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Ulrich Fey: Clowns für Menschen mit Demenz

Rezensiert von Dipl.-Soz.Arb./Soz.Päd. (FH) Oliver König, 16.09.2024

Cover Ulrich Fey: Clowns für Menschen mit Demenz ISBN 978-3-86321-655-9

Ulrich Fey: Clowns für Menschen mit Demenz. Das Potenzial einer komischen Kunst. Mabuse-Verlag GmbH (Frankfurt am Main) 2024. 4. vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage. 272 Seiten. ISBN 978-3-86321-655-9. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR, CH: 23,21 sFr.

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Thema

Ulrich Fey beschreibt in seinem Buch die Grundlagen von Clownarbeit und ihre Wirksamkeit, ihre Möglichkeiten und Grenzen in der Betreuung von Menschen mit Demenz. Erstmalig ist das Buch 2012 erschienen, die nun veröffentlichte 4. Auflage ist eine vollständig überarbeitete und erweiterte Version des ursprünglichen Buches.

Autor

Ulrich Fey war Lehrer und Redakteur, ehe er Clown wurde. Er absolvierte die Vollzeitausbildung der Clownschule TuT in Hannover und besucht seit 1999 als Mitglied der Clown-Doktoren Kinderkliniken im Rhein-Main-Gebiet. Zudem ist er als Clown Albert seit 2003 in Altenheimen unterwegs.

Anmerkung des Rezensenten

Selbstverständlich gibt es viele Frauen, die als Clownin bei Menschen mit Demenz arbeiten. Im folgenden Text geht es um den Clown als Kunstfigur und nicht als konkrete Person. Deshalb verwende ich (im Gegensatz zu sonstigen Texten) ausschließlich die männliche Form, wenn es um die Beschreibung der Clownsarbeit geht.

Aufbau

Fey unterteilt sein Buch in 16 Kapitel, die sich im Wesentlichen in drei Themenblöcke gliedern. Die Kapitel 1 bis 3 behandeln das Alter und führen in das Thema Demenz ein. Die Kapitel 4 bis 6 widmen sich gesellschaftlichen und geschichtlichen Aspekten, etwa der Folgen von Traumata bei alten Menschen und die besonderen Aspekte der Erziehung der heutigen Generation alter Menschen. Ein neues Kapitel in diesem Abschnitt befasst sich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf alte Menschen, die Situation in den stationären Einrichtungen und den damit einhergehenden besonderen Bedingungen für die Arbeit als Clown. Die Kapitel 7 bis 16 schließlich befassen sich konkret mit der Figur des Clowns, seiner Ausstattung, seinem Wirken, den Rahmenbedingungen für seine Arbeit, seinen Wirkmöglichkeiten, benennt aber auch die Grenzen seines Handelns.

Inhalte

In Kapitel 1 Alte Menschen in Schräglage beschreibt Fey die veränderte (Welt-)lage, mit der ältere und alte Menschen in unserer heutigen Zeit zurechtkommen müssen, in der vieles unübersichtlich geworden ist, in der sie einer technischen Entwicklung kaum noch Stand halten können, in der sich immer mehr ausdifferenziert, gewohnte Gewissheiten an Gültigkeit verlieren und auch traditionelle Generationenbilder und -rollen immer weniger gelten. Die ‚Weisheit der Alten‘, ihre Erfahrung spielt kaum noch eine Rolle. Man muss keine Demenz haben, um verwirrt zu sein. Gleichzeitig werden immer mehr Menschen immer älter, womit auch das Thema Demenz eine immer größere Rolle spielt. Und das bei einer sich ändernden Gesellschaft, in der die notwendige Betreuung dieser Menschen – weder familiär noch stationär – zuverlässig gewährleistet ist.

In Kapitel 2 Demenz – ein Phänomen befasst sich der Autor eingehend mit den medizinischen Hintergründen und Auswirkungen von Demenzerkrankungen, den Funktionen des Gehirns, erläutert die Vorgänge, die sich im Krankheitsverlauf im Gehirn abspielen, welche Methoden zur Diagnostik Anwendung finden, welche (wenigen) Möglichkeiten zur medikamentösen Behandlung es gibt, die zudem nur einen eingeschränkten Nutzen haben und was es mit möglichen Nebenwirkungen auf sich hat.

Kapitel 3 Prophylaxe und Risiken erläutert, was ein Mensch tun kann, um eine Demenzerkrankung zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern (Bewegung, soziale Kontakte, Bluthochdruck regulieren, nicht rauchen, Hörfähigkeit erhalten…). Würden die Menschen sich entsprechend verhalten, könnten rund 40 % der Demenzerkrankungen vermieden werden (vgl. Untersuchung Lancet-Kommission 2020/2024). Aber auch die toxischen Altersbilder in der Gesellschaft – alte Menschen gelten als „senil, langsam, schwerhörig, dickköpfig“ (Seite 52) tragen im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung dazu bei, dass sich alte Menschen selber unter Stress setzen, mit negativen Auswirkungen für die geistige und psychische Gesundheit.

In Kapitel 4 Die Pandemie und ihre Folgen erläutert Fey die notwendigen Einschränkungen für alte Menschen, insbesondere im stationären Bereich durch die Regelungen infolge der Coronapandemie. Klar sieht er die Notwendigkeit dieser Maßnahmen, um eine besonders vulnerable Gruppe zu schützen, sieht aber auch das ethische Dilemma für die Einrichtungsleitungen und benennt die teils erheblichen psychosozialen Folgen, die diese Zeit für die betreuten Menschen mit sich brachte. Auch für seine Arbeit als Clown war diese Zeit von vielen Brüchen und Neuerungen geprägt, von ausgefallenen Besuchen in Einrichtungen über Auftritte mit Maske (und der Frage, wie sich darauf die so unverzichtbare rote Nase befestigen lässt). Die so wichtige Mimik war nicht mehr so gut zu sehen, die nonverbale Kommunikation somit eingeschränkt und auch Berührungen waren kaum möglich. Erstmals wurden Clownbesuche auch online angeboten, eine ganz neue Erfahrung mit meist überraschend positivem Resultat. Was allerdings nur funktioniert, wenn die Heime technisch (WLAN) entsprechend ausgestattet sind.

In Kapitel 5 Ausflug in die Geschichte beleuchtet der Autor mögliche Gründe, warum Menschen anders oder verhaltener reagieren, als man es gemeinhin in der jeweiligen Situation erwarten könnte. Ein Grund dafür können – so Fey -erlittene (und meist nicht be- und verarbeitete) Traumata des Menschen sein. Ein Thema, das natürlich in besonderem Maß noch die heute hochaltrigen Menschen betrifft, die als Kinder und Jugendliche den 2. Weltkrieg und die Jahre danach erleben mussten, mit teils unvorstellbaren Erlebnissen. Eine abwehrende Reaktion auf eine gut gemeinte Handlung des Clowns muss nicht heißen, dass der Mensch diesen ablehnt, sondern beruht vielleicht auf einer negativen Erfahrung, die in diesem Moment wachgerufen wird. Auch Gegenstände, Kleidung, Gerüche, Geräusche können – für das Umfeld erstmal nicht nachvollziehbar – solche Reaktionen hervorrufen. Die gemachten Erfahrungen der Kriegsgeneration ließen zudem keinen Platz für Trauer, auch das Erziehungsmodell jener Zeit (Stell Dich nicht so an) lässt wenig Spielraum für das Zeigen von Emotionen. Zahllose Mädchen und Frauen wurden in dieser Zeit Opfer sexueller Gewalt, was den Einsatz von Berührungen etwa durch den Clown bei diesem Personenkreis zu einem sensiblen Thema macht.

Kapitel 6 Außen- und Innenansichten widmet sich dem Umgang des Menschen mit Demenz mit den Verlusten, die er durch seine Erkrankung spürt und die möglichen Reaktionen darauf. Da ist insbesondere die Angst, aber auch die Verzweiflung, die Hilflosigkeit zu nennen. Angst, abhängig und auf andere angewiesen zu sein. Menschen mit Demenz fühlen sich häufig in ihrem Inneren bedroht. Die Folgen sind Angriff, Flucht oder Erstarrung. Hier kann die Unterscheidung der Außensicht (dem, was das Umfeld in einer Situation wahrnimmt) und der Innensicht (was im Menschen mit Demenz vor sich geht), hilfreich sein, um damit umgehen zu können, um zu erkennen, dass etwa eine vermeintlich aggressive Verhaltensweise nicht gegen die Person gerichtet ist, sondern sich auf die Situation bezieht, Ausdruck von Wut auf sich selber oder die Demenz. Flucht kann zum Beispiel der Rückzug in eine „gute, alte Zeit“ sein, etwa ins Berufsleben, in der man sich sicher und wohl fühlte. Aber auch der Drang, stundenlang ruhelos umherzulaufen.

Fey unterlegt alle diese Verhaltensweisen mit Beispielen, in denen er einerseits die Außenansicht schildert, andererseits die Innenansicht gegenüberstellt.

Was Menschen mit Demenz hilft ist das Kapitel 7 überschrieben und Fey nennt klar, was das ist: Dasselbe, was allen Menschen hilft, nur mit einem anderen Schwerpunkt. Weniger über das Gehirn gesteuert, sondern auf der Gefühlsebene lassen sich Menschen mit Demenz erreichen. Menschliche Nähe, die anerkennende, mitfühlende Haltung wird dabei als das wichtigste Medikament gegen Demenz beschrieben. Zu dieser Haltung gehören Empathie, körperlicher Kontakt, soweit möglich und zugelassen, Zeit, Geduld, Respekt, Aufrichtigkeit und Echtheit. Das alles wird umso wichtiger, je mehr die vom Gehirn gesteuerte Kommunikation schwindet. Auch die Atmosphäre rund um den Menschen spielt dabei eine wichtige Rolle: da sie sich kognitiv und auch räumlich nicht aus unfreundlichen Atmosphären entziehen können, ist die Schaffung einer Wohlfühlatmosphäre von großer Bedeutung. Ordnung, Sauberkeit, Gerüche, Geräusche, geordnete Kleidung können erheblich zum Wohlbefinden beitragen.

Fey nimmt in diesem Kapitel auch die Helfenden in den Blick und plädiert dafür, bei allem schlechten Gefühl und Gewissen durchaus auch über einen Umzug ins Pflegeheim nachzudenken. Schließlich sei es allemal besser, ausgeruht und mit guten Nerven regelmäßig etwas mit dem Angehörigen im Heim zu unternehmen statt ihn rund um die Uhr am Ende der eigenen Kräfte zuhause mehr schlecht als recht zu betreuen.

In Kapitel 8 Die Figur des Clowns wendet sich Fey der Frage zu, was denn einen Clown eigentlich ausmacht. Er differenziert klar zwischen dem Klischeeclown, der häufig in der Werbung, in schlechten Zirkussen oder gar im Horrorgenre zu finden ist und seinem Verständnis vom Clown. Nicht grell, laut, auf billige Effekte fokussiert oder gar beängstigend ist sein Bild vom Clown, er ist einer, der keine Angst macht, sondern nimmt, der Vertrauen schafft. Sein Clown ist offen, neugierig und absichtslos, kein Kind mehr, aber doch sehr kindlich in seiner Unbekümmertheit. Sein Clown kommt ohne Auftrag, ohne Anspruch, was ihm hilft, das Schicksal anders zu betrachten. Krankheit und Leid können so relativiert werden, ohne dass sie verharmlost werden, womit Raum auch für anderes, schönes geschaffen werden kann. Bei ihm ist für alle Gefühle, für Freude, Ärger und Trauer Platz. Der Clown ist unvollkommen, darf Fehler machen, darf scheitern. Er ist ein Anarchist und das gelebte Gegenbeispiel zum Druck der Erfolgsgesellschaft, dem gerade Menschen mit Demenz nicht mehr gerecht werden können.

Ein kleiner Ausflug in die Geschichte der Clowns über die Jahrhunderte rundet dieses Kapitel ab.

In Kapitel 9 Humor, Komik, Lachen stellt Fey fest: Humorvoll zu sein, bedeutet, lebendig zu sein. Humor ist eine Abwehrkraft gegen viele Belastungen des Lebens. Humorvoll sein, Humor verstehen ist dabei keine Charaktereigenschaft, sondern eine Form der Kommunikation, die gelernt werden kann. Und wird Humor verstanden, ist die Folge ein Lachen als körperliche Reaktion. Dabei muss Humor nicht immer nur nett und harmlos, sondern kann und muss auch riskant, leicht aggressiv sein. Dabei kommt es immer auf die Professionalität des Clowns an: ist mein Handeln, mein Humor in dieser Situation passend oder wird bereits eine Grenze überschritten. Denn eins darf Humor nicht sein: bösartig und verletzend!

Der Clown an sich ist nie komisch, stellt Fey in Kapitel 10 Die Komik des Clowns fest – auch wenn Clown und Komik fast zwangsläufig miteinander verbunden sind. Seine Komik entsteht ausschließlich aus seinem Handeln heraus, nie durch eine aufgesetzte Lustigkeit. Die Komik des Clowns ist eine körperliche, keine verbale. Das Spiel des Clowns erfolgt meist in drei Schritten: er entdeckt ein Ziel, versucht dieses zu erreichen und scheitert. In einem zweiten Versuch scheitert er noch deutlicher. Und im dritten Schritt steigert der Clown zum Vergnügen seines Publikums seine bisherigen Versuche ins Absurde oder er bricht mit den Erwartungen und erreicht sein Ziel zum Erstaunen aller mit einer ganz anderen Herangehensweise. Das alles erfordert gerade im Kontakt mit Menschen, die nur noch eingeschränkt kognitiv zu erreichen sind, ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen für die aktuelle Situation.

Über die positive Wirkung von Humor und Lachen – so der Titel von Kapitel 11 – ist mittlerweile viel geforscht worden, die Wirkung auf Körper, Geist und Seele unbestritten. Fey erläutert die hirnorganischen Vorgänge, die sich beim Lächeln und Lachen abspielen. Folgende positiven Wirkungen des Lachens werden angenommen: die Sauerstoffsättigung des Blutes wird erhöht, beteiligte Muskeln besser durchblutet, die Blutzirkulation und das Herz-Kreislaufsystem aktiviert. Entzündungshemmende Hormone werden vermehrt produziert, negativer Stress abgebaut und die persönliche Schmerztoleranz erhöht. Lachen erhöht die Endorphinproduktion, wodurch sich der Mensch besser fühlt. Das Glückshormon Dopamin wird ausgeschüttet. Humor gilt als Gegenspieler der Angst und vermindert Leidensdruck, zumindest für den Moment.

Doch Clownsarbeit ist nicht nur Humor und Komik. Die Wirkung von Musik und Gesang beschreibt Fey in Kapitel 12. Musik gehört zu den fundamentalen Erfahrungen des Menschseins und wirkt im Gehirn und Körper noch stärker als Humor. Gerade bei Menschen mit Demenz ist zu beobachten, dass sie auch in einem fortgeschrittenen Stadium noch auf vertraute Lieder reagieren. Nicht umsonst spricht man auch von der Musik als Königsweg, um Menschen mit Demenz zu erreichen. Lieder können schöne Erinnerungen wecken, Ängste abbauen, die Psyche stärken, Trost spenden und ein Gemeinschaftsgefühl hervorrufen. Entscheidend ist dabei nicht in erster Linie die Qualität der Musik, sondern die lebensgeschichtliche Bedeutung für den jeweiligen Menschen. Der Clown sollte also Musik immer in seinem Repertoire haben und tut er sich selber schwer durch tatsächliche oder vermeintliche eigene Unmusikalität, bieten technische Möglichkeiten (Akkulautsprecher, Streamingdienste) heutzutage eine unerschöpfliche Quelle, Musik in den Auftritt mit einzubeziehen.

Warum sollen nun ausgerechnet Clowns bei Menschen mit Demenz helfen können, fragt Fey in Kapitel 13. „Weil niemand anderes derart prädestiniert ist (…) Denn der Clown ist selbst desorientiert, jedenfalls was die reale Alltagswelt angeht“ (Seite 167). Der Clown und der Mensch mit Demenz können sich verbunden fühlen, vielleicht, weil beide auf ihre Art gegen Normen verstoßen und Grenzen erfahren. Die Begegnung zwischen Mensch mit Demenz und Clown ist zweckfrei, sie hat kein Ziel außer der Begegnung selber – im Gegensatz zu den meisten anderen Begegnungen, etwa mit dem Betreuungspersonal. Man ‚muss‘ gewaschen werden, jetzt essen, mitkommen, Gedächtnistraining machen… Der Clown dagegen verfolgt keine Absicht. Da der Clown eine Begegnung nicht plant, ist er auf seine Intuition angewiesen, er muss sich blitzschnell auf die jeweilige Situation einstellen und entsprechend handeln.

Ein Schlüssel zu Menschen mit Demenz ist Zeit und Geduld – beides ansonsten oft ein rares Gut. Mit ihm lassen sich auch schwierige Situationen meistern und der Clown allein sollte seinem Gefühl folgend jedem Menschen, den er besucht, die Zeit schenken, die dieser individuell braucht.

Die Figur des Clowns bietet Menschen mit Demenz auch die seltene Gelegenheit, sich überlegen zu fühlen, stärker zu sein oder in ihm einen Komplizen, einen Gleichgesinnten zu finden, der genauso verwirrt zu sein scheint.

Fey behandelt in diesem Kapitel auch schwierige Themen wie Tod, Aggression und sexuelle Avancen, mit denen umzugehen jeder Clown individuell, aber professionell gefordert ist.

Natürlich gibt es auch für den Clown Innere und äußere Grenzen, die Fey in Kapitel 14 beschreibt. Im Kontakt mit Menschen mit Demenz und in Pflegeheimen begegnet der Clown zwangsläufig auch den Themen Schmerz, Leid, Trauer, Sterben und Tod. Hier muss er eine persönliche Haltung, einen eigenen Umgang finden. Aber er muss für sich selber auch seine Grenzen erkennen, was er aushalten kann und ab welchem Moment ihm eine Situation zuviel wird. Ein anderer Clown hat möglicherweise als Kind verinnerlicht, dass Körperausscheidungen ekelhaft sind oder dass beim Essen nicht gekleckert wird – wichtig ist es deshalb als Clown, sich seine alten verinnerlichten Muster bewusst zu machen.

Der Clown muss sich freimachen von Erwartungsdruck. Er darf auch mal vermeintlich ‚nichts tun‘, obwohl er dafür bezahlt wird. Und weil Frau X. beim letzten Mal gelächelt hat, muss sie nicht zwangsläufig dieses Mal auch lächeln – trotzdem kann sie vielleicht den Besuch des Clowns genossen haben. Erst wenn Erwartungen und Ziele auf null runtergefahren werden, ist eine wirkliche Begegnung möglich.

Nicht kooperierende Einrichtungsleitungen, eifersüchtige Betreuungskräfte oder eine überzogene Erwartungshaltung an den Clown und seinen Besuch können ihm äußere Grenzen setzen.

Um die Kommunikation dreht es sich in Kapitel 15. Nicht über den Verstand kommunizieren, auf Realitäten bestehen, auf sachlichen Argumenten beharren, sondern sich wertoffenen auf die Gefühle des Gegenübers und seine Realität einlassen ist der Schlüssel zu einem gleichberechtigten und gelingenden Zugang zum Menschen mit Demenz. Eine wichtige Voraussetzung, in Kontakt zu treten, ist, das Tempo runterzufahren, um mögliche weitere Einschränkungen (Hör- und Sehvermögen) zu wissen und für eine ruhige, reizarme Umgebung zu sorgen. Augenkontakt ‚auf Augenhöhe‘ und eine wertschätzende Kontaktaufnahme sind die ersten Schritte, denen dann möglicherweise als Vertiefung auch eine Berührung folgen kann. Dem Gegenüber respektvoll zu begegnen, etwa, in dem gesiezt wird, kann den Zugang erleichtern. Um Menschen mit Demenz Sorgen und Ängste zu nehmen, sind durchaus auch Notlügen erlaubt – solange sie nicht den eigenen Interessen dienen.

Wenn nicht mehr über Sprache kommuniziert werden kann, ist es Aufgabe des Clowns, auf körperliche Signale zu achten, mit denen der Mensch mit Demenz sein Empfinden ausdrückt.

Voneinander lernen heißt das abschließende 16. Kapitel. Zum Beispiel, das Altern in Würde zu ertragen und zu verstehen und was abseits von Erfolg und Besitz wirklichen Wert im Leben hat. Und auch Menschen mit Demenz können – trotz aller Einschränkungen – immer noch etwas lernen. Man muss ihnen nur die Möglichkeit geben, entscheiden zu können, sie mit einbeziehen in den Alltag und ihnen nicht jede noch so kleine Tätigkeit und Entscheidung von vorne herein abzunehmen, ungeachtet persönlicher Stärken und Vorlieben.

Diskussion

Ulrich Fey ist ein rundum lesenswertes Buch gelungen. Die thematische Heranführung (Demenz/​Alter, psychosoziale und geschichtliche Hintergründe und schließlich alles Wissenswerte rund um die Clownsarbeit, ihre Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen) ist sinnvoll und erleichtert auch Menschen, die nicht so tief im Thema Demenz und/oder Clownsarbeit bewandert sind, die Nachvollziehbarkeit.

Wohltuend ist Feys durchgängig hohe Wertschätzung der Menschen mit Demenz. Dabei verharmlost er nie die Erkrankung, sieht und benennt durchaus auch den Schrecken und das Leid, den der Verlust der kognitiven Fähigkeiten mit sich bringt, ohne jedoch in Mitleid zu verfallen oder zu hadern. Es ist, wie es ist und es ist dann die Aufgabe der Menschen ohne Demenz, den Betroffenen den bestmöglichen Umgang zu ermöglichen, der machbar ist.

Mit der Rolle des Clowns fügt er üblichen Betreuungsformen eine weitere, inhaltlich gut nachvollziehbare Variante hinzu. Eben weil der Clown frei ist von allen Zwängen, allen Konventionen, er ein Verwirrter unter Verwirrten ist, kann er diesen besonderen Zugang zu Menschen mit Demenz bekommen und so für gute Momente sorgen, von denen letztendlich alle profitieren können.

Dabei sieht Fey den Clown nicht als Allheilmittel, erhebt nicht den Anspruch, die allein seligmachende Methode im Umgang mit Menschen mit Demenz zu haben. Er zeigt auch die Grenzen der Clownsarbeit auf, die Trauer, Angst und Schmerzen nicht grundsätzlich lindern, aber zumindest zeitweise verringern kann.

Ulrich Fey belegt seine Erläuterungen mit zahlreichen kurzen Geschichten aus seiner Praxis, die als exemplarische Beispiele das jeweilige Thema des Kapitels sehr gut nachvollziehbar machen.

Dem Autor ist ein großartiges Plädoyer für die Clownsarbeit als Profession gelungen, die eben mehr ist als rote Nase und Quatsch machen. Gerade auch, wer bislang eher kritisch gegenüber dem Thema steht, Clowns vielleicht als kindisch empfindet, kann durch dieses Buch ein durchweg positives Bild von der Wirkung des Clowns als durchaus fachlich fundierter Fachkraft bekommen.

Fazit

Clown bei Menschen mit Demenz sein ist eine sehr ernsthafte Angelegenheit, die wenig mit den grellen Klischeeclowns der Werbung und billigen Zirkusse zu tun hat. Ein bisschen mehr Clown im Sinne Ulrich Feys täte allen Menschen gut – mit und ohne Demenz.

Rezension von
Dipl.-Soz.Arb./Soz.Päd. (FH) Oliver König
Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg e.V.
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Es gibt 7 Rezensionen von Oliver König.

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Zitiervorschlag
Oliver König. Rezension vom 16.09.2024 zu: Ulrich Fey: Clowns für Menschen mit Demenz. Das Potenzial einer komischen Kunst. Mabuse-Verlag GmbH (Frankfurt am Main) 2024. 4. vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage. ISBN 978-3-86321-655-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32122.php, Datum des Zugriffs 13.10.2024.


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