Anna Kampschroer: Willkommen im neuen Zuhause
Rezensiert von Prof. Stefan Müller-Teusler, 26.03.2024

Anna Kampschroer: Willkommen im neuen Zuhause. Eine Geschichte für Kinder in Pflegefamilien und Wohngruppen. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2024. 135 Seiten. ISBN 978-3-497-03247-1. D: 23,90 EUR, A: 24,60 EUR.
Thema
Der Wechsel von Kindern in die außerfamiliäre Erziehung und einen neuen Lebensort ist sehr problematisch. Auch wenn Kinder manchmal implizit wissen, dass Eltern oder Bezugspersonen sich nur bedingt kümmern können, so möchte kaum jemand sein Zuhause verlassen. Da können Geschichten hilfreich sein, mit denen ein Kind eine andere Perspektive erlangt. Dazu ist dieses Buch da.
Autorin
Ann Kampschroer ist Diplom Sozialpädagogin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (TP). Sie ist (nach Verlagsangaben) seit 20 Jahre in eigener Praxis tätig. Außerdem führt sie Fortbildungen durch, u.a. im Bereich Fremdunterbringung. Sie hat langjährige Erfahrung in der stationären Jugendhilfe als professionelle „Pflegemutter“.
Entstehungshintergrund
Das ist kein Fachbuch für Mitarbeitende in der Sozialen Arbeit, sondern ein (Vor-)Lesebuch für Kinder, die aufgrund welcher Umstände auch immer in die außerfamiliäre Erziehung wechseln (müssen). Es ist für Kinder ab 6 Jahren gedacht und könnte eine Altersspanne bis Pubertät etwa abdecken.
Aufbau und Inhalt
Ausgangspunkt des Buches ist Janis (wohl im Vorschulalter), der überwiegend bei seiner Zieh-Oma ist, weil seine Eltern „Pillen und so andere Sachen schlucken“ (S. 7). Nun steht ein Wechsel in eine Pflegefamilie an, weil seine Zieh-Oma die Betreuung nicht dauerhaft leisten kann. Seine Eltern sind einverstanden und das Jugendamt hat den Wechsel vorbereitet. Aber Janis möchte das natürlich nicht und fühlt sich ‚verraten‘. Seine Zieh-Oma beginnt ihm eine Geschichte zu erzählen. Nach jedem (relativ kurzen) Kapitel wechselt die Geschichte wieder in den Alltag von Oma und Janis, die sich ein wenig über den Inhalt unterhalten, aber auch mit alltäglichen Dingen wie Hausaufgaben, Tisch abräumen und ähnlichem befasst sind.
Im ersten Abschnitt geht es um einen kleinen Löwenjungen, für den dessen Eltern auch nicht sorgen können. Er fühlt sich vernachlässigt und wird wütend, wenn er sieht, wie schön es andere Löwenkinder haben können. Janis erkennt sich zum Teil am Ende des Kapitels wieder und so wird das Gespräch über die Geschichte gesucht. Im zweiten Kapitel ist eine Elefantenfrau diejenige, die dem Löwenjungen Hilfe anbietet und nach einigem Zögern vertraut ihr das Löwenkind. Im dritten Kapitel festigt sich das Vertrauensverhältnis von Elefantenfrau und Löwenjunge, im vierten bestehen sie gemeinsame Abenteuer, wobei der Löwenjunge feststellt, wie mutig er sein kann. Im fünften Kapitel kommt ein Spinnenmädchen als ‚Problem‘ dazu.
Im zweiten Abschnitt geht es um den Wechsel: das Spinnenmädchen muss sein bisheriges Zuhause verlassen und sich auf eine unsichere Reise begeben, allerdings mit guten Vorsätzen, dass es in der neuen Umgebung gut wird.
Im dritten Abschnitt kommt der Löwenjunge in seiner neuen Umgebung an und darf auch seine Traurigkeit zeigen. Einerseits muss er sich von der Elefantenfrau verabschieden und andererseits seiner Frustration und Trauer auch einen Raum geben bei gleichzeitigem Vorsatz, dass es in der neuen Familie schön sein soll. Der Löwenjunge trifft das Spinnenmädchen wieder und sie stellen fest, dass sie in einer ähnlichen Situation sind.
Im vierten und letzten Abschnitt gibt es ein Fest der Tiere, womit der Löwenjunge endgültig in der Familie ankommt und die Elefantenfrau ihren Weg weiter geht. Janis erkennt, dass es für ihn die gleiche Situation ist und mit dem Versprechen, dass er seine Zieh-Oma besuchen kann, sieht er doch Zuversicht für sich.
Diskussion
Einige Handlungsstränge des Buches sind hier ausgelassen worden, denn es soll hier nicht komplett erzählt werden, sondern der rote Faden abgebildet werden. Die Geschichten sind kindgerecht (Grundschulalter) geschrieben und mit der entsprechenden Fantasie ausgestattet können sich die Kinder bestimmt in die Charaktere einfinden. Schön ist, dass am Ende eines jeden Kapitels wieder eine Rückkehr in den Alltag erfolgt, in dem Zieh-Oma und Janis ganz alltägliche Dinge besprechen, wie sie in jedem Familienkontext vorkommen, aber auch einige Gedanken aus dem Buch aufnehmen.
Die Geschichten und der Alltag von Janis und seiner Zieh-Oma sind in unterschiedlichen Schriftarten gesetzt, sodass sich auch selbstlesende Kinder schnell orientieren können. Die Inhalte der Geschichten gleichen Erzählungen wie in anderen Kinderbüchern auch, insofern erscheint hier nichts aufgesetzt oder gekünstelt. Daher passt der Transfer in die Tier- und Pflanzenwelt gut, anstatt die Thematik anhand anderer Personen darzustellen.
Natürlich drückt sich ein gewisser Idealismus in der Geschichte aus. Jugendhilfe verläuft selten so gradlinig, vielmehr ist sie eher disruptiv (plötzliche Herausnahme aus der Familie oder eine gewisse ‚Jugendhilfekarriere‘), aber dennoch lohnt sich diese Perspektive. Fraglich bleibt allerdings, ob Jugendhilfe so gut planend wie in diesem fiktiven Fall vorgehen kann, denn (nach meinen eigenen Erfahrungen als Pflegevater) sind die Kinder meistens jünger, wenn der Wechsel in eine Pflegefamilie ansteht. Kinder mit kognitiven Einschränkungen oder starken Entwicklungsverzögerungen könnten allerdings Schwierigkeiten haben, die Zusammenhänge zu verstehen, aber das muss im Einzelfall beurteilt werden.
Fazit
Ein (aus Sicht eines Pflegevaters) gelungenes Buch, das Kindern im Grundschulalter den Wechsel in eine Pflegefamilie erleichtern kann. Die bei den Kindern einhergehenden Gefühle von Trauer, Wut, Enttäuschung, Verrat etc. werden gut aufgenommen und gleichzeitig wird auch eine Zuversicht ausgedrückt. Es eignet sich sowohl für Pflegeeltern, die gerade ein Kind aufgenommen haben als auch für Bezugspersonen von Kindern, bei denen ein Wechsel in eine Pflegefamilie bevorsteht.
Rezension von
Prof. Stefan Müller-Teusler
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