Andreas Kollar: Einführung in Brainspotting
Rezensiert von Alexander Korittko, 19.06.2024

Andreas Kollar: Einführung in Brainspotting.
Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2024.
128 Seiten.
ISBN 978-3-8497-0521-3.
D: 18,95 EUR,
A: 19,50 EUR.
Reihe: Carl-Auer Compact.
Thema
Genau genommen sagt der Titel des Büchleins alles. Der Autor stellt im Wesentlichen die von David Grand vor 20 Jahren in den USA entwickelte psychotherapeutische Methode des Brainspotting dar, einer Methode, die mit der körperlichen Wahrnehmung von Emotionen und einer Veränderung von Blickrichtungen arbeitet.
Autor
Andreas Kollar leitet als klinischer Psychologe das Kompetenzfokus Institut in Wien, ist Lehrtrainer für Klinische Hypnose und Vorstandsmitglied der European Society of Hypnosis (ESH), er führt international Seminare für unterschiedliche Berufsgruppen durch.
Entstehungshintergrund
Im deutschsprachigen Raum haben bereits seit einigen Jahren andere Autoren die Methode des Brainspotting ausführlich beschrieben, unter anderen Gerhard Wolfrum, der ein Lehrbuch (2020) und Trainings-Manuale (2023) veröffentlicht hat. Andreas Kollar kann für sich in Anspruch nehmen, als erster in einer Kurzfassung eine gut strukturierte Einführung in das Brainspotting vorgelegt zu haben.
Aufbau
Das Büchlein ist in folgende Abschnitte unterteilt:
- Zur Geschichte des Brainspotting (5 Seiten)
- Was ist Brainspotting? (8 Seiten)
- Der therapeutische Rahmen des Brainspotting (21 Seiten)
- Die relevante Augenposition als „neurobiologischer Gamechanger“? (15)
- Die Vorgehensweise im Brainspotting (41)
- Brainspotting auf dem Prüfstand (15)
Inhalt
Im ersten Kapitel beschreibt der Autor, welchen therapeutischen Weg David Grand ging, bevor er die Methode des Brainspotting entwickelte. Grand war in seiner psychoanalytischen Ausbildung von der Methode der freien Assoziation fasziniert, lernte EMDR (eine Behandlungsform von Traumata durch angeleitete bilaterale Augenbewegungen) und lernte von Peter Levine den starken Einbezug des Körpers beim Somatic Experiencing (SE), einer weiteren Methode der Psychotraumatologie. In einer Kombination unterschiedlicher Elemente verhalf er einer Eiskunstläuferin bei der Überwindung von Versagensängsten, welche er zunächst „Natural Flow EMDR“ nannte, wobei er die Augenbewegungen an einem Schlüsselpunkt stoppte.
Im zweiten Kapitel setzt sich Andreas Kollar mit den Prinzipien des Brainspotting auseinander. Es wird davon ausgegangen, dass der Körper ständig mit Selbstregulationsprozessen beschäftigt ist und dass die höheren Ebenen des Gehirns des Neokortex Sinneswahrnehmungen benötigen, um etwas zu verarbeiten. Eine Überschwemmung des Körpers von Stresshormonen führe zu einer Dysregulation. Für die Verarbeitung von Traumata und von Symptomen sei es demzufolge erforderlich, als Ausgangspunkt den Signalen des Körpers zu folgen (bottom-up), anstelle zur Behebung von Blockaden mit kognitiven Prozessen des Neokortex zu beginnen. Die Blickrichtung sei dabei ein Spiegel von subkortikalen Prozessen.
Kapitel drei ist dem therapeutischen Rahmen der Traumatherapiemethode von Brainspotting gewidmet. Es werden unterschiedliche Aspekte des so genannten neuroexperienziellen Modells erörtert: das von Klient:innen mitgebrachte Thema, welches eher Reaktionsmuster denn Symptom genannt werden sollte; das Unsicherheitsprinzip, welches sich daraus ergibt, dass der Prozess der internen Regulation des Menschen in einer neurobiologischen Komplexität geschieht; eine zweifache Rahmung, die einerseits die Verbundenheit zwischen Therapeut:innen und Klient:innen und andererseits den Prozess zwischen Augen, Körper und Gehirn im therapeutischen Geschehen betrifft. Brainspotting dient dabei der Beziehungsgestaltung: „Der Klient führt, der Therapeut folgt.“ (S. 43) Hierbei sollen körperliche Prozesse intensiv beachtet und die damit einhergehende Blickrichtung (Brainspot) wahrgenommen werden. „Im Brainspotting geht es also darum, das Gehirn und das Nervensystem von Klient:innen zu unterstützen, sich selbst zu regulieren und wieder ins Gleichgewicht zu bringen, indem die Aufmerksamkeit gezielt auf bestimmte Aktivierungspunkte (Brainspots) im Gehirn gelenkt wird.“ (s. 42)
Das vierte Kapitel beschreibt die Bedeutung der Augenposition bei der Bearbeitung belastender Lebensereignisse und wie mithilfe eines Zeigestabes Klient:innen dabei unterstützt werden können, die für sie passenden relevanten Augenpositionen zu finden. Eine Reihe von alternativen Techniken wird angedeutet, so auch Brainspotting mit zur Hälfte abgedunkelten Brillen.
Kapitel 5 widmet sich der Vorgehensweise beim Brainspotting, die in einem Ablauf von Schritten beschrieben wird:
- Schritt 1: die Einstiegsfrage „Woran möchten Sie heute arbeiten?“
- Schritt 2: „Sind Sie bezüglich des Themas aktiviert? Ist die Belastung spürbar?“
- Schritt 3: „Auf einer Skala von 0 bis 10, wie stark spüren Sie die Belastung?“
- Schritt 4: „Wo spüren Sie die Belastung jetzt im Körper?“
- Schritt 5: Finden der relevanten Augenposition
- Schritt 6: Einladung zum fokussiert-achtsamen Verarbeiten. Klient:innen lassen in ihrem Körper passieren, was passieren will, sprechen darüber oder auch nicht. Therapeut:innen hören aufmerksam und konzentriert zu und spiegeln hin und wider, ohne etwas hinzuzufügen oder etwas auszulassen. Zusätzlich sollten sie große oder minimale Signale des Körpers beobachten.
- Schritt 7: Zurück zum Ausgangsthema (Bilanzierung)
- Schritt 8: Auspressen der Zitrone (Gedanken oder Gefühle oder etwas anderes, was bei der Refokussierung auf das Thema noch auftaucht.)
- Schritt 9: Einladung des Neokortex: „Was nehmen Sie aus dieser Sitzung mit?“
Zusätzlich wird im Anschluss eine Reihe von Interventionsprinzipien dargestellt, sowie die von Grand vermutete Gefahr der limbischen Gegenübertragung, einer Reaktion von Körper zu Körper.
Im sechsten Kapitel wird die Wirksamkeit von Brainspotting dargestellt, – wobei eine geringe Anzahl von Studien bemängelt wird – sowie Indikation und Kontraindikation. Anschließend wird diese Methode vergleichend neben andere Methoden in der Traumatherapie gestellt, die Ähnlichkeiten und Unterschiede vor allem zwischen EMDR und Brainspotting werden dabei fokussiert.
Diskussion
Das kleine Büchlein aus der Reihe „Einführungen“ wird seinem Titel gerecht. An einigen Stellen wird sehr viel ausführlicher beschrieben, wie Brainspotting angewandt wird. Verständlich wird die Methode durch zahlreiche Praxisbeispiele, wobei leicht verwirrt, wenn Andreas Kollar bei seinen Praxisbeschreibungen betont, dass er diese Methode nicht in „Reinform“ verwendet. Doch hierdurch wird andererseits verständlich, dass Brainspotting, was ja von David Grand als Gegenentwurf zu allzu strukturierten Verfahren entwickelt wurde, auch als Methode für zahlreiche Varianten offen ist. Wer allerdings Brainspotting lernen und anwenden will, sollte sich eher an der Original-Literatur von Grand oder von Gerhard Wolfrum orientieren, bzw. entsprechende Weiterbildungen absolvieren. Diese beiden Autoren werden in dieser Einführung ohnehin (fast zu) häufig zitiert. Ein geringes Manko dieses Büchleins soll nicht verschwiegen werden: Die Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung kommt scheinbar nicht ohne eine Vielzahl von englisch/​amerikanischen Vokabeln aus, was für Lesende, die in dieser Sprache nicht gut „zu Hause“ sind, eine gewisse Hürde zum Verständnis des Textes darstellen kann.
Fazit
Eine gute Einführung in die Methode des Brainspotting, angereichert mit praktischen Beispielen und Zitaten des Entwicklers David Grand. Obwohl die Anwendung dieser Traumaverarbeitungsmethode differenziert beschrieben wird, kann dieses Büchlein keine Alternative zu Lehrbüchern oder Weiterbildungskursen darstellen.
Rezension von
Alexander Korittko
Dipl. Sozialarbeiter, Systemischer Lehrtherapeut, Autor von zahlreichen Zeitschriftenartikeln zum Trauma-Thema und vier Fachbüchern.
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