David Bausch: Digitaler Stress
Rezensiert von Tatjana van de Kamp, 05.06.2024

David Bausch: Digitaler Stress. Schattenseite der neuen Arbeitswelt : Entstehung, Herausforderung und Bewältigung.
Haufe-Lexware GmbH & Co. KG
(Freiburg) 2024.
239 Seiten.
ISBN 978-3-648-17710-5.
D: 29,99 EUR,
A: 30,90 EUR.
Reihe: Haufe Sachbuch Wirtschaft. .
Thema
Die digitale Transformation durchdringt sämtliche Arbeitsplätze und kann auf vielfältige Weise zu digitalem Stress führen. David Bausch beleuchtet in seinem Buch, welche digitalen Belastungsfaktoren in unserem Arbeitsalltag lauern, zu welchen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Risiken diese führen können und wie Individuen, Führungskräfte und Organisationen präventiv entgegenwirken können.
Autor
Dr. David Bausch ist Gründer und Geschäftsführer von Digi2place, einer Managementberatung, die zu digitalem Stress und zur Transformation der Arbeitswelt berät. Darüber hinaus ist er als Trainer und Keynote Speaker aktiv und lehrt Change Management an der Hochschule Mainz.
Aufbau
Der erste Teil des Buches untersucht den Zusammenhang zwischen digitaler Transformation und digitalem Stress. Die ersten beiden Kapitel führen in die digitale Transformation zur Industrie- und Arbeitswelt 4.0 sowie die Grundlagen der Stressforschung ein. Das dritte Kapitel fokussiert sich auf den digitalen Stress, während das vierte die persönlichen Einflussfaktoren im Umgang mit digitalen Stressoren behandelt.
Im zweiten Teil stellt David Bausch das Entstehungsmodell des digitalen Stresses anhand der folgenden fünf Dimensionen vor:
- Überladung durch viele parallel genutzte Kommunikationskanäle
- Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben
- Komplexität der Systeme und Ungewissheit im Umgang damit
- Unzuverlässigkeit digitaler Systeme
- Jobunsicherheit und Angst vor Arbeitsplatzverlust
Der dritte Teil umfasst Auswirkungen und konkrete Präventionsmöglichkeiten auf individueller, Führungs- und organisationaler Ebene.
Inhalt
David Bausch startet mit einer Maxime, die auf Arthur Schopenhauer zurückgeht: „Gesundheit ist nicht alles, doch ohne Gesundheit ist alles nichts“. Deshalb sollten wir uns neben den positiven Aspekten der Digitalisierung, wie Arbeitserleichterungen, Spaß und Effizienzsteigerungen auch mit den gesundheitlichen Risiken des digitalen Stresses auseinandersetzen. Die COVID-19 Pandemie bot Gelegenheit, die Mechanismen und Auswirkungen digitalen Stresses weiter zu erforschen. Bausch weist darauf hin, dass die Entwicklung der digitalen Transformation exponentiell verläuft. Das bedeutet, dass die digitalen Veränderungen und Herausforderungen immer schneller auf uns zukommen werden. Die Abstände zwischen industriellen Revolutionen verkürzen sich:
- Die erste industrielle Revolution (1784) steigerte die Produktivität durch Dampfkraft und Mechanisierung
- Die zweite industrielle Revolution (1870) brachte Elektrizität, Fließbandfertigung und Massenproduktion
- Die dritte industrielle Revolution (1969) erhöhte die Geschwindigkeit durch Teilautomatisierung von Arbeitsgängen mittels Computerleistungen und Elektronik
- Seit 2011 sprechen wir von der vierten industriellen Revolution, oder Industrie 4.0, wo künstliche Intelligenz, cyber-physische Systeme und Internet der Dinge die Produktivität und Entwicklung auf ein neues Level der Wissensarbeit heben.
Algorithmusbasierte Entscheidungen in Fabriken, Lieferketten und Vermarktung sowie intelligente Produkte transformieren die Arbeit hin zu einer Arbeitswelt 4.0. Lebenslanges Lernen ist notwendig, um uns an die schnellen Entwicklungszyklen anzupassen. Auch hochqualifizierte Berufsfelder, wie Rechtsprechung, Medizin und Versicherungen bleiben von dieser Entwicklung nicht verschont.
Das transaktionale Stressmodell von Lazarus erklärt die Entstehung von Stress durch zwei Bewertungen:
- Bewertung 1: Wahrnehmung und Einschätzung eines Stressors als bedrohlich, schädlich oder herausfordernd
- Bewertung 2: Einschätzung der eigenen Bewältigungskompetenzen und -ressourcen
Beide Bewertungen können beeinflusst werden. Während die erste Bewertung oft schwer zu steuern ist, denn man muss sich vielleicht mit der neuen Software auseinandersetzen, kann die zweite Bewertung durch Kompetenzentwicklung, Unterstützung durch den Arbeitgeber oder andere Bewältigungsstrategien und präventive Maßnahmen verbessert werden.
Digitaler Stress ist keine Krankheit, sondern ein normaler Prozess, der durch die schnelle digitale Veränderung und den damit verbundenen Herausforderungen und vermeintlichen Bedrohungen entsteht. Um die Bewertung 2 zielgerichtet zu verbessern, bietet sich eine genauere Diagnostik des digitalen Stresses anhand der oben erwähnten fünf Dimensionen (Überladung, Entgrenzung, Komplexität/Ungewissheit, Unzuverlässigkeit und Jobunsicherheit) an, die im zweiten Teil des Buches genauer erläutert werden.
Die Untersuchung individueller Einflussfaktoren auf das digitale Stressempfinden ergab nur bei zwei Variablen belastbare Befunde:
- Eine höhere Bildung hat einen mindernden Einfluss, vermutlich bedingt durch eine höhere Problemlösekompetenz oder umfangreicheres Wissen, eine dadurch erhöhte Selbstsicherheit, gut ausgebildet zu sein und daraus resultierend eine geringere Jobunsicherheit.
- Bezüglich der Big Five Persönlichkeitsdimensionen weisen lediglich höhere Neurotizismuswerte (Neigung, Veränderung als bedrohlich wahrzunehmen) auf ein erhöhtes Stressrisiko hin. Bei hoher Gewissenhaftigkeit wird eine günstigere Einschätzung der Bewältigungsstrategien vermutet.
Digitaler Stress kann sich gesundheitlich in emotionaler Erschöpfung, depressiver Verstimmung und Burnout-Erkrankungen auswirken. Dies führt zu geringerer Leistungsfähigkeit sowie einer Abnahme der Produktivität und Mitarbeiterbindung und kann Widerstände erhöhen und/oder zu Fehlzeiten führen. Die Auswirkungen von digitalem Stress sind somit nicht nur gesundheitlicher, sondern auch wirtschaftlicher Art. Dem kann nur mit einer stärkeren Fokussierung auf die psychische und mentale Gesundheit begegnet werden.
Dazu schlägt David Bausch im dritten Teil des Buches ein Bündel an Präventionsmaßnahmen auf drei Ebenen vor:
Individuelle Möglichkeiten
- Lebenslanges Lernen: digitale Kompetenz, Fort-/​Weiterbildung oder ggf. Umschulung
- Sportliche Aktivität und ausreichend Schlaf zum Schutz der Gesundheit
- Soziale Beziehungen auch analog pflegen
- Nutzen und Ausbau der Resilienz: Akzeptanz, Optimismus, Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung, Lösungsorientierung, Netzwerkorientierung, Zukunftsorientierung
- Sinnstiftung und ein digitales Stressleitbild
Maßnahmen durch Führungskräfte (Fürsorgepflicht)
- Vorbildverhalten
- Inspiration und Motivation: Chancen der neuen Arbeitswelt wirksam vermitteln
- Ein intellektuell anregendes Arbeitsumfeld schaffen
- Individuelle Unterstützung mit den Menschen im Fokus
- Trennung von Beruf und Privatleben ermöglichen, ermutigen und vorleben, damit Mitarbeitende nicht mittelfristig an Leistungsfähigkeit einbüßen
Organisationale Bewältigungsstrategien
- Innovationskultur begünstigen
- Psychologische Sicherheit und Fehlerkultur
- Radikale Inventur von Meetings und Entscheidungsprozessen
- Erstellung von digitale Zusammenarbeitsvereinbarungen bezüglich Kommunikationskanälen, Entscheidungsprozessen, Erreichbarkeit und Fokuszeiten
- Fokussierung auf wesentliche Austausch- und Beteiligungsformate sowie Schulung im Umgang mit diesen, um digitale Überlastung zu vermeiden
- Mindset und Personalentwicklung: digitale Kompetenzen, Weiterentwicklung, Umschulung
- Unterstützung durch technologischen Support und digitale Stresspioniere
Diskussion
Das Buch „Digitaler Stress“ beleuchtet, wie eingangs versprochen, die Entstehung, Herausforderungen und Bewältigung von digitalem Stress in der neuen Arbeitswelt 4.0. Das ist ein sehr wichtiges Anliegen, das Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, Führungskräften und allen, die mit Organisationsentwicklung zu tun haben, vor Augen führt, welchen mentalen Herausforderungen wir im digitalen Zeitalter begegnen und welche Entstehungs- und Bewertungsmechanismen hinter digitalem Stress stecken. Darüber hinaus bietet das Buch auf allen Ebenen konkret umsetzbare Ansätze, mit diesen Herausforderungen konstruktiv umzugehen. Damit unterstreicht Bausch auch, dass die Anpassung an die digitale Transformation nicht nur ein Thema der einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ist, sondern der gesamten Organisation und deren Führungskräften. Aufgrund der zunehmenden Geschwindigkeit müssen Anpassung, Entwicklung und Stressprävention auf allen Ebenen zur täglichen Gewohnheit werden.
Damit ist sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen, und es bleibt für Forschung und Praxis noch viel zu tun. Auf organisationaler Ebene ist es wichtig, die Mensch-Maschine-Interaktionen aus salutogenetischer Perspektive positiv zu gestalten, bestehende Prozesse an die digitalen Entwicklungen anzupassen und geeignete Unterstützungssysteme bereitzustellen. Aus handlungstheoretischer Sicht sind beispielsweise neben dem Fokus auf die erhöhten Anforderungen beispielsweise auch abnehmende Kontroll- und Entscheidungsspielräume durch intelligente digitale Systeme psychologisch zu untersuchen. Dieses Buch stellt den ersten Schritt auf einem lebenslangen Weg rasanter Veränderungen und Entwicklungen dar.
Fazit
David Bausch erklärt in seinem Buch die Bedeutung des Themas „digitaler Stress“ in der Arbeitswelt 4.0 mit Hintergründen, Auswirkungen, Entstehungs- und Bewältigungsmechanismen sowie konkret umsetzbaren Präventionsmaßnahmen auf organisationaler, Führungs- und individueller Ebene. Er richtet sich insbesondere an Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Führungskräfte, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Verantwortliche für die Organisationsgestaltung und -entwicklung.
Rezension von
Tatjana van de Kamp
Dipl. Kauffr., MA (Arbeits- und Organisationspsychologie)
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