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Manuel Theile, Klaus Wolf (Hrsg.): Sozialpädagogische Blicke auf Heimerziehung

Rezensiert von Wolfgang Schneider, 21.06.2024

Cover Manuel Theile, Klaus Wolf (Hrsg.): Sozialpädagogische Blicke auf Heimerziehung ISBN 978-3-7799-7319-5

Manuel Theile, Klaus Wolf (Hrsg.): Sozialpädagogische Blicke auf Heimerziehung. Theoretische Positionierungen, empirische Einblicke und Perspektiven. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 408 Seiten. ISBN 978-3-7799-7319-5. D: 48,00 EUR, A: 49,40 EUR.

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Thema

Grundsätzliche Themen und aktuelle Fragen der Heimerziehung und des Lebens und der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in Formen der Heimerziehung werden aus einer sozialpädagogischen Perspektive betrachtet. Was macht das besondere Profil eines sozialpädagogischen Blickes auf Heimerziehung aus? Welche Impulse lassen sich daraus für eine Weiterentwicklung der Praxis und Forschung zur Heimerziehung gewinnen? In 23 Beiträgen werden von 28 Autor:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz theoretische Zugänge und Untersuchungen mit interessanten empirischen Befunden zu verschiedenen Facetten der aktuellen Diskussionen um die stationäre Kinder- und Jugendhilfe vorgestellt.

Herausgeber

Manuel Theile, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Heimerziehung an der Universität Siegen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind sozialpädagogische Professionalität, Fachkräfte(mangel) in der stationären Erziehungshilfe sowie soziale Netzwerkbeziehungen im Kontext Heimerziehung.

Klaus Wolf, Prof. Dr. phil, ist Erziehungswissenschaftler und Sozialpädagoge. Bis zur Pensionierung lehrte und forschte er an der Universität Siegen mit den Schwerpunkten Aufwachsen unter (extremen) Bedingungen, Pflegekinder und Heimerziehung. Die Autorenschaft dieses Buches ist prominent und äußerst kompetent besetzt. So haben zum Beispiel Michael Berghaus, Peter Hansbauer, Liane Pluto, Christian Schrapper und Hans Thiersch oder Ulrike Urban-Stahl Beiträge geliefert.

Aufbau und Inhalt

Der Sammelband ist in zwei inhaltliche Blöcke unterteilt. Teil I ist mit Theoretische Positionierungen überschrieben, Teil II mit Empirische Einblicke und Perspektiven. Der zweite Teil nimmt dabei den weitaus größten Teil des Buches ein.

  • Was ist Heimerziehung?

Herausgeber Klaus Wolf versucht sich an einer grundlegenden Definition des Begriffs Heimerziehung aus verschiedenen Sichtweisen und entwirft zwei Modelle, was Heimerziehung eigentlich sein soll.

  • Heimerziehung Eine historisch ausgreifende Überlegung in systematischer Absicht

Michael Winkler betrachtet in seinem Beitrag die Geschichte der Heimerziehung im Rahmen der Sozialpädagogik.

  • Aspekte einer lebensweltorientierten Heimerziehung Ein Gespräch zwischen Hans Thiersch und Klaus Wolf

Formal gesehen handelt es sich um einen eher unüblichen Beitrag in einem Sammelband, aber wenn sich Koryphäen wie Hans Thiersch und Klaus Wolf intensiv über die Heimerziehung austauschen, muss das einfach in ein solches Buch.

  • Aufwachsen im Abseits der Gesellschaft Klage, Anklage, Perspektiven

Hans Thiersch hat diesen Text als Referat bei der Veranstaltung „Heimerziehung in Baden-Württemberg gestern – heute – morgen“ 2018 gehalten. Dabei handelte es sich um die Abschlusstagung des Beirats der Anlauf- und Beratungsstelle Heimerziehung 1949–1975 Baden-Württemberg statt, der die Erfahrungen von Heimbewohner:innen, die sexualisierte Gewalt erlitten hatten, aufgearbeitet hatte.

  • Recht auf Verstehen?! Sozialpädagogisches Verstehen in der „Heimerziehung“ zwischen Kinder-Rechten und Professionalität

Christian Schrapper führt in diesem Kapitel zwei Diskurse zusammen: die Debatte um die kinderechtliche Begründung und Gestaltung eines Wechsels in Heimunterbringung sowie die Kontroversen um Konzepte, Begründungen, Möglichkeiten und Grenzen eines spezifisch sozialpädagogischen Verstehens.

  • Rechtebasierte Kinder- und Jugendhilfe Fluchtpunkte im Anschluss an das Zukunftsforum „Heimerziehung“

Wolfgang Schröer blickt in die Zukunft und die Herausforderungen durch die inklusive Öffnung durch die SGB VIII-Reform, gesellschaftliche und sozialpolitische Entwicklungen, die Aufarbeitungen von Gewalt und sexualisierten Übergriffen im Feld der Hilfen zur Erziehung und nicht zuletzt die Anfragen der (jungen) Menschen, die in Wohngruppen oder anderen Angeboten aufwachsen bzw. aufgewachsen sind.

  • Heimerziehung zwischen Expansion und Ausdifferenzierung Eine Analyse auf der Grundlage der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik

Der Beitrag von Agathe Tabel und Sandra Fendrich gibt einerseits einen Überblick über die quantitative Bedeutung der Heimerziehung im Leistungsspektrum der erzieherischen Hilfen, andererseits werden mithilfe von zielgruppenspezifischen Analysen und Auswertungen zu den Beendigungsgründen der Hilfen besondere Herausforderungen hinsichtlich der Qualitätsentwicklung von Hilfeplanverfahren in den Blick genommen.

  • Differenzierung und Spezialisierung von Einrichtungen stationärer Hilfen zur Erziehung

Dieses Kapitel, das von Eric von Santen, Andrea Mairhofer und Liane Pluto verfasst wurde, fokussiert die Entwicklung der Angebotsstruktur in den stationären Hilfen zur Erziehung und unterscheidet dabei zum Beispiel zwischen Begrifflichkeiten wie Differenzierung und Spezialisierung.

  • Beteiligung und Beschwerde im Alltag stationärer Hilfen zur Erziehung leben Wissensbestände, Anforderungen und Entwicklungsaufgaben

Die angemessene Beteiligung junger Menschen und ihrer Familien ist Voraussetzung und Bedingung gelingender erzieherischer Hilfen; darüber herrscht in der Fachliteratur und -debatte Einigkeit. Durch die Erhöhung von Akzeptanz und Passung der Angebote sowie das aktive Einbezogensein in die Hilfegestaltung, steigt die Wahrscheinlichkeit positiver Veränderungen. Marion Moos untersucht die diesbezüglichen Realitäten.

  • Beziehungsgestaltung und Handlungsbefähigung Handlungsbefähigende Elemente in Beziehungssituationen in der Heimerziehung

Gerade im Umgang mit schwierigen Situationen spielt (nicht nur) in der Heimunterbringung Handlungskompetenz eine große Rolle, um Ohnmachtsgefühle und Überforderung zu minimieren. Dominik Bodmer untersucht in seinem Beitrag, wie Beziehung gut gestaltet werden kann in stationären Kontexten.

  • „Würd’s dir guttun, wenn ich dich mal in den Arm nehm’?“ Professionelle Nähe in der Heimerziehung

Körperliche Nähe ist in der Jugendhilfe ein grundsätzliches Thema, zu dem die Meinungen weit auseinanderliegen. Dieser Artikel von Dorothee Schäfer und Michael Behnisch beleuchtet, wie dieses Dilemma im Sinne der Klient:innen aufgelöst werden könnte.

  • Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Heimen Herausforderung für eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe

Junge Menschen mit Behinderungen rücken insbesondere im Hinblick auf die Zusammenführung der Zuständigkeit im Rahmen der letzten Stufe des Bundesteilhabegesetzes immer mehr in den Fokus der Jugendhilfe, womit sich Martin Reichstein und Albrecht Rohrmann auseinandersetzen.

  • Grenzverletzungen und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung

Dabei handelt es sich um ein Thema, das in der Forschung und auch in der Praxis eher stiefkindlich behandelt wird, das aber nicht erst durch die Stärkung der Bedeutung von Schutzkonzepten immer wichtiger wird. Ulrike Urban-Stahl versucht eine Annäherung.

  • Kinder woanders leben (müssen) Wie erleben und bewältigen Väter und Mütter die Fremdunterbringung?

Michaela Berghaus, die zu diesem Thema bereits eine beeindruckende Dissertation vorgelegt hat, beschreibt die andere Seite der stationären Unterbringung: Was ist mit denen, die alleine zurückbleiben, deren Wohnung plötzlich leer ist?

  • Partizipation von Eltern in der stationären Erziehungshilfe

Nicole Knuth und Remi Stork gehen der Frage nach, wie Eltern sinnvoll beteiligt werden können, wenn das Kind in einer stationären Maßnahme ist, da das Elternsein schließlich damit nicht aufhört.

  • Kinder psychisch erkrankter Eltern in der Heimerziehung Belastungen, protektive Faktoren und Interventionsmöglichkeiten

Dass Kinder psychisch erkrankter Eltern häufig Kontakt zur Jugendhilfe haben, ist bekannt. Oft fühlen sich gerade diese jungen Menschen in hohem Maße verantwortlich für den erkrankten Elternteil. Albert Lenz schreibt in seinem Beitrag genau darüber.

  • Arbeitsfeld Heimerziehung Erfahrungen und Perspektiven von pädagogischen Fachkräften

Obwohl die Qualität und Kontinuität der Arbeitsbeziehungen von Fachkräften zu Kindern und Jugendlichen in den Hilfen zur Erziehung ein nachgewiesener Wirkfaktor ist, widmen sich erst wenige Studien den Strukturen und den Charakteristika der Praxis dieses Arbeitsfeldes. Dirk Michael Nüsken stellt wichtige Erkenntnisse dazu vor.

  • Subjekt einer Hilfe?! Sozialpädagogische Interventionen als tiefgreifende und legitimationsbedürftige Eingriffe in Biographien von Menschen

Fachkräfte müssen berücksichtigen, dass auch gut gemeinte Interventionen oft tiefe Einschnitte in das Leben der Klient:innen bedeuten. Wie kann es gelingen, dass junge Menschen auch wirklich aktiver Teil des sozialpädagogischen Handelns werden, ist die Grundfrage, die Manuel Theile diskutiert.

  • „Dann hab ich auch zu ihr gesagt, ich will wieder heim. Und sie hat auch ziemlich viel gekämpft.“ Relationale Herstellungsleistungen von Familie bei Rückkehrprozessen aus stationären Erziehungshilfen

Stationäre Jugendhilfe ist qua Gesetz im besten Fall auf Rückführung ausgelegt. Christina Lienhart setzt sich in ihrem Beitrag damit auseinander, was Familien leisten (müssen), damit Rückführungen möglich werden.

  • Leaving Care Entwicklungen durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, Forschungsdiskurse und Perspektiven im Übergang aus der Heimerziehung

Nicht nur aber insbesondere durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz sind die jungen Menschen in den Blick geraten, die – oft nach langer stationärer Maßnahme – altersmäßig aus der Jugendhilfe herausgewachsen sind. Manuel Theile nimmt in diesem Kapitel den Diskurs diesbezüglich auf und beschreibt Forschungsbemühungen dazu.

  • Bildungswege von Kindern und Jugendlichen mit Erfahrung in stationärer Erziehungshilfe

Stephan Sting geht der Frage nach, in welchen Zusammenhang stationäre Unterbringung in der Jugendhilfe und Schulkarrieren stehen.

  • Achtung, 18! Volljährigkeit und ihre Folgen in der stationären Erziehungshilfe in Österreich

Christine Schatz bietet an dieser Stelle einen Einblick über die Alpen und beschreibt, wie das Jugendhilfesystem in Österreich mit jungen Menschen umgeht, die volljährig werden während einer Heimunterbringung.

  • Empirische Untersuchungen im prospektiven Längsschnittdesign Eine gewinnbringende Erweiterung der Perspektive auf das Handlungsfeld der stationären Erziehungshilfe

Den Abschluss des Bandes bildet ein Kapitel von Peter Hansbauer und Alexander Parchow. In diesem Beitrag soll es vor dem Hintergrund, des in der Heimerziehungsforschung immer wieder konstatierten Mangels an, vorrangig darum gehen, zu erörtern, welche Möglichkeiten und Zugewinne eine Längsschnittperspektive gegenüber einer Querschnittsuntersuchung bietet und welche (neuen) empirischen Erkenntnisse hierdurch ermöglicht werden

Diskussion

In den letzten Jahren haben Forschungen und Themen der Heimerziehung weiter deutlich zugenommen. Allein unter dem Stichwort ‚Heimerziehung‘ werden bei der Deutschen Nationalbibliothek (2023) mehr als 1900 Einträge aufgeführt – Tendenz steigend. Bereits im Jahr 2003 wies Michael Winkler in seinem Artikel ‚Übersehene Aufgaben der Heimerziehungsforschung‘ darauf hin, dass Forschungen zur Heimerziehung „rasch […] in einer schier unerschöpflichen Menge an schriftlich fixierten und bibliographisch aufgenommenen Material unterzugehen“ drohen (Winkler 2003, S. 149). „Also jetzt mal ehrlich: Warum (noch) ein Buch zur Heimerziehung?“, steigen Manuel Theile und Klaus Wolf in ihren Herausgeberband ein. Die Antwort auf diese Frage findet sich fachlich fundiert mit hoher Qualität auf den folgenden rund 400 Seiten.

Das ist nicht immer leicht zu lesen, aber es erweitert an vielen Stand den Horizont und sorgt dafür, dass Heimerziehung auf einem aktuellen theoretischen Stand bei den Leser:innen gebracht wird, wobei durchaus auch kritische Auseinandersetzungen mit der Begrifflichkeit Heimerziehung zu finden sind. Von daher handelt es sich um einen absolut gelungenen Sammelband, der über die Homepage des Verlags auch als Open Access zur Verfügung steht.

Fazit

Rund 400 Seiten fundierter Input rund um das Thema Heimerziehung, die sicherlich nichts fürs mal eben zwischendurch Lesen sind, aber sehr viel Wissen und neue Erkenntnisse transportieren – von daher ein absolut empfehlenswerter Sammelband.

Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Es gibt 141 Rezensionen von Wolfgang Schneider.

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ISSN 2190-9245