Anne Ruppert: Welche Faktoren tragen zur Zufriedenheit pädagogischer Fachkräfte bei?
Rezensiert von Katharina Franzen, 26.08.2024
Anne Ruppert: Welche Faktoren tragen zur Zufriedenheit pädagogischer Fachkräfte bei? Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 331 Seiten. ISBN 978-3-7799-7916-6. D: 40,00 EUR, A: 41,20 EUR.
Thema
Die Zufriedenheit von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen ist ein zentrales Thema in der Bildungsforschung. Fachkräfte stehen häufig vor vielfältigen Herausforderungen, neben hohen Arbeitsbelastungen, administrativen Aufgaben und unterschiedlichen Bedürfnissen von Kindern sowie die Zusammenarbeit mit den Familien und anderen Institutionen. „Ist Arbeitszufriedenheit überhaupt messbar?“ mit dieser und weiteren Fragen hat sich Anne Ruppert im Laufe ihrer Dissertation beschäftigt und eingehend beleuchtet.
Entstehungshintergrund
Die Dissertation wurde zur Erlangung des akademischen Grades der Doktorin der Philosophie im April 2023 an der Universität Bielefeld eingereicht.
Aufbau
Das Buch ist unterteilt in eine Danksagung und eine Einleitung. In den ersten drei Kapiteln wird theoretischen Wissen in weitern Untertiteln vermitteln. Ein weiteres Kapitel beschreibt den Forschungsprozess. Es folgen weitere Kapitel zur Diskussion und Interpretation der Ergebnisse; Reflexion und Fazit mit Ausblick. Abschließend werden das Literaturverzeichnis, die eidesstattliche Erklärung, das Abbildungsverzeichnis und der Anhang aufgeführt.
Inhalt
Nach einer kurzen themen- und theoriebezogenen Einführung wird im ersten Kapitel die Makro-Ebene beleuchtet. In diesem Kapitel geht es um das generelle Verständnis und die historische Entwicklung – von Wärter:innen zu Kindheitspädagog:innen. Es wird eine sehr detaillierte Aufstellung von 1800 bis dato beschrieben. Dabei geht es nicht ausschließlich um den Beruf, sondern auch um die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Neben Familie und Kindheit in der heutigen Zeit wird die gesellschaftliche Heterogenität und die sich daraus ergebenden Anforderungen betrachtet. Als Folge der gesellschaftlichen Entwicklungen hat Kindertagesbetreuung heute nicht nur an einer neuen Akzeptanz gewonnen, sondern ist zur Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit geworden. Da mehr Betreuungsplätze angeboten werden müssen, steigen die Ausgaben enorm und die Verbesserung des Personalschlüssels wird erschwert. Es zeigt sich, dass der quantitative Ausbau eine übergeordnete Rolle zur qualitativen Verbesserung spielt. Diese Qualität wird in Qualitätsdimensionen – Strukturqualität, Prozessqualität, Orientierungsqualität/Einstellungsqualität, Ergebnisqualität und Organisations- und Managementqualität eingeteilt und näher beschrieben. Auf Basis der Qualitätsdimensionen lassen sich Merkmale der pädagogischen Arbeit einordnen und machen diese nachvollziehbar. Als Merkmal von Strukturqualität lässt sich beispielsweise der Fachkraft-Kind-Schlüssel benennen. In einem weiteren Unterkapitel wird das Ansehen und Berufsbild von pädagogischen Fachkräften umfassend dargestellt. Das darauffolgende Unterkapitel betrachtet das Professionalisierungsverständnis in der Frühpädagogik.
Im zweiten Kapitel wird die Meso-Ebene beschrieben. Diese gliedert sich in folgende Unterkapitel: Rahmenbedingungen professionellen Handelns in Kindertageseinrichtungen sowie Belastungsfaktoren und Ressourcen von kindheitspädagogischen Fachkräften. Ruppert stellt nach Betrachtung der Rahmenbedingungen heraus, dass sich die Qualifikationsstruktur im Tätigkeitsfeld der Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren nicht verändert hat. Im Verhältnis zur Zunahme von neugeschaffenen Stellen, wächst der Anteil der Erzieher:innen, jedoch ist der Anteil der tätigen Personen ohne Ausbildung stark gestiegen. Es zeigt sich, dass die gemeldeten offenen Stellen durch ungelernte Kräfte besetzt werden, und damit stellt sich die Frage, inwieweit professionelles Handeln in der Betreuungslandschaft gelingen kann. Die Verantwortung liegt hier deutlich bei den politischen und gesellschaftlichen Vertreter:innen, sie müssen die Rahmenbedingungen zur professionellen Arbeit sicherstellen. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die Belastungsfaktoren pädagogischer Fachkräfte dargestellt. Es zeigt sich, dass eine Einteilung in psychische, physische und strukturelle Belastungsfaktoren möglich ist, jedoch stehen diese im direkten Zusammenhang. Sind der Lärmpegel und die Herausforderung im Umgang mit verhaltensoriginellen Kindern hoch, so zeigen sich körperliche Beschwerden, wie Kopfschmerzen. Durch kleiner Gruppengrößen, mehr Personal und gut ausgestattete Rückzugsmöglichkeiten, kann eine strukturelle Veränderung zur psychischen und physischen Entlastung bei Fachkräften führen.
Folgende Faktoren tragen laut Aussage der Fachkräfte zur Arbeitszufriedenheit bei:
- Wertschätzung im Team.
- Vertrauen, Respekt und Unterstützung.
- Positives Feedback und empathische Leitung.
- Die Vermeidung von fachlich-kritischer Alltagspraxis im Team, welches vorwiegend aus persönlichen Beziehungen besteht, sowie
- der kritische Diskurs untereinander.
Im dritten Kapitel wird die Mikro-Ebene beleuchtet. In diesem Kapitel wird das Thema Arbeitszufriedenheit von kindheitspädagogischen Fachkräften dargestellt. Neben dem gleichnamigen Untertitel folgen Partizipation als Faktor der Arbeitszufriedenheit und eine Zusammenfassung von Arbeitszufriedenheit, Partizipation und Qualität. Zunächst wird ein Versuch gestartet, Arbeitszufriedenheit zu definieren. Im weiteren Verlauf wird allerdings klar, dass nicht nur eine einheitliche Definition fehlt, sondern auch Uneinigkeit dazu besteht, ob und inwiefern externe und persönliche Faktoren die Zufriedenheit beeinflussen. Dies zeigt sich in den jeweiligen Beschreibungen der einzelnen Konzepte zur Arbeitszufriedenheit: Zwei-Faktoren-Modell, Job Characteristics Modell, Big Five, Modell der beruflichen Gratifikationskrise, Valenz-Instrumentalität-Erwartungs-Theorie, Theory of Goal-Setting – Theorie der Zielsetzung. Aus diesen Konzepten können einige Hauptmerkmale von Arbeitszufriedenheit herausgefiltert werden:
- gute Rahmenbedingungen wie Arbeitsplatz, Bezahlung und Sicherheit des Jobs,
- Anerkennung, Verantwortung, Soziale Eingebundenheit,
- Nachvollziehbarkeit/​Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit, für sich selbst und im Hinblick auf das große Ganze,
- Autonomieerleben und partizipative Mitgestaltung,
- Autonomieunterstützendes Feedback/​Resonanz,
- Selbstbestimmtes Abwägen von Entscheidungen/​Arbeitsprozessen/​Leistungen,
- Transparenz und Nachvollziehbarkeit.
Diese Hauptmerkmale spiegeln sich zum großen Teil im Verständnis von Partizipation wider. Das Empfinden von Arbeitszufriedenheit ist ein individuelles Gefühl und ist auf der Mikro-Ebene verortet. Das Empfinden wird jedoch durch äußere Einflüsse und Rahmenbedingungen beeinflusst. Fachkräfte müssen das Gefühl haben, eigenständig zuarbeiten, partizipieren zu können und ihre eigenen Kompetenzen einbringen zu können. Wenn dies gelingt, hat das Auswirkungen auf die Leistung und Qualität der Arbeit.
Um die Forschungsfrage zu beantworten, werden insgesamt 12–15 pädagogische Fachkräfte interviewt und nach ihrer Zufriedenheit befragt. Ruppert verwendet zur Auswertung ihrer leitfadengestützten Interviews die Grounded Theory. Die Grounded Theory strebt durch Vergleich des Datenmaterials die Entwicklung einer Theorie an, die aus den Daten selbst hervorgeht. Ziel dieser Untersuchung ist es zum einen, Auskünfte zu individuellen Faktoren zur Arbeitszufriedenheit zu erhalten und zum anderen, wiederkehrende Faktoren sichtbar zu machen. Dafür wird das Datenmaterial kontinuierlich miteinander in Beziehung gesetzt, wobei der erste Zugang auf individueller Ebene erfolgt. Jedes Interview wird individuell analysiert, die Auswertungen der einzelnen Interviews werden im Anschluss miteinander verglichen und in Beziehung gesetzt. Das Forschungsvorgehen und die Ergebnisse werden im gleichnamigen Kapitel eingehend beschrieben und teilweise tabellarisch dargestellt.
Ruppert beschreibt das Vorgehen zur Erkenntnisgewinnung und Interpretation der Ergebnisse in einem weiteren Kapitel auf. Sie bezieht sich zum einen auf die Einflussfaktoren anhand der drei Ebenen und anschließend werden quer zu den Ebenen Zusammenhänge und Bedingungen einzelner Einflussfaktoren zueinander hergestellt. Daraus wird ein Entwurf eines Modells zur Arbeitszufriedenheit entwickelt. Nach Betrachtung des Modells wird deutlich, dass Arbeitszufriedenheit in einem Zusammenwirken von Vorgesetzten und Fachkräften entsteht. Der Vorgesetzte, damit sind Leitung, Träger, Kommunen und Bund gemeint, hat hierbei allerdings die Verantwortung in der Rahmung des Arbeitsfeldes, der Anforderungen und der Transparenz. Durch einheitliche und messbare Anforderungen und Rahmung könnte auf die Qualität frühpädagogischer Arbeit hingewirkt werden. Abschließende stellt Ruppert heraus, dass über einheitliche und transparente Strukturen und Messbarkeit eine Qualitätsentwicklung sowie -sicherung gelingen kann und damit auch die Zufriedenheit von pädagogischen Fachkräften gestärkt wird.
Im letzten Kapitel – Reflexion, Fazit und Ausblick – benennt Ruppert einige kritische Anmerkungen in der Reflexion des Forschungsprozesses. Zum einen wurde nur eine geringe Anzahl an Interviews geführt, somit kann nicht von einer quantitativen Repräsentativität ausgegangen werden. Zum anderen liegen die Einrichtungen der Befragten in einem sozioökonomische durchschnittlich bis starken Sozialraum. In einem Brennpunkt würde die Befragung höchstwahrscheinlich anders ausfallen. Zusätzlich wird die Formulierung der Forschungsfrage überdacht, da sie positiv formuliert ist, könnte dies zur Beeinflussung der Fachkräfte geführt haben. Die Forschung zeigt ebenso nur einen Ausschnitt der Wahrnehmung von Arbeitszufriedenheit. Die individuelle Wahrnehmung der Fachkräfte wurde zwar berücksichtig, jedoch wurden die persönlichen Anteile, die möglicherweise einen Einfluss auf die Zufriedenheit, nicht berücksichtigt. Im weiteren Verlauf werden die fehlenden transparenten Strukturen auf Makro-Ebene benannt. Als Beispiel bringt Ruppert die ambivalente Zuordnung der frühpädagogischen Einrichtungen. Aufgrund des Betreuungsauftrags werden Kindertageseinrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zugeordnet, sollen jedoch frühkindliche Bildungsinhalte vermitteln, um den Übergang in den Primarbereich vorzubereiten. Solange der Vorgesetzte also keine einheitlichen Strukturen und Anforderungen vorgibt, verbleiben Fachkräfte in einem weiten Spektrum an Handlungsmöglichkeiten, was sich zu einer hohen Belastung am Arbeitsplatz herausgestellt hat und somit die Arbeitszufriedenheit sinkt.
Diskussion
Das Buch bietet eine umfassende und detaillierte Darstellung des frühpädagogischen Berufsfeldes. Die Ausführung der drei Ebenen (Makro, Meso und Mikro) zeigt deutlich die Entwicklung, die Rahmenbedingungen, Professionalisierung und die Arbeitszufriedenheit von pädagogischen Fachkräften. Da es sich um eine Forschungsarbeit handelt, ist der Aufbau klar strukturiert und übersichtlich gestaltet. Der Forschungsprozess wurde sehr detailliert und verständlich beschrieben. Es lässt sich zudem leicht lesen und ein Neueinstieg ist schnell möglich. Die kritische Auseinandersetzung im Forschungsprozess und das Aufzählen von möglichen fehlerhaften Einflüssen im Prozess, zeigen die differenzierte Auseinandersetzung von Anne Ruppert mit dem Thema.
Das Buch ist auch für Fachfremde interessant. Nicht nur, dass die Ergebnisse anhand von Tabellen und Modellen anschaulich dargestellt sind, die Ergebnisse der Forschungsarbeit können zum Teil auf andere Berufsgruppen übertragen werden. Gerade mit Blick auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes, Personalentwicklung, Teambuilding/​Zusammenhalt, Transparenz und Nachvollziehbarkeit.
Anne Ruppert findet klare Worte für die aktuelle Situation in frühpädagogischen Einrichtungen: „Werden die gesellschaftlichen Anforderungen im Allgemeinen betrachtet, denen Kindertagesbetreuung heute begegnet, sollte die Abnahme der Qualität eigentlich selbsterklärend sein: steigende Anforderungen, rasanter quantitativer Ausbau und ein Mangel an Fachkräften“ (S. 131).
Fazit
Das Buch überzeugt insgesamt durch die fundierte Darstellung der Rahmenbedingungen professionellen Handelns und Arbeitszufriedenheit in Kindertageseinrichtungen. Es liefert wertvolle Einblicke und nützliche Anmerkungen, welche sowohl für die weitere Forschung als auch für alle Beteiligten in Kindertageseinrichtungen. Eine klare Empfehlung für alle, die sich im frühpädagogischen Feld bewegen und/oder interessiert an diesem wichtigen Thema sind.
Rezension von
Katharina Franzen
Sozialpädagogin, Leitung einer Kindertageseinrichtung und Studentin im Masterstudiengang Kindheits- und Sozialwissenschaften (MAKS) an der HS Koblenz
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Zitiervorschlag
Katharina Franzen. Rezension vom 26.08.2024 zu:
Anne Ruppert: Welche Faktoren tragen zur Zufriedenheit pädagogischer Fachkräfte bei? Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2024.
ISBN 978-3-7799-7916-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32130.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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