Manfred Weiser, Martin Holler (Hrsg.): Berufsbildungswerke
Rezensiert von Prof. Dr. Reinhold Weiß, 30.04.2024

Manfred Weiser, Martin Holler (Hrsg.): Berufsbildungswerke. Historisches. Systematisches. Aktuelles. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 454 Seiten. ISBN 978-3-7799-7499-4. D: 38,00 EUR, A: 39,10 EUR.
Thema
Berufsbildungswerke sind ein wichtiger Akteur der beruflichen Rehabilitation. Neben einer Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen bieten sie auch Qualifizierungen in besonders geregelten Berufen für Menschen mit Behinderungen. Zum Dienstleistungsspektrum gehören außerdem berufsvorbereitende Maßnahmen, die psychosoziale Betreuung der Teilnehmenden, die Beratung von Unternehmen im Hinblick auf die Beschäftigung von Menschen mit Handicaps oder auch die Unterbringung der Lernenden in Wohnheimen.
Herausgeber
Manfred Weiser und Martin Holler leiten das Anna-Wolf-Institut in Heidelberg. Es widmet sich der Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen durch Wissenschaft und Forschung, Erziehung und Bildung. Beide Herausgeber haben zudem Leitungserfahrungen in einem Berufsbildungswerk.
Entstehungshintergrund
Berufsbildungswerke führen in der Politik wie der Wissenschaft eher ein Schattendasein. Es war deshalb ein berechtigtes Anliegen der Herausgeber, diesem Bereich der beruflichen Bildung eine publizistische Plattform zu geben. Dazu wurden zahlreiche Beiträge von Praktikern wie von Wissenschaftlern in einem Sammelband zusammengestellt. Die Beiträge geben einen umfassenden und aktuellen Überblick über das Spektrum der Aufgaben und Herausforderungen von Berufsbildungswerken.
Aufbau
Die Beiträge von Praktikern und Wissenschaftlern gruppieren sich um vier Themenschwerpunkte. Nach einem kurzen historischen Rückblick folgen zahlreiche Beiträge zu aktuellen Aufgaben und Herausforderungen. Ihr folgen verschiedene Beiträge, in denen Betroffene ihre jeweils spezifischen Erfahrungen und Sichtweisen einbringen. Den Abschluss bilden einige Beiträge, in denen Perspektiven für die Weiterentwicklung der Berufsbildungswerke beschrieben werden.
Inhalt
Das einigende Band der insgesamt 33 Beiträge ist das Bestreben, Menschen mit Behinderungen bestmöglich in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung zu fördern und im ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Evaluationen der durchgeführten Maßnahmen zeigen, dass dies zu einem hohen Anteil gelingt. Dies ist umso bemerkenswerter als die Ausbildung größtenteils nicht in realen Handlungssituationen, sondern in einem außerbetrieblichen Schonraum stattfindet. Die hohen Vermittlungserfolge sind vor allem auf die sehr intensive, personenorientierte Unterstützung und Betreuung zurückzuführen, die den jeweils spezifischen Behinderungen der Teilnehmenden Rechnung trägt. In dieser Intensität wäre eine Qualifizierung in Unternehmen kaum zu leisten.
Berufsbildungswerke sehen sich gleichwohl einer permanenten Kritik ausgesetzt. Der Sammelband greift diese Diskussion an verschiedenen Stellen auf. Es fehle, so heißt es teilweise, ein durchgängiges Förderkonzept. Berufliche Praxis könne nur simuliert werden. Den Absolventen fehle es daher an Erfahrungswissen. Auch steht die Sonderung von Menschen mit Behinderungen dem Anspruch entgegen, möglichst alle Menschen mit Behinderungen in Regeleinrichtungen zu integrieren. Die Ergebnisse der Arbeit von Berufsbildungswerken zeigen indessen aber, dass eine Förderung in besonderen Bildungsgängen und Einrichtungen den Vorteil einer sehr individuellen Förderung und Betreuung bietet. Dies ist mit einem hohen Personaleinsatz an Lehrern, Ausbildern, Therapeuten und Psychologen verbunden.
Die Beiträge machen deutlich, dass sich das Aufgabenspektrum der Berufsbildungswerke im Laufe der Zeit gewandelt hat. Ursprünglich zielten die Bildungsmaßnahmen vor allem auf Menschen mit Lernbehinderungen und körperlichen Beeinträchtigungen. In den vergangenen Jahren hat demgegenüber der Anteil von Menschen mit psychischen Problemen an Bedeutung gewonnen. Entsprechend musste die technische Ausstattung der Berufsbildungswerke, die Qualifikation der Mitarbeitenden wie auch die didaktischen und methodischen Konzepte laufend angepasst werden.
Diskussion
In ihren Schlussbemerkungen beschreiben die Herausgeber das Spannungsfeld zwischen rechtlichen Anforderungen, eigenen Ansprüchen an die Arbeit sowie finanziellen Rahmenbedingungen. Vor diesem Hintergrund plädieren sie für die Weiterentwicklung der Berufsbildungswerke zu „Unternehmen“. Konsequenterweise sollen bei der Organisationsentwicklung auch Instrumente des Managements, beispielsweise die Balanced Score Card, zum Einsatz kommen. Dies ist zweifellos eine höchst bedenkenswerte Empfehlung. Sie dürfte jedoch in den Berufsbildungswerken selbst auf Skepsis, wenn nicht gar Ablehnung stoßen. Dennoch muss diese Diskussion geführt werden.
Fazit
Der Sammelband bietet eine reichhaltige Mischung von Beiträgen aus Wissenschaft und Praxis. Er wird dem Anspruch der Herausgeber, die unterschiedlichsten Perspektiven der Akteure sowie die Vielfalt und Komplexität der Arbeit in den Berufsbildungswerken zur Geltung zu bringen, in hohem Maße gerecht. Er bietet eine Fundgrube an relevantem Praxiswissen, und zwar sowohl für die Mitarbeitenden und Leitungskräfte in den Berufsbildungswerken, also auch in der Arbeitsverwaltung, in Politik und Wissenschaft.
Rezension von
Prof. Dr. Reinhold Weiß
ehemaliger Vize-Präsident und Forschungsdirektor im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)
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