Anna Hallerbach: Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing
Rezensiert von Prof. Dr. Katharina Kitze, 31.12.2024
Anna Hallerbach: Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing. Systemische Interpretationen.
Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2023.
285 Seiten.
ISBN 978-3-8497-9068-4.
D: 29,95 EUR,
A: 30,80 EUR.
Reihe: Systemische Forschung im Carl-Auer Verlag. Systemische Pädagogik.
Thema
Über das Thema Mobbing entstehen seit Jahren viele fachliche Publikationen, die meist die Bearbeitung des Phänomens im schulischen oder beruflichen Kontext fokussieren. Die Dissertation von Anna Hallerbach hingegen richtet den Blick bei der Betrachtung von Mobbing auf das System Familie. Es werden innerfamiliäre Sinngebungen und die familiäre Verarbeitung von Mobbingerfahrungen untersucht sowie intergenerationelle Muster herausgearbeitet.
Autorin
Als studierte Sozialarbeiterin, Erziehungswissenschaftlerin und ausgebildete systemische Beraterin und Therapeutin nimmt Anna Hallerbach eine systemische und innerfamiliäre Sichtweise auf das Thema Mobbing ein.
Aufbau und Inhalt
In der Einleitung führt Anna Hallerbach das Gleichnis eines Mobiles ein, um die Wechselwirkungen der Personen im System Familie zu veranschaulichen. Daraus entsteht die forschungsleitende Frage nach möglichen familiären Mustern in Umgang mit Mobbingerfahrungen eines Familienmitglieds.
Im Kapitel zum Forschungsstand über das Thema Mobbing führt die Autorin kurz in die Geschichte des Begriffs ein, um dann die aktuelle Datenlage aus dem 15. Kinder- und Jugendbericht (2017), der Studie „Net Children Go Mobile“ (2014), der Teilstudie „Wo der Spaß aufhört“ (2012), der JIM-Studie (2016), der HBSC-Studie (2013/14) sowie der Folgestudie Cyberlife II (2017) zusammenzuführen. Es wird deutlich, dass Mobbing in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen sehr präsent ist. Zudem ist das Phänomen von starker subjektiver Relevanz für die Betroffenen und wird daher als hohe Belastung erlebt. Studien mit Bezug zu intergenerationellen Mustern werden nicht gefunden, obwohl es in den bisherigen Ergebnissen effektive Hinweise darauf gibt, dass die Familie – insbesondere die Eltern – im Mobbinggeschehen wichtig für dessen Verarbeitung ist.
Anschließend werden neben der klassischen Definition von Mobbing nach Heinz Leymann auch die Begriffsbestimmungen im Schulkontext und in der virtuellen Welt diskutiert und kritisch hinterfragt. Anna Hallerbach setzt den eigenen Schwerpunkt in der Definition von Mobbing auf zwei Fundamente: Von Mobbing kann dann gesprochen werden, wenn es eine Machtungleichheit zwischen Tätern und Opfern gibt und dies in einem Ohnmachtsgefühl des Opfers mündet. Das Mobbinggeschehen besteht aus einerseits regelmäßigen und andererseits systematischen, destruktiven Handlungen gegenüber dem Opfer.
Den theoretischen Rahmen setzt die Autorin mit der Erläuterung der systemischen Haltung. Es geht hier demnach um die in den betroffenen Familien stattfindende, kollektive Konstruktion von Wirklichkeit und damit der Beziehungswelt innerhalb von Familien sowie die gleichzeitige Abgrenzung von anderen Familien. Über Generationen werden dadurch Kommunikations- und Verhaltensmuster weitergegeben. In jedem Familiensystem streben die Mitglieder ein Gleichgewicht der Muster an und müssen deshalb ständig auf Veränderungen durch außen reagieren. Aus dem systemischen Blick heraus sind Probleme in Familien gemeinsam erzeugte Leistungen und können entsprechend auch nur gemeinsam bearbeitet werden.
Mithilfe von narrativen Interviews, Genogrammarbeit sowie teilnehmender Beobachtung untersucht die Autorin mehrere Generationen in drei Familiensystemen. Sehr sorgfältig und perspektivreich werden die Ergebnisse präsentiert. Zusammengefasst ergeben sich drei systemisch gepflegte intergenerationelle Muster, die Einfluss auf die Mobbingbearbeitung in Familien haben. In allen drei untersuchten Familiensystemen zeigte sich über mehrere Generationen das Erleben von Anderssein bzw. ausgeschlossen zu sein von anderen Systemen. In zwei der Familiensystemen ergaben sich weitergegebene instabile Beziehungen. Dadurch dass die Familien gleichzeitig in sich geschlossen agieren, also keine Veränderung gewünscht wird, kann das Phänomen Mobbing demnach innerhalb der Familie nicht positiv verarbeitet werden. Im Gegensatz dazu zeigte eine der Familien eine kongruente, offene Kommunikation. Dieses System schaffte es somit, eine familiäre Widerstandsfähigkeit zu entwickeln und positiv auf die Verarbeitung von Mobbingerfahrungen einzuwirken.
Schließlich kommt Anna Hallerbach auf das eingangs dargestellte Bild des Mobiles zurück, welches die unsichtbaren Verbindungen und auch Schwingungen in Familien verbildlichen. Die logischen Schlussfolgerungen aus der Untersuchung liegen demnach darin, dass familiäre Kommunikations- und Verhaltensmuster einen starken Einfluss auf die Verarbeitung von Mobbinggeschehnissen hat. Die Ergebnisse aus den großen Studien zum Thema werden bestätigt. Die Autorin empfiehlt, in der Beratung der von Mobbing betroffenen Familien eine offenere Systemstruktur anzustreben und gibt Hinweise auf dafür nutzbare Konzepte und Techniken.
Diskussion
Die Autorin hat es geschafft, die bisher in der Fachliteratur ungenügend eingenommene Perspektive der Familiensysteme und intergenerationeller Muster in der Mobbingverarbeitung zu untersuchen. Obgleich die hier aufgestellten Thesen sehr mutig formuliert wurden und die Untersuchung von drei Familien keine Verallgemeinerung zulässt, trägt die Arbeit sehr zum Verständnis von Kommunikation in Familien und den Auswirkungen auf den Umgang mit problematischen Situationen bei. Daher nützt dieses Buch allen, die sich beruflich – oder gern auch privat – intensiver mit der Analyse von Kommunikation und Verhalten in Familien beschäftigen. Die Handlungsempfehlungen am Ende des Buches können allerdings nur erste Anregungen zur praktischen Umsetzung von Veränderung von festgefahrenen Mustern geben, da sie (noch) nicht systematisch durchdacht und in die Beratung von Mobbing eingebettet wurden.
Das Buch ist – entsprechend dem wissenschaftlichen Arbeiten – übersichtlich gestaltet mit einer guten Gliederung, deutlicher Kennzeichnung von Interviewtexten, Genogrammen und Schaubildern zu theoretischen Erläuterungen.
Fazit
Anna Hallerbach gelingt mit ihrer Dissertation, die Verarbeitung von Mobbinggeschehnissen in Familiensystemen zu analysieren. In der Beratung betroffener Familien können die hier offen gelegten intergenerationelle Kommunikations- und Verhaltensmuster eruiert und entsprechend bearbeitet werden.
Rezension von
Prof. Dr. Katharina Kitze
Professur für psychosoziale Gesundheit
und psychosoziale Versorgung im Lebenslauf, Hochschule Magdeburg-Stendal
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Es gibt 3 Rezensionen von Katharina Kitze.
Zitiervorschlag
Katharina Kitze. Rezension vom 31.12.2024 zu:
Anna Hallerbach: Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing. Systemische Interpretationen. Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2023.
ISBN 978-3-8497-9068-4.
Reihe: Systemische Forschung im Carl-Auer Verlag. Systemische Pädagogik.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31851.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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