Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Martin Schenk: Brot und Rosen

Rezensiert von Prof. Dr. Isolde Heintze, 12.12.2024

Cover Martin Schenk: Brot und Rosen ISBN 978-3-902968-97-5

Martin Schenk: Brot und Rosen. Über Armut, oder: Den Unterschied zwischen Hungern und Fasten macht die Freiheit. Edition Konturen (Pöcking) 2024. 80 Seiten. ISBN 978-3-902968-97-5. D: 12,00 EUR, A: 12,00 EUR, CH: 12,00 sFr.
Reihe: Kanten.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Das vorliegende Buch zielt darauf ab, das andauernde soziale Problem der Armut und der sozialen Ausgrenzung zu thematisieren und in den sozialpolitischen Fokus zu rücken. Dabei richtet sich der Blick des Autors vor allem auf die strukturellen, politischen Rahmenbedingungen, die soziale Ungleichheit und Armut (re)produzieren, auf die Betrachtung der Deutungsmuster von Armut, die soziale Konstruktion derselben sowie auf den Einbezug der Wahrnehmung der Situation der Betroffenen selbst. Der Buchtitel nimmt Bezug auf ein Motto, das vor über 100 Jahren von 20.000 Textilarbeiterinnen in Massachusetts geprägt wurde, als sie für bessere Lebensbedingungen kämpften: „Wir brauchen Brot, aber wir brauchen auch Rosen.“ Dabei steht „Brot“ für die grundlegenden Bedürfnisse wie Nahrung, finanzielle Sicherheit, ein geregeltes Einkommen und bezahlbares Wohnen. „Rosen“ hingegen verkörpern die immateriellen Bedürfnisse, die man nicht essen kann. Zu diesen Bedürfnissen zählen z.B. Anerkennung, Wertschätzung, Respekt, Musik, soziale Beziehungen und Vertrauen. Das Buch regt dazu an, Stereotype und Denkweisen über Armutsbetroffene zu überdenken und sich in ihre Lebenssituation, welche durch Fremdbestimmung und Unfreiwilligkeit gekennzeichnet ist, hineinzuversetzen. Darüber hinaus problematisiert Martin Schenk die vorliegenden Strategien zur Bekämpfung von Armut und führt aus, wie diese im Sinne des Mottos „Brot und Rosen“ weiterentwickelt werden können.

Autor

Martin Schenk, geboren 1970 in Wien, ist österreichischer Sozialexperte der Diakonie Österreich und Mitbegründer der österreichischen Armutskonferenz. Er widmet sich vor allem den Themen Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe, soziale Sicherheit, Zivilgesellschaft und Bildung. Er ist Mitinitiator und aktiver Mitgestalter zahlreicher sozialer Projekte, darunter „Hunger auf Kunst und Kultur“ (eine Initiative für den kulturellen Zugang von Menschen ohne finanzielle Mittel), der Verein Hemayat (Unterstützung für schwer traumatisierte Personen), das SozialrechtsNetz (Förderung sozialer Menschenrechte), Frühe Hilfen und „mitgehn“ (stille Begleitung zu Ämtern). Über viele Jahre arbeitete er intensiv mit wohnungslosen Menschen, Menschen mit Behinderungen und sozial benachteiligten Jugendlichen und engagierte sich in der Gesundheitsförderung. Darüber hinaus ist er Mitglied im österreichischen Menschenrechtsbeirat und Lehrbeauftragter im Fachhochschul-Studiengang Sozialarbeit am Campus Wien sowie an der FH Joanneum in Graz. Als Autor hat er zahlreiche Bücher u.a. zu den Themen Armut und Sozialstaat veröffentlicht, z.B. „Es reicht! Für alle! Wege aus der Armut“ (2010) und „Die Integrationslüge“ (2012).

Aufbau

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich ein schmales Büchlein von 70 Seiten im Taschenbuchformat. Das Buch beinhaltet insgesamt sieben kurze Abschnitte. Diesen Abschnitten vorangestellt ist eine Einleitung, welche als solche jedoch nicht explizit benannt wird. In den einzelnen Abschnitten lassen sich immer wieder Verweisungen auf wissen­schaftliche Studien und empirische Befunde aus der Armutsforschung finden, die Impulse für ein Weiterdenken und für eine detailliertere Auseinandersetzung mit dem Thema Armut und soziale Ausgrenzung setzen.

Inhalte

In der Einleitung des kleinen Buches werden drei Perspektiven auf den Armutsbegriff aufgezeigt: Armut setzt sich stets ins Verhältnis, der Aspekt der Freiwilligkeit und Armut ist nicht nur ein Mangel an Gütern, sondern auch an Möglichkeiten. Schenk schreibt weiter, dass Armut eine der existenziellsten Formen von Freiheitsverlust darstellt, worauf auch der Untertitel des Buchs abzielt. Mit Verweis auf Studien geht er weiter darauf ein, was ein Leben in Armut bedeutet: anhaltende Sorgen, Diskriminierung und wahrgenommene Vorurteile beeinträchtigen die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, und verringern dadurch indirekt die Leistungsfähigkeit. Solche Belastungen führen dazu, dass die Aufmerksamkeitsspanne sinkt und Betroffene Schwierigkeiten haben, ihr volles Potenzial zu entfalten.

In den Abschnitten „Beschämung oder der Blickwechseltest“ sowie „Ringen um Unabhängigkeit und Lebensfreude“ thematisiert der Verfasser die Gefühle der betroffenen Menschen, wenn sie z.B. Behörden und Institutionen aufsuchen müssen: Beschämung, Ohnmacht, Demütigung und Vorurteile. Martin Schenk führt hier außerdem aus, dass sich Neid stets auf das Ähnliche richtet. Menschen neigen dazu, nicht den wohlhabenden Unternehmer oder den Millionenerben zu beneiden, sondern Personen aus ihrem direkten Umfeld oder derselben gesellschaftlichen Schicht.

Im Abschnitt „Schritt für Schritt am autoritären Pfad: Die Bitterkeit und das Meer“ wird problematisiert, dass häufig ein autoritärer Pfad verfolgt wird, bei dem nicht die eigentlichen Missstände oder strukturellen Probleme in den Fokus rücken, sondern die Menschen, die von diesen betroffen sind. Anstatt die Ursachen von Armut, sozialer Benachteiligung oder Ungleichheit anzugehen, werden die Betroffenen selbst stigmatisiert, kontrolliert oder sogar sanktioniert. Die Menschen werden für ihre Situation verantwortlich gemacht. Dies verstärkt nicht nur ihren Ausschluss aus der Gesellschaft, sondern verhindert auch eine nachhaltige Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Ein solcher autoritärer Kurs dient oft mehr dazu, bestehende Machtstrukturen zu sichern, als tatsächlich die Lebensbedingungen der Betroffenen zu verbessern.

Im Abschnitt „die Treffsicherheitsfalle“ geht der Autor auf die Gestaltung der sozialpolitischen Maßnahmen ein, die für die Prävention und Bekämpfung von Armut notwendig sind. Martin Schenk betont, dass effektive Maßnahmen zur Bewältigung von Armut einen ausgewogenen Ansatz erfordern. Seiner Ansicht nach sind sowohl gezielte Sozialleistungen für einkommensschwächere Menschen als auch universelle, präventive Maßnahmen notwendig, um Armut nachhaltig zu verhindern und soziale Gerechtigkeit zu fördern. Zu letzterem Aspekt formuliert er im Abschnitt „Die Blume der Gerechtigkeit“ eingehende Gedanken, u.a. zum Prinzip der Leitungsgerechtigkeit, welches zum Dogma wird und alle in Gewinner und Verlierer unterteilt.

Weiterhin wird darauf hingewiesen, zwischen den sozialpolitischen Instrumenten „Sach- und Dienstleistungen“ in ihrer Wirkung zu differenzieren. Dienstleistungen, wie beispielsweise Kinderbetreuung, tragen dazu bei, die Handlungsspielräume der Betroffenen zu erweitern und ihre Eigenständigkeit zu fördern. Im Gegensatz dazu können Sachleistungen die gegenteilige Wirkung haben: sie schränken die Selbstständigkeit ein und vermitteln oft ein Gefühl von Entmündigung.

Diskussion

Hervorzuheben ist, dass das vorliegende Werk einen Raum für die Stimmen von Armutsbetroffenen bietet, die ihre persönlichen Erfahrungen und Perspektiven mit ihrer besonderen Lebenssituation mitteilen und verdeutlichen. Dabei beleuchtet Martin Schenk die emotionalen und sozialen Herausforderungen, mit denen diese Menschen konfrontiert sind, insbesondere die Gefühle von Scham, Ohnmacht und Einsamkeit und die häufige Tendenz, ihnen die Schuld an ihrer Situation zuzuschieben. Darüber hinaus analysiert er die Auswirkungen unterschiedlicher sozialpolitischer Ansätze und zeigt, wie diese das Leben von Betroffenen nachhaltig beeinflussen können. Außerdem thematisiert der Autor Anregungen, wie die Sozialpolitik zukünftig gestaltet werden kann.

Menschen, die von Armut betroffen sind, benötigen nicht nur materielle Unterstützung, sondern auch Zugang zu immateriellen Werten, die für ein erfülltes Leben unerlässlich sind. Besonders wichtig sind Freundschaften, Respekt und Wertschätzung, denn sie tragen wesentlich dazu bei, ein Gefühl von Zugehörigkeit, Selbstachtung und Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Ebenso bedeutend sind Erholungsmöglichkeiten und der Zugang zu kulturellen Erlebnissen. Diese Aspekte des Lebens ermöglichen es den Betroffenen, ihre Perspektive zu erweitern, Inspirationen zu finden und an der Gesellschaft teilzuhaben. Ohne diese immateriellen Ressourcen verlieren viele Menschen die Chance, sinnvolle und bereichernde Beziehungen aufzubauen, die ihnen Stabilität und Halt geben können. Gerade in schwierigen Lebenslagen sind solche Beziehungen entscheidend, um Isolation und Resignation zu vermeiden und ein lebenswertes Leben zu führen.

Fazit

Insgesamt bietet das Buch einen kurzen, aber akzentuierten Einblick in die Auswirkungen und Konsequenzen, wenn Menschen in Armut leben und von sozialer Teilhabe dauerhaft ausgeschlossen sind. Es eignet es sich insbesondere für Praktiker:innen, vor allem in der Sozialen Arbeit, Lehrende, Studierende, Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung und alle die Menschen, die sich mit Armut und sozialer Ausgrenzung beschäftigen. Die Ausführungen in dem Buch machen deutlich, dass die Gesellschaft und Politik ihrer Verantwortung als ernstzunehmende Kritikerin der bestehenden sozialen Missstände gerecht werden muss und damit einen Beitrag zur nachhaltigen Gestaltung der Armuts- und Sozialpolitik leistet.

Rezension von
Prof. Dr. Isolde Heintze
Professur für Sozialpolitik und Soziale Arbeit an der Hochschule Mittweida, Fakultät Soziale Arbeit
Website
Mailformular

Es gibt 9 Rezensionen von Isolde Heintze.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Isolde Heintze. Rezension vom 12.12.2024 zu: Martin Schenk: Brot und Rosen. Über Armut, oder: Den Unterschied zwischen Hungern und Fasten macht die Freiheit. Edition Konturen (Pöcking) 2024. ISBN 978-3-902968-97-5. Reihe: Kanten. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32116.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht