Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Gerhard Bäcker, Jürgen Boeckh et al.: Der Sozialstaat in Deutschland

Rezensiert von Dr. phil. Andreas Meusch, 30.06.2025

Cover Gerhard Bäcker, Jürgen Boeckh et al.: Der Sozialstaat in Deutschland ISBN 978-3-7560-0034-0

Gerhard Bäcker, Jürgen Boeckh, Ernst-Ulrich Huster: Der Sozialstaat in Deutschland. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2024. 250 Seiten. ISBN 978-3-7560-0034-0. 64,00 EUR.
Reihe: Staatsverständnisse - Band 175.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Auf der Grundlage der sich wandelnden Theorien zum Staat und zum Sozialstaat stellen die Autoren die theoretischen Grundlagen und den historischen Kontext dar. Sie entwickeln ein zeitgemäßes Verständnis der Rolle des Sozialstaates für die Stabilität der Demokratie.

Autoren

Prof. Dr. Gehrard Bäcker ist Senior Professor am Institut „Arbeit und Qualifikation“ der Universität Duisburg-Essen und Senior Fellow der Hans-Böckler-Stiftung.

Prof. Dr. Jürgen Boeckh lehrt Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel.

Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster lehrt Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik an der Evangelischen Hochschule Rheinland – Westfalen – Lippe in Bochum und als Privatdozent an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.

Entstehungshintergrund

Angesichts der wachsenden Kritik am Sozialstaat wollen die Autoren die Diskussion um den Sozialstaat versachlichen (S. 9). Aus der historischen Entwicklung des Sozialstaates werden Herausforderungen und Perspektiven in einer sich sozial und international verändernden Welt formuliert.

Aufbau

Das Editorial des Reihenherausgebers Prof. Dr. Rüdiger Voigt und die gemeinsame Einleitung der drei Autoren bilden den Auftakt des Bandes, der aus vier Kapiteln besteht, die jeweils einem Autor zugeordnet sind. Der abschließenden Fassung ging aber „ein intensiver Diskussions-, Abstimmungs- und Überarbeitungsprozess im Team“ (S. 12) voraus. Ein 16seitiges, gemeinsames Literaturverzeichnis schließt den Band ab.

Inhalt

Das erste Kapitel „Der demokratische und soziale Rechtsstaat – Eine systematische Zuordnung“ wird von Ernst-Ulrich Huster verantwortet. Ausgehend von den drei zentralen Grundrechten (liberale Freiheitsrecht, demokratische Mitbestimmungsrechte und soziale Teilhaberechte) entwickelt der Autor auf 23 Seiten eine Systematik des Sozialstaates, die im 16. Jahrhundert beginnt. Nach der „Begründung des Sozialversicherungsstaates“ (S. 24) im 19. Jahrhundert stellt er den „Ausbau und Demokratisierung des Sozialstaates“ (S. 27) im 20. Jahrhundert dar. Breiten Raum nimmt dann der Abschnitt „Der Sozialstaat in der Bundesrepublik Deutschland: Programm und theoretische Kontroversen“ ein (S. 31–41). Die Verbindung von sozialen und ökologischen Problemlagen ist der zentrale Aspekt im Abschnitt „Pluralisierung der normativen Kriterien für sozialstaatliches Handeln“ (S. 40f). Auf den letzten drei Seiten des Kapitels beschäftigt sich Huster mit der Sozialstaatlichkeit als einem „gesellschaftlich notwendigen Kompromiss auf Zeit“ (S. 42).

Vom selben Autor stammt das 2. Kapitel „Der Sozialstaat in Deutschland – Etappen, Leitbilder und soziale Triebkräfte“ (S. 45–95). In acht Abschnitten, die chronologisch von der vorbürgerlichen Gesellschaft bis zur Phase der „Aktivierung und Inklusion 1999 bis 2013“ (S. 87–93) strukturiert sind, wird eine Entwicklung von der „Subsidiarität als dem „ältesten Prinzip von Sozialstaatlichkeit“ (S. 45) über die Prinzipien der „Eigenverantwortung“ (S. 46) und dem „Solidarprinzip“ (S. 47) zur Sozialpolitik als „Gesellschaftspolitik“ (S. 92) beschrieben. Auf knapp zwei Seiten beschäftigt sich Huster anschließend mit der „Sozialstattlichkeit im Mehrebenensystem – ein Resümee der aktuellen Politik“ (S. 93), in dem er feststellt, dass von einer kohärenten EU-Sozialpolitik bislang nicht gesprochen werden könne (S. 93). Im abschließenden Abschnitt „Sozialstaat: Zwischen Normalität und Infragestellung“ kommt der Autor zum Ergebnis, dass der Sozialstaat als „Ergebnis eines ständigen Aushandlungsprozesses“ demokratische Teilhabe voraussetze (S. 94) und seine Idee „immer mehr zur DNA des deutschen politischen Systems geworden“ sei (S. 95).

„Der deutsche Sozialstaat – Dimensionen, Charakteristika, Wirkungen“ ist das Thema des 3. Kapitels, für das Gerhard Bäcker verantwortlich zeichnet (S. 97–165). In vier Abschnitten gibt er einen Überblick, der „die Spannweite und Vielgestaltigkeit dessen verdeutlichen (soll), was heute den Sozialstaat ausmacht“ (S. 98). Im ersten Abschnitt werden die Politikfelder mit sozialpolitischem Bezug (S. 100–102) und die jeweiligen Interventionsmodi wie Geld- Sach- und Dienstleistungen (S. 102–106), die Regulierung von Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsmärkten (S. 106–108) sowie der „Policy Mix“ (S. 108f) mit seinen unterschiedlichen Interventionsformen der für bestimmte Personengruppen und Problemlagen dargestellt wird. Im 2. Abschnitt (S. 109–130) „Modell Deutschland: Strukturmerkmale“ geht es darum, die im internationalen Vergleich auffälligen Besonderheiten des ‚Modells Deutschland‘ an ausgewählten Beispielen aufzuzeigen“ (S. 109). Nachdem auf sechs Seiten „die finanziellen Dimensionen“ abgehandelt wurden, geht es im abschließenden, bilanzierenden Abschnitt um die Fragen Wie wirkt der Sozialstaat – Was bewirkt er (nicht)?. Hier kommt der Autor zum Ergebnis, dass Deutschland ein entwickelter Sozialstaat sei, der „funktional zur Demokratie wie diese zum Sozialstaat selbst“ ist (S. 165).

Das vierte Kapitel „Herausforderungen des Sozialstaates“ wird von Jürgen Boeckh verantwortet. Schwerpunkt des Beitrags sind die Analyse der Herausforderungen entlang der theoretischen, historischen, der inneren und der äußeren Dimension. Die Themen „Fokusverschiebung“ durch die Klimabewegung (S. 173f) und die Diskussion von „Chancen und Grenzen politischer Steuerung (S. 175f) bestimmen den Abschnitt zur theoretischen Dimension. In dem Abschnitt zur historischen Dimension (S. 176- 179) betont Boeckh die Pfadabhängigkeit. Außerdem weist er mit Blick auf die Rückkehr von Freund/​Feind Denken im Sinne Carl Schmitts auf „Gefahren für die Weiterentwicklung des Sozialstaates“ (S. 178) hin und leitet daraus die Forderung ab, Teilhabe- und Partizipationsrechte zu fördern und zu stärken (S. 179). Der ausführlichste Abschnitt des Beitrags beschäftigt sich mit der inneren Dimension (S. 180–219). „Wie viel Umbau braucht, wie viel Veränderung verträgt der Sozialstaat?“ (S. 180): Die Frage zieht sich durch die Aspekte demographischer Wandel, Wandel der Arbeitsgesellschaft, Zusammenhalt der Gesellschaft, die Wahrung der Grund- und Menschenrecht, der Gleichberechtigung der Geschlechter, Rechte von Kindern und Menschen mit Beeinträchtigungen, der Zuwanderung sowie der Auseinandersetzung mit den Folgen der Polarisierung. Die Betrachtung der äußeren Dimension fokussiert insbesondere auf den deutschen Sozialstaat als Teil der Europäischen Union (EU) und endet mit dem „wenig Mut“ machenden Hinweis auf die aktuellen Auseinandersetzungen in der EU um Achtung von Rechtsstaatlichkeit und um die Sicherung der Freiheitsrechte (S. 229). Im abschließenden Abschnitt „Was festzuhalten bleibt…“ (S. 229) dominiert ein „Mangel an Zuversicht“, „Kontrollverlust“, „Resignation“ und „Perspektivlosigkeit“ (S. 230) als Herausforderungen und der finale Hinweis, dass der Sozialstaat „die Lebensversicherung unserer politischen Grundordnung“ ist und sich „immer wieder modernisieren“ muss (S. 231).

Diskussion

Das Buch bietet einen guten Überblick zur historischen Entwicklung der Sozialpolitik in Deutschland und setzt kritische Akzente in der aktuellen Sozialstaatsdiskussion. Zur Verwendung in der Lehre ist es aber zu wenig systematisch, die Abgrenzung der Kapitel ist nicht immer klar und führt zur Dopplung einzelner Aspekte. Die Autoren versuchen in manchen Absätzen den Ausbruch, bleiben aber dem traditionellen Verständnis des Sozialstaats verhaftet. Sie setzen sich in Ansätzen mit den Ambivalenzen des Sozialstaates und seinen unerwünschten Nebenwirkungen auseinander, ohne aber Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu bieten.

Fazit

Die Autoren verstehen die Geschichte des deutschen Sozialstaates herausragend und können so nicht nur seine historische Entwicklung darstellen. Kenntnisreich verbinden sie die Fakten mit den konzeptionellen Grundlagen und liefern so einen fundierten Überblick über die Genese des deutschen Sozialstaates als dessen Verteidiger sie sich sehen. Lösungsvorschläge für die aktuellen und strukturellen Probleme darf man nicht erwarten.

Rezension von
Dr. phil. Andreas Meusch
Lehrbeauftragter an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenshaften (HAW), Hamburg,
Website
Mailformular

Es gibt 26 Rezensionen von Andreas Meusch.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245