Michael Klösch (Hrsg.): Digitalisierung im Pflege- und Gesundheitswesen
Rezensiert von Matthias Brünett, 12.06.2024

Michael Klösch (Hrsg.): Digitalisierung im Pflege- und Gesundheitswesen. Grundlagen, Erfahrungen und Praxisbeispiele. Hogrefe AG (Bern) 2023. 318 Seiten. ISBN 978-3-456-86182-1. D: 49,95 EUR, A: 51,40 EUR, CH: 65,00 sFr.
Herausgeber und Autor:innen
Der Herausgeber Michael Klösch arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflegewissenschaft und -praxis der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. Gegenwärtig arbeitet er als Produktmanager bei einer internationalen Firma. Weitere 20 Autor:innen zeichnen für die einzelnen Beiträge verantwortlich.
Aufbau
Der Band gliedert sich in insgesamt 10 Kapitel. Die ersten Kapitel (1-5) widmen sich eher grundlegenden, mithin begrifflichen Fragen. Das Kapitel 6 ist mit 16 Einzelbeiträgen das umfangreichste und widmet sich den „internationalen Erfahrungswerten zur Digitalisierung“. Die darunter versammelten Einzelbeiträge behandeln Befunde zu konkreten Aspekten, Anwendungen bzw. Technologien der Digitalisierung in Pflege und Gesundheitswesen. Kapitel 7 widmet sich der Steigerung der Technikakzeptanz, Kapitel 8 den ethischen Aspekten von E-Health-Anwendungen, Kapitel 9 dem Change-Prozess am Beispiel der Pflegedokumentation und Kapitel 10 den Genderaspekten der Digitalisierung.
Inhalt
Nachfolgend wird auf ausgewählte Beiträge bzw. Kapitel näher eingegangen. Die ersten Kapitel des Buches widmen sich grundlegenden, vor allem begrifflichen Betrachtungen. In Kapitel 4 („Digitalisierung versus E-Health“) stellt Michael Klösch eben jene Begriffe gegenüber und diskutiert entsprechende Implikationen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass beide Begriffe nicht immer klar unterschieden, gleichsam synonym gebraucht werden. So führt Klösch aus, dass „Digitalisierung“ im engeren Sinne die Umwandlung analoger Informationen in digitale Datenformate meint. In einem weiteren Sinne wird der Begriff aber auch gebraucht, um den digitalen Wandel zu beschreiben. Der Autor argumentiert, dass dieser aber auch als Folge der Digitalisierung im engeren Sinne verstanden werden kann. Weiter beschreibt er E-Health als Gesamtheit digitaler Technologien, die mit Bezug auf die Gesundheit bzw. im Pflege- und Gesundheitswesen eingesetzt werden. In einem kurzen historischen Exkurs wird festgestellt, dass E-Health früher in einem weitaus engeren Verständnis gebraucht wurde und die Schaffung einer möglichst standardisierten Versorgung mit digitalen Mitteln meinte. Letztlich seien sowohl Digitalisierung als auch E-Health Sammelbegriffe. Letzterer weist einen direkten Bezug zum Pflege- und Gesundheitswesen auf, während Ersterer als Fundament zu verstehen sei. Mit gleicher Absicht geht in Kapitel 5 („Telematik, E-Health, Tele-Health und Telecare“) Christine von Reibnitz den Implikationen dieser, systematisch der Digitalisierung bzw. E-Health untergeordneten, Begriffe nach. Im Wesentlichen meinen diese mit Telemedizin und Telecare unterschiedliche Anwendungsfälle der E-Health.
Im Kapitel 6 sind etliche Beiträge zu „Internationalen Erfahrungswerten zur Digitalisierung“ versammelt. In Kapitel 6.6 beschäftigt sich Vanessa Skowronsky mit dem Thema „Avatare im Pflege- und Gesundheitswesen“. Basis der Verwendung von Avataren ist der Ansatz der Gamification bzw. Serious Games. Avatare sind dabei, in Abgrenzung zu sog. Agenten, als personalisierte, verkörperlichte Aliase der Spieler zu verstehen. Agenten stellen dagegen eher ein Gegenüber dar, das bspw. mit den Spielern kommuniziert oder sie anleitet. Der Nutzen von Avataren liegt u.a. in der visuellen Darstellung eines aktuellen oder möglichen, zukünftigen Gesundheitsstatus und setzt somit Impulse für Gesundheitsverhalten, adressiert also das Problem der Verhaltensänderung in Prävention und Gesundheitsförderung. Weiterhin geht die Autorin auf die Identifikation von Spielern mit ihrem Avatar und die daraus folgende Wechselwirkung zwischen Avatar und Spieler ein (Proteus-Effekt). Spielen Spieler einen Avatar, der von ihren eigenen körperlichen oder charakterlichen Merkmalen abweicht, kommt es zu einer Anpassung der Spieler an ihren Avatar. So gibt es Studien zum (positiven) Zusammenhang zwischen Avataren und gesünderer Ernährungsweise. In Bezug auf Agenten als NPCs (Non-Playable Characters) beschäftigt sich der Beitrag u.a. mit dem Aussehen der Agenten, das, kurz gesagt, möglichst positiv sein, also positive Assoziationen wecken sollte.
Im Kapitel 6.10 befasst sich Tabea Klausner mit „Palliative Care und Digitalisierung“. Zu Beginn wird die im Falle von Palliativpflege durchaus differente Hintergrundfolie gesetzt. Gemeint sind u.a. die professionelle Zuwendung im Sinne der konsequenten Ausrichtung an Wünschen und Bedürfnissen der Klienten, die Wahrung der Privatsphäre und das Gewähren des Sicherheitsgefühls der (vulnerablen) Klienten. Anwendungsbeispiele für Digitalisierung sind die Kommunikation mit und für unterschiedliche, an der Versorgung beteiligte Berufsgruppen (Telecare, Telenursing, Telekonsil). Telemonitoring kann die 24-Stunden-Überwachung von Vitalwerten ermöglichen. Ein App-basiertes Schmerztagebuch ermöglicht nicht nur die Erfassung der Schmerzsituation, sondern auch die Information der relevanten Berufsgruppen. Smart Living wird als Möglichkeit zur Verbesserung der Autonomie und ganz allgemein der Lebenssituation im häuslichen Setting beschrieben.
Diskussion
Die Auswahl der Beiträge ist nach Ansicht des Rezensenten gut gelungen. Als Punkt konstruktiver Kritik sei ein Aspekt erwähnt, der nach Ansicht des Rezensenten zu wenig berücksichtigt wird. In der Implementierung von Robotik in die Pflege weisen insbesondere Erfahrungen aus entsprechenden Forschungsprojekten darauf hin, dass Technik nicht im Sinne einer „Implantation“ in die Pflege implementiert werden kann. Zwingend verändert sich die Arbeitsweise der Pflege dadurch und tangiert dabei bspw. Selbstverständnisse professioneller Pflege und ganz konkret die Arbeitsweise der Pflegekräfte zum Beispiel in Bezug auf Interaktionsarbeit (vgl. bspw. Brünett et al. 2024). Ein Beitrag des Sammelbands widmet sich der Robotik und erwähnt diese Aspekte recht kurz. Auch lassen sich diese Aspekte nicht ohne Weiteres unter ethischer Perspektive angemessen erfassen. Zu guter Letzt beschränken sich diese Phänomene nicht nur auf die Robotik, sondern durchaus auf andere Anwendungsgebiete. Es kann freilich nicht erwartet werden, dass ein Sammelband exakt den Erwartungen eines Rezensenten entspricht. Für eine etwaige Überarbeitung sei dieser Aspekt dennoch dem Herausgeber ans Herz gelegt, da er aus Sicht des Rezensenten ebenso instruktiv für eine anwendungsorientierte Umsetzung von Digitalisierung in der Pflege ist, wie die anderen empfehlenswerten Perspektiven in diesem Band.
Fazit
Der Sammelband bietet einen Fokus auf das Gesundheits- und vor allem auch Pflegewesen, der nach Ansicht des Rezensenten als zentraler Verdienst zu sehen ist. Die Behandlung des Themas kann dabei nicht als „vollständig“ angesehen werden, was aber natürlich auch nicht erwartet werden kann. Die Schwerpunktsetzung ist aber relevant, ergiebig und nicht zuletzt äußerst interessant. Die Publikation bietet sowohl grundlegende Informationen als auch sehr konkretes Wissen in Bezug auf die Umsetzung digitaler Projekte.
Literatur
Brünett M, Gebert A, Albert S, Weidner F (2024): Einschätzungen und Begründungen von Pflege- und Gesundheitsfachpersonal zum Einsatz von Robotern in der Pflege im Krankenhaus. Pflege & Gesellschaft 29(1):86-99
Rezension von
Matthias Brünett
MSc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung (DIP), Köln
Website
Mailformular
Es gibt 12 Rezensionen von Matthias Brünett.