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Klaus Obermeyer, Harald Pühl: Beratung als Kunst?

Rezensiert von Prof. Dr. Alfred Janes, 08.08.2024

Cover Klaus Obermeyer, Harald Pühl: Beratung als Kunst? ISBN 978-3-8379-3286-7

Klaus Obermeyer, Harald Pühl: Beratung als Kunst? Kreative Spielräume in Supervision, Coaching und Organisationsberatung. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2024. 220 Seiten. ISBN 978-3-8379-3286-7. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.
Reihe: Therapie & Beratung.

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Thema

Der unter der Herausgeberschaft der beiden genannten Autoren im Psychosozialverlag erschienene Sammelband verfolgt zwei inhaltliche Zielsetzungen. Einmal geht es darum, durch Herstellung einer Beziehung zwischen Kunstschaffen und Beratung einen begrifflichen/​theoretischen Rahmen zur Verfügung zu stellen, der hilfreich sein soll, die theoretische und praktische Entwicklung von Beratung voranzutreiben. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Bereitstellen von Berichten kunstaffiner Mitglieder der genannten Berufsgruppen, sowie von Mitgliedern dieser Berufsgruppen, die selbst auch als Kunstschaffende tätig sind und auf den inhaltlichen Fokus des vorliegenden Buches Bezug nehmen. 

Herausgeber:innen und Autor:innen

Fritz Böhle ist Professor an der Universität Augsburg und am Institut für sozialwissenschaftliche Forschung e.V. München. Antje Boijens ist im (Un-)Ruhestand, war vormals Führungskräftetrainerin, Teamentwicklerin, Konfliktmoderatorin und Coach, derzeit Senior Beraterin und Lehrende für weltanschaulich neutrale Mediation, Frankfurt a. M. Marie-Kristin Kaschig, ist Business Coach und Systemische Supervisorin, unter dem Künstlernamen Marie Ulbricht, Schauspielerin, Berlin. Petra Krings, Dr.j uris. ist Organisationsberaterin und Führungskräfte-Coach, Berlin Manuela Meier, Mag.a, Dipl, oec. troph., ist selbstständige Supervisorin und Coach, Wien. Katharina Müller, Dipl.-Orchestermusikerin, Mediatorin, Coach in eigener Praxis, Weimar. Klaus Obermayer ist selbstständiger Supervisor, Coach und Mediator, Leiter des Triangel-Instituts, Berlin. Harald Pühl ist selbstständiger Supervisor, Coach und Mediator, Leiter des Triangel-Instituts, Hamburg. Anusheh Rafi, Prof. Dr., ist Professor für bürgerliches Recht an der Evangelischen Hochschule Berlin, selbstständiger Mentor und Coach, Berlin. Jochen Reich, Jazz-Schlagzeuger (B.A.), freiberuflicher kunstanaloger Coach (M.A.), Supervisor und Mediator. Hamburg. Inge-Marlen Ropers ist selbstständige Supervisorin, Coach und Psychodramaleiterin. Cuxhaven. Anne Schreiber ist Meisterschülerin UdK Berlin, Dipl.-Soz.Arb., freischaffende Bildende Künstlerin und freiberufliche Supervisorin, Berlin. Lara Schulze ist Profi-Schachspielerin und -trainerin, Studentin der Wirtschaftspsychologie an der SRH Mobile University. Lehrte bei Hannover. Katrin Thorun-Brennan, Dipl.-Psychologin, ist Supervisorin und Coach in freier Praxis, Berlin.

Entstehungshintergrund

Die beiden Herausgeber Klaus Obermayer (Leiter Triangel Institut Hamburg) und Harald Pühl (Leiter Triangel Institut Berlin) verweisen diesbezüglich auf zwei durch ihre Institute ausgerichtete Fachtagungen (2014: „Die innere Arbeit der Berater“ und 2017: „Übergänge in Beruf und Organisationen. Angst und Kreativität auf dem Weg ins Offene“). Als eine der sich daraus ergebenden Folgen entwickelte sich ein „Intuitives Angesprochen Sein“ der beiden Herausgeber durch die „Kunstmetapher“ im Zusammenhang mit „arbeitsbezogener Beratung“. Konkretes Ergebnis war die 2022 ausgerichtete: Triangel-Fachtagung: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Beratung als Kunst und Kunst in der Beratung. Auch wenn das vorliegende Buch keinen expliziten Hinweis auf den Zusammenhang mit dieser Veranstaltung ausweist, handelt es sich wohl um einen daraus erstellten Tagungsband.

Aufbau

Insgesamt 15 Einzelbeiträge mit jeweils ausgewiesener Autorenschaft sind folgenden vier Themenbereichen zugeordnet: Einstimmung, Verhältnis von Kunst, Ästhetik und Beratung Grenzerkundungen in der Praxis Nachklang

Inhalt

Themenbereich Einstimmung

Klaus Obermayer und Harald Pühl versuchen hier, sozusagen als Basis für die Beantwortung der im Buchtitel formulierten Frage, den Kunstbegriff zu fassen, um professionelles Kunstschaffen und arbeitsbezogene Beratung in Beziehung setzen zu können. Das Ergebnis dieser Suche wird auf Basis von Spannungsfeldern zwischen nicht übereinstimmenden prominenten theoretischen Positionen strukturiert und dargestellt. So etwa Rene Descartes (1596 – 1650): Ich denke also bin ich versus Giambattista Vico (1668 – 1744): Der Mensch durchdringt die Sachverhalte der Welt, indem er sie nicht versteht. Denn nur wenn er sie nicht versteht, handelt er aus sich heraus und wird zur Welt, indem er sich dichtend in sie verwandelt. Oder: Kurt Ludewig (einer der Gründungsgestalten der systemischen Szene in der BRD, hat 1983 vorgeschlagen: Beratung möge sich an den Gütekriterien Nutzen, Respekt und Schönheit orientieren (K. Ludewig 1988) versus Theodor Adorno, nachdem auch heute noch vor der Schimäre zu warnen sei: „durch ästhetische Veranstaltungen, durch die Wiederherstellung unversehrter sinnlicher Anschauungen dem verödeten Leben metaphysischen Sinn einzublasen(Adorno, 2020).“

Themenbereich Verhältnis von Kunst, Ästhetik und Beratung

In diesem Themenbereich nehmen die Autor:innen, entsprechend ihrer jeweiligen unterschiedlichen professionellen Orientierungen und Erfahrungen auf den Buchtitel Bezug und formulieren entsprechend unterschiedliche Überlegungen, Hinweise und Beiträge. Der Soziologe Fritz Böhle greift den insbesondere in der Musik geläufigen Begriff Improvisation auf und beschreibt den zunehmenden Stellenwert des damit verbundenen – von ihm differenziert beschriebenen – Zusammenspiels aus einem Orientierung gebenden Rahmen und den in diesem Rahmen verfügbaren Freiheitsgraden für ein subjektives Handeln in Arbeitsprozessen. Seines Erachtens kommt diesem „subjektivierenden Handeln“ im Kontext von Organisationsentwicklung und -beratung eine erhebliche Bedeutung zu. Klaus Obermayer bezieht sich auf die Anwendung von Metaphern in seiner Arbeit als Coach und entwickelt 10 Thesen, mit denen er in der Folge die Anwendung der Kunstmetapher in der arbeitsbezogenen Beratung mit originärem Kunstschaffen in Beziehung setzt. Die freischaffende Bildende Künstlerin und freiberufliche Supervisorin Anne Schreiber arbeitet in einem tiefgreifenden Dialog mit sich selbst und mit von ihr genannten Autoren eine fundamentale Differenz zwischen Kunstschaffen und Team-Supervision heraus. Während sich die Künstlerin in einem dyadischen Prozess mit ihrem Werk verschränke, bleibe der Arbeitsprozess der Teamsupervisorin geprägt durch die Triade: Selbstreflexion – das Team als inneres Objekt – meine Beziehung zum Team. Manuela Meier formuliert als Kern erfolgreichen supervisorischen Schaffens in Organisationen die Notwendigkeit, die wirkenden gesellschafts- und organisationen-bezogenen Dynamiken zu verstehen denen „ihre“ Supervisand:innen ausgesetzt sind. Als Bild zur Konkretisierung solcher – aktuell notwendigerweise zu verstehenden – Dynamiken nimmt sie Bezug auf die gesellschaftstheoretische Denkfigur des „homo performances“ (Reckwitz, 2004), geprägt durch „sinnlich-emotionale Affiziertheit“ und ein positives Konnotieren des Neuen als Quelle des Erlebens. Im nächsten Kapitel greifen Petra Krings und Marie-Kristin Kaschig den vom Soziologen Hartmut Rosa formulierten gesellschaftstheoretischen Befund einer zunehmenden Entfremdung – beziehungslose Beziehung - zwischen Subjekt und Welt auf und gehen mit Blick auf den Erfahrungshintergrund des Schauspielhandwerks (Marie-Kristin Kaschig) der Frage nach, was sich daraus mit Blick auf die professionelle Beziehung zwischen Coach und Coachee an Schlussfolgerungen ergibt. Die Autorinnen empfehlen dabei dem Coach:

  • aus einem instrumentell, empathisch-zugewandten, systemischen Agieren herauszutreten;
  • eine Arbeitsbeziehung aufzubauen, die durch persönliche Resonanz und dem daraus entstehenden Risiko rationaler Unverfügbarkeit geprägt ist;
  • und in dieser Arbeitsbeziehung sich bei der Gestaltung des Coaching-Prozesses auf einen Balanceakt zwischen Wissen und Nichtwissen einzulassen.

Im letzten Beitrag zu diesem Themenbereich: Zum Verhältnis von Kunst, Ästhetik und Beratung untersuchen Anusheh Rafi und Lara Schulz den Stellenwert von Intuition in der professionellen Prozessberatung. Sie postulieren zu Beginn, eine Berufung auf ein besonderes Fachwissen, auf besonderes Talent, auf eine besondere Erfahrung sei nicht ausreichend für eine gute Arbeit. In einem ausführlichen Ausflug in die Welt des Schachspiels fassen sie zusammen, dass die im Schachspiel als wichtig erkannte Intuition nicht alleine auf dem natürlichen Talent/Ingenium beruhe, sondern über Übung und Erfahrung antrainiert werde. In der Überführung dieses Befundes in die „Welt der Prozessberatung“ fassen sie zusammen:

  • dass jeder Intuition ein Moment des Ingeniums (Talents) innewohne,
  • dass Intuition trotzdem der Übung/Erfahrung sowie der Fachkenntnis bedürfe, um professionell zu sein. Das gelte in der Prozessberatung ebenso wie im Schach.

Themenbereich Grenzerkundungen in der Praxis

In sechs Aufsätzen wiederum unterschiedlicher Autor:innen werden hier Beispiele des Einsatzes kunstaffiner, analoger Instrumente im Kontext von Coachings und Supervisionen berichtet. Die Psychodramaleiterin, Coach und Supervisorin Inge-Marlen Ropers schildert ihre Überlegungen zu „psychodramatisch, szenisch-kreativer Arbeit mit Bildern“ in Supervision und Coaching und erläutert ihr diesbezüglich konkretes, prozesshaftes, Vorgehen anhand eines Fallbeispiels Antje Boijens schildert den Einsatz des Mediums „achtsames Fotografieren“ im Zusammenhang mit einem von ihr geleiteten Workshop zum Thema „Zusammenarbeit“. Katrin Thorum-Brennan, Supervisorin und Coach, befasst sich mit dem physischen Charakter und dem Herrichten ihres Beratungsraumes. Die theoretischen Grundlagen dazu entnimmt sie Texten des südafrikanischen Künstlers William Kentridge zu dessen Verständnis seines Ateliers als einem physischen und metaphorischen Raum (Kentridge 2017, 2018). Johann Reich, schreibt in seinem Beitrag zu kunstanalogem Coaching. Nach einer Einführung „Was sind Merkmale künstlerischen Handelns?“ stellt er seine Architektur einer kunstanalogen Coachingsitzung vor, deren konkrete Anwendung er in der Folge anhand eines Fallbeispiels aus seiner Coachingpraxis erläutert. Katharina Müller (auch Orchestermusikerin) beginnt ihren Text mit: „Im Betrachten dieser, meiner Geige höre ich in meinem Inneren ihren Klang. Das, was diesem Instrument eigen ist.“ In einer Übertragung der Metapher des Hineinhörens in das Innere eines Raumes, einer Beratungssituation, eines Beratungskontextes, assoziiert die Autorin zur Qualität eines auf Lösung verzichtenden „Lauschens: In diesem weitenden, lauschenden Sinne gestalte sich in einem Beratungsprozess ein Pausenraum zum Alltag.“

Nachklang

In einem abschließenden Dialog räsonieren Anne Schreiber und Klaus Obermayer, ob anhand der Inhalte der Textsammlung die titelgebende Frage des Bandes „Beratung als Kunst?“ zu beantworten ist, mit zwei Zitaten: Anne Schreiber zitiert Ad Reinhardt (1958): „Das eine, was sich über Kunst sagen lässt, ist, dass sie eines ist. Kunst ist Kunst-als-Kunst, und alles andere ist alles andere“. Abschließend zitiert Klaus Obermayer eine Gedichtzeile von Stefan Georges (1907), etwas „versöhnlicher“ (A.J.):Ich fühle luft von anderem planeten“.

Diskussion

In ihrer Einstimmung setzen die beiden Autoren mit Hinweisen auf historische und aktuelle geistes- und sozialwissenschaftliche Quellen erste begriffliche, inhaltliche, theoretische Landmarken, ohne diese inhaltlich, methodisch, intentional zu verknüpfen. Der so entstehende offene Raum überlässt es den einzelnen Autor:innen in aller Freiheit und unter Bezugnahme auf ihre weit gestreuten beruflichen Interessens- und Motivlagen individuelle Beiträge zu formulieren. Dadurch gewinnt der zweite Themenbereich (Verhältnis von Kunst, Ästhetik und Beratung, s.o.) ein patchworkartiges Format: bunt, vielfältig, lose durch die titelgebende Fragestellung verbunden. Allen Texten gemeinsam ist jedoch eine reflexive, sorgfältige, immer wieder auch wissenschaftlich geprägte Argumentation.

Im dritten Themenbereich („Grenzerkundungen in der Praxis“, s.o.) des Bandes, der sich stärker am Untertitel des Bandes orientiert, werden in den sechs oben inhaltlich skizzierten Beiträgen Beispiele für einen Einsatz von, aus dem Kunstschaffen entnommenen Prozessschritten und Methoden, und von konkreten Kunstobjekten vorgestellt. Jede dieser „Lehnmethoden“ wird inhaltlich, theoretisch eingeführt und in ihrer Anwendung in Coachings und Supervisionen durch Praxishinweise und konkrete Fallbeispiele erläutert und im Verlauf des Textes, oder abschließend reflexiv konnotiert.

Fazit

Für Leser:innen, die ihr eigenes professionelles Tun, als Coach oder Supervisor:in in- oder außerhalb von Organisationen reflexiv gestalten und entwickeln, kann dieses Buch – mit Blick auf die Kunstmetapher – ergiebige Themen, Hinweise und praktische Anregungen bereitstellen. Ausgegrenzt bleiben dabei spezifische Fragen der Beratung von Organisationen, da dieses Beratungsfeld generell durch einen stärker abstrakten, fachlichen Bezug geprägt ist.

Rezension von
Prof. Dr. Alfred Janes
Coaching von Mitgliedern universitärer Lehrkörper sowie von Organisationsberater:innen
Supervision von Organisationsberatungs-Projekten
Schreiben von Texten, Artikeln, Buchbeiträgen und Büchern zum Themenfeld Organisationsberatung
Vorträge und Referate zum Themenfeld Organisationsberatung
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Es gibt 1 Rezension von Alfred Janes.

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Zitiervorschlag
Alfred Janes. Rezension vom 08.08.2024 zu: Klaus Obermeyer, Harald Pühl: Beratung als Kunst? Kreative Spielräume in Supervision, Coaching und Organisationsberatung. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2024. ISBN 978-3-8379-3286-7. Reihe: Therapie & Beratung. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31872.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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