Gisela Jakob, Bernd Schüler (Hrsg.): Patenschaften und Mentoring für Kinder und Jugendliche
Rezensiert von Dr. Michaela Harmeier, 17.10.2024

Gisela Jakob, Bernd Schüler (Hrsg.): Patenschaften und Mentoring für Kinder und Jugendliche. Eine neue Kultur des Engagements zur Förderung von Bildung, Teilhabe und Integration. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 210 Seiten. ISBN 978-3-7799-7258-7. D: 29,00 EUR, A: 29,90 EUR.
Thema
In dem neu veröffentlichten Sammelband Patenschaften und Mentoring für Kinder und Jugendliche von Professorin Gisela Jakob und Bernd Schüler steht das Thema „Soziales Mentoring“ im Fokus. „Soziales Mentoring“ ist von Mentoring als Instrument der Personalentwicklung zu unterscheiden. Beim sozialen Mentoring sind Teilhabe, Chancengerechtigkeit und Integration die hauptsächlichen Ziele. Dieses Unterstützungsformat, was hauptsächlich durch freiwillig engagierte Mentor:innen getragen wird, findet Anwendung beim Ankommen in Deutschland, der Verbesserung von Schulabschlüssen und dem Einstieg in den Beruf, dem Erlernen der deutschen Sprache, der sinnvollen Freizeitgestaltung und der generationsübergreifenden Begegnung. Entsprechend weitreichend sind demnach die Zielgruppen für soziales Mentoring.
Trotz der vielfältigen zivilgesellschaftlichen Akteure und der praktischen Erfahrungen in einer breiten Trägerlandschaft fehlte es bislang an einer fundierten wissenschaftlichen Basis für das soziale Mentoring. Während im amerikanischen Raum seit vielen Jahren umfangreiche Fachliteratur und Studien existieren, ist dies in Deutschland nur vereinzelt der Fall. Der Sammelband bietet nun eine wertvolle Sammlung von Erkenntnissen und Perspektiven zu Mentoring und Patenschaften.
Herausgeber:in
Professorin Gisela Jakob von der Hochschule Darmstadt, die einige wissenschaftliche Studien im Bereich Ehrenamt und Mentoring durchgeführt hat, und Bernd Schüler, Autor des Fachbriefs „Telemachos“ und u.a. Mitgründer des Berliner Netzwerkes für Kinderpatenschaften, haben einen wertvollen und perspektivreichen Sammelband herausgebracht, der die verschiedenen Aspekte, Anforderungen und Herausforderungen im sozialen Mentoring sinnvoll bündelt und umfassend diskutiert.
Aufbau und Inhalt
Der Band beginnt mit einer ausführlichen Begriffsbestimmung sowie einer Erläuterung der gesellschaftlichen Hintergründe und der geschichtlichen Entwicklung des sozialen Mentorings in Deutschland. Bekannte Träger und Initiativen von Mentoringformaten werden vorgestellt, um ein umfassendes Bild zu vermitteln.
Kapitel 1 widmet sich der theoretischen Einordnung von Mentoring und Patenschaften mit Beiträgen von renommierten Expert:innen wie beispielsweise Klaus Hurrelmann und Gisela Jakob. Es geht in diesem Kapitel um grundsätzliche Fragen, inwieweit Mentoring und Patenschaften bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und Übergängen im Lebensverlauf helfen kann. Was ist beispielsweise das Erfolgsgeheimnis von Patenschaften (vgl. Röbke in diesem Band)? Und kann Mentoring eine Form des Empowerments sein (vgl. Raitheluber in diesem Band)?
Kapitel 2 beleuchtet die verschiedenen Konzepte, Formate und Zielgruppen, die im Rahmen von Mentoring und Patenschaften existieren, z.B. Mentoringformate, die sich der Berufsorientierung widmen (vgl. Häseler in diesem Band), Patenschaften mit geflüchteten Kindern (vgl. Gesemann in diesem Band) oder auch E-Mentoring Formate (vgl. Emmerdinger, Heyna, Stöger in diesem Band).
In Kapitel 3 werden aktuelle qualitative Forschungsergebnisse zu dem Themenbereich präsentiert. Zu nennen ist hier vor allem die Studie von Schott-Leser (2018), die Übertragungsphänomenen in der Dynamik der Tandembeziehung qualitativ erforscht. Oder auch der Beitrag von Gozzer, die Patenschaften mit Kindern psychisch erkrankter Eltern analysiert. Die Herausforderung der Rollenabgrenzung thematisiert der Beitrag von Franziska Seise.
Kapitel 4 gibt in Fortführung der empirischen Studien einen Ausblick auf die Herausforderungen für Forschung und Praxis. Beispielsweise fordert Tina Braun kulturelle Vergleiche von verschiedenen Mentoringprogrammen und größer und länger angelegter Wirksamkeitsstudien, die den vielen Einzelstudien eine Vertiefung geben können.
Diskussion
Dieser Sammelband ist ein längst überfälliger Beitrag, der die Aufmerksamkeit auf soziales Mentoring lenkt. Er dient Praktikern als wertvolle Ressource und Beleg, um in Zeiten knapper Haushaltslagen die Wichtigkeit dieses individuumszentrierten Unterstützungsformats zu unterstreichen und kann als Argumentationshilfe gegenüber politischen Vertretern und Förderern genutzt werden.
Im Schlusskapitel fasst der Mitherausgeber, Bernd Schüler, die Leitlinien zusammen. „Mentoring kann die Entstehung von Problemen nicht nur vermeiden (Prävention), sondern auch bestehende Probleme verringern helfen (Kompensation) – bei manchen Zielgruppen mehr, bei anderen weniger“ (Schüler, S. 193) Wirkungsstudien sind vor allem im deutschen Raum in geringer Anzahl zu finden. Wobei die Wirkungsebenen unterschiedlich aufgefasst werden müssen und eines breiteren Fokus bedürfen, etwa: wie wirkt Mentoring auf die Mentor:innen? Welche Wirkungen zeigen sich bei den Eltern der Mentees? Forschungsbedarf ist zur Genüge vorhanden.
„Mentoring gut zu gestalten lohnt (.): Je besser die Umsetzung ist, umso stärker fallen die positiven Effekte aus“ (Schüler, S. 195). Zu Recht werden in dem Sammelband auch die Spannungsfelder im Mentoring beleuchtet: die negative Wirkung von vorzeitigen Abbrüchen, die vielschichtigen Rollenanforderungen und potenziellen Überforderung von Mentor:innen und ihrer „Laienkompetenz“ (Schüler, S. 203). Daraus resultiert die Wichtigkeit von Qualifizierung und Supervision der freiwillig engagierten Mentor:innen.
„Mentoring soll und darf keine beruflichen Unterstützungsleistungen verdrängen“ (Schüler, S. 203) Wie das Zusammenspiel zwischen hauptamtlichen, professionellen Akteuren und freiwilligen Kräften gelingen kann, wie Aufgaben der freiwilligen Mentor:innen angemessen formuliert werden, und ob eine Bezahlung im freiwilligen Engagement zielführend ist, sind weiterführende Fragen für die Forschung.
„Es braucht Wissen und Expertise, wie, wo und für und mit wem man das Instrument einsetzt, und es braucht ausreichend finanzielle, zeitliche und personelle Ressourcen, diese Arbeit zu leisten. Wer das ignoriert, riskiert im ungünstigsten Fall eine weitere Verletzung und Benachteiligung junger Menschen, schafft Schuld- und Versagensgefühle und verbrennt womöglich Engagementbereitschaft.“ (Schüler, S. 204)
Mentoringbeziehungen in der Freiwilligenarbeit können viel bewirken und nachhaltig zu Chancengerechtigkeit und Integration beitragen, das geschieht aber nicht automatisch. Eine gut qualifizierte Projektleitung ist unerlässlich, um die verschiedenen Wirkungen im Mentoring entfalten und die unterschiedlichen Facetten des Aufgabenfelder gekonnt zusammenzuführen- ob nun Öffentlichkeitsarbeit, Akquise und Schulung von Freiwilligen, Suche und Matching von Mentees, Wirkungsanalyse, Netzwerkarbeit und Projektmanagement. Hierfür sind personelle Ressourcen nötig, um die potenzielle Wirkkraft von Mentoring entfalten zu können. Projektleitung/​Koordination braucht ein angemessen Stundenvolumen, damit Freiwillige sich gut betreut fühlen und Tandems erfolgreich arbeiten können. Um diese Ressourcen zu sichern bzw. weiter auszubauen, bedarf es guter Argumente. Der vorliegende Sammelband bietet hiervon reichlich. Zudem können Praktiker:innen neue Impulse für die Weiterentwicklung der eigenen Mentoring-Konzepte erhalten.
Fazit
Der Sammelband und die kürzliche Gründung des Bundesverbandes „Soziales Mentoring“ machen deutlich, dass das Förderinstrument „Mentoring und Patenschaften“ auch in Deutschland anerkannt ist. Der Bundesverband als Dachorganisation für gemeinnützige Organisationen und andere Akteure in Deutschland, hilft mit, die Bedeutsamkeit von Mentoring und Patenschaften vor allem bei den politischen Entscheidungsträgern herauszustellen und somit an den finanziellen Rahmenbedingungen für die Mentoring-Praxis mitzuwirken. Forschung, Praxis und politische Interessensvertretung sind wichtige Säulen und tragen dazu bei, dass künftig mehr Menschen von diesem Angebot profitieren können.
Rezension von
Dr. Michaela Harmeier
Ehrenamts-Koordinatorin der Initiative PfAu (Paten für Ausbildung) der Freiwilligen-Agentur im Diakonischen Werk An Sieg und Rhein
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