvollzugsanstalten NRW seit 2021 (Melanie Pracht, Manuel Sheikh) und der Konzeption einer Klient:innenbefragung in Niedersachsen (Merten Neumann, Helena Schüttler). Ein Interview mit Sven Wirsen verdeutlicht die Relevanz der ehrenamtlichen Arbeit bereits in der JVA für die spätere Zeit des Übergangs.

Der dritte Abschnitt „Praxisfelder“ umfasst zwei Beiträge zu ehrenamtlicher Arbeit. Heike Moorland stellt die Situation in NRW dar: ca. 1.800 Ehrenamtliche im Vollzug, seit 2023 eine landesweite Koordinationsstelle für das Ehrenamt in der Freien Straffälligenhilfe, Ehrenamtskoordination durch regionale Träger der Straffälligenhilfe in 12 Justizvollzugsanstalten und eine neue Koordinationsstelle im Bereich des Sozialdienstes der Justiz NRW. Sie schildert Möglichkeiten und Grenzen.

Die Ärztin Stefanie Hofmann beschreibt zum Abschluss des Bandes die Tätigkeit des ehrenamtlichen Projektes Lernraum Knast e.V. und seine theoretischen Grundlagen, u.a. die Grundzüge der Logotherapie nach Viktor Frankl.

Diskussion

Im Hinblick auf die Grundlagen zum Übergangsmanagement sind wesentliche Wissenschaftler:innen zur Thematik in der Gestalt von Heinz Cornel, Eduard Matt und Barbara Sieferle in der Veröffentlichung vertreten. Sie geben den Leser:innen einen Überblick zur Thematik. Dieser wird ergänzt durch die Perspektive von Uta Wagner zum Übergang aus Jugendstrafvollzug von jungen Menschen mit Flucht- und/oder Migrationserfahrungen. Der zweite Abschnitt ist stark durch die Perspektive des Übergangsmanagements aus Sicht der Justiz geprägt. Einzige Ausnahme bildet das Interview mit dem ehemaligen Inhaftierten Sven Wirsen, der die Relevanz der ehrenamtlichen Arbeit hervorhebt. Hieran knüpft der dritte Abschnitt mit zwei Beiträgen zum Ehrenamt an. Die Praxisperspektiven des zweiten und dritten Abschnitts schildern lediglich die Situation in NRW (vier Beiträge), Berlin und Niedersachsen (jeweils ein Beitrag). Aus der Praxisperspektive wird damit die Vielfalt des Übergangsmanagements lediglich für zwei Bundesländer (NRW und Berlin) teilweise dargestellt. Der Beitrag zu Niedersachsen beschreibt lediglich ein Forschungsdesign.

Fazit

Absolut lesenswert sind die Beiträge von Eduard Matt und Heinz Cornel. Sie geben einen sehr guten Überblick über die Grundlagen der Thematik. Spezielle Facetten werden gut durch die Beiträge von Barbara Sieferle und Uta Wagner aufgezeigt. Die Situation für NRW wird durch mehrere Beiträge geschildert. Für Berlin geschieht dies durch einen Artikel. Die Relevanz der ehrenamtlichen Arbeit bereits im Vollzug für die spätere Integration wird verdeutlicht. Dies geschieht anhand von drei Beiträgen für NRW und konkretisiert für ein Projekt (Lernraum Knast e.V.). Wer sich aktuelle Praxisberichte aus den anderen Bundesländern erhofft, wird enttäuscht werden.

Rezension von
Prof. Dr. Gaby Temme
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Es gibt 8 Rezensionen von Gaby Temme.

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ISSN 2190-9245