Peter Hammerschmidt, Gerd Stecklina et al. (Hrsg.): Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Johann Bischoff, 28.05.2024
Peter Hammerschmidt, Gerd Stecklina, Caroline Steindorff-Classen (Hrsg.): Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2024.
191 Seiten.
ISBN 978-3-7799-8000-1.
D: 32,00 EUR,
A: 32,90 EUR.
Reihe: Aktuelle Themen und Grundsatzfragen der Sozialen Arbeit.
Thema
Die vorliegende Publikation erfasst die Ergebnisse des Münchener Kolloquiums zur Sozialen Arbeit, initiiert von den o.g. Fachwissenschaftlern, mit der Thematik „Was kann kulturelle Bildung im Rahmen der sozialpädagogischen Arbeit leisten“. Ziel der Sozialen Arbeit, so die Autoren, sei primär, Menschen in sozialen Problemlagen Hilfen zur Lebensbewältigung zu gewähren. Die Diskussion verdeutlicht in den Beiträgen, dass Kulturelle Bildung nicht nur für sozial privilegierte Menschen relevant sei, sondern ebenso für sozial Benachteiligte. Insbesondere den Herausgeber:innen ist es dabei wichtig, historische Bezüge zur Bildung, Kultur und der sozialen Arbeit zu verdeutlichen.
Auch eine differenzierte Betrachtung der Begrifflichkeiten zur Thematik ist dem Herausgeberteam und den einzelnen Autoren/​Autorinnen wichtig. Soziale Arbeit und Kulturelle Bildung werden in den ersten vier Kapiteln allgemein wissenschaftlich fundiert erläutert, eine weitere Betrachtung der folgenden Autorinnen/​Autoren beschäftigt sich dann mit der Thematisierung spezieller Gegenstandsbereiche der Kulturellen Bildung, dem Lesen, der Musik, dem Theater und den Gedenkstätten. Die Verflechtung von Sozialer Arbeit und Kultureller Bildung wird in den einzelnen Beiträgen deutlich.
Herausgeber:innen
Das Herausgeberteam legt mit der Publikation „Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit“ die siebte Publikation der Reihe „Aktuelle Themen und Grundsatzfragen der Sozialen Arbeit“ vor. Hammerschmidt, Stecklina und Steinhoff-Classen sind Lehrende der Hochschule München und gehören der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften an. Prof. Peter Hammerschmidt vertritt das Lehrgebiet „Theorie und Geschichte der Sozialen Arbeit/​Sozialpolitik und Gesellschaftstheorie“, Prof. Gerd Stecklina vertritt das Lehrgebiet „Geschlechterforschung/​Kinder- und Jugendhilfe/Jüdische Sozialarbeit“, Professorin Caroline Steindorff-Classen vertritt das Lehrgebiet „Grundlagen der Sozialen Arbeit/​Jugendstraf-, Jugendhilfe, und Familienrecht“. Der Band 7 erfasst die Beiträge des Kolloquiums zur Sozialen Arbeit, das seit 2009 bis 2019 jährlich in der Hochschule München mit namhaften Referenten veranstaltet wurde. Das Kolloquium wird seit 2020 von Peter Hammerschmidt und Gerd Stecklina fortgeführt. Die Beiträge sollen die interessierte Fachöffentlichkeit anregen, sich an den aktuellen Diskussionen im Rahmen der sozialpädagogischen Arbeit zu beteiligen.
Autor:innen
Für den Band „Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit“ konnte das Herausgeberteam Kolleginnen und Kollegen der Münchner Hochschule gewinnen: Professorin Gabriele Fischer mit den Arbeitsschwerpunkten „Arbeit und Geschlechterverhältnisse“/„rechte Gewalt und Erinnern“, Prof. Burkhard Hill mit den Arbeitsschwerpunkten „Kulturelle Bildung“/„Musik in der Sozialen Arbeit“, „Theorien der Sozialen Arbeit“, „ethnografische und rekonstruktive Sozialforschung“, Prof. Andreas Panitz mit den Arbeitsschwerpunkten „Kulturpädagogik und Soziale Arbeit“.
Von der Universität Tübingen erstellte Prof. Rainer Treptow einen Beitrag zur Thematik, seine Arbeitsschwerpunkte sind „Theorie und Geschichte der Sozialen Arbeit“/„Kulturelle Bildung“, „Pädagogik der Kindheit“. Prof. Frank Matzke von der Frankfurter University of Applied Sciences stellt in der Publikation seine Erfahrungen als Performer und Theaterpädagoge vor, Professorin Elke Josties von der Berliner Alice Salomon Hochschule referiert über Musik, diskriminierungs- und machtkritische Ansätze sowie über Politik- und Protestbewegungen. Professorin Marion Gerards von der Hochschule Nordrhein-Westfalen hat ebenfalls Musik und Soziale Arbeit sowie Musik und Genderarbeit als Beitrag bereitgestellt. Johann Bretting, wissenschaftlicher Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg stellt zusammen mit Gabriele Fischer in ihren Beitrag die Verfolgungsgeschichte der sog. „Asozialen“ vor.
Aufbau und Inhalt
Die Publikation zeigt einen sehr gut gegliederten Aufbau, der in den Themenfeldern „Grundsatzfragen der Betrachtung der Kulturellen Bildung und der Sozialen Arbeit“, „zielgruppenbezogene kulturelle und soziale Arbeit mit Benachteiligten“, „primär- und sekundärbezogene Medienarbeit im Rahmen der sozialen Arbeit“ zum Ausdruck kommt. Die Beiträge beginnen jeweils mit einem „Abstract“, zentrale Aussagen des jeweiligen Artikels werden in wenigen Sätzen vorgestellt. Es folgt eine ausführliche Betrachtung des Forschungs-/​Themenfeldes, die Kapitel schließen jeweils mit einem Fazit ab sowie Hinweisen zur verwendeten Literatur. Die Publikation umfasst 191 Seiten, davon mit gleichen Anteilen etwa die theoriegeleiteten- und medienbezogen Kapital, ca. 1/5 der Beiträge erfassen eher zielgruppenbezogene Ausführungen.
Hammerschmidt, Stecklina und Steindorff-Classen geben eine umfassende Einführung in die Thematik „Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit“. Zunächst klären sie den Begriff „Bildung“, es folgt „Kultur“, bevor sie das Bedeutungsfeld „Kulturelle Bildung“ aufgreifen. Hilfreich dabei, dass auf grundlegende (historische) Literatur zurückgegriffen wird, was in der aktuellen Diskussion kaum noch praktiziert wird. Es wird immer wieder deutlich, dass primär Soziale Arbeit als Hilfe zur Lebensbewältigung und Ermöglichung von Subjektivität gesehen werden sollte, um eine gesellschaftlich akzeptierte Form der Handlungsfähigkeit zu erreichen, Kulturelle Bildung dabei als unterstützende Möglichkeit gesehen wird. Sie zitieren dazu die Münchner Pädagogische Aktion, dort wird die These aufgestellt, dass Kultur für alle Menschen zu einem Medium mit sozialem Gebrauchswert wird. Individuelle Gebrauchswerte können durch Soziale Arbeit auch durch Angebote und Maßnahmen der Kulturellen Bildung beitragen, so wird Winkler (Theorie der Sozialpädagogik) zitiert. Ausbildungsbezogen impliziere das, dass die Ausbildung zur Sozialen Arbeit auch die theoretischen Konstrukte der Kulturellen Bildung beinhalten solle, ebenso, wie die Ausbildung im Bereich der Kulturellen Bildung auch das Methodenrepertoire der Sozialen Arbeit berücksichtigen solle. Als Beispiel wird die „Bewältigungstheorie“ (L. Böhnisch) herangezogen, dem Streben nach Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit des Menschen in seinem eigenen Leben. Hier zeige sich, so das Autorenteam, der Einsatz von ästhetischen Medien als besonders gewinnbringend.
Burghard Hill nimmt eine historische Bestimmung vor zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und Kultureller Bildung, dabei bezieht er sich auf ausgewählte Theorien der Sozialen Arbeit. Er verortet Gemeinsamkeiten der Disziplinen Mitte des 19. Jahrhunderts mit der geforderten Aufgabe, das Spannungsverhältnis zwischen bürgerlicher Gesellschaft und der durch Industrialisierungsprozesse ausgelösten sozialen Benachteiligungen der arbeitenden Menschen aufzulösen und sie an bürgerliche Normen anzupassen. Dieser Anpassungsprozess sei indes unterbrochen worden, erst durch die sozialen Bewegungen in den siebziger Jahren hätte wieder eine gewisse Anpassung der Sozialen Arbeit und der Kulturellen Bildung ermöglicht werden können. Diese Annäherung ermögliche auch einen Bezug zur sinnlichen Wahrnehmung und Gestaltungsfähigkeit der Adressaten/​Adressatinnen, so Hill.
Andreas Panitz thematisiert eine gegenwartsbezogene Betrachtung des Verhältnisses Soziale Arbeit zur Kulturellen Bildung. Dabei plädiert auch er für einen stärkeren Bezug zur sinnlichen Wahrnehmung, zentrale Rolle spiele dabei eine kultur- und leibphänomenologische (Bewusstsein und Wahrnehmung) Perspektive in der sozialen Arbeit. Er konstatiert, dass der Sozialpädagogik kulturpädagogische Handlungsformen immanent sind, sie beginnen mit alltagsorientierten Handlungen, gehen über Methoden und Projekte bis zur Mitgestaltung des sozio-ökologischen Umraums.
Rainer Treptow untersucht in seinem Beitrag, wie sich Kulturelle Bildung in der Sozialen Arbeit für sozial Benachteiligte gestalten lässt. Er stellt die Frage, wie der Kunst- und Kulturbereich soziale Verantwortung wahrnehmen kann und wie eine effiziente Vermittlung bei den Adressaten und Fachkräften der sozialen Arbeit erfolgen kann. Treptow führt exemplarische Praxisbeispiele an, die ihn zu folgenden Thesen veranlassen:
- Kunst kann eine Form der Lebensbewältigung sein, als eigene Aktion oder als Rezeption
- Kunst bietet Anschlussstellen für Soziale Arbeit.
Er resümiert, dass die Verbindung von Sozialer Arbeit und Kultureller Bildung eine wechselseitig herausfordernde Aufgabe sei, die beiden eine andere Chancenstruktur eröffne, nämlich die kulturell beschränkte Welt Sozialer Arbeit und die sozial beschränkte Welt des Kulturellen zu erweitern.
Nach den Grundlagenbeiträgen widmen sich die folgenden Autorinnen und Autoren exemplarisch unterschiedlichen Medien der Kulturellen Bildung.
Caroline Steindorff-Classen nimmt das Medium „Lesen“ als Gegenstand ihrer Betrachtungen, sie weist der „Lesekompetenz“ eine zentrale Rolle zu. Lesen sei eine Schlüsselqualifikation, insbesondere für die soziale und politische Teilhabe jedes Einzelnen und konstitutiv für die Persönlichkeitsbildung. Sie thematisiert dabei die Schwierigkeiten der Vermittlung bei Teilen der Adressaten der Sozialen Arbeit, Soziale Arbeit habe oft mit sozial benachteiligten Menschen zu tun, diese Arbeit weise mehr oder weniger Formen von Zwang auf. Kulturelle Bildung betone indes die Bedeutung von Freiwilligkeit für die Nutzung ihrer Angebote.
Marion Gerads und Elke Josties thematisieren „Musik“ in der Sozialen Arbeit, Frank Matzke die pädagogische Auseinandersetzung dem „Theater“. Die Autorinnen betonen, dass die meisten Adressaten der Sozialen Arbeit einen Zugang zur Musik haben. So habe die Vermittlung von musikbezogener Teilhabe eine große Bedeutung für Personen, die aufgrund sozialer, ökonomischer, gesundheitlicher oder lebensweltlich-kultureller Voraussetzungen nur über geringe Partizipationschancen in der Gesellschaft verfügen würden. Musik in der Sozialen Arbeit zeichne sich dadurch aus, dass sie das Recht auf musikalische Teilhabe fördere. Deshalb solle sich soziale Arbeit offensiv für die Aneignung von Räumen und Experimentierflächen in der Praxis einsetzen und somit kulturelle wie auch gesellschaftspolitische Transformationsprozesse herausfordern und mitgestalten.
Frank Matzke setzt sich mit dem Medium „Theater“ in der Sozialen Arbeit auseinander. Theaterspielen habe in der Praxis und Ausbildung der Sozialen Arbeit einen eigenständigen Platz. Hier seien auch forschende Anteile zu finden, so Matzke. Er bezieht seine Ausführungen auf Arbeitsergebnisse an der Frankfurter Hochschule im Lehrbereich künstlerisches Forschen im Medium Theater.
Johannes Bretting und Gabriele Fischer setzen sich mit der Kulturellen Bildung im Rahmen der Gedenkstättenarbeit in der Sozialen Arbeit auseinander. Sehr eindrucksvoll beschreiben sie Gedenkstätten als besondere Orte und Medien kultureller Bildung und beziehen ihre Ausführungen auf den Künstler Georg Tauber, der als Überlebender die KZ-Haft überstanden hat. Seine Kunstwerke werden als Verbindungsstücke zwischen Geschichte der Verfolgten und der Gegenwart der Gedenkstättenbesucher herangezogen. Die Autorin/der Autor sehen im Kontext der Kulturellen Bildung, dass die Werke des Künstlers Wissen über die Ereignisgeschichte und den gewaltvollen Alltag der KZs vermitteln können, die Zeichnungen zudem einen Zugang zur individuellen Auseinandersetzung mit den schrecklichen Ereignissen hervorrufen können. Auch können sich die Besucher der Gedenkstätten mit der historischen und ästhetischen Ausarbeitung der Kunstwerke beschäftigen. Kunst könne somit als Überlebensmittel und Dokumentation begriffen werden.
Zielgruppe
Als Zielgruppe können primär Studierende der Sozialen Arbeit an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften genannt werden, die Kulturelle Bildung im Lehrplan vielleicht immer noch als „Kürmodule“ ausgewiesen haben.
Für Studierende im Kultur- und Medienbereich ist die Publikation sehr hilfreich, um grundlegende Ausbildungsschwerpunkte und die Philosophie der Sozialen Arbeit kennenzulernen, um damit das Verständnis der möglicherweise unterschiedlichen Disziplinen (Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit) für die Medien- und Kulturpädagogik Studierenden plausibel zu machen. Wie in der Publikation in allen Beiträgen kommuniziert wird, partizipieren beide Bereiche voneinander.
Diskussion
Die Publikation gibt eine sehr gute Einführung in die Denk- und Arbeitsweise der Disziplinen „Soziale Arbeit“ und „Kulturelle Bildung“. Insbesondere der historische Begründungszusammenhang macht deutlich, wie unterschiedlich und doch miteinander vernetzt beide Disziplinen sind. Die Klärung der Grundsatzfragen dazu ist von der „Münchener Schule“ verständlich und nachvollziehbar erfolgt, die beispielbezogenen Ausführungen der Arbeit mit Medien ist anwendungsbezogen beschrieben worden.
Positiv erwähnenswert ist der sehr gut gegliederte Aufbau der Publikation: zunächst „Abstract“, es folgt die Einleitung des jeweiligen Artikels, dann eine ausführliche Betrachtung des Forschungs-/​Themenfeldes, ein inhaltlich zusammenführendes Fazit mit Hinweisen zur verwendeten Literatur rundet den jeweiligen Beitrag ab. Ein Vorgehen, wie es auch in der Hochschullehre vermittelt wird.
Was Kulturelle Bildung im Rahmen der sozialpädagogischen Arbeit wirklich leisten kann, wird in den medienbezogenen Beiträgen deutlich – sie ist unverzichtbar geworden für die Soziale Arbeit. Es wird deutlich, dass Kulturelle Bildung nicht nur für sozial privilegierte Menschen relevant ist, sondern ebenso für sozial benachteiligte Menschen. Soziale Arbeit hat die Aufgabe, Menschen in sozialen Problemlagen Hilfen zur Lebensbewältigung zu gewähren, die medienbezogene Kulturelle Bildung leistet hierzu einen integrativen Bestandteil.
Fazit
Insbesondere bei den Herausgeber:innen der Publikation wird ihre Intention deutlich, Studierenden und Praktiker:innen in den Berufsfeldern der sozialen Arbeit historische Bezüge zur Bildung, Kultur und nicht zuletzt der sozialen Arbeit zu verdeutlichen.
Rezension von
Prof. Dr. Johann Bischoff
Professor für Medienwissenschaft und angewandte Ästhetik an der Hochschule Merseburg
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Zitiervorschlag
Johann Bischoff. Rezension vom 28.05.2024 zu:
Peter Hammerschmidt, Gerd Stecklina, Caroline Steindorff-Classen (Hrsg.): Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2024.
ISBN 978-3-7799-8000-1.
Reihe: Aktuelle Themen und Grundsatzfragen der Sozialen Arbeit.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31970.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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