Daniel Kieslinger, Judith Owsianowski (Hrsg.): Inklusiver Kinderschutz
Rezensiert von Laura Henter, 23.01.2025

Daniel Kieslinger, Judith Owsianowski (Hrsg.): Inklusiver Kinderschutz. Anforderungen, Herausforderungen, Perspektiven. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2024. 294 Seiten. ISBN 978-3-7841-3665-3. D: 27,00 EUR, A: 27,80 EUR.
Thema
Für junge Menschen mit Behinderungen besteht ein bis zu dreifach höheres Risiko, von einer Kindeswohlgefährdung betroffen zu sein. Dies liegt unter anderem an den spezifischen Abhängigkeitsverhältnissen, in denen sich Kinder und Jugendliche mit Behinderungen befinden. Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz regelt mit der inklusiven Lösung die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder. Dennoch stehen Kinder mit Behinderungen oftmals nicht ausreichend im Fokus der Kinder- und Jugendhilfe. Der Bedarf, den Kinderschutz inklusiver zu gestalten, ist drängend – mit diesem Thema setzt sich der vorliegende Sammelband intensiv auseinander.
Herausgeber:innen
Daniel Kiesinger ist stellvertretender Geschäftsführer des Bundesverbandes Caritas Kinder- und Jugendhilfe sowie Leiter des Modellprojekts Inklusion jetzt!
Judith Owsianowski ist Referentin im Evangelischen Erziehungsverband, stellvertretende Leitung des Modellprojekts Inklusion jetzt! und Leiterin des Projekts Wegweiser Verfahrenslots:innen.
Aufbau und Inhalt
Der Sammelband Inklusiver Kinderschutz, herausgegeben von Daniel Kiesinger und Judith Owsianowski, umfasst insgesamt 18 Beiträge, die das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Die Beiträge sind in vier Schwerpunkte gegliedert: „Rechtliche Rahmenbedingungen und Forschung“, „Fachliche Perspektiven“, „Strukturelle Perspektiven“ und „Praktische Perspektiven“. Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen aus der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe kommen dabei gleichermaßen zu Wort. In Vorwort und Einleitung wird zunächst eine Hinführung zur Thematik geboten. Im Anschluss beleuchten die einzelnen Beiträge spezifische Aspekte des inklusiven Kinderschutzes.
Johann Hartel untersucht die Umsetzung und Wirkung inklusiver Schutzkonzepte in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, mit Fokus auf sexualisierte Gewalt und die Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen.
Birgit Maschke diskutiert als Fachberaterin in der Beratung nach § 8a/b SGB VIII die aktuellen Bedingungen für einen inklusiven Kinderschutz und stellt notwendige Reformen vor. Dabei wirft sie die Frage auf, wie inklusiv der Kinderschutz aktuell ist.
Tobias Bernasconi zeigt die Bedeutung unterstützter Kommunikation als Voraussetzung für Teilhabe auf und beleuchtet dabei unterschiedliche Dimensionen dieses Begriffs.
Patrick Werth entwickelt ein Qualifikationsprofil für insoweit erfahrene Fachkräfte im Kinderschutz in Bezug auf die sogenannten „spezifischen Schutzbedürfnisse“ von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen und der Berücksichtigung der Risikofaktoren von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigung. Er analysiert die bisherigen Einsatzmöglichkeiten sowie die Inanspruchnahme in Eingliederungshilfe, Rehabilitation und Gesundheitswesen.
Annette Mund thematisiert die kommunikativen Herausforderungen zwischen Jugendhilfe und Patient:innenvertretungen. Veranschaulicht durch Beispiele aus der Praxis macht sie Vorschläge für Hilfs- und Unterstützungsleistungen vom Kind aus gedacht und das ganze Familiensystem berücksichtigend.
Carolin Blasi verdeutlicht die Rolle einer inklusiven Sexualpädagogik in der inklusiven stationären Jugendhilfe und zeigt, wie diese zu mehr Selbstbestimmung beitragen kann. Ausgehend von den unterschiedlichen Funktionen von Sexualität wird die Notwenigkeit sexualpädagogischer Konzepte als ein Baustein hin zu einem selbstbewussten, selbstständigen und selbstbestimmten Leben für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung herausgearbeitet.
Birgit Herz analysiert Machtmissbrauch und Grenzverletzungen in Abhängigkeitsverhältnissen und formuliert Forderungen für institutionellen Kinderschutz.
Franziska Hofmann und Bettina Sänger präsentieren einen Indikatorenkatalog für die Einschätzung von Kindeswohlgefährdungen bei Kindern mit Behinderungen und verdeutlichen die Komplexität der Gefährdungseinschätzung im inklusiven Kinderschutz.
Julia Huber untersucht die Auswirkungen von strukturellen Trennungen zwischen Jugendhilfe und Eingliederungshilfe auf die Gefährdung von Kindern mit Behinderungen. Sie differenziert die erhöhte Vulnerabilität von Kindern mit Behinderungen, von einer Kindeswohlgefährdung betroffen zu sein aus und analysiert Bedingungen, die dazu führen. Daraus resultierend zeigt sie auf, welche Gefahren in der Versäulung von Jugendhilfe und Eingliederungshilfe liegen.
Doris Wanken beschreibt die Bausteine eines Schutzkonzepts für inklusive Einrichtungen und beleuchtet deren praktische Umsetzung.
Petra Straubinger gibt praxisnahe Anregungen für die Entwicklung von Schutzkonzepten. Sie legt dabei den Fokus auf das Prozesshafte in der Erstellung von Schutzkonzepten.
Jens Hudemann hebt die Bedeutung eines inklusiven Schutzkonzeptentwicklungsprozess hervor und stellt kindgerechte Materialien vor.
Michaela Berghaus untersucht in einer qualitativen Studie die Perspektiven von Eltern in Verfahren zur Abwendung von Kindeswohlgefährdungen.
Bernd Eberhardt und Annegret Naasner stellen Präventionsmaterialien speziell für Kinder mit Behinderungen vor und betonen deren Relevanz und die besondere Bedeutung von Prävention.
Claudia Völker beleuchtet die Bedingungen für eine gelungene Kooperation zwischen Jugend- und Eingliederungshilfe insbesondere unter dem Fokus des Kinderschutzes.
Ulrike Hass und Edwin Brenner beschreiben die Entwicklung einer inklusiven Inobhutnahmeeinrichtung auf Basis interdisziplinärer Zusammenarbeit von Jugend- und Eingliederungshilfe.
Michael Evers plädiert für den frühzeitigen Einsatz unterstützter Kommunikation im Kinderschutz.
Susanne Richter stellt die inklusive, anonyme Zufluchtsstätte des Mädchenhauses Bielefeld vor – ein feministisches Projekt, das innovative Lösungsstrategien aufzeigt.
Diskussion
Der Sammelband Inklusiver Kinderschutz leistet einen wertvollen Beitrag zur Diskussion über die Weiterentwicklung des Kinderschutzes in inklusiven Kontexten. Die inhaltliche Breite der Beiträge bietet einen umfassenden Überblick über rechtliche, wissenschaftliche und praktische Herausforderungen. Gleichzeitig macht der Band Forschungslücken und Handlungsbedarfe sichtbar.
Besonders hervorzuheben ist die interdisziplinäre Herangehensweise: Unterschiedliche Perspektiven aus Wissenschaft, Praxis und Fachberatung fließen ein und eröffnen neue Denkanstöße. Die Vielfalt der Beiträge führt jedoch dazu, dass manche Themen nur angerissen werden und eine vertiefte Darstellung fehlt. Zudem kommt es gelegentlich zu inhaltlichen Wiederholungen.
Der Sammelband richtet sich an Fachkräfte, Wissenschaftler:innen und Entscheidungsträger:innen im Kinderschutz und Inklusionsbereich. Er bietet nicht nur theoretische Impulse, sondern auch praxisnahe Anregungen und ist daher eine lohnende Lektüre für alle, die an der Gestaltung eines inklusiven Kinderschutzsystems arbeiten
Fazit
Insgesamt ist Inklusiver Kinderschutz ein empfehlenswertes Werk, das die komplexen Anforderungen an einen inklusiven Kinderschutz facettenreich beleuchtet.
Rezension von
Laura Henter
Studentin an der HS Koblenz
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Es gibt 1 Rezension von Laura Henter.