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Johannes Lohner, Christiane Heigermoser: Psychologie für Soziale Berufe in der Straffälligenhilfe

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 12.07.2024

Cover Johannes Lohner, Christiane Heigermoser: Psychologie für Soziale Berufe in der Straffälligenhilfe ISBN 978-3-7799-6302-8

Johannes Lohner, Christiane Heigermoser: Psychologie für Soziale Berufe in der Straffälligenhilfe. Ein Praxisbuch mit Fallbeispielen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 203 Seiten. ISBN 978-3-7799-6302-8. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.
Reihe: Psychologie für Soziale Berufe. .

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Thema

Das als Praxisbuch konzipierte Lehr- und Fachbuch erscheint in der Reihe „Psychologie für Soziale Berufe“ und will für die Praxis relevantes psychologisches Wissen vermitteln. Auf Grundlage von umfangreichen Fallvignetten erschließen die beiden Autor*innen relevante psychologische Theorien und Methoden um in das Phänomen Kriminalität, den professionelle Beziehungsaufbau zu straffällig gewordenen Menschen, deren Behandlung und Begleitung einzuführen. Kriminalität wird dabei als Haupt- und Schnittstellenthema in vielen psychosozialen Settings verstanden, entsprechend werden eine Vielzahl von Deliktarten, -hintergründen und -verlaufsformen aufgegriffen. Als Praxisbuch finden sich neben Fallbeispielen Reflexionsfragen zu praktischen Zusammenhängen, zum Theorie- und Methodenverständnis und zur Selbstreflexion.

Herausgeber:innen und Autor:innen

Prof. Dr. Johannes Lohner lehrt als Psychologe an der Fakultät für Soziale Arbeit an der HAW Landshut, u.a. mit dem Schwerpunkt Klinische Sozialarbeit. Christiane Heigermoser, M. A. und Dipl.-Soz.-Päd. lehrt als LbA ebenfalls an der HAW Landshut, ihr Schwerpunkte sind die Arbeit mit hard-to-reach-Klient*innen und die Straffälligenhilfe.

Aufbau und Inhalt

Das Praxisbuch ist in die vier Abschnitte „Wer wird“, „Wo wird“, „Wie wird“ und „Wer“ behandelt? unterteilt, wobei unterschiedliche Zielgruppen in der Straffälligenhilfe, institutionelle Rahmenbedingungen, (Be-)handlungsformen und typische Herausforderungen an professionell in der Straffälligenhilfe Tätige behandelt werden.

Wer wird behandelt?

Der erste Abschnitt gibt auf gut 20 Seiten einen Überblick über verschiedene Deliktgruppen und Täter*innenprofile. Schwerpunkte sind die Bereiche Jugenddelinquenz, Sucht und Delinquenz, psychische Erkrankungen (insbesondere die antisoziale bzw. dissoziale Persönlichkeitsstörung) und Straffälligkeit und Sexualdelinquenz. Der Text erschließt zentrale theoretische Aspekte, z.B. die Grundlagen der Phase der Adoleszenz mit ihren besonderen Merkmalen und Herausforderungen und expliziert die Ausführungen an mehreren Fallbeispielen, welche im Weiteren mit Bezug zu den fachlichen Aspekten und einer Reihe von Fallfragen (z.B. „Was denk A. von sich selbst?“, „Wie kann er als Akteur in die notwendigen Begleitprozesse einbezogen werden und wie sollte sich die weitere Behandlung gestalten, um die Ausbildung eines negativen Selbstbilds abzufedern?“ [23]) analysiert werden. Der Text wird durch Fragen zur (Selbst-)Reflexion, Praxistipps und Zusammenfassungen ergänzt, wodurch Ansätze zur eigenständigen Weiterarbeit und Vertiefung gegeben werden.

Wo wird behandelt?

Der zweite Abschnitt beschreibt die unterschiedlichen Institutionsformen der Straffälligenhilfe: ambulante Settings wie Jugendgerichts- und Bewährungshilfe, Führungsaufsicht oder die freie Straffälligenhilfe, sowie stationäre Settings wie U-Haft, Jugendarrest, Strafhaft und Sozialtherapie, Maßregelvollzug nach §§ 63 und 64 StGB, sowie den Bereich der stationären Suchttherapie wo verurteilte Straftäter*innen mit Therapieweisung nach § 35 BtmG behandelt werden. Als Einführung für diese unterschiedlichen Settings führen Lohner und Heigermoser in grundsätzliche Aspekte der Sozialen Arbeit in Zwangskontexten und deren Bedeutung für Motivationsentwicklung und Beziehungsgestaltung ein. Auch der zweite Abschnitt wird durch Fallvignetten (die zum Teil aus Kapitel eins weitergeführt werden) und Vertiefungsfragen ergänzt.

Wie wird behandelt?

Der folgende Abschnitt führt in die derzeit gängigen Behandlungsformen deliktorientierter Therapie ein. Konkret werden Basisvariablen für die Gestaltung der therapeutischen Beziehung und das in der Kriminaltherapie gängige Risk-Need-Responsibility-Prinzip besprochen, Modelle zur Motivationsarbeit und vertiefend die motivierende Gesprächsführung, sowie deliktorientierte Behandlungsstrategien vorgestellt. Als weitere Schwerpunkte finden sich traumasensible Behandlungsstrategien und die Bedeutung von Nebenwirkungen die sich aus Inhaftierungssettings (Gewalt, Subkultur, Suizidalität, Gesundheits- und soziale Folgen) ergeben. Abschließend diskutieren die Autor*innen die Grenzen der Behandelbarkeit. Die Ausführungen werden auch in diesem Abschnitt durch Analysen der eingeführten Fallbeispiele expliziert und durch Anregungen zur Fallreflexion und Zusammenfassungen didaktisch fortgeführt.

Wer behandelt?

Abschnitt vier behandelt abschließend die spezifischen Herausforderungen professioneller Arbeit mit straffälligen Menschen in den zuvor beschriebenen Settings: Aufgabenvielfalt, Delinquenz, Machtaspekte, Ohnmachtssituationen, Abwehrmechanismen bei Professionellen, Erwartungsdruck durch Institution, Gesellschaft und Klient*innen, fachliche Herausforderungen und der besondere Bereich der sog. „Risikotäter*innen“ (gemeint sind Menschen mit hohem Deliktpotenzial und ebenso hohem Rückfallrisiko). Die Ausführungen werden hier durch ausführliche Reflexionsfragen, Praxis- und Literaturtipps und -mit Bezug auf Leugnungsverhalten- ein Fallbeispiel ergänzt. Anstatt eines Schlusswortes werben Lohner und Heigermoser abschließend für einen zutiefst menschlichen Zugang zum Feld der Straffälligenhilfe, der Aufgabe Hoffnung in einem Arbeitsfeld zu vermitteln, das oftmals von Hoffnungslosigkeit geprägt ist.

Zielgruppe des Buches sind Studierende der Sozialen Arbeit und Berufsanfänger*innen im Arbeitsfeld der Straffälligenhilfe.

Diskussion

Lohner und Heigermoser wollen mit ihrem Praxisbuch keine vollständige Einführung in psychologische Konzepte im Kontext von Delinquenz und Kriminaltherapie formulieren, sondern einen umfassenden, auf Grundlage der eigenen beruflichen Schwerpunkte (Bewährungshilfe, Anstaltspsychologe, Supervision) basierenden Überblick und damit eine Auswahl psychologischer Ansätze für Soziale Berufe erschließen. Das als Praxisbuch konzipierte und hervorragend gestaltete Buch bezieht sich dabei auf Theorien und Methoden die sich vorwiegend auf psycho-soziale Aspekte stützen. Entsprechend kommen tiefenpsychologische Konstrukte deutlich zu kurz, wobei mit Blick auf die Zielgruppe eine kluge Auswahl an Theoriebezügen erfolgt ist und (zumindest an einzelnen Stellen [54]) auf psychodynamisch orientierte Therapieansätze durch Literaturhinweise verwiesen wird.

Hervorzuheben sind die vielfältigen Fallvignetten, welche durch die vorgestellten theoretischen und methodischen Ansätze systematisch analysiert werden, wodurch sich ein differenzierter Einblick in das wie der Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen ergibt.

Lohner und Heigermoser sprechen im gesamten Buch durchgehend von „Behandlung“, die Kapitelüberschriften sprechen für sich. Die Frage ob Fachkräfte der Sozialen Arbeit „behandeln“ wird dabei -leider- nicht diskutiert. Lohner vertritt an der HAW Landshut den Schwerpunkt Klinische Sozialarbeit, die seit langem einen eigenen Behandlungsanspruch reklamiert (und in entsprechenden Masterprogrammen auch vermittelt). Dem Praxisbuch hätte hier ein entsprechender Schwerpunkt gutgetan, in dem Prinzipien behandelnder Sozialarbeit mit ihren besonderen diagnostischen und behandelnden Methoden dargestellt werden und belegt, dass „die Soziale Arbeit behandelt“, dies auch in Abgrenzung zu Psychotherapie, sozialer Beratung und Begleitung.

Didaktisch fällt die Vielzahl an Zusammenfassungen, Reflexionsfragen und Praxistipps auf. Damit ist das Werk viel mehr als ein „Praxisbuch“, es erfüllt vielfache Anforderungen eines Lehrbuchs, das in Ausbildung und Praxisreflektion Anwendung finden wird.

Als Einführung in psychologische Konzepte im Arbeitsfeld der Straffälligenhilfe haben die Autor*innen eine Auswahl von Konzepten getroffen, was weitgehend überzeugt. Allerdings ergeben sich deutliche Lücken, z.B. die fehlende Thematik sexueller Prävalenzstörungen, die Schnittstelle von Strafvollzug und Sozialpsychiatrie oder Präventionsansätze, welche z.T. zu knapp, oder eben überhaupt nicht berücksichtigt werden.

Fazit 

Das Praxisbuch ist ein Glücksfall: lernen aus Fallgeschichten, deren Tiefe und Art der Darstellung, die daraus abgeleiteten Analysen und die sehr gelungenen Verknüpfungen mit klug ausgewählten Theoriebezügen direkt auf fachlich begründete Praxis zielen.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 180 Rezensionen von Gernot Hahn.

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ISSN 2190-9245