Sigmund Freud, Christfried Tögel (Hrsg.): Gesamtausgabe (SFG), Band 23
Rezensiert von Dr. Ulrich Kobbé, 11.08.2024
Sigmund Freud, Christfried Tögel (Hrsg.): Gesamtausgabe (SFG), Band 23. Freud-Bibliografie | Register.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2023.
548 Seiten.
ISBN 978-3-8379-2423-7.
D: 89,90 EUR,
A: 92,50 EUR.
Reihe: Bibliothek der Psychoanalyse. Enthalten in: ISBN: 9783837924008.
Thema
‚Psychologie‘ hat – auch wenn akademische Vertreter dies ungern konzedieren – als noch junge Wissenschaft in wesentlichen Fort- und Zwischenschritten ihrer Entwicklung einen eigenwilligen Impulsgeber und innovativen Nestor: Sigmund Freud (1856-1939). Ihm verdankt heutige Psychologie als Forschungsdisziplin, als Krankheitslehre und Diagnostik, als Behandlungspraxis, als Kulturtheorie, als Subjektwissenschaft prägnante wie weniger bekannte Fragestellungen, Inhalte, Ideen, Antworten…
Die hier mit der Bibliografie vorgestellte Sigmund-Freud-Gesamtausgabe (SFG) umfasst sämtliche von Freud für den Druck bestimmte Schriften – inklusive der voranalytischen Schriften, seiner Rezensionen unid Beiträge für Handbücher und Lexika. Die Bände 1 bis 20 enthalten die von Freud zur Veröffentlichung bestimmten Arbeiten in chronologischer Reihenfolge. Band 21 umfasst nicht oder posthum veröffentlichte Vortragstexte sowie Interviews, Band 22 ein Freud-Diarium, das Ereignisse seines Lebens auflistet und durch von Freud selbst geführte Chroniken und Kalender eingeleitet. Band 23 enthält neben der Bibliografie sämtlicher von Freud zur Veröffentlichung freigegebener Schriften auch ausführliche Register aller 22 Inhaltsbände.
Herausgeber
Christfried Tögel ist – so der Psychosozial-Verlag – einer der führenden Freud-Biografen unserer Zeit. Er veröffentlichte mehr als 150 Publikationen zur Geschichte der Psychoanalyse, darunter mehrere Briefwechsel Freuds. Er leitete die Erfassung und Neuordnung der Archive an den Freud-Museen in Wien und London. Von 2001 bis 2015 war er Leiter des Sigmund-Freud-Zentrums und von 2004 bis 2015 Direktor des SALUS-Instituts in Magdeburg. Christfried Tögel lebt in Lausanne in der Schweiz.
Entstehungshintergrund
Sigmund Freud selbst beklagt bereits 1930 [1], es bestehe die allgemeine Tendenz […], Studium und Vorbereitung zu verkürzen und möglichst rasch zur praktischen Verwendung zu kommen. Man zieht es auch vor, einen Gegenstand wie die Psychoanalyse nicht aus originellen Quellen, sondern aus sekundären, oft minderwertigen Darstellungen zu studieren. Dabei muss die Gründlichkeit Schaden leiden.“ Die Originalarbeiten zu erschließen, dafür bedarf es einer kompetenten, einer umfassenden, korrekten und praktikablen Bibliografie.
Aufbau und Inhalt
Der Hausgeber leitet ein: „Dieser Registerband enthält
- eine Freud-Bibliografie, die alle von Freud zur Veröffentlichung bestimmten und in der SFG enthaltenen Schriften chronologisch auflistet. Diese Bibliografie erlaubt auch die Lokalisierung dieser Texte in den Gesammelte Schriften, den Gesammelten Werken und der Studienausgabe;
- eine Liste der Schriften mit mehreren Auflagen;
- eine nicht vollständige Liste über Auflagenhöhe und Verkauf bestimmter Bücher Freuds;
- eine Korrigenda mit den bis zur Drucklegung dieses Bondes entdeckten Fehlern;
- Personen- und Sachregister mit allen Namen und Begriffen der 22 Textbände.
Die Begründung für diese ‚eingeschränkte‘ Bibliografie ergibt sich einerseits aus dem Konzept der SFG, nämlich nur von Freud für den Druck bestimmte Schriften – soweit bekannt – aufzunehmen, und andererseits aus dem Umstand, dass in der von Fichtner und Meyer-Palmedo (1989} begonnenen und von Albrecht Hirschmüller weitergeführten Bibliografie inzwischen etwa drei Viertel der Einträge Briefe, Postkarten und Telegramme sind. [2] Damit wird das ursprüngliche Prinzip von Fichtner und Meyer-Palmedo zwar konsequent fortgesetzt, aber die Bibliografie entwickelt sich zunehmend zu einer Brief-Bibliografie, da natürlich viel weniger Manuskripte Freuds neu bekannt werden als Briefe, die auch dann in die Bibliografie aufgenommen wurden, wenn nur wenige Sätze in einem Auktionskatalog abgedruckt sind.
Deshalb habe ich es für sinnvoll erachtet, die Bibliografie von Freuds Schriften von einer Bibliografie von Freuds Briefen zu trennen“ (S. 9–10).
Aus diesem Konzept ergeben sich folgende Struktur und Gliederung des Bandes:
- Abkürzungen (S. 11), „die alle von Freud zur Veröffentlichung bestimmten und in der SFG enthaltenen Schriften chronologisch auflistet“ und „auch die Lokalisierung dieser Texte in den Gesammelte Schriften, den Gesammelten Werken und der Studienausgabe“ erlaubt;
- Freud-Bibliografie (S. 13–132)
- Schriften mit mehreren Auflagen (S. 133–135)
- Auflagenhöhe und Verkauf (S. 137–139)
- eine Korrigenda „mit den bis zur Drucklegung dieses Bandes entdeckten Fehlern“ und Ergänzungen (S. 141–153)
- Abbildungen (S. 155)
- Literatur (S. 157)
- Personenregister (S. 159–246) und
- Sachregister (S. 247–548) „mit allen Namen und Begriffen der 22 Textbände“.
Ein solch komplexes Projekt der Recherche, Systematisierung, Einordnung und Dokumentation hat eine spezifische Logik mit eigenen Bedingungen, Optionen und Grenzen: Sie ist – trotz ihres Umfangs – immer noch eine „eingeschränkte“ Bibliografie: „Gerhard Fichtner hat die ‚Geschichte der Freud-Bibliographie‘, angefangen von Freuds selbst erstellten Inhaltsangaben der wissenschaftlichen Arbeiten des Privatdozenten Dr. Sigm. Freud (1877—1897) bis zu der von ihm und Ingeborg Meyer-Palmedo herausgegebenen Freud-Bibliographie mit Werkkonkordanz zusammengefasst (Fichtner, 1989). Das soll hier nicht wiederholt werden.
Die hier vorgelegte Freud-Bibliografie folgt bei ihrer Zusammenstellung anderen Kriterien. Im Gegensatz zu der bisher umfangreichsten Bibliografie von Meyer-Palmedo und Fichtner werden nur Schriften aufgenommen, die von Freud selbst zur Publikation vorgesehen waren. Damit entfallen alle persönlichen Briefe [3], aber auch Notizen, Kalender, Tagebücher, Adressbücher u. ä. Allerdings sind alle zu Freuds Lebzeiten erschienenen Auflagen seiner Schriften in die Bibliografie aufgenommen worden.
Die genannten Schriften Freuds sind alle in der Sigmund-Freud-Gesamtausgabe nach der Originalquelle (Erstveröffentlichung) abgedruckt bzw. Teil der elektronischen Version der SFG. Es werden immer die bibliografischen Daten der Erstveröffentlichung angegeben. Alle weiteren Auflagen eines Werkes erschienen an chronologisch entsprechender Stelle. Zur Orientierung des Lesers findet sich aber auch die Angabe, in welcher der folgenden großen deutschen Freud-Ausgaben sich die entsprechende Veröffentlichung findet:
- Gesammelte Schriften (GS)
- Gesammelte Werke (GW)
- Studienausgabe (SA)
- Freud im Kontext (Fik)
- Sigmund-Freud-Gesamtausgabe (SFG)
Die Texte Freuds, die in der noch zu seinen Lebzeiten erschienenen Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre und in den Gesammelten Schriften erschienen sind, finden sich in der SFG nur, wenn sie bis zum Erscheinen dieser beiden Sammelwerke nicht bereits veröffentlicht waren.
Für Schriften Freuds, die zu seinen Lebzeiten mehreren Auflagen erlebten (siehe Tabelle am Ende der Bibliografie), sind für die GS, GW, SA und FiK keine Bände angegeben, da in diesen Ausgaben entweder die letzte Auflage der entsprechenden Schrift zugrunde gelegt wurde oder — wie im Falle der SA versucht — alle Änderungen aus späteren Auflagen in einem Gesamttext integriert wurden. [4]
Die in dieser Freud-Bibliografie verwendeten Siglen bestehen aus der Jahreszahl der Veröffentlichung und einer durchgehenden Nummerierung, die — soweit möglich 一 der chronologischen Abfolge der Publikationen in einem Jahr folgt. Damit wird die von Tyson und Strachey (1956) eingeführte Praxis aufgegeben. Ein Vorteil der neuen Siglen ist, dass in Jahren mit mehr als 2ó Publikationen nicht mehr mit ‚aa‘, ‚bb‘ oder sogar ‚aaa‘, ‚bbb‘ usw. gearbeitet werden muss.
Interviews und Vorträge, die nicht von Freud selbst oder gar nicht veröffentlicht wurden, sind an das Ende der Bibliografie gestellt und nicht chronologisch an der entsprechenden Stelle eingeordnet worden. Der Grund dafür ist folgender: Obwohl Freud bei den Interviews die Zustimmung zur Veröffentlichung gegeben hatte, konnte er in der Regel das Resultat nicht mehr kontrollieren; ebenso bei seinen Vorträgen, die von fremder Hand wiedergegeben wurden. In manchen Fällen hat sich bisher nicht einmal ein Bericht finden lassen, sondern es gibt lediglich einen Hinweis auf Vortragsdatum und -titel.
„Mit ziemlicher Sicherheit wird in der Zukunft auch noch diese oder jene bisher unentdeckt gebliebene Veröffentlichung bekannt werden. Insofern ist die vorgelegte Bibliografie ein Work-in-progress-Projekt.“ (S. 13–15).
Diskussion
Freud selbst hatte, wie er 1900 in der Traumdeutung berichtet, „eine ausgesprochene Vorliebe, Bücher zu sammeln und zu besitzen“, war „ein Bücherwurm“, hatte „eine Vorliebe für monographische Studien“ als Teil einer „Bibliophilie“ mit der Grunderfahrung, „dass man durch Leidenschaften leicht ins Leiden gerät“. Ihn seinerseits zu lesen, bedarf – eben nicht nur ‚inhaltlich‘ – der Orientierung. Dar half das Sachverzeichnis entscheidend auf die Sprünge. Das Œuvre der Gesamtausgabe wird – wie hier ersichtlich – durch das nun vorliegende Register, durch Personen- und Sachverzeichnisse, gezielt handhabbar, im Detail nachvollziehbar, in seinen Implikationen kontextualisiert. Sprich: Wenn psychoanalytische Denk- und Verständnismodelle vom Subjekt/​-iven sich bei intensivierter Beschäftigung einem dynamischen Universum gleich ‚innerlich‘ und wie entgrenzt in zusätzliche Umgebungsräume hinein auszudehnen scheinen, ermöglicht die Bibliografie zeitliche, thematische, werkimmanente Orientierung, eigenaktive reflexive Suchbewegungen, systematisches Voraus- und Zurückdenken, optionale Entwicklungen kon-/textueller Horizontlinien.
Freud selbst könnte – wie einst 1916/17 in seinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse – einwenden, „wem das Ganze zu mühselig […] ist, der braucht nicht weiter mitzugehen. Ich meine nur, der soll psychologische Probleme überhaupt in Ruhe lassen, denn es ist zu besorgen, dass er die exakten und sicheren Wege, die er zu begehen bereit ist, hier nicht gangbar findet.“
Fazit
Die Gesamtbibliografie der Sigmund-Freud-Gesamtausgabe (SFG) leistet eine dankenswert integrative Synopse der Veröffentlichungen Freuds, sonst isoliert publiziert in Gesammelten Schriften (GS), Gesammelten Werken (GW), Studienausgaben (SA) und der elektronischen Edition Freud im Kontext (FiK). Der Registerband verweist ebenso übergreifend wie detailliert auf allfällige Such- und Fundstellen, auf Erst- und Wiederveröffentlichungen, auf Personen, Eigennamen, Termini technici, Sachen, Begriffe, Themen… Manch Hingucker (er-)findet sich erst beim Blättern in den Stichwortkatalogen.
[1] Geleitwort. In: The Medical Review of Reviews, vol 26 (1930) Issue 412, S. 103–104
[2] https://www.medizin.uni-tuebingen.de/files/view/YQOdMDrv9lE0ebJ05onjp4L7/​Freud_Bibliographie_2014.pdf
[3] „Mit Ausnahme von Leserbriefen an Zeitungen und Glückwunschadressen für berühmte Personen, die von Freud zur Veröffentlichung bestimmt waren.“
[4] „Da die digitale Ausgabe Freud im Kontext (FiK) nicht in Bände unterteilt ist, wird lediglich angegeben, ob der entsprechende Text in die Ausgabe aufgenommen wurde (ja) oder nicht (nein).“ Nichtnummerierte Bände der anderen Ausgaben werden entsprechend ihrem Titel entweder als „EB“ (Ergänzungsband) oder „NB“ (Nachtragsband) abgekürzt.“
Rezension von
Dr. Ulrich Kobbé
Klinischer und
Rechtspsychologe, forensischer Psychotherapeut, Supervisor und Gutachter
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Es gibt 25 Rezensionen von Ulrich Kobbé.
Zitiervorschlag
Ulrich Kobbé. Rezension vom 11.08.2024 zu:
Sigmund Freud, Christfried Tögel (Hrsg.): Gesamtausgabe (SFG), Band 23. Freud-Bibliografie | Register. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2023.
ISBN 978-3-8379-2423-7.
Reihe: Bibliothek der Psychoanalyse. Enthalten in: ISBN: 9783837924008.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31874.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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