Jörg Schlömerkemper: Eigene und gemeinsame Lernarbeit
Rezensiert von Dr. Monika Wilkening, 11.04.2024

Jörg Schlömerkemper: Eigene und gemeinsame Lernarbeit. Erziehung und Bildung in Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2024. 182 Seiten. ISBN 978-3-8474-3012-4. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR.
Thema
Der Autor diskutiert alternative Konzepte von Lernorganisation, um Lernen und Lehren pädagogisch sinnvoller und effektiver zu gestalten. Er plädiert für eine Kombination von individueller Lernarbeit und gemeinsamen Projekten, in die alle ihre unterschiedlichen Kompetenzen zum gemeinsamen Gelingen einbringen. „Eine Schule, die in Formen und Inhalten erstarrt ist, kann das nicht mehr gewährleisten.“ (S. 9)
Autor
Schlömerkemper ist emeritierter Professor der Erziehungswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Neben seiner Hochschullehre war er Redaktionsleiter der Zeitschrift „Die Deutsche Schule“.
Entstehungshintergrund
Schlömerkemper erklärt in seinem biografischen Nachwort, dass dieses Buch der Endpunkt seiner Überlegungen zur Klärung der zentralen Begriffe und der Gestaltung von Schule und Unterricht seien. Es solle v.a. die Vielfalt und Gegensätzlichkeiten der Ideen und Konzepte darstellen. Er schließt sein Buch auf S. 158 mit den Worten, dass es darum gehe, „dass alle Schulen für alle Kinder zu Schulen des gemeinsamen Lernens werden (können und dürfen)“.
Aufbau
- Teil A: Aufgaben und Orientierungen: Aktuelle Herausforderungen, Offensive Wendungen, Theoretische Orientierungen
- Teil B: Eine diskursive Lernkultur: Offene Fragen und Prioritäten, Gemeinsame Lernzeit, Eigene Lernzeit, Perspektiven der Umsetzung
- Anhang: Anregungen und Beispiele: Historische Prozesse und Konzepte, Literarischen Anregungen, Beeindruckende Reformarbeiten
Inhalt
Das Hauptproblem von Schule und Unterricht sei, dass diese den Herausforderungen und Unsicherheiten der Zukunft in ihrer jetzigen Form nicht mehr gerecht würden. (s. Teil A) Einige wesentliche vorgeschlagene Handlungsschritte aus Teil A (s.u.) werden hier resümiert.
- Wissen sei zu reinem Bildungswissen geworden. Der Erziehungsbegriff müsse erweitert werden. Instruktion und Abprüfen genügten nicht mehr.
- Persönlichkeiten müssten entwickelt werden (Personalisierung von Lernen), andererseits müssten sich diese der gemeinsamen Verantwortung besser bewusst zu werden (kooperative Gestaltung von Lernen). Das könne durch eine neue Lernorganisation geleistet werden, die gleichzeitig individuell und gemeinsam ist.
- Der Umgang miteinander, mit der Welt und mit neuen Ideen müsse dazu konsequent verändert werden durch eine konstruktive und ergebnisoffene Diskurskultur, in der Ziele verbindlich erarbeitet, Arbeitsschritte konkret vereinbart, Erfahrungen offen ausgetauscht werden. (Dreierschritt „Erarbeiten, Überprüfen, Optimieren“)
- Eine sich öffnende curriculare Vielfalt und Gestaltung des Lernens und Lehrens seien erforderlich. Ebenso würde ein gemeinsames Leitbild das pädagogische Arbeiten und Messen der Praxis erleichtern.
- Die universitäre Erziehungswissenschaft und die Aus- und Fortbildung müssten die Probleme der Praxis aufnehmen.
- Erziehung und Bildung müssten bundesweit gesteuert werden unter Mitarbeit der betroffenen Jugendlichen.
- Insgesamt müsse jede/r bereit sein, vertraute Begriffe und etablierte Leitbilder zu relativieren.
In Teil A legt Schlömerkemper ausführlich wichtige aktuelle Probleme von Schule und Unterricht und Hintergründe mit ihrer Entstehungsgeschichte (bis in die Antike zurück) dar. Die o.g. Aufgaben werden theorieorientiert durchdacht und angedeutete Konzepte zur Erziehung, Bildung, Sozialisation, Pädagogik, Gesellschaft begründet.
Teil B sei aus Teil A entwickelt: Es folgten hier Überlegungen, Folgerungen, Vorschläge für eine veränderte Praxis. Es gehe nicht um eindeutige Lösungen.
Lediglich im Kapitel Ausblick wird zu Organisationsformen Stellung genommen: Schlömerkemper schlägt vor, innerhalb von Klassen heterogene Kerngruppen zu bilden, die aus 10–20 Schülerinnen und Schülern bestehen und das Zentrum gemeinsamen Lernens sind. Die individuelle Arbeit, wenn möglich auch nach Interessenschwerpunkten, erfolgt im Lernplan. Die Lernenden verfassen Portfolios zum individuellen und gemeinsamen Arbeiten. Alle Felder der Persönlicheitsentwicklung werden in der erzieherischen Arbeit behandelt.
Wie sind Lernpläne für die individuelle Arbeit definiert (s. Kap. 7.2.)? Der Stoff wird verbindlich geplant mit jedem einzelnen nach den Fragen: Was kann ich?/Wie sind meine nächsten Ziele?/Mit welchen Mitteln und Wegen erreiche ich diese am besten?/Zeitplanung/​Orientierung auf Ende des Schulhalbjahres, Schulabschluss, Leben insgesamt und bezogen auf alle Felder der Personlichkeit: Körperlichkeit, Emotionalität, kognitive Kompetenzen, sozial-ethische Haltungen, ästhetische Achtsamkeit.
Diskussion
Das Buch ist übersichtlich strukturiert, da zu Beginn jeden Kapitels kurz der Inhalt resümiert wird. Allerdings sind die Kapitelüberschriften nicht alle gleichwertig.
Im Text finden sich unter Einzelpunkten teilweise noch mehrere weitere wichtige Einzelpunkte.
Insgesamt werden hier sehr umfangreich und umfassend Ideen zu Schule und Unterricht dargestellt und in ihrem Entstehungshintergrund beleuchtet, aktuelle allgemeine Probleme werden aufgeworfen und Lösungen suggeriert, so auch über Schule und Unterricht hinaus gesellschaftliche und politische Missstände. Lobenswert ist auch der wiederkehrende Hinweis auf Ambivalenzen, die wir alle akzeptieren müssen. Das Buch regt zum Nachdenken an.
Häufig wirkt jedoch die Themensammlung zu massiv, zu ausufernd für Lesende. Teils werden Allgemeinplätze wiedergegeben (wie z.B. in den Kapiteln „Persönlichkeit und Anerkennung, Tüchtigkeit, Stärkung der Diskurs-Kultur“).
Das Buch eignet sich zur Lektüre für alle Menschen, die an Bildung, Erziehung, Schule und Unterricht allgemein interessiert sind und wenig darüber wissen. Für die konkrete Unterrichtspraxis jedoch bietet es keine Hilfen an, im Gegenteil, die angedeuteten Ideen zur „alternativen Lernorganisation“ erscheinen organisatorisch von unerfüllbarem Aufwand.
Zu konkreten Realisierungsvorschlägen wird lediglich auf die kommentierte Literaturliste von 371 Seiten, die sich auf der Homepage des Autors befindet, verwiesen.
Fazit
Schlömerkemper stellt in seinem monumentalen Werk Schule und Unterricht in Deutschland allgemein – heute und damals – dar, insbesondere in den Problemzonen. Seine angedeutete „alternative Lernorganisation“ zu individuellem und gemeinsamem Lernen kann in ihrer Allgemeinheit nicht für die Unterrichtspraxis nachvollzogen werden.
Rezension von
Dr. Monika Wilkening
Gymnasiallehrerin, Autorin von Aufsätzen zur Fremdsprachendidaktik, zur Pädagogik, zu Entwicklungen von Feedback im Unterricht und Autorin von Fachbüchern zu Lernhaltungen und Lernprozessen im Unterricht.
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