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Andreas Wölfl (Hrsg.): Die systemische Perspektive in der Musiktherapie

Rezensiert von Dr. phil. Oliver Schöndube, 10.07.2024

Cover Andreas Wölfl (Hrsg.): Die systemische Perspektive in der Musiktherapie ISBN 978-3-7520-0799-2

Andreas Wölfl (Hrsg.): Die systemische Perspektive in der Musiktherapie. 31. Musiktherapie-Tagung am Freien Musikzentrum München e. V. (4.- 5. März 2023). Dr. Ludwig Reichert Verlag (Wiesbaden) 2024. 216 Seiten. ISBN 978-3-7520-0799-2. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Reihe: zeitpunkt musik.

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Thema

Die Beiträge des Buches beleuchten in vielfältiger Weise die systemische Perspektive in der Musiktherapie und fassen die Beiträge der Tagung zusammen. Systemische Betrachtungsweisen und der Blick auf unterschiedliche Systeme werden hier den Leser:innen angeboten.

Autor:in oder Herausgeber:in

Herausgeber, Musiktherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Dr. phil. Andreas Wölfl ist neben vielfältigen anderen Aufgaben und Wirkungsbereichen Leiter der berufsbegleitenden Musiktherapieausbildung BWM und der Arbeitsgruppe Prävention am Institut für Musiktherapie des Freien Musikzentrums München e.V.

Entstehungshintergrund

Der vorliegende Band enthält die Beiträge der 31. Tagung des Freien Musikzentrums München, das jährlich Fachtagungen zur Musiktherapie mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten durchführt. Die Tagung „Die systemische Perspektive in der Musiktherapie“ fand vom 4.- 5. März 2023 statt.

Aufbau

In der Dokumentation der Tagungsbeiträge werden die systemischen Blickwinkel und Richtungen dargestellt, wobei inhaltlich die für das systemische Denken durchaus zentrale Methode der Aufstellungsarbeit in ihren unterschiedlichen Varianten und Weiterentwicklungen besonders vertreten ist. Dafür kommen über 20 Autor:innen entsprechend ihrer Tagungsbeiträge zu Wort. Im hinteren Teil des Bandes befinden sich zudem Abbildungen der Poster, die bei der Tagung vorgestellt wurden, ergänzt durch ausformulierte, erklärende Texte der jeweiligen Autor:innen.

Inhalt

Die einleitenden Worte durch den Herausgeber Andreas Wölfl führen grundsätzlich in das Thema der systemischen Perspektive ein und geben auch bereits eine spezifische Einführung in historische und bereits langjährig erprobte, aktuelle sowie internationale Entwicklungen des systemischen Denkens und Handelns im Bereich der Musiktherapie. Wirkungsweisen von Musiktherapie und Wirkungsfelder von systemischen Ansätzen machen die Breite deutlich, in den systemisches Denken sich verankern kann. Durch die mittlerweile vielfältige Beschäftigung der Kombination von systemischen und musiktherapeutischen Aspekten wird deutlich, dass die Akzeptanz der Methode begründet weiter vorangeschritten ist und beispielsweise die von Tonius Timmermann beschriebenen transgenerationalen Aspekte mit beleuchtet.

Das Feld reicht von Prävention und Salutogenese über Community Music, systemische Beratung und Interkulturalität bis in die Vielfalt diverser therapeutischer Betrachtungsweisen. Des Weiteren werden Orte angesprochen, in denen Musiktherapie auf systemsicher Basis zum Einsatz kommt und einzelne ganz konkrete, praktische Einsatzmöglichkeiten erfahrungsbezogen an die Leserschaft gebracht.

Die musiktherapeutische Arbeit in systemischem Denken zu verorten, lässt Fragen aufkommen, macht aber auch deutlich, dass hier eine seriöse methodische Behandlungsform angeboten wird. Beispielsweise kommt immer wieder die Frage auf, welche Wirklichkeit der Aufstellungsarbeit zugrunde liegt. Es müssen somit stets Bezüge zwischen der Aufstellung selbst, der Wirklichkeit der aufstellenden Person(en) und der sie umgebenden Lebenswirklichkeit hergestellt werden. Um Antworten auf mögliche Fragen näher zu kommen, werden im Buch einige Schwerpunkte deutlich, die mit praxisnahen Fallbeispielen nachvollziehbar gemacht werden. Diese Beispiele nehmen einen guten Teil der Dokumentation ein und sind Kernstück der Darstellungen.

Die Leser:innen erfahren konkrete Abläufe von Aufstellungen in sehr unterschiedlichen Settings, beispielsweise auch im institutionellen Rahmen der Psychosomatik oder im inhaltlichen Rahmen interkultureller Identitätsfindung. Diese Darstellungen laden zum einen dazu ein, sich mit der Methodik grundsätzlich näher zu befassen, zum anderen geben sie direkt Impulse, nach Integrationsmöglichkeiten in den eigenen (musik-)therapeutischen Alltag zu suchen. Teilweise finden sich in den Ausführungen grundlegende Hinweise, z.B. zum weiten Musikbegriff, zu den vielfältigen Instrumenten, die immer wieder individuell mit Bedeutungen konnotiert werden und zu Wirkungsfunktionen der Intervention.

Es werden Hinweise gegeben, in welch unterschiedlichen Settings diese Arbeit zum Einsatz kommen kann, für welche Themen sie sich anbietet und welche Art Interventionen und Methoden sinnvoll ergänzend eingesetzt werden können. So wird die Bedeutung systemischer Perspektiven für bzw. als (be-)handelnde und ebenfalls als diagnostische Intervention vermittelt. Ergänzt werden die verschriftlichten Darstellungen durch vielerlei Zeichnungen und Fotografien, welche die Bildlichkeit der Aufstellen auf einen Blick wiedergeben und die Prozesse in ihrem Fortgang nachvollziehbar halten.

Eingebunden sind auch Appelle, Veränderungen in gesellschaftlichen Prozessen anzustoßen, angeregt durch beispielhafte Initiativen, sei es in Kultur, „Kultus“ oder Kommune, die sich zukunftsorientiert präsentieren.

Martina Baumanns Blick auf den Körper, als musikalische Ressource und Boden für Embodiment verdeutlicht aktuelle Strebungen und referiert wiederum an eine klient:innenbezogene, therapeutische Grundhaltung auf hypnosystemischer Basis.

In sehr detaillierter Aufbereitung wird von Silke Siebert eine Literaturrecherche vorgestellt, die einen guten Überblick gibt, sich in der musiktherapeutisch-systemischen Landschaft zu orientieren und Praxisfelder aufzuspannen. Erweiternd stellt Tobias Kranz plurale Konzepte dar, die sich mit der Musiktherapie vereinen, beispielhaft die Schematherapie oder die Ego-State-Therapie. Hier wird deutlich, dass Systeme nicht nur außerhalb, sondern auch in uns liegen.

Eine andere Komponente liegt im von Peter Uffelmann vorgestellten Bereich von Coaching und Beratung. Dort kann die musiktherapeutisch-systemische Haltung noch ein wichtiges Arbeitsfeld erschließen, wenn Organisationen als Systeme in den Blick geraten. Hier werden Theorien und Wirkungsweisen von Organisationen angesprochen und auf musikalische Prozesse, wie den Jazz, oder musikalische Organisation, wie Orchester, bezogen. 

Weitere vorgestellte Arbeitsfelder sind das von mehreren Autor:innen eingebrachte System Schule und insgesamt die Arbeit mit Kindern, wiederum verbunden mit ganz eigenen Konzepten, sowie kommunale Projekte. Hier gibt es Angebote, die aus der Community Music kommen und musiktherapeutisch untermauert werden, sodass sowohl die kulturelle Bildung als auch psychosoziale Gesundheitsvorsorge übergreifend profitieren können. Insbesondere wird das bekannte TrommelPower-Konzept und dessen Evaluationsergebnisse angesprochen. In diesem und ähnlichen Ansätzen werden insbesondere Softskills geschult, Lieder gesungen und komponiert, Verbundenheit, Selbstwirksamkeit und Identifikation initiiert.

Noch eine andere Komponente rückt Eckhard Weymanns Darstellung der hilfreichen auditiven Atmosphäre in Krankenhäusern in den Blick. Dort geht es um aktive musikalische Gestaltung einer Institution oder um das Nutzen von Soundscapes, alles zum Wohle des großen Systems von Patient:innen, Mitarbeiter:innen und dem gesamten Team.

Diskussion

Entsprechend Thema und Titel wird danach gesucht, möglichst umfassend die systemische Perspektive zu beleuchten. Da ist es nur nachvollziehbar, dass der Aspekte der Aufstellungsarbeit in seiner großen Vielfalt zentral ist, da sich darin Systeme sehr gut abbilden und nachvollziehen lassen. Die vielen Fallbeispiele machen die Arbeit praxisnah erfahrbar, auch wenn es im Verlauf scheinen kann, dass noch ein Fallbeispiel der Leserschaft nicht noch mehr Einblick gibt oder mehr Erkenntnis erschafft. Hier liegt sicher eine grundsätzliche Schwierigkeit von Tagungsbänden, die ihre Struktur auf praktische Erfahrungen für die Teilnehmenden aufbauen.

Dieses ist für Besucher:innen der Tagung sicherlich eine gute Erinnerung und Auffrischung des dort erlebten. Für Personen, die den Band im Anschluss lesen, kann es an manchen Stellen wiederholend wirken. Andererseits liegt in der praktischen Darstellung auch die Anregung, sich selbst mit einer möglichen Integration dieser Perspektive in die eigene Arbeit zu beschäftigen und schrittweise vertraut zu machen. Erfreulich ist, dass auch auf Grenzen dieser Arbeit hingewiesen wird und gleichsam überzeugend vermittelt wird, wie hilfreich und sinnvoll die systemische Perspektive sein kann sowie welche profunde theorie- und praxisgeleitete Ergänzung zu und Verbindung mit vielen anderen Ansätzen sie sein kann.

Fazit

Das besprochene Buch gibt einen guten und praxisnah nachvollziehbaren Einblick in die Vielfalt systemischer Handlungs- und Denkweisen in die sich die Musiktherapie einweben kann. Fallbeispiele nehmen die Leser:innen nah an die tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten in ihrer Breite mit, regen zu Auseinandersetzung an und geben Impulse nach weiteren Entwicklungen auch für das eigene Arbeiten Ausschau zu halten.

Rezension von
Dr. phil. Oliver Schöndube
Dipl.-Musiktherapeut (DMTG), Heilpraktiker für Psychotherapie
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Es gibt 3 Rezensionen von Oliver Schöndube.

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ISSN 2190-9245