Joanna Lisiak: Trauerrituale – in neuer Form verbunden
Rezensiert von Dr. Mechthild Herberhold, 27.03.2025

Joanna Lisiak: Trauerrituale – in neuer Form verbunden. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2024. 250 Seiten. ISBN 978-3-7495-0557-9. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR.
Thema und Entstehungshintergrund
Die vorliegenden 88 Rituale hat die Autorin in einer Situation eigener Trauer für sich selbst entwickelt und durchgeführt. Dabei hatte sie ein klares Interesse: „Nach einem persönlichen Verlust suchte ich Wege, um auf möglichst verschiedene Weisen in Verbindung mit meinem geliebten Menschen zu sein“ (11). Mit der Veröffentlichung lädt sie die Leser:innen ein, Rituale auszuprobieren, sie abzuwandeln oder eigene zu entwickeln, und dabei stets behutsam vorzugehen und dem eigenen inneren Spüren zu trauen.
Autorin
Joanna Lisiak wurde 1971 in Poznan/​Polen geboren und lebt seit 1981 in der Schweiz. Sie ist Schriftstellerin und Jazzsängerin, gibt als Dozentin ihr Wissen weiter und organisiert Literatur-/​Kulturveranstaltungen.
Aufbau und Inhalt
Zunächst erzählt Joanna Lisiak sehr persönlich, was ihr selbst Rituale bedeuten (11-16), und sie erläutert auf einer allgemeinen Ebene, was das Besondere an Ritualen ist (17-19). Darüber hinaus hat sie einige Grundlagen zum örtlichen und zeitlichen Rahmen, zur Atmosphäre, zur Vorbereitung und zur konkreten Einstimmung zusammengestellt, die im Vorfeld aller Rituale hilfreich sind („Bevor es losgeht“, 21–25), zum Beispiel, einen bewussten Beginn und einen bewussten Abschluss zu setzen. Viele Rituale richten sich vom Umfang her nach der Person, die sie durchführt. „Wo es möglich ist, gebe ich an, wie viel Zeit du in etwa für ein Ritual benötigst. Oft liegt es aber an dir selbst, wie intensiv du es durchführen möchtest“ (22).
Die Trauerrituale sind gruppiert, was eine erste Orientierung in der umfangreichen Sammlung ermöglicht. Zu jedem Ritual erläutert Joanna Lisiak zunächst die Grundidee und dann den Ablauf.
In der ersten Gruppe stellt sie „Rituale in der Natur“ (29-53) zusammen, so zum Beispiel mit Bäumen, mit Wolken, in der Dämmerung oder im Herbst. Als „Rituale im Kleinformat“ (55-80) schlägt sie etwa vor, ein Musikstück zu hören, zu jeder vollen Stunde eine Kerze anzuzünden oder schweigend zu gedenken. Bei den „Ritualen, die nach innen gehen“ (81-106) finden sich eine Mini-Lächel-Meditation, Verhandlungen mit der Traurigkeit oder Tätowierungen. Bedauern, Vergeben und Verzeihen werden bei den „Ritualen, die in die Tiefe gehen“ (107-154) thematisiert. Die Präsenz der verstorbenen Person spielt durchgehend eine große Rolle, und sie wird bei den „Ritualen zur Stärkung der Erinnerung und des Nicht-Vergessens“ (155-182) besonders spürbar. Als „Rituale, die einfach umzusetzen sind“ (183-199) schlägt die Autorin unter anderem vor, ein zusätzliches Gedeck auf den Tisch zu stellen oder am Grab auf die verstorbene Person anzustoßen. Die „Rituale, die über das rein Physische hinausgehen“ (201-238), ermutigen, mit der verstorbenen Person im Gespräch zu bleiben, auch bei physischer Abwesenheit mit ihr gemeinsam etwas zu unternehmen und sie in die eigenen Träume einzuladen. Schließlich bietet Joanna Lisiak „Noch ein paar besondere Rituale und Übungen für mich selbst“ (239-264) an, in denen sie Affirmationen zusammengestellt hat und vorschlägt, wie man die Verbindung mit der geliebten Person intensivieren kann.
Am Ende des Buches bieten mehrere Seiten Platz für eigene Notizen. Die Printausgabe enthält einen Code, um das Buch als E-Book herunterzuladen.
Diskussion
Die Autorin teilt private, individuelle Rituale aus ihrer eigenen Erfahrung. Sie richtet sich an Menschen, die ihrerseits in Trauersituationen Ähnliches ausprobieren und durchführen möchten. Lisiaks Grundannahme, dass die Verbindung auch nach dem Tod erhalten bleibt und dass Trauernde selbst diese Verbindung stärken können, entspricht dem aktuellen Verständnis in Trauerforschung und -begleitung, etwa bei Dennis Klass oder Roland Kachler. Dabei nimmt sie nicht explizit Bezug auf Forschungen oder andere Veröffentlichungen. Es geht ihr um die Praxis und nicht um einen theoretischen Hintergrund, entsprechend gibt es weder Anmerkungen noch weiterführende Literatur.
Das Wort „Tod“ findet sie problematisch und dementsprechend kommt es im Buch praktisch nicht vor, auch von „Verstorbenen“ spricht sie kaum. Der Tod ist für sie lediglich eine Veränderung in physischer Hinsicht; ihre bevorzugten Formulierungen sind die „geliebte Person“ oder der „geliebte Mensch“, die „physisch nicht mehr da“ sind. Wenn bei Leser:innen die Beziehung und Verbundenheit zu einem Verstorbenen sehr innig ist, holt Lisiak sie damit ab. Nicht ganz einfach zu lesen scheint es mir für Menschen, die mit dem Verstorbenen zwar verbunden und deshalb an einem Ritual interessiert sind, die aber das Wort „Liebe“ nicht verwenden würden.
Über ihren eigenen weltanschaulichen Hintergrund verrät die Autorin ansonsten wenig. Sie erwähnt christliche Feiertage ebenso wie buddhistische Klangschalen, sie schreibt „Ich bete für dich“ (260) und eines der Rituale heißt „Ein Herzgebet für dich“ (nicht zu verwechseln mit dem Herzensgebet aus der christlichen Tradition); im Übrigen spricht sie sonst nicht von Gott. Insofern sind die Rituale säkular und gleichzeitig durchaus offen für Menschen mit verschiedenen Weltanschauungen, Lisiak versteht sie sogar explizit als „offen gegenüber denjenigen, die eher skeptisch sind und die Wirkung von Ritualen infrage stellen.“ (26)
Die Rituale sind unterschiedlich komplex, brauchen entsprechend viel oder wenig Vorlauf, sie finden an verschiedenen Orten statt und können in unterschiedlichen Zeitfenstern umgesetzt werden. Bei manchen Ritualen können vertraute Personen mit teilnehmen. Immer wieder ermutigt die Autorin, eigene Formen zu entwickeln und auf sich selbst zu hören.
Joanna Lisiak ist eine Frau des Wortes, die Rituale sind im Fließtext verfasst. Bedauerlicherweise enthält das Buch keine Bilder, die die Leser:innen zusätzlich inspirieren könnten; eine Ausnahme bilden drei Skizzen zu einem der Rituale. Es braucht also etwas Zeit und Aufmerksamkeit, um sich mit einem Ritual vertraut zu machen. Für Tage, an denen Trauernde sich nicht konzentrieren können, ist es daher eher nicht geeignet. Im Laufe der Monate und Jahre eines Trauerprozesses jedoch, kann das Buch immer wieder hilfreiche Anregungen für die Gestaltung von Ritualen bieten.
Fazit
Als Sammlung von Ritualen für andere Trauernde ist das Buch nicht zum Durcharbeiten gedacht, sondern eher als Fundgrube für verschiedene Situationen, Stimmungen und Bedürfnisse im Verlauf von Trauerprozessen konzipiert. Die Überschriften im Inhaltsverzeichnis geben eine erste Möglichkeit, ein Ritual auszuwählen und sich weiter inspirieren lassen. Auch Menschen, die Trauernde begleiten, dürften in dieser Sammlung Anregungen finden.
Rezension von
Dr. Mechthild Herberhold
Ethik konkret, Altena (Westf.).
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