Lieselotte Ahnert: Auf die Väter kommt es an
Rezensiert von Dr. Erika Butzmann, 23.01.2024
Lieselotte Ahnert: Auf die Väter kommt es an. Wie ihr Denken, Fühlen und Handeln unsere Kinder von Anfang an prägen. Ullstein Verlag (München) 2023. 284 Seiten. ISBN 978-3-550-20209-4. D: 21,99 EUR, A: 22,70 EUR, CH: 24,90 sFr.
Thema
Mit der Zusammenfassung der internationalen Vaterforschung wird aufgezeigt, wie Väter mit ihren Vorstellungen, Gefühlen und ihrem konkreten Handeln von Anfang an ihre Kinder prägen und was dies für deren Entwicklung, ihr Wohlbefinden und das weitere Leben bedeutet.
Autorin
Univ.-Prof. Dr. Lieselotte Ahnert ist emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie des Instituts für Psychologie der Universität Wien und Gastprofessorin an der freien Universität Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Mutter-Vater-Kind-Bindung, die Beziehungsvielfalt bei Kindern, Stress in der Kindheit, Frühe Bildung und Entwicklung von Kleinkindern in familiärer und außerfamiliärer Betreuung.
Entstehungshintergrund
Die gesellschaftlichen Veränderungen mit den Auswirkungen auf die Vaterschaft beschäftigen Lieselotte Ahnert seit mehr als 10 Jahren. 2013 hat sie dazu einen Forschungsverbund (Central European Network on Fatherhood, CENOF) gegründet, in dem zahlreiche Wissenschaftler/​innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammenarbeiteten, um zu schauen, welche Erkenntnisse sich mit den Mitteln der Wissenschaft gewinnen lassen. Die Ergebnisse dieser Forschungen stellt sie mit dem vorliegenden Buch im Einzelnen vor.
Aufbau und Inhalt
Im ersten Kapitel wird eine Standortbestimmung zur Vaterforschung vorgenommen und im zweiten der Prozess von der historischen Entwicklung der Vaterschaft als Machtausübung zur heutigen partnerschaftlichen Umgangsweise nachgezeichnet. Männlichkeit und Vaterschaft wird im dritten Kapitel näher beleuchtet und anhand einiger der immer wieder herangezogenen Studien festgestellt, dass sich das Männlichkeitsverständnis in den letzten 30 Jahren von seinen machtbezogenen Eigenschaften deutlich entfernt hat. Wie das Selbstverständnis des Mannes mit den neuen Anforderungen an Väter heute zusammenpassen, wird detailliert beschrieben. Studien zeigen durchgängig, dass Männer kompetente Väter werden wollen. Dass dies gelingt, wird in Kapitel vier dargestellt. Die werdenden Väter entwickeln klare Vorstellungen darüber, wie das künftige Familienleben aussehen soll. Sie erwarten Solidarität in der Partnerschaft und die Bereicherung der künftigen Familiendynamik durch das Kind. Sie sind fest entschlossen, ihre Rolle aktiv in eine gemeinsame Elternschaft einzubringen und sich von Anfang an gleichwertig für den Nachwuchs zu engagieren (S. 97).
Die nationale und internationale Forschung zeigt jedoch eine deutliche Kluft zwischen diesen Vorstellungen und ihrer Umsetzung. Es hängt weitgehend davon ab, wie ein Paar nach der Geburt des ersten Kindes mit den unweigerlich auftretenden Konflikten umzugehen lernt. Dabei sind Väter in ihrem Engagement für die Familie stark abhängig von ihrer Zufriedenheit mit der Partnerschaft (S. 120).
In Kapitel fünf geht es um die Förderung der Sprachentwicklung des Kindes durch den Vater. Das andere, eher herausfordernde Sprachverhalten des Vaters, seine Neigung schnell herumzualbern, wenn sein Sprechen das Kind überfordert und das Wiederholen von Aussagen des Kindes erweitern seine Sprachfähigkeiten und helfen ihm, Sachverhalten besser zu verstehen. Das gelingt auch gut beim Vorlesen und gemeinsamen Betrachten von Bilderbüchern.
Mit der Bedeutung des väterlichen Spiels, das nachweislich das kulturelle Lernen und die Denkentwicklung des Kindes fördert, befasst sich Kapitel sechs. Besonders bei den von Kindern geliebten Rauf- und Tobespiele unterscheiden sich die Väter von den Müttern in ihrem Spielverhalten. Aber auch bei Rollen- und Fantasiespielen machen die Väter zur Freude der Kinder mit. Bei den von Vätern bevorzugten Regel- und Konstruktionsspielen stärken sie das Selbstwirksamkeitsgefühl und die Motivation der Kinder. Die vielen Facetten dieser gemeinsamen Spiele werden von Ahnert detailliert anhand von Studien beschrieben.
Die für den Erfolg des väterlichen Engagements bedeutsame Bindungsbeziehung wird in Kapitel sieben behandelt. Mütter und Väter sind als Bindungspersonen in gleichem Maße wichtig für die Kinder. Studien weisen jedoch darauf hin, dass im Babyalter die Kinder in kritischen Situation bevorzugt bei der Mutter Schutz suchen. Nach der Klärung von Detailfragen zum Bindungsgeschehen werden in diesem Kapitel die Besonderheiten der Bindung zum Vater thematisiert. Wenn der Vater dem Kind Sicherheit und Schutz gewährt, wilde Spiele zelebriert und die kindliche Neugier unterstützt, festigt er die Bindung zum Kind und fördert dessen Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft. Wie das im Einzelnen vonstatten geht, ist mit vielen Beispielen verdeutlicht.
Das letzte Kapitel befasst sich mit der engen Verknüpfung der Vaterschaft mit der Partnerschaft als wichtigste Erkenntnis aus der aktuellen Vaterforschung. Streit und Unzufriedenheit zwischen einem Paar wirken sich negativ auf die väterliche Fürsorglichkeit aus (S. 108). Anhand von Studienergebnissen werden die verschiedenen Familienformen beleuchtet, daraus drei Gruppen bestimmt, die Väter unterschiedlich stark belasten. Zur größten Gruppe gehörten die Väter aus klassischen Familiensituationen; sie hatten mit dem praktizierten Ernährermodell die wenigsten gesundheitlichen Probleme. Über die meisten Befindlichkeitsstörungen berichteten die Väter, wo beide Eltern auf ihre Karriere fokussiert sind. Doch ebenso wie das andere Forscherinnen bereits festgestellt haben (z.B. Stamm 2018, 210), wird auch hier berichtet, dass Väter nicht bereit sind, sich und anderen einzugestehen, dass sie im Alltag zwischen Beruf und Familie an ihre Grenzen kommen. Das führt unweigerlich zu Stress im Familienalltag. Mit mehreren Studien werden die Ursachen, Folgen und Möglichkeiten der Bewältigung stressiger Situationen mit Kindern beschrieben und dargestellt, wie die Stressverarbeitung der Kinder unterstützt werden kann. Hier zeigen sich Unterschiede im Verhalten der Mütter und Väter, die zu Konflikten in der Partnerschaft führen. Damit wird das Gatekeeping, also das Eingrenzen und Kontrollieren des Vaters durch die Mutter diskutiert. Dies sei in traditionellen Familiensituationen am stärksten, bei den karriereorientierten Familien am geringsten. Väter würden sich durch das Gatekeeping geringgeschätzt fühlen, was ihren Rückzug zur Folge hat. Auf diese Weise kann sich eine aktive Vaterschaft nicht entfalten.
Diskussion
In Anbetracht des wissenschaftlichen Schwergewichts dieses Buches aufgrund der vielfältigen Studien und der Einbeziehung aller namhaften Forscher stellt sich die Frage, wie die Ergebnisse zu werten sind und welchen Nutzen sie für die Praxis haben. In erster Linie wurde die bisherige Vaterforschung über die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes mit den CENOF-Studien bestätigt und darüber hinaus erheblich erweitert. Die durch den gesellschaftlichen Wandel neu hinzugekommenen Probleme, die sich in den Belastungen vieler Väter durch das Vereinbarkeitsdilemma zeigen, sind bereits an anderer Stelle beschrieben (Stamm 2018, S. 203). Die Studien von Stamm (2018, S. 237) belegen ebenso wie die von Ahnert (S. 206), dass die bevorzugte Lebensweise von Familien heute immer noch die des Ernährermodells ist, wo der Vater Vollzeit arbeitet und die Mutter Teilzeit. Bemerkenswert ist, dass die Bindungsbeziehung dieser Väter zu ihren Kindern nicht schlechter ist als die der Väter, die mehr Zeit mit den Kindern verbringen (Stamm 2018, S. 164). Es kommt weniger auf den Zeitumfang an, sondern in erster Linie darauf, wie sehr sich die Väter engagieren und Freude am Vatersein haben. Dass in traditionellen Familien das Gatekeeping stärker ist, liegt nahe, da sich die Mütter für die Familie mehr verantwortlich fühlen als die aus den karriereorientierten Familien. Diese Eltern geben erfahrungsgemäß Familienarbeiten wie Kinderbetreuung und Sauberhalten der Wohnung an Außenstehende ab, sodass hier weniger Konfliktfelder in der Partnerschaft vorhanden sind.
Die hervorgehobene Erkenntnis aus den CENOF-Studien, dass das Gelingen der Vaterschaft eng mit der Partnerschaft verknüpft ist, wurde auch mit der Tarzan-Studie von Stamm (2018) belegt. Kommt es zum Gatekeeping, ist die Vaterschaft beeinträchtigt. An dieser Stelle wäre die Einbeziehung der Forschungen zu den Hintergründen für das unterschiedliche Verhalten von Männern und Frauen (z.B. Bischof-Köhler 2002) hilfreich gewesen. Denn die sozialisationsunabhängigen unterschiedlichen Denk- und Wahrnehmungsweisen der meisten Männer und Frauen erklären auch weitgehend das Gatekepping. Mit diesem Wissen ließen sich viele Partnerschaftsprobleme deutlich reduzieren (Butzmann 2022, 2023). Nicht nur im Hinblick auf den Umgang mit den Kindern spielt das unterschiedliche Verhalten eine Rolle, sondern ebenso beim Konfliktmanagement des Paares. Die verschiedenen Fähigkeiten der meisten Väter und Mütter ergänzen sich (Butzmann 2011, S. 12 ff., Stamm 2018, S. 129), was auch die CENOF-Studien belegen und was in der Praxis kaum zu übersehen ist. Wie von der CENOF-Forschergruppe festgestellt, haben die Unterschiede im Verhalten von Vätern und Müttern bedeutende Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder. Darüber hinaus ist die ganze Bandbreite des männlichen und weiblichen Vorbildverhaltens vorhanden. Je nach Persönlichkeitsstruktur kann das Kind daraus die ihm naheliegenden Kompetenzen erwerben. Dafür ist mehr an gemeinsamer Zeit notwendig, als eine volle Berufstätigkeit beider Eltern zulässt. Auch das spricht wieder für die mehrheitlich gewählte klassische Familienform bzw. für eine reduzierte Arbeitszeit von beiden Eltern, um die vielschichtigen Probleme heutiger Familien (Walter 2023) abzubauen und den Kindern bessere Entwicklungschancen zu geben.
Fazit
Die hier zusammengetragenen Ergebnisse der wissenschaftlichen Vaterforschung sind sowohl für weitere Forschungsprojekte, für Familienbildung, -beratung und -therapie von Bedeutung als auch für Eltern – und besonders für Väter.
Literatur
Bischof-Köhler, D. (2002). Von Natur aus anders: Die Psychologie der Geschlechtsunterschiede. Stuttgart: Kohlhammer.
Butzmann, E. (2011). Elternkompetenzen stärken. Baustein für Elternkurse. München: Reinhardt-Verlag.
Butzmann, E. (2022). https://www.familienhandbuch.de/familie-leben/​familienformen/​muetter-vaeter/​NeueVaeterinderheutigenGesellschaft.php
Butzmann, E. (2023). Neue Väter in der heutigen Gesellschaft. Psychotherapie, 28 (1), S. 137–153.
Stamm, M. (2018). Neue Väter brauchen neue Mütter. Warum Familie nur gemeinsam gelingen kann. München: Piper.
Walter, A. (2023). Die neue Familie. Psychotherapie, 28 (1), 169–183.
Rezension von
Dr. Erika Butzmann
Entwicklungspsychologin
Erziehungswissenschaftlerin
Elternbildung und -beratung
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Zitiervorschlag
Erika Butzmann. Rezension vom 23.01.2024 zu:
Lieselotte Ahnert: Auf die Väter kommt es an. Wie ihr Denken, Fühlen und Handeln unsere Kinder von Anfang an prägen. Ullstein Verlag
(München) 2023.
ISBN 978-3-550-20209-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31680.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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