Christine Carl, Ismene Ditrich et al.: Die Welt der Frauen und Mädchen mit AD(H)S
Rezensiert von Dipl. Päd. Sabine Kamp-Decruppe, 15.05.2024

Christine Carl, Ismene Ditrich, Christa Koentges, Swantje Matthies: Die Welt der Frauen und Mädchen mit AD(H)S. Warum sie so besonders sind und was sie stark macht. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2023. 2. Auflage. 239 Seiten. ISBN 978-3-407-86704-9. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.
Hintergrund
Frauen und Mädchen erhalten viel seltener eine ADHS-Diagnose als Jungen bzw. Männer. AD(H)S zeigt sich bei ihnen anders und geschlechtsspezifische Unterschiede sind noch wenig erforscht.
Thema
Die Autorinnen klären mit diesem – bereits in der 5. Auflage erscheinenden – Buch auf. Sie richten sich sowohl an Betroffene als auch an Eltern und wollen Bewusstsein schaffen „für die weibliche Variante von AD(H)S und betroffenen Frauen und Mädchen dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen und anzunehmen.“ (Zitat vom Umschlag)
Autorinnen
Die vier Autorinnen Christine Carl, Ismene Ditrich, Christa Koentges und Swantje Matthies bilden die Freiburger Arbeitsgruppe AD(H)S und sind Psychologische Psychotherapeutinnen bzw. Fachärztinnen für Psychiatrie und Psychotherapie.
Inhalt
Vorwort Wäscheberge vormittags, Fallschirmspringen nachmittags
„Dieses Buch gibt Informationen zu AD(H)S als einer biologischen Besonderheit, stellt die frauentypische Ausprägung vor und umreißt sie in ihrer Vielfältigkeit. Dabei werden nicht nur die typischen mit AD(H)S einhergehenden Selbstbewertungen erläutert, sondern ihnen werden AD(H)S-typische Ressourcen entgegengesetzt, die mehr Aufmerksamkeit und Förderung verdienen, als sie bislang bekommen.“ (S. 14)
„… eine AD(H)S zeigt sich bei Frauen anders als bei Männern. … – und geschlechtsspezifische Diagnosekriterien für AD(H)S bei Frauen gibt es nicht. … Die zu späte oder fehlende Diagnose kann für Frauen und Mädchen schwerwiegende Folgen haben… von Selbstvorwürfen und negativen Selbstbildern“ (S. 13) bis hin zu Depressionen und Angststörungen.
Das Buch richtet sich an „Frauen und Mädchen, die hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben und die ihre Potenziale nicht nutzen können.“ (S. 11)
Kapitel 1: Unaufmerksam, hyperaktiv, impulsiv – Was ist AD(H)S?
Folgende Fragen und Themen werden in diesem Kapitel behandelt:
- Was ist eigentlich 'normal'?
- Was ist eigentlich eine Krankheit?
- Welche Symptome gehen mit AD(H)S einher?
- Wie entsteht AD(H)S eigentlich?
- Haben wir jetzt alle AD(H)S?
AD(H)S ist eine sogenannte Entwicklungsstörung, das heißt, dass sie in einer bestimmten Altersspanne beginnt (aber nicht unbedingt festgestellt wird). „Für die Diagnosestellung ist entscheidend, ob eine relevante Beeinträchtigung und Leidensdruck aus den Symptomen resultieren.“ (S. 25) Die Symptome Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität, Impulsivität und weitere werden mit gendersensiblem Blick dargestellt.
Die Unterscheidung in Subtypen ADHS und ADS „stellt ohnehin eine grobe Vereinfachung der viel komplexeren Realität dar“ (S. 35), die individuelle Behandlungskonzepte erfordert. In diesem Buch wird daher übergreifend die Abkürzung AD(H)S genutzt.
Es gibt eine Liste mit typischen Erfahrungsmustern und eine Tabelle zur Abgrenzung jeweils für Schwerpunkt Unaufmerksamkeit und Schwerpunkt Überaktivität und Impulsivität. (auf S. 36 und 37)
Unter dem Abschnitt zur Entstehung wird auf die genetische Komponente hingewiesen, die Rolle von Neurotransmittern und der mögliche Einfluss der Sexualhormone diskutiert. Gerade letztere sind Forschungsgegenstand und „noch lange nicht abschließend geklärt“ (S. 42)
„Beim Durchlesen von AD(H)S-Symptomen kann aufgrund des fließenden Übergangs…der Eindruck entstehen, man leide selbst unter einer AD(H)S.“ (S. 43) AD(H)S ist keine Modediagnose und hat auch seit der Erfindung von Fernsehen und Internet nicht zugenommen, daher appellieren die Autorinnen „genau hinzuschauen.“ (S. 43)
Kapitel 2: Weniger auffällig, weniger schlimm? – Warum AD(H)S bei Frauen und Mädchen häufig unbemerkt bleibt
„Etwa 5 % aller Kinder in Deutschland sind…von AD(H)S betroffen. Dabei werden mindestens zwei- bis dreimal so viele Jungen … diagnostiziert wie Mädchen. Im Erwachsenenalter sind zwei bis vier % betroffen, und das Verhältnis gleicht sich an: 1,6 zu 1.“ (S. 47)
Bei den Gründen für diese Unterschiede wird auf die (fehlende) Gendermedizin verwiesen, welche auch in der Psychiatrie noch Nachholbedarf hat. „Schon allein die Diagnosekriterien für verschiedene Störungen scheinen nicht gleichermaßen für beide Geschlechter zuzutreffen.“ (S. 48)
„AD(H)S ist eine genetisch festgelegte neurobiologische Erkrankung.“ (S. 49) Bei der Diagnostik werden einerseits laut der Autorinnen geschlechtsspezifische Kompensationsstrategien und Bewältigungsstile zu wenig berücksichtigt und andererseits gleiches Verhalten „bei Mädchen vielfach anders interpretiert als bei Jungen“ (S. 50)
„Der Umstand, dass viele Mädchen mit AD(H)S 'übersehen' werden … ist problematisch“ (S. 54), denn unzählige Erfahrungen des Scheiterns werden als persönliches Defizit gedeutet und führen zu ungünstigen Grundannahmen bis hin zu vermeidbaren Folgeerkrankungen.
Kapitel 3: AD(H)S bei Frauen und Mädchen – Eine Besonderheit, die das Leben prägt
In diesem Kapitel werden die typischen Probleme von Frauen und Mädchen mit AD(H)S beschrieben. Das wird vom Alters- und Entwicklungsverlauf her aufgebaut und mit vielen praktischen Beispielen unterlegt:
Kindesalter – Popo-Rutscher und Sonnenscheine
- Ich will aber…! Kleine und ganz große Dramen
- Geschichten im Kopf
- Quasselstrippen und Plappertaschen
Schulalter – immer wieder aus süßen Träumen gerissen
- Jugendalter – Zwischen Anpassung und AufbegehrenTeilleistungsstörung oder 'typisch' Frau?
Erwachsenenalter – Ein Genie beherrscht das Chaos?
- Schwangerschaft und Stillzeit mit AD(H)S
- Das 'Warum bin ich keine glückliche und ausgeglichene Mutter?'-Problem
- AD(H)S und die Wechseljahre
Fortgeschrittenes Alter – Oma fährt im Hühnerstall Motorrad?
„Häufig spüren Frauen eine große Last von sich abfallen, wenn sie erfahren, dass ihre Probleme völlig normal sind, es nicht nur ihnen so geht und sie nicht verurteilt werden. Das ist in der Regel der erste Schritt: sich wohlwollend mit den eigenen Schwierigkeiten auseinanderzusetzen und Lösungen für den Alltag zu finden, um den AD(H)S-Anteilen gerechter zu werden.“ (S. 78)
Kapitel 4: Hinfallen, aufstehen, Krone verloren – Wie erleben Frauen und Mädchen sich und ihre AD(H)S?
Hier werden folgende Fragen und Annahmen behandelt: „Wie fühlt es sich an, mit AD(H)S durchs Leben zu gehen? Wo gibt es Hürden? Wo haben Betroffene vielleicht aber auch Vorteile gegenüber 'Normalos'?“ (S. 81) „AD(H)S zu haben hat immer einen Einfluss darauf, wie wir uns selbst und unsere Umwelt wahrnehmen und bewerten.“ (S. 82) Wie ist der Umgang mit Konzentration, mit Aufmerksamkeit, mit Antrieb(-slosigkeit), mit Chaos und Fokussierung? Besonders das Thema Antrieb wird mit vielen Beispielen illustriert, die die positiven wie negativen Aspekte zeigen. Es werden funktionale und dysfunktionale Stimulationsstrategien gegenübergestellt, um alternative Handlungsmöglichkeiten zu finden.
Die Autorinnen verweisen auf ein bekanntes Beispiel für den Genderblick: „1998 erschien das berühmte Buch Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken, dass sich mit Unterschieden im Verhalten und Erleben von Geschlechtern beschäftigt und versucht, diese zu erklären. Was lernen wir daraus? Bei Männern ist es quasi 'inklusive', dass sie nicht gut zuhören, bei Frauen gilt das hingegen als Kernkompetenz, die ganz automatisch erwartet wird. Umso problematischer, wenn man das immer wieder nicht hinbekommt und so den eigenen Erwartungen und denen von außen nicht gerecht wird.“ (S. 85)
Das Leben mit AD(H)S kann anstrengend sein und hat „Auswirkungen auf Selbstbewusstsein, Beziehungen und Lebensstabilität. … Es ist wichtig als Betroffene über … die Mechanismen dahinter Bescheid zu wissen, um mit den eigenen Besonderheiten wohlwollend und in sinnvoller Weise umgehen zu lernen – und nicht schon im Kindesalter verzerrte Grundannahmen über die eigene Person zu entwickeln“. (S. 104 f.)
Kapitel 5: „Ich bin so blöd!“ – Negatives Selbstkonzept als zweite Krankheit
Dieses Kapitel nimmt „die Selbstbewertung von Betroffenen und die Bewertung durch andere Personen noch einmal genauer unter die Lupe. Denn die Erwartungen, die die Gesellschaft an Frauen und Mädchen heranträgt, sind nicht die gleichen, die sie an Jungen und Männern heranträgt“ (S. 107), wie schon im vorigen Kapitel dargelegt.
„Von ihren Altersgenossinnen werden Mädchen mit AD(H)S oft abgelehnt, weil sie stören und provozieren…Mädchen mit ADS werden vielfach gehänselt oder sogar gemobbt, weil sie zu langsam sind und sich oft nur schwer wehren können. … Bereits früh sind AD(H)S-bedingte Besonderheiten moralisch bewertet worden. … Bei Mädchen fällt diese moralische Bewertung in der Regel noch strenger aus. Denn die Expressivität ihrer AD(H)S-Symptomatik widerspricht den sozial-kulturellen Normen angemessenen weiblichen Verhaltens.“ (S. 108 f.)
Zusätzlich hindern die sich daraus entwickelnden negativen Selbstkonzepte die Betroffenen oftmals daran, eine Therapie zu beginnen.
Kapitel 6: AD(H)S kommt selten allein – Begleiterkrankungen und Folgeprobleme
Dieses Kapitel macht eine Bestandsaufnahme möglicher Folge-n-(erkrankungen) psychischer und psychosozialer Art, um in einem weiteren Kapitel genau davor zu schützen. „Mädchen sind häufiger als Jungen mit AD(H)S von sogenannten internalisierenden Störungen wie z.B. Depressionen und Angsterkrankungen betroffen … Im Verlauf der Jugend nehmen, begünstigt durch Impulsivität, Neugier und Risikobereitschaft, der Suchtmittelkonsum und im Verlauf Substanzabhängigkeiten zu.“ (S. 116) Das generiert weitere Probleme.
Zum Thema AD(H)S und Ängste schreiben die Autorinnen: „Frauen neigen eher zu Angststörungen, was durch die Anforderungen des Alltags begünstigt wird“ (S. 120) und „Frauen und Mädchen mit AD(H)S geraten häufig in Situationen, in denen das eigene Chaos den Alltag zu einer völligen Überforderung werden lässt. Gleichzeitig fällt es ihnen schwer, sich Unterstützung zu holen oder nach Lösungen zu suchen. Sie schämen sich dafür, dass sie es nicht hinbekommen, den alltäglichen Anforderungen gerecht zu werden … Auf diese Weise bleiben viele Betroffene mit einer erhöhten Grundanspannung und Ängstlichkeit auf sich allein gestellt.“ (S. 121)
So haben „junge Frauen mit AD(H)S ein höheres Risiko, an einer Depression zu erkranken, als Frauen ohne AD(H)S, aber auch als junge Männer mit AD(H)S.“ (S. 123) Das Zusammenspiel von AD(H)S und depressiver Erkrankungen gestaltet sich so komplex, dass die Autorinnen intensiv zu einer professionellen Unterstützung raten.
Viele Frauen mit AD(H)S schaffen sich Kompensationsbereiche wie z.B. Sport; bricht diese Struktur aus irgendeinem Grund ein (Unfall, Wintermonate), gerät das System ins Wanken, weil ein Ausgleich fehlt und kann eine depressive Episode befördern.
Im Weiteren diskutieren die Autorinnen das erhöhte Risiko von traumatischen und Gewalt-Erfahrungen, mögliche Persönlichkeitsstörungen wie Narzissmus und Borderline (…“wurde in einer Studie gezeigt, dass 60 Prozent der Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in ihrer Kindheit AD(H)S-Symptome aufwiesen.“ S. 129).
Nicht zuletzt kann ein instabiler Tag-Nacht-Rhythmus zu Stress und weiteren Beeinträchtigungen führen.
Schließlich listen die Autorinnen jede Menge Schwierigkeiten im sozialen Umfeld auf:
- Schwarze Schafe unter sich – AD(H)S in der Familie
- AD(H)S und Muttersein
- AD(H)S und Partnerschaft
- AD(H)S und Beruf
Am Ende des Kapitels findet vermutlich jede ein bisschen AD(H)S bei sich? Die Autorinnen trösten: „Wenn wir mögliche Folgen… aufzeigen, geht es darum, dass du … schauen kannst, ob etwas davon bei dir zutrifft, um dann vorsichtig zu sein oder gegensteuern zu können. … Manche Frauen und Mädchen gehen weitgehend problemfrei mit ihrer AD(H)S durchs Leben oder können die damit verbundenen Stärken sogar ziemlich geschickt einsetzen.“ (S. 140)
Kapitel 7: Von Rennpferden und Einhörnern – Ressourcen von Frauen und Mädchen mit AD(H)S
Nach den ganzen „Defiziten“ geht es hier um die Ressourcen und eine ressourcenorientierte Betrachtung. Die defizitorientierte Sichtweise ist sinnvoll um Hilfe zu bekommen und ggfs. „einen Kostenträger von der Notwendigkeit einer Behandlung zu überzeugen.“ (S. 145)
Die Autorinnen sagen stattdessen: „Jede Eigenschaft geht mit Vor- und Nachteilen einher.“ (S. 149) und warnen vor Schwarz-Weiss-Denken: Nimm deine Eigenheiten mit allen Stärken und Schwächen an und lerne, das Beste aus ihnen zu machen.
Eine Tabelle (auf S. 150) stellt daher die Defizite bei AD(H)S den Ressourcen gegenüber und wird im Text weiter ausgeführt:
- Sprunghaftigkeit versus Vernetztes Denken: (führt zu) Kreativität, Ideenreichtum und Fantasie
- Die Sonnenseite der Impulsivität: Ehrlichkeit, Begeisterungsfähigkeit und Spontaneität
- Die Sonnenseite der Hyperaktivität: Energie ohne Ende
- Sonnenseite der Ablenkbarkeit: Geistige Flexibilität, Aufgeschlossenheit und Neugierde
Das Kapitel endet mit inspirierenden Vorbildern, wobei erfolgreiche Frauen mit AD(H)S deutlich seltener sind als berühmte Männer, vielleicht wieder aufgrund der Rollenerwartungen? Jedoch kennen die meisten vermutlich die hyperaktiven Heldinnen von Astrid Lindgren: Pippi Langstrumpf und Madita.
Kapitel 8: Selbsthilfe für Frauen und Mädchen mit AD(H)S – Die acht Arme des Oktopus
Dieses Kapitel ist mit 45 Seiten das umfangreichste. Es richtet sich an erwachsene Frauen, gibt aber auch Hinweise an die Mütter betroffener Mädchen. Wir finden Tipps, Tricks und Übungen „für einen komplikationsarmen Alltag, ein gutes Selbstwertgefühl und das langfristige Erreichen von Zielen.“ (S. 165) Diese Übungen sind wie die acht Arme eines Oktopusses aufgebaut und grafisch dargestellt. Vieles ist allgemeingültig:
Arm 1: Lerne dich und deine AD(H)S kennen (als Beispiel hier mit allen Übungen)
- Übung Steckbrief deiner Einzigartigkeit
- Übung Meine AD(H)S
- Übung Wofür brauchst du Zeit?
- Checke deine 'Komplexe'
Arm 2: Übe Akzeptanz und Freundlichkeit mit dir. Neben drei Übungen gibt es hier eine Liste „deine vermeintlichen Schwächen aus einer anderen Perspektive zu sehen und in ihnen Stärken zu entdecken.“ (S. 175)
Arm 3: Stelle eine Basisstabilität her
Arm 4: Lerne, dich auszubalancieren. Auch hier drei Übungen und fünf praktische Listen, Tricks für ein entspanntes Leben.
Arm 5: Übe innere Bereitschaft
Arm 6: Übe Struktur. „Struktur ist alles“ (S. 191), behaupten die Autorinnen, und werben für Wochenplanung, Routinen und Rituale, Ordnungssysteme, Listen, das Eisenhower-Prinzip und andere Methoden.
Arm 7: Übe Achtsamkeit
Arm 8: Bleib dran
Es ist ein sehr praxisorientiertes Kapitel, welches man separat aus dem Buch kopieren und nutzen könnte.
Kapitel 9: AD(H)S-Therapie bei Frauen und Mädchen
Dieses Kapitel bietet eine umfassende Übersicht über Behandlungsmöglichkeiten mit dem Ziel Frauen und Mädchen in die Lage zu versetzen, selbst über den Grad des eigenen Chaos zu bestimmen.
„Brauchst du professionelle Unterstützung?“ (S. 212), fragen die Autorinnen und erläutern innere Widerstände und andere Vermeidungsstrategien. Dagegen kann es sehr entlastend sein, zu merken, dass Frau nicht alleine mit ihren Schwierigkeiten ist.
Verschiedene Behandlungsformen werden erklärt: Psychoedukation hilft mit Informationen und Einordnung, eine sogenannte leitliniengerechte Behandlung darf nur von Fachpersonal durchgeführt werden und ist ebenso wie Medikamente vom Schweregrad der AD(H)S abhängig.
Psychosoziale Therapieformen wie Beratung und Selbsthilfe sowie Trainings für Eltern und pädagogisches Personal sind hilfreich und niedrigschwellig.
Als wichtige Bestandteile jeglicher Therapie empfehlen die Autorinnen
- Achtsamkeitsübungen
- Zeitmanagement, denn Pünktlichkeit ist eine große Herausforderung für die Betroffenen; „Zeitvergessenheit gilt als zentrale Problematik“ (S. 226)
- Bewegung: mit Achtsamkeit für das richtige Maß
- die Arbeit mit Bezugspersonen.
Das Buch endet mit dem Appell: „Lass dir helfen, dir dein Leben mit AD(H)S leichter zu machen!“ (S. 231)
Diskussion
Ich füge hinzu: ein wichtiger Schritt ist durch das Lesen dieses Buches bereits getan.
Auf dem Deckblatt steht „Warum sie (die Mädchen und Frauen mit AD(H)S) so besonders sind und was sie stark macht.“ Dazu gibt dieses Buch viele Antworten und gute praktikable Anregungen.
Das Buch wirkt stringent und einheitlich, und wenn an manchen Stellen Wiederholungen auftauchen, sind die im Kontext sinnvoll. Ich finde das Buch gut lesbar, die Beispiele sind aus dem weiblichen Alltag.
Oftmals werden die Leserinnen mit Du angesprochen, das unterstreicht den Ratgeber-Charakter. Die AD(H)S-Thematik wird aus feministischer Perspektive beschrieben, und die gesamte Einordnung der Symptome ist sachlich, dabei wertschätzend und immer ressourcenorientiert. Diese wertschätzende Perspektive sensibilisiert die eigenen Maßstäbe genauer zu hinterfragen.
Kommt frau als Leserin an den Punkt, die eine oder andere Ausprägung bei sich selbst zu entdecken, kann sie sich fragen: welche Mittel stehen mir zur Verfügung mit bestimmten (Un-)Fähigkeiten, besser umzugehen. Wie groß ist mein Leidensdruck? Auch da gibt das Buch Hilfestellung.
Wie die Autorinnen feststellen, ist die wissenschaftliche Lage bezüglich Frauen und Mädchen mit AD(H)S noch wenig erforscht; die Notwendigkeit, das zu ändern, ist nach der Lektüre offensichtlich. Ich bin durch die Lektüre auch neugierig geworden, wie sich AD(H)S im Alter auswirkt, z.B. wenn körperlicher Ausgleich/​Bewegung im hohen Alter nur eingeschränkt möglich ist.
Besonders nützlich ist das achte Kapitel voller Übungen und Anregungen. Damit kann sich jede Betroffene ein individuelles Programm zusammenstellen, und gezielt an den eigenen Ressourcen arbeiten.
Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen und fühle mich nun viel besser informiert.
Meine von ADHS betroffene Test-Mitleserin war ebenfalls positiv eingenommen.
Fazit
Unbedingt lesenswert!
Rezension von
Dipl. Päd. Sabine Kamp-Decruppe
Mediatorin, Mitarbeiterin im Psychosozialen Dienst der Friesenhörn GmbH
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