Elke Maria Reinhardt, Klaus Grunwald (Hrsg.): Seniorenwirtschaft
Rezensiert von Prof.in (i.R.) Dr. rer. pol. Beate Finis Siegler, 16.02.2024

Elke Maria Reinhardt, Klaus Grunwald (Hrsg.): Seniorenwirtschaft. Management und Perspektiven.
Springer VS
(Wiesbaden) 2023.
449 Seiten.
ISBN 978-3-658-39842-2.
D: 74,76 EUR,
A: 82,23 EUR,
CH: 88,50 sFr.
Reihe: Perspektiven Sozialwirtschaft und Sozialmanagement.
Thema
Der Sammelband fokussiert zwei Diskursstränge: Reflexionen zum Begriff „Seniorenwirtschaft“ und aktuelle Themen. Er vereint unterschiedliche Disziplinen und Denkansätze und wirft einen institutionellen und einen methodenorientierten Blick auf aktuelle Phänomene und Trends, wobei der Schwerpunkt auf dem strategischen und operativen Management der Seniorenwirtschaft in den Bereichen Wohnen, soziale Dienstleistungen, Betreuung und Pflege liegt. Mit ihm soll der wissenschaftliche Diskurs zur Seniorenwirtschaft befördert werden. Der Sammelband soll aber gleichfalls für Praktikerinnen, Politik und Gesellschaft von instrumentellem Nutzen sein.
Herausgeber*in
Elke Maria Reinhardt mit Abschluss Master Pflegewissenschaft (M.Sc.N) ist seit 2008 freiberufliche Unternehmensberaterin, Projektleitung, -Referentin, Auditorin (ISO9001) und EFQM-Assessorin für Organisationen im Gesundheits-, Pflege- und Sozialwesen. Sie war über 15 Jahre Pflegedirektorin an verschiedenen Kliniken in Hamburg.
Dr. Klaus Grunwald, Diplompädagoge, ist seit 2001 Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart und seit 2004 Leiter des Studiengangs „Soziale Arbeit in Pflege und Rehabilitation“. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, Sozial- und Organisationsmanagement, Sozialwirtschaft, Organisationsgestaltung und -entwicklung. Er ist Mitherausgeber dreier Buchreihen bei Springer VS.
Entstehungshintergrund
Ursprünglich als Lehrbuch für die Praxis gedacht, angeregt von Bernd Maelicke, der auch das Geleitwort zum Sammelband geschrieben hat, wurde das Projekt in dieser Form nicht weiterverfolgt und später in der Reihe „Perspektiven Sozialwirtschaft und Sozialmanagement“ in Richtung des vorliegenden wissenschaftlichen Sammelbandes mit Praxisorientierung weiterentwickelt.
Aufbau und Inhalt
Der Sammelband ist in drei Abschnitte gegliedert:
- Thematische Einordnung,
- Management in der Seniorenwirtschaft und
- betriebswirtschaftliche Steuerung in Organisationen der Sozialwirtschaft.
Im Rahmen der „Thematischen Einordnung“ geht es um Fachkräftemangel in der Seniorenwirtschaft, Innovation und Konzepte der Seniorenwirtschaft, Ethik in der Seniorenwirtschaft – Ethische Entscheidungsfindung im strategischen Management von Unternehmen der Seniorenwirtschaft und Nachhaltigkeitsmanagement in Organisationen der Seniorenwirtschaft.
Im zweiten Abschnitt „Management der Seniorenwirtschaft“ werden nachfolgende Themen behandelt: Grundlagen des modernen Managements in der Seniorenwirtschaft, Projektmanagement – Instrumente zur ergebnisorientierten Steuerung von Veränderungen, Advanced Leadership – ein transformationaler Führungsansatz, Prozessmanagement in der Seniorenwirtschaft, Risikomanagement: Kennzeichen, Anforderungen und praktische Relevanz, Change Management in der Seniorenwirtschaft und Sozialraumorientierung in der Seniorenwirtschaft und bei sozialen Dienstleistungen.
Unter der Überschrift „Betriebswirtschaftliche Steuerung in Organisationen der Seniorenwirtschaft“ werden im dritten Abschnitt Wohnformen in der Seniorenwirtschaft – Ein kurzer Überblick über Ausgestaltung und rechtliche Rahmenbedingungen, Umsatzgestaltung in der Seniorenwirtschaft, Controlling und Kennzahlen in der Seniorenwirtschaft, IT-Management in der Seniorenwirtschaft und Marketing – Herausforderungen in der Seniorenwirtschaft thematisiert.
Alle Autor*innen gehen in ihren Beiträgen in unterschiedlichen Facetten der Frage nach, wie sich die Seniorenwirtschaft zukunftsorientiert und nachhaltig aufstellen kann in einer Zeit rasanten gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Wandels. Im Zentrum steht dabei die Perspektive der Führungskräfte. Aus jedem der drei Abschnitte wird hier ein Beitrag exemplarisch vorgestellt. Fachkräftemangel, Change Management und Marketing stehen für die Herausforderungen, die strategische Entscheidungen und operatives Management von den Führungskräften erfordern. Im Beitrag zum Fachkräftemangel dominiert die praktische Perspektive, der Artikel zum Change-Management ist mehr begrifflich-theoretischer Natur und der Marketing-Aufsatz ist aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive praxisorientiert angelegt.
Inhalt
Fachkräftemangel in der Seniorenwirtschaft
Elke Maria Reinhardt befasst sich mit Strategien, Konzepten und praktischen Maßnahmen zur Reduzierung des Fachkräftemangels, der aus einer wachsenden Diskrepanz zwischen Bedarf an Versorgungsleistungen aufgrund der demografischen Entwicklung und dem Angebot für Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt resultiert. Ausbildung und weitere Professionalisierung insbesondere in der Pflege, Evidence-based Nursing, Verbesserung der praktischen Arbeits- und Rahmenbedingungen, Innovationen in der Versorgungspraxis sowie die Gewinnung ausländischer Pflegekräfte sind Ansatzpunkte für eine nachhaltige Verbesserung der Versorgungssituation.
Change Management in der Seniorenwirtschaft
Im Anschluss an die Erläuterung des Organisationsbegriffs und der Organisationsentwicklung stellt Klaus Grunwald das Konzept Change Management als Weiterentwicklung des sozialwissenschaftlichen Ansatzes der Organisationsentwicklung vor und diskutiert Prinzipien und Erfolgsfaktoren sowie die daraus resultierenden Herausforderungen für Führungskräfte. Ein angemessener Umgang mit Wandel in der Umwelt der Organisation und in der Organisation selbst ist kein zeitlich befristetes Projekt, sondern eine Daueraufgabe, die organisationales Lernen erfordert.
Marketing – Herausforderungen in der Seniorenwirtschaft
Susanne Vaudt beschreibt das Marketing von Vertrauensgütern, die die Seniorenwirtschaft bereitstellt, als einen zyklischen Prozess von systematischer Marktanalyse, strategischer Angebotsentwicklung und Anwendung eines Mix von unterschiedlichen Marketinginstrumenten. Kommunikations- und Produktpolitik sind die zentralen Instrumente zur operativen Umsetzung der Marketingziele und Strategien. Ob die eingesetzten Instrumente erfolgreich waren, lässt sich in der Praxis allerdings nicht eindeutig zuordnen, weil die Nutzung der Vertrauensgüter multifaktoriell bedingt ist.
Diskussion
Elke Maria Reinhardt analysiert die Ursachen des Fachkräftemangels. Die daraus abgeleiteten Strategien und praktischen Maßnahmen sind nachvollziehbar begründet. In ihrem Fazit fordert sie eine Verknüpfung von drei Handlungsebenen der Seniorenwirtschaft: Mikro-, Meso- und Makroebene, um wirksame Dauerlösungen zu erzielen. Die Inkorporierung der Konzepte und Maßnahmen in die individuelle Handlungskompetenz der Fachkräfte (Mikroebene), die Umsetzung der Konzepte in die Praxis der Organisationen (Mesoebene) und die Sicherung der erforderlichen Rahmenbedingungen im nationalen und europäischen Gesundheits- und Sozialsystem (Makroebene) gehören zusammen. Über dieses Zusammenspiel hätte Leser*in gern mehr erfahren. Es ist neben den von der Autorin benannten Forschungsdesiderata ein weiteres.
Thema von Change Management ist der Umgang mit Wandel in Organisationen und in der Umwelt von Organisationen. Klaus Grundwald dekliniert das Konzept des Change Management für die Seniorenwirtschaft durch, indem er zunächst mit begrifflichen Klärungen beginnt und mit einem überraschenden Fazit endet. Mit dem traditionellen Verständnis von Change Management als Projekt sei für die Seniorenwirtschaft nichts gewonnen; denn den Herausforderungen, vor denen die Seniorenwirtschaft stehe, sei nicht mit einem zeitlich befristeten Projekt zu begegnen, sondern es bedürfe eines Managements des organisationalen Wandels, bei dem die Organisationen der Seniorenwirtschaft als lernende Organisationen begriffen werden. Die Frage sei erlaubt: warum dann der Umweg über Change-Management?
Susanne Vaudt beschreibt mittels ökonomischer Theorieansätze, warum Marketing in einer zunehmend wettbewerblichen Seniorenwirtschaft eine Herausforderung darstellt und wie Marketing-Instrumente bei Vertrauensgütern zum Einsatz kommen. Kommunikations-und Produktpolitik soll den Anbietern Wettbewerbsvorteile verschaffen und die zu Lasten der Nachfrager bestehende Informationsasymmetrie reduzieren. Wessen Wünsche und Bedarfe durch das Marketing erfasst werden und sich dann in einem konkreten Angebot niederschlagen, lässt der Beitrag offen. Diese Leerstelle ist bei nicht- schlüssigen Tauschbeziehungen besonders dann virulent, wenn es sich um personenbezogene soziale Dienstleistungen handelt, die nur in einem simultanen Prozess von Koproduktion und Konsumtion überhaupt zustande kommen. Hier könnte auch einer der Gründe für die Feststellung in dem Beitrag liegen, dass eine verursachungsadäquate Zurechnung von Erlösen zu einzelnen Marketingmaßnahmen nicht möglich ist, was zugleich impliziert, dass Informationsasymmetrien also nicht nur auf der Nachfrageseite, sondern auch auf Seiten der Anbieter eine Rolle spielen.
Fazit
Je nach Autor*in sind die 17 Beiträge stärker theoretisch oder praktisch orientiert. Auch wenn die Zuordnung der Beiträge zu den drei Abschnittsüberschriften nicht unbedingt zwingend ist und die Differenzierung zwischen Management einerseits und betriebswirtschaftlicher Steuerung andererseits nicht voll überzeugt, kann der Sammelband allen zur Lektüre empfohlen werden, die die Seniorenwirtschaft als ein an Bedeutung zunehmendes Arbeits- und Forschungsfeld erkennen und sich theoretisch und/oder praktisch mit dem angebotenen multiperspektivischen Ansatz und den multidisziplinären Zugängen auseinandersetzen wollen.
Rezension von
Prof.in (i.R.) Dr. rer. pol. Beate Finis Siegler
ehemals Frankfurt University of Applied Sciences, FB Soziale Arbeit und Gesundheit.
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