Anna-Konstantina Richter: Gesund werden mit EMDR
Rezensiert von Prof. Dr. med. Gertraud Müller, 11.11.2024
Anna-Konstantina Richter: Gesund werden mit EMDR. Ratgeber für Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2024.
90 Seiten.
ISBN 978-3-8379-3243-0.
D: 14,90 EUR,
A: 15,40 EUR.
Reihe: verstehen lernen.
Thema
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist eine Methode der Traumabearbeitung, deren positive Wirkung wissenschaftlich erwiesen ist, was bei manch anderen Methoden (noch) nicht der Fall ist. Dieses Buch erklärt Laien ganz konkret und praktisch Grundsätzliches zu Traumatisierung und deren Folgen sowie alles Wesentliche zu einer Therapie mit EMDR und hilft bei den Alltagsfragen, mit denen Patient:innen und Angehörige konfrontiert sind, nämlich der Therapeut:innensuche, Kostenübernahmefrage und sinnvollen Überbrückung der Wartezeit bis zu einer Therapieplatzfindung.
Autorin
Anna-Konstantina Richter ist Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, EMDR-Therapeutin, akkreditierte Verhaltenstherapeutische Supervisorin, EMDR-Supervisorin und arbeitet in psychotherapeutischer Privatpraxis in Marburg. Sie ist Mitbegründerin des Zentrums für psychologische Beratung und Training Richter und Kemeny Partnerschaft (ZpBT) für EMDR-Fortbildungen in Marburg [1].
Entstehungshintergrund
Als psychotherapeutisch Tätige im deutschen Gesundheitssystem hat die Autorin erfahren, wie schwierig es für Patient:innen, die an Traumafolgestörungen leiden, ist, einen Therapieplatz bei einer gut ausgebildeten Traumatherapeut:in zu finden, was häufig auch bedeutet, dass lange Wartezeiten durchzustehen und die Frage der Kostenträgerschaft zu klären ist. Da sie selbst mit EMDR arbeitet und diese Methode ihre gesund machende Wirkung erwiesen hat, schreibt sie folgerichtig einen Ratgeber, der Patient:Innen auf ihrem Genesungsweg mittels der Methode EMDR auch auf dem manchmal schwierigen Weg durch das Gesundheitssystem begleitet.
Aufbau und Inhalt
Einleitend finden sich zwei Geleitworte: André Maurício Monteiro, ein international anerkannter Fachmann für EMDR, würdigt das stetige Bemühen der Autorin, „EMDR einem breiten Publikum zugänglich zu machen“, S. 14; Frederik A. Veburg, Hochschullehrer für translationale Nuklearmedizin, gewinnt als „relativer psychologischer Laie“, S. 16 den Eindruck, dass das Buch gut verständlich für Laien ist und daher ein hilfreicher Begleiter auf dem Weg einer Behandlung mit EMDR darstellt.
Im Vorwort fasst die Autorin den o.g. Entstehungshintergrund zusammen, erläutert die Ratgeberthemen, erklärt die im Buch bei den Fallbeispielen stehenden Triggerwarnungen und fügt einen Genesungswunsch für ihre Leser:innen an.
Nun folgt eine Selbstvorstellung der Autorin, die, wie sie explizit schreibt, der Vertrauensbildung zwischen ihr und ihrer Leser:innenschaft dienen soll. Im 1. Kapitel: „Traumatisierung – was ist das?“, wird das Wesen von Traumatisierung und die daraus resultierenden Störungen (PTBS, kPTBS und andere) vorgestellt. Das 2. Kapitel: „EMDR – was ist das?“, erklärt die Entstehungsgeschichte und, soweit bekannt, die Wirkungsweise des EMDR. Nun wird im 3. Kapitel „Der Ablauf einer EMDR-Behandlung“ anhand der 8 Phasen, in die sich die Methode gliedern lässt, das Procedere einer Psychotherapie mit EMDR dargestellt: Immer unterlegt mit Beispielen aus der Praxis und konkreten Hinweisen zu Materialien, wie Fragebögen, erläutert die Autorin die Wichtigkeit einer ausführlichen Diagnosestellung -ressourcen- und belastungsorientiertes Vorgehen!-, der gemeinsamen! Erarbeitung von Therapiezielen, und das der Methode zugrundeliegende Störungsmodell des “Adaptive Information Processing“ (AIP). Nun folgt die Beschreibung der Stabilisierungsphase mit den hierfür möglichen Übungen mittels Imagination oder auch EMDR und die Möglichkeiten Dissoziationen zu minimieren. Weiterhin wird der Aufbau einer Traumalandkarte dargestellt, die nötig ist, um in den nun folgenden Phasen der Belastungsbearbeitung das adäquate Ereignis auszuwählen. Abschließend wird eine beispielhafte EMDR-Sitzung im Wortlaut ausgeführt, um so den Ablauf anschaulich zu machen. Das 4. Kapitel „Eine Therapeut*in finden“ gibt nicht nur konkrete Hinweise des praktischen Vorgehens, sondern beschreibt auch die Hintergründe des Mangels an gut ausgebildeten (EMDR-)Traumatherapeut:innen sowie, ganz kurz, andere, der Autorin in ihrem Alltag bekannt gewordenen Verfahren, „wenn klassisches EMDR eventuell nicht das Richtige ist“, S. 73. Im 5. Kapitel „Die Kostenübernahme einer Behandlung sichern“ geht sie nicht nur auf die klassischen Kostenträger, wie Krankenkassen, Unfallversicherung usw. ein, sondern auch auf vielleicht unbekanntere, wie Fonds sexueller Missbrauch oder Employee Assistance Programs. Im letzten Kapitel „Alles, was Sie selbst tun können Empfehlungen für die Wartezeit und am Ende einer erfolgreichen EMDR-Behandlung“ gibt sie Anregungen zur Selbsthilfe, mit konkreten Hinweisen zu ausführlichen Anleitungen, wie Imaginations- und Entspannungsübungen, Sport, Selbsthilfegruppen, Selbstwertstärkung usw.
Diskussion
Dieses sorgfältig redigierte Buch ist insbesondere für von Traumafolgestörungen Betroffene, aber auch für ihre Angehörigen nicht nur in laienverständlicher Sprache geschrieben -nur wenige Fachbegriffe, wie Desensibilisierung, S. 29 oder Diagnostik, S. 33 werden nicht erklärt-, sondern die Leser:innen werden auch direkt angesprochen und es wird explizit an der Vertrauensbildung und einer Begegnung zwischen der Autorin und der Leser:in gearbeitet. Die Psychotherapeutin stellt sich auch als Modell zur Verfügung, betreffend die eigene Selbstfürsorge, aber auch als Therapeutin, wenn es z.B. um die Frage geht, wie weit sich ein im professionellen Setting Arbeitende/r selbst darstellt oder eben nicht. Die vielen, mit Triggerwarnung versehenen Beispiele veranschaulichen die dargestellten theoretischen Aspekte sehr gut und die vielen konkreten Materialien, die vorgestellt werden, sind ähnlich wie die sehr ausführliche Darstellung der Lösungen für die ganz praktischen Alltagshürden (z.B. eher unbekanntere Kostenträger) auch für Psychotherapeutinnen interessant. Schön auch, dass nicht nur die Grenzen der bisherigen Forschung, sondern auch die der Methode beschrieben und Alternativen hierzu Erwähnung finden. Das ganze Buch spiegelt bei guter Alltagsverständlichkeit die hohe Sachkenntnis und große praktische Erfahrung und nicht zuletzt das hohe Engagement der Autorin sowohl für „die Sache“ als auch für die Patient:innen wider.
Es ist anzunehmen, dass es beim Schreiben dieses „Sachbuches für Laien“ eine große Herausforderung war, auf der einen Seite schwierige Sachverhalte verständlich, kurz und trotzdem differenziert darzustellen, und auf der anderen Seite fehlerhaftes durch z.B. Verkürzungen nicht zuzulassen. Dies ist der Autorin meistens, aber nicht immer gelungen (z.B. S. 40 „Skills: starke Sinnesreize“). Weniges wird so kurz dargestellt, dass es nicht wirklich verständlich ist (z.B. die Flash-Technik S. 80). Auch das Auswahlkriterium „persönlicher Bekanntheitsgrad“ für die zu EMDR alternativen Verfahren: „Ohne Anspruch auf Vollständigkeit beschreibe ich im Folgenden Alternativen oder Ergänzungen, die mir in meiner Arbeit als niedergelassene Psychotherapeutin untergekommen sind“ (S. 74) kann man kritisch betrachten. Wäre hier nicht der Wirksamkeitsnachweis das sinnvollere Kriterium gewesen? Auf diesen wird bei den vorgestellten Verfahren teilweise eingegangen (z.B. IRRT „sehr gute Forschungsergebnisse“ S. 77, oder TRIMB® „noch keine Wirksamkeitsnachweise“ S. 79) oder der Forschungsstand bleibt unerwähnt (PITT S. 76). Die potentiellen Nebenwirkungen und die Belastungen, die Konfrontation mit Traumainhalten auslösen könnten, hätten noch mehr Erwähnung finden können. Schön wäre es noch gewesen, wenn das Buch nicht so abrupt, sondern mit einem kurzen direkten Ansprechen an die Leser:in, ähnlich dem liebevollen Genesungswunsch im Vorwort, enden würde.
Es sei der Rezensentin gestattet, die Diskussion zu diesem für Betroffene und ihre Angehörige sehr wertvollen Buchs mit einer Anregung für eine evtl. Neuauflage abzuschließen: Immer wieder drängte sich ihr beim Lesen die Idee auf, dass dieser Ratgeber sich sehr gut für eine Partizipation, ein Mitwirken von Betroffenen (vom Probelesen betreffend Laienverständlichkeit bis zu einem eigenen Kapitel) eignen würde.
Fazit
Das vorliegende mit großem Sachverstand und geleichzeitig praktischem „Know How“ geschrieben Buch „Gesund werden mit EMDR“ ist nicht nur ein gut laienverständlicher Ratgeber für Menschen (und ihre Angehörigen), die an Traumafolgestörungen leiden und mittels EMDR ggf. auch anderer Verfahren wieder gesund werden wollen, sondern auch ein Begleiter auf dem langen Weg dahin. Er behandelt alle wesentlichen Themen: Trauma, Traumafolgestörungen, Wirkweise des EMDR und ganz kurz auch die Möglichkeit anderer Verfahren, sollte EMDR an seinen Grenzen kommen, Hilfen bei der Therapeut:innensuche, Kostenübernahme und Selbsthilfemöglichkeiten in der Wartezeit und nach der Therapie. Dieser wertvolle, ausgewogene Therapie- und Genesungsbegleiter, kann allen Patient:innen, die sich auf den langen Weg der Heilung (mittels EMDR) begeben wollen, wärmstens empfohlen werden.
[1] https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://www.klett-cotta.de/produkt/​anna-konstantina-richter-emdr-bei-sozialen-angststoerungen-9783608963885-t-4730&ved=2ahUKEwjnq8j57oqJAxUNhP0HHUnDOrYQFnoECGkQAQ&usg=AOvVaw3RclmiMOEFxkMDiEwE8YMf abgerufen am 13.10.2024
Rezension von
Prof. Dr. med. Gertraud Müller
Internistin, Psychotherapie; KIP-Therapeutin; Emerita, ehemals Fachbereich Sozialwesen der Evangelischen Fachhochschule Nürnberg
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Es gibt 14 Rezensionen von Gertraud Müller.
Zitiervorschlag
Gertraud Müller. Rezension vom 11.11.2024 zu:
Anna-Konstantina Richter: Gesund werden mit EMDR. Ratgeber für Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2024.
ISBN 978-3-8379-3243-0.
Reihe: verstehen lernen.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31889.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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