Peggy Steinhauser, Heiner Melching (Hrsg.): Unterschätzt und übersehen
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 10.10.2024

Peggy Steinhauser, Heiner Melching (Hrsg.): Unterschätzt und übersehen – Kinder und Jugendliche in Krisen. Leidfaden 2024, Heft 1. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2024. 91 Seiten. ISBN 978-3-525-80626-5. D: 20,00 EUR, A: 21,00 EUR.
Thema
Die Zeitschrift Leidfaden erscheint durchgehend mit themenbezogenen Heften. Die Themenwahl orientiert sich an spezifischen Handlungsfeldern. Leidfaden möchte als Fortbildungsorgan (semi-)professionellen Trauerbegleiter:innen eine inhaltliche Verortung bieten, die sie in ihrer Arbeit unterstützt, Hintergründe beleuchtet und Denkanstöße gibt; entsprechende Rubriken werden fortlaufend aufgenommen (Fachartikel, Praxisberichte, Reportagen, Interviews, Fortbildungseinheiten, Verbandsnachrichten, Rezensionen, Literaturhinweise etc.).
Entstehungshintergrund
Es handelt sich um eine Ausgabe der Reihe Leidfaden aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, einem Fachmagazin für Krisen, Tod und Trauer. Das Magazin, das im 13. Jahrgang herausgegeben wird, erscheint viermal jährlich.
Aufbau
Die Autorinnen führen zunächst die Rahmenbedingungen des SGB VIII zu den (stationären) Hilfen zur Erziehung ein und beschreiben einige Konzepte, die der vollstationären Arbeit zugrunde liegen können. Im Anschluss widmen sie sich den psychischen Belastungen, die häufig bei jungen Menschen in der stationären Jugendhilfe zu finden sind und zeigen Handlungsmöglichkeiten für Fachkräfte auf, wie sie damit im Alltag umgehen können. Auch der Bereich der Hilfeplanung inklusive der dabei wichtigen Rechte und Pflichten der Beteiligten wird beleuchtet. Im letzten Teil setzen sich die Autorinnen mit den Themen Kinderrechten, Familienarbeit, aktuellen Spannungsfeldern (Junge Geflüchtete, Inklusion und Corona) sowie der Finanzierung der Jugendhilfe als Aufgaben der Kommune auseinander.
Herausgeber:in
Peggy Steinhauser, Diplom-Theologin, Referentin und systemische Supervisorin (SG), leitet das Hamburg Leuchtfeuer Lotsenhaus, ein Haus, das die drei Bereiche Bestattung, Bildung und Trauerbegleitung unter einem Dach vereint. Heiner Melching ist Sozialpädagoge und seit 1995 in verschiedenen Bereichen der Trauer- und Krisenbegleitung sowie als Bestatter tätig. Von 1999 bis 2008 war er Geschäftsführer und Leiter der Beratungsstelle des Vereins Verwaiste Eltern und Geschwister Bremen. Seit 2009 ist er Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) in Berlin.
Inhalt
Sei es die Isolation von trauernden Kindern und Jugendlichen in der Coronazeit, sei es das eingeschränkte Besuchsrecht von Kindern auf Intensivstationen oder ihr Ausschluss von Aufbahrungen und Beerdigungen: Kinder und Jugendliche werden in ihrer ausgeprägten Anpassungsfähigkeit in Krisen- und Trauersituationen von Erwachsenen oft unterschätzt und übersehen. Unterschätzt in ihren vielseitigen Fähigkeiten und mit ihrer Kreativität mitten in der Krise. Übersehen mit ihren Bedürfnissen nach Teilhabe und Sicherheit, wenn nahe Menschen erkrankt oder verstorben sind. Dieses Leidfaden-Heft will Erwachsene und insbesondere Bezugspersonen ermutigen, ihren Blick auf Kinder und Jugendliche zu reflektieren, die eigenen Berührungsängste und Unsicherheiten zu überdenken und sich im besten Fall selbst mit einer Art kindlicher Neugier für die Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen zu interessieren. Dabei sind die Themen breit gefächert – Trauma-Grundlagen, der gewaltsame Tod eines nahstehenden Menschen, Trennungskinder, pflegende Kinder und Jugendliche oder auch Kinderbesuche auf der Intensivstation, um nur einige Artikel zu nennen. Dabei ist vor allem der Blick auf die Trennung oder Scheidung der Eltern interessant, der deutlich macht, dass dieses Erlebnis häufig für die Kinder eine existenzielle Krise darstellt, bei denen sie viel zu oft aus dem Fokus geraten: „Was hilft mir, wenn es stürmt?“ ist die textleitende Überschrift, die neben Informationen auch wissenswerte Informationen und Handlungsmöglichkeiten vermittelt. Ein weiteres Thema, das aufgrund vielfacher Medienberichterstattung über diverse Fälle in der jüngeren Vergangenheit, hoch aktuell ist, ist die Unterstützung von Kinder nach dem gewaltsamen Tod eines nahestehenden Menschen. Dass gerade diese Kinder ein noch größeres Bedürfnis nach dem Zurückgewinnen von Sicherheit haben, ist einleuchtend. Erste Möglichkeiten, das in die Wege zu leiten, werden im Text dargestellt.
Diskussion
Die einzelnen Beiträge machen deutlich, wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche in Krisen gut zu begleiten. Es ist bemerkenswert, dass dabei auch ein Blick auf Kinder und deren Erleben der elterlichen Trennung und auf pflegende Kinder geworfen wird. Das erweitert den Horizont deutlich. Etwas kritisch ist im Artikel über Grundlagen zum Begriff Trauma zu betrachten, dass unter der Überschrift „Ist mein Kind traumatisiert?“ (was impliziert, dass er sich an Eltern wendet) über die Tresor-Übung aus der Traumatherapie als mögliches Mittel zur Unterstützung geschrieben wird. Zwar findet sich in dem Artikel auch der Hinweis, dass diese Methode eine entsprechende fachliche Begleitung braucht. Es stellt sich aber die Frage, ob das verzweifelte Eltern abhalten würde, so etwas mit ihrem – vermeintlich – traumatisierten Kind auszuprobieren. Alles in allem ist dieses Heft aber lesenswert, optisch ansprechend präsentiert und mit vielfältigem Inhalt ausgestattet.
Fazit
Dieses Heft wirft einen vielfältigen Blick auf Kinder und Jugendliche in Krisen und ist hilfreich, um einen ersten Überblick über die behandelten Themen zu gewinnen.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
Mailformular
Es gibt 135 Rezensionen von Wolfgang Schneider.