Moshe Zimmermann: Niemals Frieden?
Rezensiert von Prof. Dr. Gertrud Hardtmann, 19.04.2024

Moshe Zimmermann: Niemals Frieden? Israel am Scheideweg. Propyläen Verlag (Berlin) 2024. 192 Seiten. ISBN 978-3-549-10083-7. D: 16,00 EUR, A: 16,50 EUR, CH: 18,50 sFr.
Thema
Die Geschichte der Beziehung von Israel und Palästina: Aufteilen und miteinander leben oder miteinander sterben?
Autor
Moshe Zimmermann ist Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem mit den Schwerpunkten Antisemitismus und Nationalismus. Er leitete bis 2012 das Koebner Zentrum für deutsche Geschichte und engagiert sich leidenschaftlich für eine Zweistaatenlösung.
Entstehungshintergrund
Seit Generationen findet keine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern statt. Nach dem Terrorangriff der Hamas im Oktober 2023 schein die Situation hoffnungslos. Zimmermann benennt die Schuldigen: Die Hamas, die Gewalt als einziges Mittel der Politik sieht und das Existenzrecht Israels bestreitet, und die Siedlerbewegung und die rechte Regierung in Israel, die eine radikale Politik vertreten. Eine Lösung sieht er nur durch eine Abkehr von einer radikalen Politik und einer Zweistaatenlösung.
Aufbau
Zimmermann beschreibt das Versagen des Zionismus, den ‚endlosen Krieg‘ zwischen Israel und Palästina und geht kritisch auf ‚Staatsräson und Antisemitismus‘ in Deutschland ein. Nach einer postkolonialen Rückschau, u.a. auf die europäischen Wurzeln, geht er auf die Entwicklung von Säkularisierung und Fundamentalismus in Israel ein: Ein Jüdischer Staat oder ein Staat aller Bürger? Kulturvielfalt versus Kulturkampf? Er sieht die Siedler als Geiselnehmer der Iiberalen Israelis (Kakistokratie) und weist auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten einer Zweistaatenlösung hin.
Inhalt
Nach einem pessimistischen, aber konstruktivem Vorwort angesichts der politischen Situation in Israel und des Terroranschlags der Hamas 2023 und Vorbemerkungen zu den Begriffen wie Palästina oder Eretz Israel (Land Israel) beschreibt er ein Versagen der israelischen Politik angesichts des 7. Oktober 2023 und den gescheiterten Bemühungen um eine Zweistaatenlösung – ‚Ein Krieg ohne Ende‘. Aus der Sicht der Orthodoxen seit der israelische säkulare Staat ein ‚Ketzerstaat‘. Anstelle eines liberalen Staates vertreten sie einen religiös orthodoxen Fundamentalismus i.S. einer Theokratie. Eine vollständige geistige Neuorientierung der zionistischen Bewegung und ein Stopp für die Siedler, und ihren Anhänger die Hügeljugend, sei notwendig, weil sie Öl ins Feuer gießen und ‚populistisch, extrem rechts, fundamentalistisch, rassistisch und homophob zu Geiselnehmern des israelische Volkes geworden seien‘.
Als Sozialhistoriker der 68er-Generation seien für ihn auch die materiellen Aspekte von Bedeutung: Die Verteilung von Jobs und finanzielle Ressourcen, die Plünderung der Staatskasse für eine nationalistische Theokratie, die ‚byzantinische Hofhaltung‘ (Ehefrau und Kronprinz mischen sich in die Politik von Netanjahu ein).
Er selbst sehe eine Grenze zwischen zwei Staaten nicht als Barriere, sondern als Brücke, von der beide – auch wirtschaftlich – profitieren können. Er beurteilt die europäische Haltung kritisch, aber auch die Allianz Israel – Rußland. Jedes der beiden Völker Juden und Palästinenser habe ein Recht auf einen Nationalstaat und jüdisch und liberal seien keine Gegensätze. Anstelle von ‚Afghanistan oder Hiroshima‘ sei ein Nebeneinander und Getrenntsein, aber mit einer Brücke verbunden, eine Möglichkeit: ‚Wenn ihr es wollt, ist es kein Märchen‘ (Herzl).
Diskussion
Ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Zweistaatenlösung, verständlich im Hinblick nicht nur auf ihn selbst und seine Enkel, sondern auch auf sein Heimatland Israel. Zimmermann streitet für ein liberales, weltoffenes Israel, das nicht Geisel einer fundamentalistischen und rechten politische Macht habenden Gruppe – fundamentalistische Religiöse und Rechte Israelis ( „Kakistokratie, Kleptokratie und Theokratie“) – sein sollte. Besorgt, liebevoll, kritisch und engagiert sucht er einen Ausweg aus der schon seit Jahrzehnten verfahrenen Situation und eine Neubesinnung auf ein Jüdischsein auch jenseits religiöser Bindungen.
Es könnte der Eindruck entstehen, dass es in Israel heute nur zwei politische Lager gibt, aber mit Sicherheit ist die Realität differenzierter. Aber für den Zusammenhalt ist nicht nur auf israelischer Seite eine liberale Offenheit eine notwendige Voraussetzung für ein friedliches Zusammenlebens, sondern auch für den Umgang mit den Palästinensern. Für deren Ansprüche und Verletzungen hat Zimmermann nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch den Willen zu einer Beendigung der für beide belastendenden Situation, verbunden mit der Hoffnung auf eine politische Lösung in der Zukunft nicht nur für die jetzigen, sondern auch für die kommenden Genrationen.
Das Problem ist, dass Fundamentalisten aufgrund von fehlender Selbstkritik und Zweifel nicht kompromissbereit und damit politikunfähig sind, und deshalb auch ungeeignet für das politische Geschäft.
Fazit
Ein sehr lesenswertes Buch, das die Unversöhnlichkeit und Gefahren eines wie auch immer gearteten Fundamentalismus beschreibt und für einen Abbau der Barrieren und einen Brückenschlag plädiert, nicht nur mit den Palästinensern sondern, wenn möglich, auch mit den Fundamentalisten in Israel.
Rezension von
Prof. Dr. Gertrud Hardtmann
Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalytikerin
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