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Richard Hammer, Jörg Schröder et al.: Bewegung als Lernprinzip für Förderung und Unterricht

Rezensiert von Prof. Dr. Martin Giese, 22.03.2024

Cover Richard Hammer, Jörg Schröder et al.: Bewegung als Lernprinzip für Förderung und Unterricht ISBN 978-3-17-042377-0

Richard Hammer, Jörg Schröder, Michael Wendler: Bewegung als Lernprinzip für Förderung und Unterricht. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2024. 167 Seiten. ISBN 978-3-17-042377-0. 32,00 EUR.

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Thema

Indem in allen Schulformen, die zu vermittelnden Inhalte vor den Lehr-Lern-Situationen im Unterricht festgelegt sind, fehlen Räume und Zeiten für selbst entdeckendes Lernen ebenso wie Gelegenheiten einer reflexiven Selbstbegegnung mit dem Stoff. „Bewegung als Lernprinzip“ soll Kindern in Grundschulen Neugier, Freude und Lust am Lernen in Verbindung mit der je eigenen Sinnhaftigkeit des zu Erlernenden ermöglichen. Für die Fächer Deutsch, Mathematik und Sachkunde wird anhand vieler praktischer Beispiele „Bewegung als Lernprinzip“ als sinnstiftendes und wirksames Medium dargestellt, um Sachverhalte zu erschließen, Lösungen zu finden und kreativ weiterzuentwickeln. Damit ist auch die Fähigkeit verbunden, gemeinsam mit anderen Projekte zu gestalten sowie eigene Potenziale zu entfalten.

Autoren

Richard Hammer, Diplom-Motologe, ist Gymnasiallehrer und Dozent der »deutschen akademie aktionskreis psychomotorik (dakp)«

Jörg Schröder, Diplom-Motologe, ist freiberuflich als Dozent an der Universität Rostock, an der ev. Hochschule in Bochum RWL, an der Universität Köln sowie am Diakonischen Bildungszentrum Schwerin tätig

Michael Wendler ist Diplom Motologe und arbeitet als Professor für Bewegungspädagogik und Motopädagogik an der ev. Hochschule in Bochum RWL

Entstehungshintergrund

In der Grundschule lassen sich zwar seit über 30 Jahren Konzepte des „Bewegten Lernens“ finden, diese haben aber kaum flächendeckende Wirkung entfalten können. In einschlägigen Publikationen werden zwar zahlreiche Praxisbeispiele von Lernen in und durch Bewegung dargelegt, was fehlt, ist jedoch ein nachvollziehbarer Zusammenhang von Bewegen, Denken und Lernen in situativen Kontexten. „Bewegung als Lernprinzip“ ist ein Versuch, dieses Theorie-Praxis-Verhältnis auszuleuchten, zu begründen und für den Grundschulbereich anwendbar zu gestalten.

Aufbau

Das Buch besteht neben Einleitung und Ausblick aus drei inhaltlichen Hauptkapiteln, die sich mit der Bewegung als Voraussetzung für das Lernen (Kap. 2), dem Körper als Fundament des Lernens (Kap. 3) sowie theoriegeleiteten Praxisbeispielen für Unterricht und Förderung (Kap. 4) beschäftigen.

Inhalt

In Kap. 2 legen die Autoren zunächst ihr Verständnis von Bildung und Lernen dar. Sie gehen davon aus, dass nicht nur gesellschaftliche und naturwissenschaftliche Sachverhalte, sondern auch Potenziale zur Selbstbildung Ausgangspunkt kindlicher Bildungsprozesse sind. Bildung wird dabei als aktiver, reflexiver und handlungsbezogener Prozess der Auseinandersetzung der Schüler*innen mit ihrer gegenständlichen, sozialen und kulturellen Umwelt sowie mit sich selbst als eigenständige Person verstanden.

Daran knüpfen auch die Überlegungen zur körperlich-leiblichen Fundierung des Lernens in Kap. 3 an. So betonen die Autoren, dass es eines bewegten und sinnerschließenden Lernens über Bewegung und Körperlichkeit/​Leiblichkeit bedarf, um ein angemessenes Wahrnehmungsvermögen und entsprechende Bewegungsmuster zu entwickeln. In phänomenologischer Tradition differenzieren die Autoren die „Doppelseitigkeit“ des Leibs/Körpers: einerseits als erfahrender Leib, der sich zur Welt vermittelt; andererseits als Körper, der sich die Dinge der Natur instrumentell zunutze machen und dabei selbst als „Objekt“ naturwissenschaftlicher Analyse analysiert werden kann.

Den Hauptteil des Buches bildet Kap. 4, in dem Unterrichtsbeispiele diskutiert werden, wie Bewegung das Unterrichten in den Fächern Mathematik, Deutsch und Sachkunde konkret bereichern kann. So zeigen die Autoren beispielsweise in Kap. 4.2 beim Umgang mit Größenvorstellungen, geometrischen Formen, (Prä-)Numerik sowie Sachrechnen überzeugend, dass – analog zum Erlernen der Schriftsprache – auch bei der Aneignung pränumerischer Fähigkeiten psychomotorische Basiskompetenzen als Voraussetzung des Lernens zu verstehen sind. Dazu gehören u.a. die Körpersinne sowie räumliche Orientierungsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit, Gedächtnis und Lateralität sowie die Orientierung in der Zeit. Über das Spüren des eigenen Körpers, über körperliche Erfahrungen von Begrenzungen, von Kontakt und Widerstand entwickeln Kinder ihr Körperschema – Grundlage für die Entwicklung und Ausdifferenzierung der in der Mathematik relevanten Raumwahrnehmung und Raumvorstellung, die wiederum wesentliche Grundlage für das räumliche Denken ist.

Die konstruktive Theorie-Praxis-Verknüpfung wird neben der Arithmetik – um ein zweites Beispiel aufzuzeigen – auch anhand des Schriftspracherwerbs illustriert. Die spezifisch körperliche Seite des Schreiben-Lernens wird dem Kind in Form seiner Hände und Finger bewusst, ebenso, welche der beiden Hände funktional bevorzugt wird (Lateralisierung). Es lernt, wie es einen Stift halten und seine Körperglieder bewegen kann. Die damit verbundene Körperkoordination gilt als Vorstufe der Raumorientierung. Erst wenn sich Raumvorstellungen wie links-rechts, oben-unten, horizontal-vertikal, etc. entwickelt haben, kann ein Kind Buchstaben wir „b“ und „d“ auseinanderhalten. Zudem betonen die Autoren, dass die Raumorientierung für die Schreibrichtung und/oder die richtige Buchstabenabfolge innerhalb eines Wortes essenziell ist.

Diskussion

Insgesamt kommt dem Buch insofern eine wichtige Bedeutung zu, als es aus einer elaborierten theoretischen Perspektive heraus bewegungsorientierten Grundschulunterricht (neu) diskutiert und begründet. Gerade beim Übergang zu den Praxisbeispielen zeigen sich aber auch Kritikpunkte, wenn einzelne Zusammenhänge zwischen Praxis und intendierten Wirkungsversprechen bisweilen sehr schnell hergestellt bzw. postuliert und nicht immer überzeugend inhaltlich oder empirisch begründet werden. Gleichzeitig offenbart sich darin aber auch die besondere Stärke dieses Buchvorhabens, da sich der Band ausdrücklich darum bemüht, (auch) eine Praxisperspektive zu präsentieren, die in der Fachliteratur häufig vermieden wird, um unvermeidbaren Theorie-Praxisbrüchen zu entgehen. Das Buch schließt damit eine Lücke in Kontext der Beschäftigung mit Formen „Bewegten Lernens“. Bisherige Formate gehen im Wesentlichen davon aus, vorgefasste Lerninhalte in Form kindgemäßer Vermittlungsformen didaktisch aufzubereiten. Dies ist allerdings nur dadurch möglich, dass von vornherein Bewegung und Leib-Körpererfahrung als Basis der dabei entstehenden Bewegungs- und Handlungsmuster menschlicher Entwicklung sowie kognitiver Prozesse u.a. des Lernens fungieren.

Fazit

Das Buch zeigt eindrücklich, wie „Bewegung als Lernprinzip“ helfen kann, eigene Potenziale zu entdecken, gemeinschaftliche Aktivitäten zu entwickeln und damit auch ein Engagement für eine lösungsorientierte Verantwortung der vielfältigen aktuellen Problematiken entsteht. Indem Sprache, Mathematik und Sachverhalte bereits in der Grundschule auf ihre jeweiligen bewegten Ursprünge zurückgeführt werden und selbsterfahrene Bewegungs- und Handlungsmuster in enaktiven, ikonischen und symbolischen Aktivitäten wieder zum „Klingen“ gebracht werden, können Sachverhalte aller Art Neugier erzeugen und Anlass für Lernen und Erforschen geben.

Rezension von
Prof. Dr. Martin Giese
Professur an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg
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Es gibt 1 Rezension von Martin Giese.

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ISSN 2190-9245