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Werner Bätzing: Homo destructor

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Heekerens, 20.12.2023

Cover Werner Bätzing: Homo destructor ISBN 978-3-406-80668-1

Werner Bätzing: Homo destructor. Eine Mensch-Umwelt-Geschichte. Verlag C.H. Beck (München) 2023. 463 Seiten. ISBN 978-3-406-80668-1. 28,00 EUR.

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Thema

Auf den ersten Blick, der am Haupttitel des Buches hängen bleibt, scheint hier nur ein neuer Beitrag zur deutsch(sprachig)en „Katastrophenliteratur“ vorzuliegen. Die ist reich und vielfältig: „Der Soziologe Harald Welzer kündet das ‚Zeiten Ende‘ an, die Journalistin Ulrike Herrmann wenigstens das Aus für den Kapitalismus. Der Historiker Philipp Blom warnt vor dem ‚Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur‘. Der Paläogenetiker Johannes Krause sieht die Menschheit aufgrund ihrer Hybris scheitern. Und der Astrophysiker Harald Lesch mahnt gar, sie schaffe sich selber ab“ (Schär, 2023, S. 30).

Wenn man aber in einem zweiten Blick das zehnseitige Ausführliche Inhaltsverzeichnis (S. 9 – 18) durchliest, wird schnell klar, dass hier nicht einfach eine neuerliche apokalyptische Schrift auf den Markt der Zukunftsängste geworfen wurde, sondern ein veritables Fachbuch den Weg zu seinen Leserinnen und Lesern sucht.

Es liefert einen Beitrag zur Kulturökologie, einem Forschungsansatz an der Schnittstelle zwischen Kultur-, Sozial-, Geo- und Biowissenschaften. Der kulturökologische Ansatz untersucht mit wechselnder Methodik und verschiedener thematischer Schwerpunktsetzung inwieweit menschliche Kulturformen durch die Auseinandersetzung mit der natürlichen Umwelt geprägt werden und umgekehrt ihre natürliche Umwelt prägen.

Autor

Werner Bätzing, Jg. 1949, betritt das Feld der Kulturökologie von der Kulturgeographie her. Für dieses, sich seit einigen Jahrzehnten in Methodik und Themen wandelnde Teilgebiet der Geographie war der Autor von 1995 bis zu seiner Emeritierung Professor am Institut für Geographie der Universität Erlangen – Nürnberg. Das war der Endpunkt eines fachlichen Entwicklungspfades, der 1983 mit Aufnahme der Studien in Geographie und Philosophie begonnen hatte; damals war er bereits 34 Jahre alt.

Und was hat er davor gemacht? Da hat er 1976, damals am Anfang seiner Laufbahn als Buchhändler, Buchhersteller und Lektor seine Liebe zu den Alpen entdeckt. Und davon haben viele Bergwanderinnen und Bergwanderer profitiert, weil er ihnen einen vordem wenig bekannten alpinen Raum darstellerisch erschloss: den piemontesischen Westalpenbogen. Mit seinem zweibändigen Werk „Grande Traversata delle Alpi“ (Zürich: Rotpunktverlag, 2003 bzw. 2005) hat er Viele für diesen 1000 Kilometer langen Wanderweg vom Wallis bis ans Mittelmeer begeistert.

Ergänzt wurde die Erkundung des Westalpenbogens durch drei von ihm in Co-Autorenschaft erstellten Führer zu dessen Südteil. Als Abrundung des Bätzingschen Alpen-Unternehmens hat man seine erste Publikation zur Sache „Die Alpen“ (München: Beck, 1991), der Autor war damals gerade in Geografie promoviert worden, zu lesen. Das Buch trägt den Untertitel „Entstehung und Gefährdung einer europäischen Kulturlandschaft“ und liest sich mit den Augen von heute als ein kulturökologisches. Dort schon hat der Autor unter anderem das Konzept der „ökologischen Reproduktion“ vorgestellt, das sich seither in seinem Schrifttum bis hin zum vorliegenden Buch wiederfindet.

Aufbau und Inhalt

Das Buch hat zunächst ein knappes Vorwort und „Ausführliches Inhaltsverzeichnis“ (zehn Seiten). Danach folgen zehn Kapitel, die man gliedern kann. In der Geschichte des Homo sapiens sieht der Autor nur zwei wirkliche Wendepunkte: die neolithische und die industrielle Transformation. Die greifbare Geschichte vor dem ersten Wendepunkt wird im 3. Kapitel, die nach dem zweiten in den Kapiteln 7 – 9 und die dazwischen liegende im 4. - 6. Kapitel dargestellt. Die Vorgeschichte dazu, konzentriert auf die evolutionäre Entwicklung der Gattung Homo, findet sich in Kapitel 2. Das 1. und 10. Kapitel bilden mit Aufriss und Ausblick den Rahmen.

Das erste Kapitel „Eine vernetzte Gesamtperspektive“ ist als Einleitung zu lesen, in der der Autor Aufgaben, Grundlagen und Zielsetzung (s)einer Mensch-Umwelt-Geschichte klärt, die Historie des Faches Umweltgeschichte skizziert, Denkfiguren der Mensch-Natur-Beziehung vorführt und Leitlinien der Mensch-Umwelt-Geschichte erörtert.

Die Entstehung des Menschen im Rahmen der Evolution

enthält Notizen zur „kulturellen Selbstbegrenzung eines unbegrenzten Wesens“ (S. 45) Die erste skizziert den Kontext der biologischen Entwicklung des Menschen, die zweite den aufrechten Gang des Vormenschen als ersten Schritt zum Homo, der seine Herausbildung als Gattung evolutionärem Gehirnwachstum verdankt. Als spezifische Eigenschaften der Art Homo sapiens werden ein großes Gehirn, verfeinerte Fähigkeit zur Werkzeugherstellung, Feuerbeherrschung und sein besonderes Sozialverhalten aufgeführt. Das Besondere an Homo sapiens: „[A]ls ein [von seiner Natur her] unbegrenztes Wesen muss er sich kulturell selbst begrenzen“ (S. 81).

Mit Jäger-und-Sammler-Gesellschaften beginnt Bätzings Darstellung der greifbaren Mensch-Umwelt-Geschichte. „Jäger und Sammler [frühere wie zeitgenössische] werden dadurch definiert, dass sie eine aneignende oder extraktive Wirtschaftsform praktizieren, die auf der bloßen Nutzung der vorhandenen natürlichen Ressourcen beruht; sie verändern daher die Natur zum Zweck der Lebensmittelgewinnung nicht.“ (S. 83) Jäger-und-Sammler-Gesellschaften gab es bei der Gattung Homo schon vor Auftreten des Homo sapiens sowie neben ihm (etwa die Neandertaler) und sie sind selbst noch heute, zehntausend Jahre nach der neolithischen Transformation vereinzelt zu finden.

Jäger-und-Sammler-Gesellschaften schützen die Natur, aber nicht weil sie „Naturschützer“ gewesen wären. Der moderne Naturschutzgedanke hat als affektiv-kognitive Grundlage die Trennung von Natur und Kultur sowie von Mensch und Welt. Beides ist Jäger-und-Sammler-Gesellschaften noch völlig fremd; ebenso wenig kennen sie auf Dauer angelegte Hierarchien. Sie besitzen eine ganz andere Ideologie, die sich in zahlreichen Ritualen (z.B. zur Jagdvorbereitung) und Institutionen (etwa dem des Schamanen) manifestiert.

Für „Egalitäre Bauerngesellschaften“ ist Natur erstmals in der Geschichte des modernen Menschen Kulturlandschaft. „Mit der Entstehung der Landwirtschaft ändert sich für den Menschen alles: Lebensform, Wirtschaftsweise, Gesellschaftsstruktur und Umweltbezug.“ (S. 115) Daher möchte der Autor diese Transformation in seiner Bedeutung für den Mensch-Umwelt-Bezug in den gleichen Rang heben wie die Industrielle Transformation und nur diesen beiden die Bedeutung von entscheidenden Wendepunkten zubilligen.

Bätzing erörtert Entstehung und Ursache der in verschiedenen Weltgegenden und unabhängig voneinander stattgefundenen Neolithischen Transformation mit ihrer stark durch die Frau geprägten Domestizierung von Pflanzen und Tieren, weist auf die damit verbundenen neuen Siedlungs-, Wirtschafts- und Raumstrukturen hin, benennt die ökologischen Eigenschaften der Umwandlung von Natur- in Kulturlandschaften und skizziert die bäuerlichen Lebensformen.

Schließlich beschäftigt er sich mit dem Naturbezug egalitärer Bauerngesellschaften: „Aus heutiger Sicht könnte man das Verhältnis der Bauerngesellschaften zur Natur so interpretieren, dass der Mensch als Bauer die Natur nicht ‚einfach so‘ nutzen kann, sondern dass er in sich eine Verantwortung gegenüber der Natur für seine Nutzungseingriffe spürt und fühlt, sodass die Reproduktion der Kulturlandschaft nicht nur eine zweckrationale Notwendigkeit, sondern auch ein inneres oder religiöses Bedürfnis darstellt“ (S. 154).

Die Religion der frühen Bauerngesellschaften kreist thematisch um Fruchtbarkeit und findet in weiblichen Gottheiten ihren Ausdruck; der Religionsphänomenologe Mircea Eliade (1949/1986) hat darauf schon vor über sieben Jahrzehnten hingewiesen.

Stadtstaaten und Großreiche

Aus den egalitären Bauerngesellschaften entwickeln sich nach einigen tausend Jahren im Rahmen der urbanen Transformation völlig neue, nämlich städtische und staatliche Formen von Gesellschaft und Wirtschaft. Bätzing stellt den Entwicklungsprozess, in dem religiöse Zentren die zentrale Rolle spielen, dar, skizziert Eigenschaften der ersten Städte und deren Umweltbezug, räsoniert über den oft schnellen Aufstieg und Fall von Stadtstaaten wie Großreichen und stellt den neuen Umweltbezug dar.

Die neuen politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen, die um 3300 v.Chr. entstehen, prägen die Welt bis zum Beginn der Industriellen Revolution. Denn hier geht es auch um die Entstehung von politischer Herrschaft, komplexer (Klassen-)Gesellschaft, arbeitsteiliger und spezialisierter Wirtschaft sowie künstlicher Zeichensysteme (Zahlen, Schriftzeichen). Dennoch zählt Bätzing die urbane Transformation anders als die neolithische und die industrielle nicht zu den großen Wendepunkten der Menschheitsgeschichte; sie ist für ihn lediglich ein Wendepunkt innerhalb der Bauerngesellschaften.

Das kurze, aber dichte Kapitel Hirtennomadismus und „Achsenzeit“ unterbricht die fortlaufende Darstellung der Veränderungen des Umweltbezugs; davon ist erst wieder im anschließenden 7. Kapitel die Rede. Mit beiden Punkten, dem Hirtennomadismus und der „Achsenzeit“ sind Sachverhalte angesprochen, die sich nicht glatt in die Chronologie der vorherigen und nachfolgenden einfügen, aber einerseits im Vorher gründen und andererseits für das Nachfolgende von Bedeutung sind.

So werden im Großviehnomadismus auf dem Gebiet des altweltlichen Gürtels Eurasiens drei Großtiere domestiziert. Das Pferd sowie das einhöckrige (Dromedar) wie das zweihöckrige (Trampeltier) Kamel. Damit kann der Fernhandel aufblühen – und der Krieg. In der „Achsenzeit“ (ca. 800 – 200 v.Chr.) entstehen – oft monotheistische – Religionen, die ein Jenseits-Konzept entwerfen, in dessen Rahmen „Natur“ erstmals als „Gegenüber“ und in seinem Gesamtzusammenhang denkbar wird.

Ein religiös begründeter Jenseits-Standpunkt erlaubt aber auch Kritik am Diesseitigen: am König und den herrschenden Verhältnissen; man denke nur an die Propheten Amos und Nathan. Aus einer dieser monotheistischen Religionen, der jüdischen, entsprossen bald zwei andere: die christliche und die islamische. Diese abrahamitischen Religionen werden die Entwicklung der Menschheit entscheidend prägen.

Das Kapitel „Der dreifache Beginn der modernen Entwicklung“ hat als Untertitel „Vernunft als Distanz zur konkreten Welt“ und unternimmt den Versuch, die Voraussetzungen zu klären, die die industrielle Transformation ermöglichten. Eingangs wird der dreifache Beginn im Überblick dargelegt, dann der erste Beginn in der griechischen Antike (ab 800 v.Chr.), der zweite im europäischen Mittelalter (ab 1000) und schließlich der dritte in Renaissance (um 1500) und Aufklärung (um 1800) vorgestellt.

Die industrielle Transformation geschieht ja nicht in den von der Natur begünstigten Tropen (Wiege der Menschheit) oder Subtropen (Orte der Neolithischen Transformation und der frühen Hochkulturen), sondern in einer kaltgemäßigten Zone, und zwar der in Europa liegenden. Ihre Ur-Sachen kann man also nicht in der Natur, sondern muss sie in der Kultur suchen. Und zwar in jener, die sich – vorderasiatische hochkulturelle Erbstücke aufnehmend und transformierend – in Europa entwickelt, und zwar auf einer Linie, die sich im historischen Verlauf vom Südosten nach dem Nordwesten erstreckt.

Bätzing markiert den Start der Entwicklung, die zur Industriellen Transformation führt, auch und vor allem deshalb im antiken Griechenland, weil dort erstmals in der Menschheitsgeschichte eine folgenträchtige Verwandlung geschieht: die von sinnlich-symbolischen Abstrakten zum „abstrakten Abstrakten“. Die ersten sind noch rückgebunden an sinnliche und persönliche Erfahrungen, die zweiten nicht. Beispielsweise gehört eine Goldmünze noch in den Bereich der sinnlich-symbolischen Abstraktion, die Geldscheine, mit denen ich diese kaufen könnte, hingegen sind nur in einer vom abstrakten Abstrakten geprägten Welt denkbar. Deren Gebrauchswert besteht nach Karl Marx einzig und allein darin, Tauschwert zu sein.

In lndustriegesellschaften werden zunächst die beiden voneinander unabhängigen, aber keineswegs zufällig gleichzeitig im Nordwesten Europas auftretenden Revolutionen betrachtet, die zusammenwirkend Auslöser der Entwicklung zur modernen Industriegesellschaft sind: die Industrielle Revolution in Großbritannien (1764 – 1785) und die Französische Revolution (1789). Danach wird dargelegt, weshalb das industrielle Wirtschaften so erfolgreich ist, welche Branchen davon erfasst werden (und welche nicht), welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die Siedlungs- und Wirtschaftsflächen haben und warum Industriegesellschaften eine völlig neue Gesellschaftsform darstellen. Abschließend werden Naturvorstellung und Umweltbezug der Industriegesellschaften thematisiert.

Stärker noch als schon in den vorangehenden Kapiteln bringt Bätzing hier seine politische Haltung zum Ausdruck. Etwa in dieser Passage:

„[Das Ziel des Wirtschaftens ist] kein menschliches Ziel wie die Produktion von nützlichen Dingen, die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse oder die Gewährleistung eines guten Lebens, sondern allein der unendliche Selbstzweck, aus Geld mehr Geld zu machen. Aus diesem Selbstzweck erwächst erstmals in der Geschichte der Menschheit die Idee eines fortgesetzten unendlichen Wirtschaftswachstums, das nie an ein konkretes Ende kommt. Eigentlich ist ein solches unendliches Wirtschaftswachstum auf einer endlichen und begrenzten Erde nicht umsetzbar. Aber die permanenten Innovationen erwecken den Eindruck, als wäre dies doch möglich und als könnte man auf diese Weise die materiellen Grenzen der Welt immer weiter hinausschieben.“ (S. S. 279)

Dienstleistungsgesellschaften

Von „Dienstleistungsgesellschaft“ spricht man in den Wirtschaftswissenschaften, wenn im III. Sektor der Wirtschaft, der mit „Dienstleistungen“ etikettiert wird, mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen eines Staates arbeiten; mehr also als im I. Sektor (Land-/​Forstwirtschaft, Fischerei) und im II. Sektor (Handwerk, Gewerbe, Industrie), den produzierenden Wirtschaften, zusammen.

Etwa ab 1970 wandeln sich die Industrie- zu Dienstleistungsgesellschaften. Dabei werden die Grundprinzipien der Industriegesellschaften zwar beibehalten, aber ihre bisherigen Beschränkungen aufgehoben; Grenzenlosigkeit prägt zunehmend mehr nicht nur die wirtschaftlichen, sondern die gesamten Aktivitäten der Menschen. Bätzing beschreibt zunächst den angesprochenen Transformationsprozess, um daran anschließend zu schildern, welche Veränderungen in der Wirtschaft, der Gesellschaft, bei den Raumstrukturen und beim Umweltbezug stattfinden.

Wir sind in der Jetzt-Zeit, weshalb es nicht verwundert, dass sich der Ton des Autors verschärft. So verwendet er etwa mehrfach den Begriff „Illusion“. Eine Illusion sei die Annahme, das Wachstum der Dienstleistungen führe zwangsläufig zur Minderung der Umweltbelastung. Eine andere Illusion sei die Vorstellung, die Dienstleistungsgesellschaft wäre weniger vom Kapitalismus geprägt als die Industriegesellschaft; der Grundwiderspruch von Lohnarbeit und Kapital bleibe erhalten. Eine dritte Illusion sei, durch die sich weiter entwickelnde Dienstleistungsgesellschaft würde menschliche Arbeit auf geistige Arbeit reduziert.

Der Beitrag der Welt-Umwelt-Geschichte zur aktuellen Umweltkrise

Bätzing hat das Buch geschrieben, „um durch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte eine neue Sichtweise auf die aktuelle Umweltkrise zu entwickeln“ (S. 365). Diese neue Sichtweise wird in vier Schritten entfaltet: Zentrale Erkenntnisse aus der Geschichte werden dargestellt, die Frage möglicher Lösungswege diskutiert, Leitideen skizziert und die Bedeutung für zentrale Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft erörtert.

Als Endergebnis seiner Überlegungen formuliert Bätzing auf der letzten Textseite:

„Das größte Hindernis zur Lösung der Umweltkrise dürften jedoch nicht die Größe der ökologischen Probleme, die starken, verfestigten Strukturen von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik oder die überkomplexen Vernetzungen von Umwelt/​Wirtschaft/​Gesellschaft sein, sondern das größte Hindernis dürfte der Mensch selbst sein: Die moderne Welt mit ihren scheinbar unendlichen Möglichkeiten bietet dem Wesen ohne feste Mitte eine ideale Projektionsfläche, um alle Begrenzungen und Sachzwänge der Erde und des eigenen Körpers zu vergessen, eine grenzenlose Überheblichkeit zu entwickeln und sich schließlich als allmächtiger Gott zu fühlen. Ein solch grenzenloser und überheblicher Mensch ist ein Homo destructor, der sich selbst und seine Welt zerstört. Statt des Wahlspruchs der Aufklärung, ,Sapere aude – Habe Mut, dich deines eigenen (grenzenlosen) Verstandes zu bedienen’, wäre ein anderer Wahlspruch viel angemessener: ‚Habe Mut, deine eigenen Grenzenlosigkeiten in Frage zu stellen und dich auf das richtige Maß zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig zu konzentrieren.“ (S. 389)

Am Schluss des Buches finden sich in über 60 Seiten reichhaltige und detaillierte Anmerkungen, das Literaturverzeichnis und ein Sachregister.

Diskussion

Das Buch fand schnell öffentliche Aufmerksamkeit. Im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung von Ende Oktober 2023, schrieb der als Journalist tätige promovierte Historiker Markus Schär, Jg. 1956, eine Rezension mit dem Gesamturteil: „Werner Bätzing ist ein grosser Wurf gelungen“ (Schär, 2023, S. 30). Zuvor schon konnte man in der Buchbeilage zur Frankfurter Buchmesse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Rezension der Journalistin Petra Ahne finden, die folgendermaßen schließt:

„Degrowth, Werte und Regeln, die die Steigerungsdynamik unterbinden, von Zusammenhalt und gemeinsamen Traditionen geprägte Strukturen sind Bätzings Leitideen. Vorschläge zu ihrer Umsetzung bleibt er schuldig. So wird man den Verdacht nicht los, dass hinter der Ablehnung der Moderne auch das persönliche Unbehagen eines Mannes, Jahrgang 1949, an einer Zeit steckt, die so gewöhnungsbedürftige Dinge wie die Digitalisierung hervorbringt – das Buch wird als Gegenprojekt zu ‚kurzen, Internet-geeigneten Texten‘ angelegt – oder auch vermehrt junge Menschen, die glauben, selbst entscheiden zu können, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Dies ist für Werner Bätzing, ebenso wie die Verneinung von Unterschieden zwischen Frau und Mann, ein weiterer von der Aufklärung eingeleiteter Irrweg“ (Ahne, 2023, S. L 15).

Es sei anderen überlassen, darüber nachzudenken, welchen Faktoren sich die gegensätzliche Einschätzung des Buches verdankt, ob es am Unterschied des Geschlechts, des Alters (Ahne ist Jg. 1971), des Bildungsverlaufs (Ahne hatKunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert) und/oder des damit gegebenen lebensweltlichen Milieus liegt. Ich selbst will die Ahneschen Ausführungen nutzen, um in Auseinandersetzung mit ihnen meine Einschätzung des Bätzingschen Werkes zu beginnen.

Zunächst: Der Hinweis, Bätzing liefere keine Vorschläge zur praktischen Umsetzung, geht ins Leere; unmissverständlich hat er als Ziel seiner Arbeit genannt, „durch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte eine neue Sichtweise auf die aktuelle Umweltkrise zu entwickeln“ (S. 365). Sichtweise!

Ja, die „Verneinung von Unterschieden zwischen Frau und Mann“ ist für Bätzing ein Fehler in Spätfolge der Aufklärung. Er geht für alle behandelten Epochen auf Gemeinsamkeiten von und Unterschiede zwischen Frau und Mann in ihrer jeweiligen bio-psycho-sozialen Gesamtheit, Sex und Gender unterscheidend, ein. Unter dem Gesichtspunkt der Mensch-Umwelt-Beziehung schneiden bei ihm die Frauen besser ab als die Männer. Hält die Rezensentin die Bätzingschen Ausführungen zu Frau/Mann denn nun für gut oder für schlecht? Sie schweigt sich darüber aus.

Welche literarische Gattung und welches Medium man für eine bestimmte Darstellung wählt, hängt von vielen Faktoren ab; ich selbst schreibe Rezensionen, die größtenteils, und Artikel, die zur Hälfte online verfügbar sind, aber auch Bücher, die sowohl gedruckt erscheinen als auch online als pdf-Dateien verfügbar sind. Bätzing hat für seine große Gesamtdarstellung das Buch im Printformat gewählt; dies als Hinweis dafür zu werten, er sei zu alt fürs digitale Zeitalter, zeugt von Engstirnigkeit und/oder Unkenntnis des Publikationsgeschäftes.

Das letzte, was Ahne Bätzing vorhält ist, dass ihm – wiederum aus Altersgründen – fremd sei, dass es „vermehrt junge Menschen [gibt], die glauben, selbst entscheiden zu können, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen“. Ja, der Autor äußert beim angesprochenen Punkt Unbehagen. Aber nicht aus Altersgründen, sondern aus anderen: Er bringt die Sache in den Zusammenhang der von ihm immer wieder thematisierten zunehmenden Entfremdung des Menschen von seiner inneren und äußeren Natur.

Im Zusammenhang des Abschnitts „Gleichberechtigung der Geschlechter“ in der Dienstleistungsgesellschaft findet sich die Bemerkung: Wenn eine gesellschaftliche Bewegung entsteht, „für die Flexibilität der geschlechtlichen Identität zur allgemeinen politischen Forderung wird, dann unterstützen solche Bewegungen die zunehmende Distanz des Menschen zu seinem eigenen Körper und damit auch zur Natur“ (S. 336).

Auch wenn man dieser These nicht zustimmt, muss man sie doch als eine diskussionswürdige ansehen und kann sie nicht einfach abtun, indem man sie pathologisiert.

Wenn ich meine Gesamteinschätzung des Buches nicht mit Ahne, sondern mit Schär teile, so geschieht das nicht aus Altersstarrheit (ich bin sogar noch zwei Jahre älter als Bätzing). Sondern zum einen, weil ich die Ahnsche Kritik nicht als in der Sache begründet ansehen kann, und zum anderen weil ich wie Schär das Folgende schätze: Das Buch ist auf dem Stand der derzeitigen Forschung und tief durchdacht, es ist materialreich, aber gut gegliedert, dicht in der Darstellung und dennoch leicht lesbar geschrieben. Man kann es mit Gewinn lesen auch dann, wenn einem die Bätzingsche Einschätzung – der Mensch zunehmend mehr ein Homo destructor – (zu) pessimistisch vorkommt.

Über den Haupttitel des Buches „Homo destructor“ mag man streiten. Nicht der Sache nach, denn die ist gut getroffen. Der Titel ist Geschmackssache; ich kann jede(n) verstehen, der oder dem er zu reißerisch erscheint. Nur geht es ja auf dem dichten Buchmarkt darum, Aufmerksamkeit zu erregen. Und da waren sich auch andere vor Bätzing nicht zu schade, mit einem entsprechenden Titel die Werbetrommel zu rühren. Man denke nur etwa an Max Frischs „Homo faber“ (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1957) und „Homo Deus“ (München: Beck, 2017) des israelischen Historikers Yuval Noah Harari.

Zum Schluss gilt es, einem zwiefachen Missverständnis zu wehren: Bätzing sei ein Antiaufklärer oder Neoromantiker. Zu der einen wie der anderen Auffassung kann man bei Lektüre seines Buches, nicht zuletzt des Schlusskapitels, kommen. Sie werden auch dem (Noch-)Nichtleser durch die Überschriften der beiden o.g. Rezensionen nahegelegt. Die lauten „Jäger und Sammler sind immer noch die besten Vorbilder“ (Ahne, 2023) bzw. „Aufklärer zerstören die Welt“ (Schär, 2023).

Ja, Bätzing plädiert dafür, bestimmte Regulationsmechanismen der Mensch-Umwelt-Beziehung wie sie in den Jäger-und-Sammler-Gesellschaften bzw. den Egalitären Bauerngesellschaften entwickelt wurden und die die Natur offensichtlich effektiv vor Zerstörung schützten, in einer Konzeption für den künftigen Umgang des Menschen mit der Natur zu berücksichtigen. Aber das ist doch kein Plädoyer für eine naive Regression, sondern eine Aufforderung, Erfahrungsschätze der Vergangenheit nicht einfach auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, sondern in einem gewandelten Kontext für die Gegenwart nutzbar zu machen. Die deutsche Sprache hat dafür das schöne (auch in anderssprachigen Ländern übernommene) Wort „Wiederaufnahme“

Was den zweiten Punkt anbelangt: Bätzing ist kein Antiaufklärer. Sein Buch ist doch ein Musterbeispiel für historisch-kritische Forschung; und die ist eine Frucht der europäischen Aufklärung. Wogegen er sich wendet ist eine besondere Erfindung der Aufklärung, für die er den Begriff „abstraktes Abstraktes“ benutzt und damit die ideologisch begründete Entfremdung des Menschen von seiner inneren und äußeren Natur meint. Wie entfremdet in diesem Sinne wir hier und heute sind, wurde mir unlängst noch einmal in aller Deutlichkeit klar, als ich die kulturanthropologische Studie zu einer zeitgenössischen Jäger-und-Sammler-Gesellschaft im oberen Amazonasgebiet las (Rezension zu Eduardo Kohn, 2023).

In der Tradition der europäischen Aufklärung stehen und sie von da aus wegen ihrer Fehler kritisieren ist doch nicht ohne Beispiel. Charles Darwin hat die Einzigartigkeit des Menschen unter den Lebewesen, wie das die Aufklärung mit ihrer Glorifizierung des Verstandes vorzumachen suchte, als Selbstbetrug entlarvt. Sigmund Freud hat den von der Aufklärung befeuerten Narzissmus gekränkt, indem er nachgewiesen hat, dass der Mensch nicht stets Herr im eigenen Hause ist. Und Karl Marx hat herausgearbeitet, dass der Kapitalismus, den die Aufklärung mit ihrer Betonung des Rationalen vorbereitet hat, irrational ist in seiner unabdingbaren Zielsetzung: der ewigen Mehrung von Geld.

Fazit

Das Buch sei zur Lektüre empfohlen allen, die sich in Sachen Umweltzerstörung auch nach der menschheitsgeschichtlichen Seite hin aufklären lassen wollen. Hoch informativ dürfte es für all jene sein, die nicht das Glück hatten, einen wirklich guten und umfassenden Geschichtsunterricht gehabt zu haben und wenig Kenntnisse in Anthropologie sowie Kulturgeographie haben.

Mit Blick auf bestimmte Berufsgruppen sei das Buch ans Herz gelegt allen (Sozial-)Pädagog(inn)en, die in Sachen Erlebnis- und/oder Ökopädagogik unterwegs sind. In beiden Fällen kann das Buch zu einer Vertiefung des Wissens und zu einer Verbreiterung der Handlungsmöglichkeiten beitragen.

Literatur

Petra Ahne: P., 2023. Jäger und Sammler sind immer noch die besten Vorbilder. In Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.10.2023, Buchbeilage zur Frankfurter Buchmesse, S. L 15 (verfügbar unter: (verfügbar unter: https://www.faz.net/aktuell/​feuilleton/​buecher/​werner-baetzings-buch-homo-destructor-19237007.html?printPagedArticle=true#pageIndex_3).

Eliade, M. 1986. Die Religionen und das Heilige. Frankfurt am Main: Insel Verlag. (französisches Original: 1949)

Schär, M. 2023. Aufklärer zerstören die Welt. In Neue Zürcher Zeitung vom 24.10.2023, S. 30 (verfügbar unter: https://www.nzz.ch/feuilleton/​werner-baetzing-warnt-in-seinem-buch-vor-dem-homo-destructor-ld.1762013?mktcid=smsh&mktcval=LinkedIn).

Rezension von
Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Heekerens
Hochschullehrer i.R. für Sozialarbeit/Sozialpädagogik und Pädagogik an der Hochschule München
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Es gibt 186 Rezensionen von Hans-Peter Heekerens.

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ISSN 2190-9245