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Jens Beckert: Verkaufte Zukunft

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 27.01.2025

Cover Jens Beckert: Verkaufte Zukunft ISBN 978-3-518-58809-3

Jens Beckert: Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht. Suhrkamp Verlag (Berlin) 2024. 238 Seiten. ISBN 978-3-518-58809-3. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR, CH: 38,50 sFr.

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„Wir verkaufen unsere Zukunft für … das heutige Vergnügen“

Wirtschaftssoziologen setzen sich auseinander mit den vielfältigen Fragen, wie der Homo economicus mit dem Marktgeschehen umgeht, Es sind die Zusammenhänge zwischen den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, die einen Paradigmenwechsel bei der Betrachtung des Marktes als ein Ort von Angebot und Nachfrage, von Macht und Alltag fordern. Die Wirtschaftssoziologie sieht sich „als integraler Zugang zum Verständnis der modernen Wirtschaftsprozesse“ (Jens Becker, u.a., Märkte als soziale Strukturen, 2007). Es sind die unzulänglichen, allzu zögerlichen menschlichen Aktivitäten, wirksame und sofortige Maßnahmen gegen den (menschengemachten) Klimawandel anzugehen: „der jährliche globale Ausstoß an Kohlendioxid … hat sich fast verdoppelt. Allein in den letzten 30 Jahren ist so viel CO2 in die Atmosphäre emittiert worden, wie in den vergangenen 200 Jahren“. 

Der Mensch ist nicht Besitzer und Beherrscher der Welt – und damit des Kosmos – sondern, wie alles Leben, in seiner Umwelt, ein Teil davon. Die UNESCO, die Kulturorganisation der Vereinten Nationen hat 1970 das internationale Programm „Der Mensch und die Biosphäre“ (MAB) eingerichtet und in den folgenden Jahrzehnten immer mehr ausgeweitet: „Die Erde gehört nicht dem Menschen; der Mensch gehört zur Erde“ (Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie <IFANL>, Karlsruhe 1989, 183 S.).

Entstehungshintergrund und Autor

Es ist ein Menetekel, dass die Menschen seit mehr als einem halben Jahrhundert wissen könnten, dass die Grenzen des ökonomischen Wachstums erreicht seien (Dennis L. Meadows, Die Grenzen des Wachstums, 1972), dass wirtschaftliches Handeln als „business as usual“ und „throughput growth“ nicht mehr möglich sein darf, sondern „sustainable development“ entstehen muss (WCED, Unsere Gemeinsame Zukunft, Volker Hauff, Hrsg., Greven 1987, 421 S.) Die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ hat 1995 die Menschheit aufgefordert, „umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“ (Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt, 2., erweit. Ausgabe, Bonn 1997, 76 S.); und die Vereinten Nationen haben im September 2015 die „Seventeen Sustainable Development Goals“ vereinbart, mit denen sofort, spätestens aber 2030 die Verbesserung und Heilung der Welt gelingen soll (Projekt17 GbR, Nr. 01 (www.17goalsmagazin.de) „seventeen goals“, Berlin). Weil ein Perspektivenwechsel eine humane, intellektuelle Herausforderung darstellt, ist es wichtig und richtig, in der Erziehung und Aufklärung damit anzufangen (Engagement Global <KMK/BMZ>, Hrsg., Orientierungsrahmen für den Lernbereich „Globale Entwicklung“, Bonn/Berlin, 2., aktual. u. erweit. Auflage, 2016, 464 S.). Der Soziologe und Direktor am MAX-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, Jens Becker, warnt, dass die Menschheit dabei ist, die Zukunft zu verkaufen.

Aufbau und Inhalt

Die in dritter Auflage erschienene Studie „Verkaufte Zukunft“ wird in neun Kapitel gegliedert. Im ersten klagt der Autor mit „Wissen ohne Wandel“, dass die Informationen und Herausforderungen über die notwendigen Aktivitäten zur Bewältigung der krisenhaften Folgen des Klimawandels – „das vermehrte Auftreten von Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen, großflächigen Bränden, Reduzierung der Artenvielfalt und das Ansteigen des Meeresspiegels“ – von den Menschen nicht hinreichend und verantwortungsvoll wahrgenommen werden: „Die Macht- und Anreizstrukturen der kapitalistischen Moderne und ihre Steuerungsmechanismen blockieren eine Lösung des globalen Problems namens Klimawandel“. Es sind keine Rezepte, sondern Fakten, die zur „Mobilisierung politischer und moralischer Ressourcen in der Gesellschaft“ auffordern.

Im zweiten Kapitel wird die „kapitalistische Moderne“ historisch aufgewiesen: Wie ist der Kapitalismus entstanden? Ökonomisch und politisch? Mit dem analytischen (Dreieck)Gerüst „Wirtschaft – Staat – Bevölkerung“ erinnert er daran, dass die Klimakrise ein ökonomisches und soziales Problem darstellt. Nicht die Ausweitung und Globalisierung von Märkten kann die Lösung sein, sondern „die Vorstellung einer Dualität von Mensch und Natur“. Mit „Big Oil“ geht er auf die fossile Energiewirtschaft und auf das Wachstums- und Investitionsverhalten von Unternehmungen und Konzernen ein. Sie bedürfen regulativer, staatlicher, zivilgesellschaftlicher Eingriffe. Im vierten Kapitel mahnt er mit dem Text „Der zögernde Staat“ die negativen Folgen des Lobbyismus an (Nancy Fraser/Smail Rapic, Hrsg., Wege aus dem Kapitalismus?, 2023, www.socialnet.de/rezensionen/​31187.php). Er beantwortet die Frage – „Kann Demokratie Klimaschutz?“ – eindeutig: Nur mit freiheitlichen, demokratischen Mitbestimmungselementen! Die Forderungen nach einer „globalen, universalen Weltwirtschaftsordnung“ thematisiert Beckert im fünften Kapitel mit „Wohlstand weltweit“. Die unterschiedlichen, ökonomischen und ethischen Entwicklungsprozesse des „globalen Nordens“ und des „globalen Südens“ bedürfen der „globalen Kooperation“ und des Bewusstseins, dass die Güter der Erde Gemeingut sind (Elinor Ostrom).

Das sechste Kapitel wird mit „Konsum ohne Grenzen“ überschrieben. Es sind Grundbedürfnisse und Luxusgüter, die zur Konsumsteigerung führen. Klimaschädliche Produktionsweisen und -mittel verhindern einen ökologischen Lebensstil. „Grünes Wachstum“, nicht greenwashing! Das wird im siebten Kapitel diskutiert (siehe auch: Jeremy Rifkin, Der globale green Deal. Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann, 2019, www.socialnet.de/rezensionen/​26434,php; Ann Pettifor, Green New Deal. Warum können wir, was wir tun müssen, 2020, www.saocialnet.de/rezensionen/​27787.php). „Planetare Grenzen“ – im 8. Kapitel herrscht Optimismus vor. Nicht „Rebound-Effekte“, wie sie sich durch die Elektromobilität zeigen, sondern „die Verringerung wirtschaftlicher Aktivitäten“ könnten eine Lösung sein (Steve Keen, Für eine Neue Ökonomik, 2024, www.socialnet.de/rezensionen/​32337.php).

Mit der Frage „Wie weiter?“ beschließt der Autor seine Bestandsaufnahme. Weil weder Resignation, schon gar nicht Fatalismus, Verschwörungsmystiker und Fake-Newser bei der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel hilfreich sind, bedarf es einer realistischen Klimapolitik: „Maßnahmen zur Klimaanpassung und zum Klimaschutz haben nur dann eine realistische Chance zur Umsetzung, wenn ihre einzelnen Schritte so zugeschnitten werden, dass sie die jeweiligen Logiken der Handlungssphären und deren wechselseitige Einflusskanäle nutzen“.

Diskussion

Optimismus stirbt zuletzt! Das „Jetzt“ der Welt und Menschheit sieht nicht optimistisch und human zukunftsversprechend aus. Die Entwicklungsorganisation Oxfam stellt fest, dass das Vermögen der Milliardäre rasant wächst. Weltweit gibt es mittlerweile 2.769 Milliardäre; 2024 kamen weitere 204 hinzu. Gleichzeitig steigt die Zahl der Menschen, die unter der Armuts- und Hungergrenze leben. Doch Fingerzeige sind nicht angemessen: Denn in unserem Land gibt es 130 Milliardäre, das sind weltweit die viertmeisten; und es werden jährlich mehr, während gleichzeitig die Armut zunimmt. Weil Vorhersagen schwierig sind bedarf es wissenschaftlicher Analysen (Heiner Hastedt, Hrsg., Deutungsmacht und Zeitdiagnosen, 2019, www.socialnet.de/rezensionen/​25798.php),einer gesteigerten Aufmerksamkeit, wie Berichte entstehen (Bernhard A. Sabel, Fake-Mafia in der Wissenschaft. KI, Gier und Betrug in der Forschung, 2024, www.socialnet.de/rezensionen/​32935.php), und einen echten, nachhaltigen, gegenwartsbezogenen und zukunftsfähigen Perspektivenwechsel (Frank Schulz-Nieswandt, Das Leben ändern als ein Werden in wachsenden Ringen, 2024, www.socialnet.de/rezensionen/​31662.php).

Fazit

Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen! Es sind die existenziellen Fragen: „Wer bin ich?“ – „Was kann ich wissen?“ – „Was soll ich tun?“ – „Was darf ich hoffen?“ (Immanuel Kant), die es zu bedenken gilt: „Anpassungsfähigkeit, Resilienz und solidarisches Handeln sind gefragt“. Mit 38 Seiten Anmerkungen als Literatur- und Quellenangaben wird die zeitdiagnostische, auffordernde, aktive und positive Studie zu einer Fundstelle des So-Seins und -Werdens. Es ergeben sich zahlreiche Anregungen und Aufforderungen zum Handeln!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1688 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245