Walhalla Fachredaktion: Das gesamte Kinder- und Jugendrecht
Rezensiert von Prof. Dr. Manfred Liebel, 07.06.2024

Walhalla Fachredaktion: Das gesamte Kinder- und Jugendrecht. Ausgabe 2024; Mit den aktuellen familienrechtlichen Vorschriften. WALHALLA Fachverlag /metropolitan Verlag (Regensburg) 2024. 15. Auflage. 736 Seiten. ISBN 978-3-8029-5332-3. 22,95 EUR.
Thema
Das Kinder- und Jugendrecht ist in Deutschland in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen verstreut. Es umfasst internationale Verträge wie die UN-Kinderrechtskonvention, die in Deutschland den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat, ebenso wie nationale Gesetze, Staatsverträge und Rechtsverordnungen. Diese Rechtsvorschriften sind aufeinander verwiesen und eine verbindliche Grundlage für das Handeln in allen Lebensbereichen und Berufen, die mit jungen Menschen direkt oder indirekt zu tun haben. Im vorliegenden Handbuch sind die wichtigsten sozialrechtlichen, familienrechtlichen, jugendschutzrechtlichen und verfassungsrechtlichen Normen vereint, die bis zum 1. Januar 2024 in Kraft getreten sind.
Inhalt
Das Handbuch ist in 13 Abteilungen gegliedert und enthält zusätzlich ein Abkürzungs- und Stichwortverzeichnis, um das Verständnis und die Orientierung in dem rechtlichen Dschungel zu erleichtern. In einer knappen Vorbemerkung wird darauf hingewiesen, in welchen Bereichen sich seit dem 1. Januar 2024 Änderungen ergeben haben, die im vorliegenden Handbuch nicht mehr berücksichtigt werden konnten.
Unter der Überschrift „Grundrechte der Kinder“ umfasst die erste Abteilung den vollständigen Wortlaut der UN-Kinderrechtskonvention in der „amtlichen“ deutschen Übersetzung und kinderrechtlich relevante Auszüge aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Unter der Überschrift „Kinder- und Jugendhilfe (KJHG, SGB VIII)“ enthält die zweite Abteilung den kompletten Text des Sozialgesetzbuches VIII, das den rechtlichen Rahmen für die Organisation der staatlichen und nicht-staatlichen Kinder- und Jugendhilfe bildet. Außerdem sind ihm die Verordnung zur Festsetzung der Kostenbeiträge und vorläufige Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe sowie das Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Verbesserung der Teilhabe in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege beigefügt.
Unter der Überschrift „Sozialverwaltungsverfahren“ umfasst die dritte Abteilung den allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches I und das Sozialgesetzbuch X zu Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz.
Unter der Überschrift „Schutzvorschriften, Kinderschutz“ enthält die vierte Abteilung mehrere Gesetze und Verordnungen zum Kinder- und Jugendschutz. Dazu gehören u.a. das Jugendschutzgesetz und seine Ausführungsverordnung sowie das Jugendarbeitsschutzgesetz und die Verordnung über den Kinderarbeitsschutz.
Unter der Überschrift „Ausbildung, Beschäftigung, Arbeitsförderung“ enthält die fünfte Abteilung Auszüge aus dem Berufsbildungsgesetz, zwei Gesetze zu Freiwilligendiensten, einen Auszug aus dem Sozialgesetzbuch III zur Arbeitsförderung und das Bundesgesetz über die individuelle Förderung der Ausbildung, gemeinhin als BAföG bekannt.
Unter der Überschrift „Kinder und Jugendliche mit Behinderung, Krankheit“ umfasst die sechste Abteilung einen Auszug aus dem Sozialgesetzbuch IX zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung, zwei Verordnungen zur Eingliederungshilfe und zur Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder, einen Auszug aus dem Sozialgesetzbuch V zur gesetzlichen Krankenversicherung sowie einen Auszug aus dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten.
Unter der Überschrift „Existenzsicherung, Leistungen zur Bildung und Teilhabe“ enthält die siebte Abteilung einen für junge Menschen relevanten Auszug aus dem Sozialgesetzbuch II zu Bürgergeld bzw. Grundsicherung für Arbeitssuchende und den Text des Sozialgesetzbuches XII zur Sozialhilfe.
Unter der Überschrift „Jugendstrafrecht“ umfasst die achte Abteilung das Jugendgerichtsgesetz, die Verordnung über den Vollzug des Jugendarrestes sowie das Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister.
Unter der Überschrift „Stellung im Privatrecht; Familienrecht“ enthält die neunte Abteilung für Kinder und Jugendliche relevante Auszüge aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), das Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter, die Verordnung zur Festlegung des Mindestunterhalts der Kinder und die zur Berechnung dienende „Düsseldorfer Tabelle“, das Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen sowie Auszüge aus dem Gesetz über die Vergütung von Vormündern und Betreuern.
Unter der Überschrift „Familienrecht mit Auslandsberührung“ umfasst die zehnte Abteilung das zwischenstaatliche „Haager Übereinkommen“ zum Schutz von Kindern, die in einen anderen Staat geflüchtet sind oder von erwachsenen Personen willkürlich in einen anderen Staat verbracht oder von diesen daran gehindert werden, in einen anderen Staat zu gelangen, das „Haager Übereinkommen“ über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, das Europäische Übereinkommen zum Sorgerecht für Kinder sowie das Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten.
Unter der Überschrift „Adoptionsrecht“ enthält die elfte Abteilung das Gesetz über die Vermittlung und Begleitung der Adoption und über das Verbot der Vermittlung von Ersatzmüttern, das Gesetz über Wirkungen der Annahme als Kind nach ausländischem Recht, die Verordnung über die Anerkennung von Adoptionsvermittlungsstellen und zu erstattenden Kosten, das „Haager Übereinkommen“ sowie das entsprechende Ausführungsgesetz zum Schutz von Kindern auf dem Gebiet der internationalen Adoption sowie die Verordnung über Meldungen internationaler Adoptionsvermittlungsfälle an die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption.
Unter der Überschrift „Familienförderung, Familienlastenausgleich“ umfasst die zwölfte Abteilung das Bundeskindergeldgesetz, das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit sowie einen für die Betreuung und den Unterhalt von Kindern relevanten Auszug aus dem Einkommenssteuergesetz.
Unter der Überschrift „Familienverfahrensrecht“ enthält die dreizehnte Abteilung Auszüge aus dem Gerichtsverfassungsgesetz und dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie das Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts.
Diskussion
Das Handbuch beschränkt sich auf die Dokumentation der auf dem deutschen Staatsgebiet gültigen rechtlichen Normen und verzichtet auf jeglichen Kommentar. Die Auswahl und die Gliederung sind plausibel, und die Überschriften der 13 Abteilungen erleichtern ebenso wie das Stichwortverzeichnis die Orientierung. Allerdings benötigen die Nutzerinnen und Nutzer des Handbuchs einige Vorkenntnisse und Erfahrungen, um von den meist sperrigen Bezeichnungen der Gesetze und Verordnungen auf den entsprechenden Inhalt zu schließen und diesen zu verstehen. Das Handbuch ist zwar vermutlich in erster Linie für erwachsene Fachleute gedacht, die beruflich mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, aber es wäre auch wichtig, dass weniger sachkundige Personen und vor allem die von den rechtlichen Normen betroffenen jungen Menschen den Sinn und die Problematik von Gesetzen erkennen können.
So ist gewiss nicht bei allen möglichen Leserinnen und Lesern das Wissen vorauszusetzen, dass es zum Beispiel bei dem „Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ auch um die Bestellung von „Verfahrensbeiständen“, also einer Art von Kinderanwälten geht, die die Interessen der Kinder, die von Trennungen der Eltern oder Sorgerechtsentscheidungen betroffen sind, vertreten und die Kinder unterstützen sollen. Wer weiß, dass diese „Verfahrensbeistände“ eher selten von den Familienrichtern berufen werden und die betroffenen Kinder dabei auch nicht mitwirken können, und wer weiß, dass es sehr verschiedene Vorstellungen und Praktiken gibt, wie die Interessen der Kinder von den „Verfahrensbeiständen“ zu verstehen, zu ermitteln und zu vertreten sind, mag sich vorstellen, dass es zwischen dem Text des Gesetzes und der erlebten Realität im Gerichtsverfahren erhebliche Diskrepanzen gibt. Da dies auch für alle anderen rechtlichen Normen gilt, könnte eine Gesetzessammlung wie die vorliegende dem Irrtum Vorschub leisten, dass mit dem Text der Gesetze und Verordnungen „alles gesagt“ sei.
Deshalb hätte ich es wünschenswert gefunden, wenn dem Handbuch und den einzelnen Abteilungen jeweils eine Einleitung vorangestellt worden wäre, die Hinweise darauf gegeben hätte, dass die legalen Normen zwar als „verbindlich“ gelten, aber keineswegs mit der Gesetzespraxis identisch sind. Es hätte auch darauf hingewiesen werden können, dass die legalen Normen selbst unter Juristinnen und Juristen sehr verschieden interpretiert werden und „Minderjährige“ die Letzten sind, die bei dieser Interpretation, geschweige denn bei der Entstehung und Umsetzung der Gesetze und Verordnungen mitwirken können. Bisher jedenfalls nicht, denn dafür müssten sie zumindest das allgemeine Wahlrecht besitzen, das ihnen bisher verweigert wurde.
Da es sich um ein Handbuch des Kinder- und Jugendrechts handelt, hätte auch über den Abdruck der UN-Kinderrechtskonvention hinaus darauf hingewiesen werden können, dass diese Konvention selbst Gegenstand unterschiedlicher Interpretationen ist und sogar kontrovers diskutiert wird (dies gilt auch für die nicht unproblematische „amtliche“ deutsche Übersetzung des englischen Originals). Es hätte zum Beispiel nahelegen, auch die drei bisher von der UN-Generalversammlung beschlossenen Zusatzprotokolle mit abzudrucken (sie sind ebenso wie die Konvention rechtlich verbindlich) und zumindest zu erwähnen, dass die Konvention vom UN-Kinderrechtsauschuss in zahlreichen „General Comments“ interpretiert und konkretisiert worden ist. Was Deutschland betrifft, hätte auch nahegelegen, darauf aufmerksam zu machen, dass die Kinderrechtskonvention zwar nach der geltenden Rechtslage einem einfachen Bundesgesetz entspricht, aber seit ihrer Verabschiedung vor nunmehr 35 Jahren in Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsverfahren noch immer wenig beachtet wird. Es hätte auch darauf hingewiesen werden können, dass es bisher nicht gelungen ist, die Grundprinzipien der Konvention – wie in vielen anderen Ländern geschehen – in der Verfassung zu verankern und ihnen somit größeres Gewicht zu verleihen.
Da in dem Handbuch auf erklärende Einleitungen oder Anmerkungen verzichtet wird, in denen solche Fragen hätten angesprochen werden können, wird insgeheim der Eindruck vermittelt, die bestehenden Gesetze und Verordnungen sprächen für sich selbst. Da es sich bei den präsentierten Gesetzen und Verordnungen um eine Auswahl handelt, die den Entscheidungen einer „Fachbuchredaktion“ oblag, wäre es auch wünschenswert gewesen, deren Mitglieder namentlich zu nennen und ihre Expertise auszuweisen.
Fazit
Das Handbuch vermittelt eine plausibel wirkende und gewiss nützliche Übersicht über das in Deutschland geltende Kinder- und Jugendrecht. Aber es hätte an Wert gewonnen, wenn die „Fachbuchredaktion“ erläuternde Hinweise gegeben hätte, dass legale Normen nicht mit der „Rechtswirklichkeit“ identisch sind und immer Anlass bieten, hinterfragt und verbessert zu werden.
Rezension von
Prof. Dr. Manfred Liebel
Master of Arts Childhood Studies and Children’s Rights (MACR) an der Fachhochschule Potsdam, Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften
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