Stefanie Schnebel, Robert Grassinger et al. (Hrsg.): Begleitung und Beratung
Rezensiert von Dr. Axel Bernd Kunze, 16.10.2025
Stefanie Schnebel, Robert Grassinger, Marion Susanne Visotschnig, Thomas Wiedenhorn, Markus Janssen (Hrsg.): Begleitung und Beratung. Konzepte zur Unterstützung professioneller Entwicklung im Lehramtsstudium. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2023. 158 Seiten. ISBN 978-3-8309-4782-0. 27,90 EUR.
Thema
Um das Bildungssystem steht es, wenn man aktuellen Medienberichten Glauben schenken darf, nicht zum Besten. Die Euphorie der Bildungsreformdebatte, wie sie sich im Anschluss an die ersten PISA-Studien entwickelte, ist verflogen. Ein vertieftes Nachdenken darüber, wie das Bildungssystem pädagogisch nachhaltiger und leistungsfähiger werden kann, tut not. Dabei wird es nicht allein um Schulstrukturfragen gehen dürfen, auch die Lehrerbildungsforschung ist gefragt. Der vorliegende Band beschäftigt sich mit der Frage, wie die professionelle Kompetenz künftiger Lehrkräfte durch Beratung, Coaching und Mentorin gestärkt werden kann.
Herausgeberinnen und Herausgeber
Stefanie Schnebel lehrt Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Weingarten; ihre Arbeitsschwerpunkte sind Fragen der Unterrichtsforschung, Lernbegleitung in Schule und Lehrerbildung sowie der Kompetenzbildung bei Lehrkräften. Robert Grassinger ist an derselben Hochschule Professor für Psychologie.
Marion Susanne Visotschnig ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, und zwar mit den Arbeitsschwerpunkten Curriculumentwicklung im Lehramtsstudium sowie Kompetenzentwicklung und Lernbegleitung angehender Lehrkräfte. Thomas Wiedenhorn ist ebendort Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Schulgeschichte mit dem Schwerpunkt empirische und historische Bildungsforschung. Markus Janssen schließlich arbeitet ebenfalls als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.
Kontext
Der Sammelband ist im Kontext der beiden Projekte „Eignungsfeststellung, Beratung und Begleitung im Lehramtsstudium stärken (E2BS)“ und „Professional Teacher Education through University school (Proteus)“ entstanden. Er versammelt praxisnahe Konzepte, die an unterschiedlichen Standorten entwickelt und erprobt wurden. Der Band geht in seiner Konzeption davon aus, dass das Lehramtsstudium mit einem – im Vergleich zu anderen Studiengängen – recht konkreten Berufsbild verbunden sei. Dies bedeute dann auch, so Schnebel und Grassinger im Einleitungsbeitrag „Zur Notwendigkeit von Begleitung und Beratung zur professionellen Entwicklung im Lehramtsstudium“, dass sich in dieser ersten Phase der Lehrerbildung Fragen der Kompetenzentwicklung wie solche der Berufseignung miteinander verbinden.
Aufbau
Neben dem Einleitungsbeitrag, der zugleich in die Einzelbeiträge des Bandes einführt, enthält dieser sechs Beiträge. Diese beschäftigen sich mit folgenden Themen:
- Kompetenzentwicklung, Self-Assessment und Begleitung
- Berufswahl, Online-Self-Assessment und individuelle Beratung
- Diagnostik im Rahmen der Fachdidaktik Mathematik
- Stimm- und Sprechscreening als Bausteine der Professionalisierung
- Stimmscreening am Beispiel der Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule Aachen
- Stimmscreening im Rahmen des Projekts KOLEG2 der Universität Regensburg
Am Ende werden die Autorinnen und Autoren des Bandes aufgelistet und vorgestellt.
Inhalt
- Marion Susanne Visotschnig, Stefanie Schnebel, Robert Grassinger, Kerstin Hillegeist, Elisa Janser und Fabian Thomas berichten aus der Praxis der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Sie gehen von der Beobachtung aus, dass Studienabbrüchen von Lehramtsstudierenden verschiedene Gründe zugrunde liegen können: Dies können sowohl lern- und leistungsbezogene als auch affektiv-motivationale Herausforderungen sein. In ihrem Beitrag stellen sie ein mehrschrittiges Programm (PHokus) vor, das neben einer Eignungsfeststellung zu Beginn des Studiums verschiedene Beratungs- und Begleitungsangebote miteinander verbindet: Online-Self-Assessments, Stimm- und Sprechscreening, Stimm- und Sprechtraining, Mentoring und Peer-Coaching im Rahmen der begleitenden Praktika. Den Online-Self-Assessments wird eine zentrale Rolle bei der Selbststeuerung des eigenen Lernverhaltens zugeschrieben. Für die Förderung der Professionalität seien aber ebenso individuelle Betreuungsangebote wichtig. Wichtig sei es, über das Programm viele Studierende niedrigschwellig zu erreichen. Auch wenn Elemente des Programms als Studienleistung angerechnet würden, bleibe es wichtig, dessen Bedeutung immer wieder der Zielgruppe bewusst zu machen.
- Aline Christ, David Victor Fiedler, Jennifer Fehr, Petra Bauer, Thorsten Bohl, Kathleen Stürmer und Marc Weinhardt fragen, wie Lehramtsstudierende bei Unsicherheit in ihrer Berufswahl unterstützt werden könnten. Vorgestellt wird das „Tübinger Master of Education Assessment“ (TüMAS). Zentral dabei ist die Verknüpfung von anfänglicher Selbstreflexion und späterer Reflexion der eigenen Wahl. Denn wichtig bleibt nicht allein die Frage nach der persönlichen Eignung für den angestrebten Beruf, sondern auch ein auf Basis der Eignungsprüfung passendes Angebot an professionsbezogenen Weiterentwicklungsangeboten. Das anfängliche Online-Self-Assessment gliedert sich in vier Frageblöcke: Motivation für das Lehramtsstudium, Erfolgsfaktoren im Lehramtsstudium, Anforderungen im Lehramtsstudium sowie Kompetenzaufbau. Das darauf aufbauende Beratungsangebot orientiert sich an erreichten Standards der nationalen und internationalen Beratungswissenschaft (z.B. geschützter Rahmen, Klientenorientierung, systemische Arbeitsweise). Erste Erfahrungen zeigten eine durch weitere Forschung auszulotende Diskrepanz zwischen Selbstbild und Programmbefund, wobei sich die Studierenden selbst mehrheitlich sicherer einschätzten, während die Ergebnisse des Online-Self-Assessments doch bei mehr als zwanzig Prozent einen kritischen Befund lieferten.
- Andreas Just, Linda Schirle, Christine Sälzer und Kristina Kögler beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit Studierenden für das gymnasiale Lehramt im Fach Mathematik. Ihren Überlegungen liegen Daten aus der Universität Stuttgart zugrunde. Das Hauptaugenmerk des Beitrags liegt auf einem bedarfsgerechten Feedback zum Vorwissen vor Beginn des Studiums und der Erarbeitung entsprechend zielgruppengerechter Vorkurse. Dabei berücksichtigt die Autorengruppe nicht allein fachliche, sondern entscheidend auch motivationale Faktoren.
- Unterricht ist ein kommunikatives Geschehen, die Stimme der Lehrkraft ein entscheidender Faktor für gelingende Lehr-Lern-Prozesse. Kerstin Hillegeist und Fabian Thomas gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, wie Stimm- und Sprechscreening als ein Steuerungsinstrument für Lehramtsstudierende genutzt werden können. Dabei weisen sie einleitend darauf hin, dass stimmliche Eignungsprüfungen außerpädagogisch schon seit langem von der Sprechwissenschaft, der Medizin und der Logopädie gefordert würden. Das in Weingarten eingesetzte Stimmscreening umfasse eine perzeptive Stimmklangbeurteilung, aerodynamische und akustische Messungen sowie eine subjektive Selbstevaluation. Beurteilt würden Tonus, Atmung, Artikulation, Sprachkode, Sprechausdruck, Stimme und Kommunikationsverhalten, wobei ein präventives Anliegen im Vordergrund stehe.
- Bernd Christmann, Björn Meißner und Katrin von Laguna bleiben beim Thema und zeigen auf, wie ein verpflichtendes Stimmscreening an der RWTH Aachen implementiert wurde: „Hier erwies es sich als Vorteil, die Verankerung erst spät im Studiengang zu setzen, damit die Flexibilität im Studienverlauf nicht beeinträchtigt wird. Darüber hinaus war der Verzicht auf die Creditierung als Modul entscheidend, um die Unterstützung der am Lehramtsstudiengang beteiligten Fächer zu erhalten“ (S. 131) – so das Autorentrio in seinem Fazit. Die Stimme bleibe wichtigstes Arbeitsinstrument der Lehrkraft, wobei zu berücksichtigen sei, dass sich allgemeiner Stress wiederum negativ auf den Grundtonus von Halte- und Stimmapparat auswirke. Dies gelte, wie die Coronazeit gezeigt habe, grundsätzlich auch für Onlinelehrformate.
- Das abschließende Beispiel stammt aus Bayern von der Universität Regensburg: Communication and Voice Centers for Teachers (CoVoC-T). Der Beitrag schließt mit deutlichen politischen Forderungen: Das Projekt, so die Einschätzung von Christian Geiger, Carolin Sabath und Anita Schilcher, leiste Pionierarbeit, da Sprecherziehung bisher nicht im bayerischen Lehramtsstudium verankert sei. Es könne sogar davon ausgegangen werden, dass sich frühere Studienergebnisse zu auffälligen Befunden bei Studierenden und Lehrkräften in der Berufseinstiegsphase aufgrund steigender Stimmbelastung im Berufsfeld noch verschlechtert hätten; es sei also ein dringender Handlungsbedarf zu konstatieren. Förderung von Stimmgesundheit und individuelle Beratung sollten künftig fest in den Studienplänen verankert werden.
Diskussion
Der vorliegende Band diskutiert die Bedeutung zielgruppengerechter Begleitung und individueller Beratung im Lehramtsstudium vorrangig im Zusammenhang mit Fragen der Berufseignung und Stimmbildung. Letztere ist eine bei Lehrtätigkeiten oft unterschätzte Anforderung. Die vorgestellten Programme und Konzepte werden sehr konkret und ausführlich beschrieben sowie hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Fundierung und Wirkung reflektiert. Auf diese Weise vermittelt der Band einen guten Einblick in den aktuellen Stand der Professionalisierungsforschung im Zusammenhang der ersten Phase der Lehrerbildung. Anschlussfragen im Blick auf die Verzahnung mit der zweiten und dritten Phase der Lehrerbildung finden sich nur am Rande.
Die vorgestellten Modelle zur Kompetenzentwicklung im Lehramtsstudium sind vorwiegend psychologischer, therapeutischer und systemischer Natur. Diese klare Fokussierung ist zugleich ein Desiderat des Bandes. Die Beiträge diskutieren nicht den notwendigen wechselseitigen Bezug zwischen fachlichen und lehr-lern-prozessbezogenen Kompetenzen. Eine stabile Entwicklung der Professionalität wird sich nur ergeben, wenn beide Anteile des Lehrerberufes zusammengedacht werden. Wer fachlich nicht sattelfest ist, bindet notwendige Ressourcen bei der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung, die an anderer Stelle für die pädagogisch-erzieherische Arbeit fehlen – mit entsprechenden Belastungssymptomen, die nicht allein durch Beratung, Coaching oder Mentoring ausgeglichen werden können.
Ferner bleibt es wichtig, die psychologischen und systemischen Anteile der Lehrerprofessionalität mit den pädagogischen Grundaufgaben und dem pädagogischen Selbstverständnis des Lehrerberufes in Einklang zu bringen, damit am Ende nicht ein erratisches Selbstbild übrigbleibt, das in der beruflichen Praxis, insbesondere in Belastungssituationen, nur wenig tragfähig sein wird. Als Zentrierung sollte die regulative Idee der Bildung dienen, welche die verschiedenen Anforderungen und Aufgaben im schulischen Beruf zusammenbindet. Am Ende sind es nicht abstrakte, aus anderen Disziplinen entlehnte und in der Regel auch noch englischsprachige Programme, die berufliches Selbstbewusstsein verleihen, sondern ein klares Bekenntnis zum Bildungs- und Erziehungsauftrag, wie er für den traditionsreichen Lehrerberuf konstitutiv und prägend sein sollte. Denn bei aller Fachlichkeit und Professionalität geht es im Kern um die pädagogisch verantwortlich auszugestaltende Lehrer-Schüler-Beziehung.
Fazit
Ein aktueller, konkreter Einblick in zentrale Felder der Professionalisierungsforschung und Kompetenzentwicklung im Rahmen des Lehrerberufes, der sich allerdings auf psychologische, therapeutische und systemische Ansätze beschränkt und dabei leider keine pädagogischen Brücken schlägt.
Rezension von
Dr. Axel Bernd Kunze
Privatdozent für Erziehungswissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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