Nkechi Madubuko: Praxishandbuch Empowerment
Rezensiert von Prof. Dr. Christian Schröder, 26.09.2024
Nkechi Madubuko: Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2024.
2., überarbeitete und ergänzte Auflage.
239 Seiten.
ISBN 978-3-7799-7057-6.
D: 24,95 EUR,
A: 25,60 EUR.
Reihe: In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779962403. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779971320. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779972846.
Thema
Das Buch thematisiert die Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen und betont die Notwendigkeit einer professionellen Antwort durch pädagogische Fachkräfte und die Soziale Arbeit. Aus der Perspektive der Betroffenen zeigt die Autorin, welche Haltungen, Reflexionen und welches Fachwissen nötig sind, um Rassismus zu erkennen und Empowerment zu fördern. Besonders wichtig ist ihr die Anerkennung von Schmerz und die Folgen rassistischer Erfahrungen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Sie stellt praxisnahe Ansätze zur Entwicklung empowernder Handlungskompetenz vor und betont die Bedeutung von Safer Spaces von und für Betroffene.
Kontext
Es handelt sich um die 2. überarbeitete Auflage (Rezension zur 1. Auflage). In der 2. Auflage rückt vermehrt das Wissen um Rassismus, Positionierung und Macht in den Vordergrund, ergänzt durch aktuelle Studien, Literatur und Fakten.
Autorin
Nkechi Madubuko, Dr., ist promovierte Soziologin, Autorin und Diversity-Trainerin. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Empowerment, Rassismuskritik, diversitätssensible Bildung und der Verarbeitung von Rassismuserfahrungen, insbesondere im schulischen Kontext. Sie ist als Dozentin an der Universität Kassel und der Hochschule Düsseldorf tätig. In ihrer Arbeit thematisiert sie die Herausforderungen von Migrant*innen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und deren Bewältigungsstrategien. Außerdem setzt sie sich intensiv mit dem Empowerment von Eltern und Kindern im Umgang mit Rassismuserfahrungen auseinander.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel und führt die Leser*innen von theoretischen Grundlagen zu praxisorientierten Handlungsempfehlungen. Es beschäftigt sich mit der Wissensbasis zu Rassismus und Diversität, den Auswirkungen von Rassismuserfahrungen, praktischen Handlungsmöglichkeiten, Empowerment-Ansätzen sowie der Bedeutung von Safer Spaces.
Kapitel 1 behandelt grundlegende Überlegungen zur Migrationsgesellschaft, Diversität und dem Erkennen von Rassismus sowie praxisorientierte Ansätze zum diversitätssensiblen Arbeiten. Es vermittelt Wissenskompetenzen wie die Grundlagen von Diversität, die Wahrnehmung von Ausgrenzungsmechanismen, das Erkennen von Rassismus und den Umgang mit Unterschieden. Der Diversity-Ansatz und die Ziele der Antirassismuspädagogik werden vorgestellt, um die Arbeit mit Kindern zu unterstützen. Es wird darauf hingewiesen, dass Menschen (einschließlich Kinder) nicht als Repräsentant*innen einer bestimmten Gruppe betrachtet, sondern als Individuen ernst- und wahrgenommen werden sollten. Das Kapitel bietet eine Einführung für Leser*innen ohne eigene Rassismuserfahrungen, die der gesellschaftlichen Vorstellung von Normalität (weiß, heterosexuell, christlich, deutsche Muttersprachler, etc.) entsprechen, und erläutert die Bedeutung von Empowerment im Kontext von Rassismuserfahrungen, wobei es wichtig ist, sowohl die eigene gesellschaftliche Positionierung und damit verbundene Privilegien als auch internalisierte diskriminierende Denkweisen kritisch zu reflektieren.
Kapitel 2 konzentriert sich auf die emotionalen und psychologischen Auswirkungen von Rassismuserfahrungen auf Kinder und Jugendliche. Es bündelt relevante Studienergebnisse, um eine fundierte Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit Empowerment zu schaffen. Die Erkenntnisse verdeutlichen, dass Rassismuserfahrungen ernsthafte psychologische Folgen haben und keineswegs als „Kleinigkeiten“ abgetan werden dürfen. Die Notwendigkeit von Empowerment wird klar, da Strategien, die Rassismus herunterspielen oder legitimieren, die betroffenen Kinder im Schmerz allein lassen. Rassismus wird dadurch verstärkt, dass er nicht nur als Erfahrung, sondern auch durch verharmlosende Aussagen von außen bestätigt wird. Als eine gewaltvolle Struktur mit historischer Verflechtung führt Rassismus zu Mikrotraumatisierungen, die sich nachhaltig auf Körper, Psyche und Selbstwahrnehmung auswirken. Ohne die Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, können Kinder sich ohnmächtig fühlen und die unterdrückende Situation als unveränderbar internalisieren. Dieses Kapitel verdeutlicht eindrücklich die Notwendigkeit, Diskriminierungsschutz zu gewährleisten.
In Kapitel 3 werden Strategien zur Bekämpfung von Diskriminierung im pädagogischen Umfeld vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt auf dem Umgang mit Unsicherheiten in Diskriminierungssituationen unter Kindern und Jugendlichen und der Frage, ob und wie man diesen begegnen sollte. Anhand von Beispielen für Verhaltensweisen wird aufgezeigt, welche Auswirkungen es auf das Kind hat, ob und wie in diesen Situationen gehandelt wird. Zudem wird das Verursacher*in-Betroffene*r-Zuschauende-Modell erläutert, das die Bedeutung der Betrachtung aller Beteiligten verdeutlicht: Es hilft, Verursacher*innen angemessenes Verhalten aufzuzeigen, Betroffene zu unterstützen und Zuschauende zu einem respektvollen Umgang zu erziehen. Eine aktive Haltung ist essenziell, wobei insbesondere bei Jugendlichen keine Verbote verhängt, sondern das diskriminierende Verhalten als Anlass genutzt werden sollte, um vertiefend darüber zu sprechen.
Kapitel 4 betont die Notwendigkeit, diskriminierungskritisch und diversitätssensibel zu handeln und diese Verantwortung als zentrale Rolle zu verstehen. Es wird auch der rechtliche Aspekt des Diskriminierungsschutzes für Kinder und Jugendliche behandelt, wobei Wissen über die Gesetzeslage zur Absicherung der Fachkraftrolle beiträgt.
Kapitel 5 führt grundlegende Konzepte des Empowerments im Kontext von Rassismuserfahrungen ein und betrachtet verschiedene Ansätze zur Vermeidung rassistischen Verhaltens. Es wird ein neues Modell des „Empowerment-Hauses“ vorgestellt, das verschiedene Ebenen des Empowerments vereint und die Bedeutung eines rassismuskritischen Rollenverständnisses und bewussten Umgangs mit Diskriminierung unterstreicht. Das Empowerment-Haus ist ein Modell, das aus drei Ebenen besteht: dem Fundament, der Basis-Ebene und der Spitze. Das Fundament bildet die Grundlage mit Haltung, Sensibilität und Menschenrechten, die die Basis-Ebene stützt, auf der Verhaltenskompetenzen wie Diskriminierungsschutz und die Reflexion eigener Vorurteile vermittelt werden. Die Spitze des Hauses umfasst die Empowerment-Schutzräume (Safer Spaces), die sichere Umgebungen bieten, in denen Kinder und Jugendliche Heilungsprozesse durchlaufen und sich in einem geschützten Rahmen neu definieren können. Das Kapitel schließt mit Beispielen für empowerment-orientierte Ansätze in Kitas und Jugendeinrichtungen ab.
Kapitel 6 untersucht die Rolle von Safer Spaces als Schutzräume für Empowerment und präsentiert detaillierte Berichte von Expert*innen. Die zwischen 2019 und 2020 durchgeführten Interviews bündeln bis zu 25 Jahre praktisches Erfahrungswissen im Bereich Empowerment gegen Rassismuserfahrungen. Die Auswahl der Interviewpartner*innen zielte darauf ab, verschiedene PoC Perspektiven und Methoden der Empowerment-Arbeit abzubilden, wobei die Vielfalt der Ansätze und Schwerpunkte im Vordergrund stand. Zu den Schwerpunkten gehören die Auseinandersetzung mit dem Körper und Rassismus, Theaterarbeit, Biografiearbeit und Kunsttherapie.
Die Expert*innen zeigen auf, wie diese geschützten Räume für die Auseinandersetzung mit Rassismuserfahrungen genutzt werden und warum sie für die Transformation von Erfahrungen wichtig sind. Besonders betont wird die Notwendigkeit, dass Safer Spaces von Betroffenen für Betroffene angeboten werden, da sie es ermöglichen, sich ohne die Gefahr der Relativierung und Bagatellisierung ihrer Erfahrungen neu zu definieren und zu stärken. Empowerment als Emanzipationsstrategie setzt zudem voraus, dass solche Angebote von den sozial benachteiligten und marginalisierten Gruppen selbst verantwortet werden.
Das Kapitel bietet einen umfassenden Überblick über bewährte Praktiken und die Komplexität der Begleitung von Empowerment-Prozessen sowie Beispiele für erfolgreiche Projekte und Workshops.
Zusammenfassend bietet das Buch umfassende „Empowerment-Orientierung“ und behandelt grundlegende Fragen zur Schaffung von Empowerment-Bedingungen, der notwendigen Haltung und Wissen, der Identifizierung rassistischer Denkweisen und problematischer Traditionen im Umgang mit Diversität sowie der angemessenen Thematisierung und Stärkung von Unterschieden und Identitäten der Kinder. Im Anhang finden sich Fortbildungsangebote, Trainer*innen-Pools und Ressourcen wie Spielmaterialien und Kinderbücher, die unterstützend wirken können.
Diskussion
Die Autorin macht zurecht deutlich, dass Fachkräfte oft ein mangelndes Bewusstsein für eigene Vorurteile zeigen und dass viele Empowerment-Projekte von der Mehrheitsgesellschaft organisiert werden, ohne die Perspektiven der betroffenen Personen ausreichend zu berücksichtigen. Zudem wird der Begriff „Empowerment“ häufig in sozialen, pädagogischen und Coaching-Kontexten als Modebegriff verwendet, wobei der ursprüngliche Fokus auf Diskriminierung und politischer Emanzipation oft vernachlässigt wird. Empowerment-orientiertes Arbeiten erfordert jedoch die Erkenntnis, dass Rassismus ein systemisches Phänomen ist, das tief in gesellschaftlichen Strukturen verankert ist und nicht auf individuelle Probleme reduziert werden kann. Um tatsächliche Veränderungen herbeizuführen, ist es notwendig, sowohl rassistische Verhaltensweisen und Denkmuster abzulehnen als auch aktiv gegen die Internalisierung solcher diskriminierender Strukturen vorzugehen. Der vorgestellte diversitätssensible Ansatz regt die Leser*innen an, ihr „Schubladendenken“ zu reflektieren und zu hinterfragen, was dazu beiträgt, verschiedene Identitäten sichtbar zu machen und anzuerkennen. Aus der nicht-betroffenen Perspektive wurde mir bei der Lektüre deutlich, wie sehr ich davon profitieren konnte, um die eigene Positionierung in der Gesellschaft (erneut) kritisch zu reflektieren und Wissen über gesellschaftliche Machtverhältnisse zu vertiefen.
Um diskriminierende Strukturen auf organisationaler Ebene zu adressieren, ist es aus meiner Sicht, wie auch aus Sicht der Autorin, entscheidend, dass diese Reflexion und das Lernen nicht nur auf individueller Ebene stattfinden, sondern auch in die Organisationskultur integriert werden. Die Integration von Empowerment in Bildungseinrichtungen und Jugendarbeit strebt eine inklusive Utopie an, in der alle Kinder und Jugendlichen ihre Potenziale entfalten können. Dies erfordert, dass Bildungseinrichtungen und soziale Organisationen kontinuierlich ihre eigenen Strukturen, Prozesse und Verhaltensweisen überprüfen und anpassen, um eine Umgebung zu schaffen, die Diskriminierung systematisch entgegenwirkt und eine inklusive Kultur fördert. Ebenso wichtig ist es, das Unaussprechliche besprechbar zu machen, indem Räume geschaffen werden, in denen Diskriminierungserfahrungen offen diskutiert werden können. Safer Spaces, die von und für Betroffene von Diskriminierung eingerichtet werden, spielen dabei eine wesentliche Rolle, da sie Schutz bieten und eine Plattform für die Auseinandersetzung mit und das Empowerment gegen Diskriminierung bieten.
Dieses Buch ist für alle Leser*innen von Bedeutung, da jede*r eine Rolle dabei spielt, strukturellem Rassismus entgegenzuwirken. Fachkräfte werden aufgefordert, eine offene Haltung für Vielfalt zu entwickeln und antirassistische Kompetenzen in ihre Arbeit zu integrieren. Es bietet wertvolle Erkenntnisse für die Praxis und zeigt auf, wie wichtig es ist, Diskriminierung nicht nur individuell, sondern auch auf organisationaler Ebene zu adressieren, um eine inklusive und gerechte Umgebung zu schaffen. Zudem stellt das Buch eine wertvolle Grundlage dar, um die Themen „Antidiskriminierung“, „rassismuskritische Migrationspädagogik“ und „Diversitätssensibilität“ stärker in (sozial-)pädagogischen Studiengängen zu verankern.
Fazit
Das Buch bietet umfassende Einsichten in die Herausforderungen und Chancen des Empowerment-orientierten Arbeitens. Es verdeutlicht die Notwendigkeit, sowohl individuell als auch organisatorisch gegen Diskriminierung vorzugehen und Safer Spaces für betroffene Personen einzurichten. Die Lektüre liefert praxisnahe Techniken und Ansätze, die Fachkräfte unterstützen, eine inklusive und antirassistische Arbeitsweise zu entwickeln und somit aktiv zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft beizutragen.
Rezension von
Prof. Dr. Christian Schröder
Professor für Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Fakultät für Sozialwissenschaften
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Zitiervorschlag
Christian Schröder. Rezension vom 26.09.2024 zu:
Nkechi Madubuko: Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2024. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage.
ISBN 978-3-7799-7057-6.
Reihe: In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779962403. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779971320. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779972846.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31953.php, Datum des Zugriffs 16.10.2024.
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