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Julian Hans: Kinder der Gewalt

Rezensiert von Wolfgang Schneider, 22.03.2024

Cover Julian Hans: Kinder der Gewalt ISBN 978-3-406-80886-9

Julian Hans: Kinder der Gewalt. Ein Porträt Russlands in fünf Verbrechen. Verlag C.H. Beck (München) 2024. 252 Seiten. ISBN 978-3-406-80886-9. 18,00 EUR.
Reihe: C.H. Beck Paperback - 6540.

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Thema

Woher kommt die ungeheure Brutalität, mit der die russischen Soldaten in der Ukraine morden, plündern und vergewaltigen? Warum wehren sich so wenige Russen gegen den Krieg? Julian Hans beschreibt fünf spektakuläre Verbrechen, anhand derer er beschreibt, wie sich Gewalt und Erniedrigung in das Leben der Menschen gefressen haben. Und so zeigt er zum einen, wie die russische Gesellschaft tickt, aber zum anderen auch, wie – ganz übergeordnet – Menschen dazu fähig (gemacht) werden, ohne jede Achtung vor dem Leben an sich und Mitgefühl zu Täter*innen zu werden.

AutorIn oder HerausgeberIn

Julian Hans war viele Jahre in Moskau als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung tätig. Er lebt als freier Journalist in Berlin.

Aufbau und Inhalt

Im Fokus stehen fünf spektakuläre Verbrechen, die in Russland – und zum Teil auch darüber hinaus – für sehr viel Aufsehen gesorgt haben. Doch zunächst stellt Julian Hans seinen Bezug zu Russland, seine Erfahrungen und seine Eindrücke in den Vordergrund, liefert erste Versuche der Einordnung, um dann mit der ersten Tat einzusteigen. Eine Band überfällt ein Familienfest, bringt vor den Augen des Familienoberhauptes fünf Menschen auf bestialische Art und Weise um. Vom Tattag macht sich der Autor auf die Suche nach Ursachen dafür, dass Menschen zu so grausamen Tätern werden können. Wo kommen sie her? Was sind Hintergründe dieser Bandentat? Und wieso erleben die Bürger*innen die Polizei, den Staat nicht als Schutzmacht? Eben jene Schutzmacht steht auch im zweiten Fall im Fokus, doch diesmal sind Polizist:innen Opfer massiver Gewalt. Eine Jugendbande wird zu… ja, zu was eigentlich? Denn plötzlich werden sie in ihrer Heimat sogar etwas wie Helden. Ganz anders gelagert ist der dritte Fall, der in Deutschland wesentlich bekannter ist, zum Beispiel im Rahmen des Verbrechen-Podcasts der Wochenzeitung Die Zeit vorgestellt wurde. Drei Schwestern töten ihren tyrannischen Vater, der sie über Jahre missbraucht und misshandelt hat – und das nicht einmal unbedingt im Geheimen. Auch das sagt viel über ein Gesellschaftsbild aus, das von Julian Hans in der Folge dieser Tat fein ausgearbeitet und beschrieben wird. Und so ist dieses mittlere Kapitel eine kleine Wende im Vergleich zu den vorherigen Taten. Denn nun steht ein Mann im Vordergrund, der diejenigen anklagt, die im Namen des Staates seinen Urgroßvater umgebracht haben. Die letzte Geschichte erzählt davon, wie ein Folteropfer den Hass überwindet. Danach folgt ein kurzes Kapitel, in dem sich anhand einer an sich künstlerischen Inszenierung zeigt, wie wenig die russische Gesellschaft bereit ist, in der Öffentlichkeit Buße für traumatische Handlungen zu thematisieren. Das ist dann auch die Überleitung zum letzten Kapitel, das den Titel ‚Hoffnung‘ trägt und Möglichkeiten aufzeigt, wie Menschen auch unter widrigen Bedingungen eben doch Menschen bleiben.

Diskussion

Es mag auf den ersten Blick fraglich sein, wieso ein Buch, das menschliches Verhalten in einem Krieg auf den Grund zu gehen versucht, in einem Rezensionsportal für soziale Berufe Beachtung findet. Dabei ist die Erklärung einfach: Am Großen und Ganzen im Bezug auf die russische Gesellschaft wird nach Lektüre dieses spannend geschriebenen Buches deutlich, wie wichtig es ist, dass Menschen die Erfahrung machen, dass ihr eigenes Leben schützenswert ist und ihre persönliche Integrität geachtet wird. Denn wer das nie erlebt hat, kann kaum Achtung und Mitgefühl für das Gegenüber entwickeln. Wer immer nur Wahrheiten gehört hat, die am nächsten Tag schon keine mehr waren, erlebt eben keinen sicheren Hafen, sondern Erniedrigung. Und das kann eben nicht nur in einer Gesellschaft, sondern auch in wesentlich kleineren Einheiten wie einer Familie dazu führen, dass jene Menschen eben viel schneller dazu bereit sind, ihr Gegenüber ebenfalls zu entwerten. Das ist im größten Krieg seit vielen Jahrzehnten ebenso möglich wie im Alltag der Menschen, mit denen Fachkräfte in sozialen Berufen zu tun haben. Das Buch zeigt nämlich auch auf, wie solche über Lebensspannen hinaus geprägten Muster doch überwunden werden können.

Fazit

Es mag komisch klingen, aber die fünf gut recherchierten Geschichten gepaart mit den persönlichen Erfahrungen des Autors sind ein Blick auf die dunkelsten Seiten der Menschheit und wie sie zu solchen werden. Weltpolitische Geschehnisse können also durchaus Hinweise auf wesentlich kleinere Ebenen geben – und das gelingt mit diesem teilweise durchaus verstörenden Buch, das auf den letzten Seiten sogar ein bisschen Hoffnung weckt, sehr gut.

Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 22.03.2024 zu: Julian Hans: Kinder der Gewalt. Ein Porträt Russlands in fünf Verbrechen. Verlag C.H. Beck (München) 2024. ISBN 978-3-406-80886-9. Reihe: C.H. Beck Paperback - 6540. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32070.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.


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