Carolin Stix: Subalternität, Rassismus, Recht
Rezensiert von Prof. Dr. Annegret Lorenz, 26.06.2024

Carolin Stix: Subalternität, Rassismus, Recht. Eine Analyse der deutschen Rechtsprechung.
Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2023.
275 Seiten.
ISBN 978-3-428-18810-9.
D: 89,90 EUR,
A: 92,50 EUR.
Reihe: Schriften zur Rechtstheorie - Band 308.
Thema
Der vorliegende Band wurde 2022 als Dissertation am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt a.M. eingereicht. Die wissenschaftliche Forschungsarbeit analysiert die Rechtsprechung der letzten 20 Jahre auf ihre Rassismussensibilität hin.
Autorin
Carolin Stix war bis zum Sommersemester 2022 Promovend*in am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt a.M.
Aufbau
Die Dissertation gliedert sich in 5 Teile. Eingangs findet sich ein Abkürzungsverzeichnis. Ein umfassendes Literaturverzeichnis schließt das Werk ab.
- Einleitung
- Kapitel 1: Subalternität und Rassismus als miteinander verwobene Phänomene
- Kapitel 2: Judikative Artikulationsbedingungen: „Hört das Recht die Subalterne?“
- Kapitel 3: Empirische Rechtsprechungsanalyse
- Zusammenfassung
Inhalt
Im Zentrum der Arbeit steht die Erforschung der Sensibilität für die Thematik „Rassismus“ und der Umgang mit ihr in der bundesdeutschen Rechtsprechung der letzten 20 Jahre.
Einleitung
In der Einleitung wirft Stix die Forschungsfrage auf, gibt einen Abriss über die Diskussion und den Forschungsstand und zeigt dann den Gang der Untersuchung auf.
Als zentraler theoretischer Bezugspunkt der Rechtsprechungsanalyse dient das Konzept der Subalternität, das diskursive Auseinandersetzungen – und als solche ordnet Stix Akte der Rechtsprechung ein – aus der Perspektive ungleicher Machtverhältnisse betrachtet und so deren Auswirkungen auf die Artikulationsbedingungen – das „Gehörtwerden“ wie Stix formuliert – des subalternen (unterlegenen) Parts sichtbar machen kann. In Bezug auf Rassismus – als Ausprägung eines asymmetrischen Machtverhältnisses – vermutet Stix, dass die Rechtsprechung von der dominierenden „weißen“ Perspektive mitbestimmt ist (S. 22), was erwarten lässt, dass die unterlegene (subalterne) Perspektive von Rassismus Betroffener nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen bzw. angemessen bewertet wird. Die These: Die Rechtsprechung perpetuiert – u.U., ohne sich dessen bewusst zu sein – vorhandene rassistische Strukturen.
Kapitel 1: Subalternität und Rassismus als miteinander verwobene Phänomene
Im ersten Kapitel legt Stix das theoretische Fundament für die spätere Rechtsprechungsanalyse: Es gilt, das Konzept der Subalternität zu verstehen (A.), die Entstehung bzw. Konstruktion von Rassismus darzulegen (B.) und zuletzt beide Konzepte zusammenzubringen, also: Rassismus als Phänomen der Subalternisierung einzuordnen (C.). Als theoretische Zugänge dienen insbesondere die Subalternitätsforschung, die Postkoloniale Theorie und die Critical Race Theory.
Im Zentrum des ersten Teils (A. Sprechen, Hören und Gehörtwerden: zum Konzept der Subalternität) erläutert Stix das Subalternitätskonzept als Analysekategorie, mit deren Hilfe sich soziale Machtverhältnisse abbilden, Bedingungen für deren Entstehung und Aufrechterhaltung verstehen und die damit verbundenen gesellschaftlichen Ausschließungsmechanismen offenlegen lassen.
Stix greift dafür auf die theoretischen Grundlagen von Gramsci (der Subalternität mit einer schwachen ökonomischen Position verknüpft) und die Arbeiten der Subaltern Studies Group (die Subalternität aus historischer Perspektive der britischen Kolonialherrschaft und deren Perpetuierung betrachtet) zurück, und dort vor allem auf die Forschung von Spivac. Spivac sieht Subalternität vornehmlich durch ungleiche Artikulationschancen charakterisiert: Kennzeichnend für die Artikulation subalterner Positionen sei das Nichtgehörtwerden, das Überhörtwerden oder eine verzerrte Wahrnehmung des Gesagten.
Vor diesem Hintergrund wendet Stix sich sodann (B. Rassismus und Rassediskurse in Europa: Konstruktion rassifizierter Differenz) dem Thema „Rassismus“ zu. In diesem Teil erfolgen eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen und dem Begriff „Rassismus“ sowie eine Erarbeitung bzw. Legitimation von Bewertungsmaßstäben für Stix' Rassismusverständnis; vor allem aber gilt es, die Übertragbarkeit des Konzepts der Subalternität auf die Thematik „Rassismus“ zu begründen. Stix kommt insoweit zu dem Ergebnis, dass Rassismus und Subalternität tatsächlich Hand in Hand einher gehen.
Beginnend mit der historischen Entstehung von Rassismus (mit einem Höhepunkt in der kolonialen Vernichtungsideologie) zeichnet Stix dazu zunächst die verschiedenen gesellschaftlichen Lesarten und Erklärungsmodelle rassistisch kodierter Differenzierungen in den unterschiedlichen historischen und gesellschaftlichen Kontexten nach und positioniert sich zu diesen. Deutlich wird, dass Rassismus in seiner Entstehung zwar eng verknüpft mit den imperialistischen Praxen der Kolonialmächte während der Kolonialzeit ist, sich aber nicht auf diese beschränkt, sondern durch die Jahrhunderte – je nach den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen – in vielerlei Spielarten zeigt. Vor diesem Hintergrund plädiert Stix für ein weites Rassismusverständnis, das Rassismus nicht auf seine Extremformen einer Vernichtungsideologie – praktiziert zuletzt im 3. Reich – reduziert, sondern – deutlich weiter – als ideologisches System eines strukturellen Macht- bzw. Dominanzverhältnisses einordnet, das durch die Konstruktion einer Differenz ausschließende Effekte generiert (im Kontext von Rassismus über die Zuschreibung rassisch codierter Eigenschaften). Stix geht insoweit davon aus, dass Rassismus heute noch als indirekt wirksames gesellschaftliches Strukturprinzip wirkt (S. 71).
Im letzten Teil des Kapitels (C. Subalternität aus rassismuskritischer Perspektive) geht es um die Verbindung beider Konzepte. Stix legt dafür die Maßstäbe beider Konzepte jeweils aneinander an, um zu begründen, dass Rassismus als Anwendungsfall von Subalternität gedacht werden kann:
- Aus der Warte des Subalternitätskonzepts untersucht Stix das gesellschaftliche „Sprechen“ über bzw. die Wahrnehmung von Rassismus als möglichem Indikator für eine subalterne – durch eingeschränkte Artikulationschancen gekennzeichnete – Position. Insoweit stellt Stix durchaus markante Indikatoren für subalterne Mechanismen fest, darunter etwa das Totschweigen der deutschen Kolonialgeschichte oder die Reduktion von Rassismus auf die Vernichtungsideologie im 3. Reich.
- Aus der Warte der Rassismusforschung betrachtet Stix den Prozess, über den sich Rassismus als Ausschließungsmechanismus vollzieht (Rassifizierung). Auch diesbezüglich stellt sie fest, dass dessen Mechanismen nahezu zwingend zu einer Schwächung (Subalternisierung) der diskursiven Position der betroffenen Gruppen führen und typischerweise in die „Unhörbarkeit“ der Gruppe münden.
Kapitel 2: Judikative Artikulationsbedingungen: „Hört das Recht die Subalterne?“
In diesem Teil verengt Stix den Fokus auf die Rechtsprechung und untersucht deren grundsätzliche Strukturen auf subalterne Einfallstore hin, also darauf, ob sich die im vorigen Kapitel festgestellten Ungleichheitsverhältnisse just dort reproduzieren können, wo das Recht Schutz vor ihnen bieten soll. Die Untersuchung erfolgt aus drei Perspektiven:
- Rechtstheoretische Reflexion
- Rechtsoziologische Reflexion
- Rechtsdogmatische Reflexion
Die Antwort dieses Kapitels – um es vorweg zu nehmen – lautet: „Ja, es besteht eine strukturell verankerte Gefahr, dass das Recht die Subalterne überhört“.
Sehr eindrücklich legt Stix dar, wie auf allen Ebenen bereits bestehende ungleiche Machtverhältnisse den judikativen Akt im Kontext eine Diskriminierung derart rahmen, dass es hoher Bemühung durch den oder die Richter*in bedarf, rassifizierte Stimmen angemessen zu hören und wahrzunehmen (und die Gefahr sehr nahe liegt, dass just das nicht passiert).
Am deutlichsten sichtbar wird dies vielleicht in Stix rechtssoziologischer Reflexion (B.), die den Gerichtsprozess als symbolischen Ort des Kampfs gegen Diskriminierung analysiert. Dieser erweise sich als Raum, in dem sich die gesellschaftlichen Dominanzverhältnisse derart verdichten, dass die hohe Gefahr ihrer Reproduktion bestehe. Hier träfen aufeinander:
- Auf der einen Seite: Überwiegend weiß gelesenes Personal, das Einlasskontrollen durchführe; eine dominante Position des oder der Richter*in und eine stark formalisierte und abstrakte Rechtssprache (mit entsprechend exkludierender Wirkung).
- Auf der anderen Seite: Rechtssuchende, die aufgrund rassistischer Erfahrungen mit Behörden bereits ein geschwächtes Vertrauen in den Schutz durch die Gerichte hätten und ein emotionales Risiko erneuter Diskriminierungserfahrung durch das Verfahren auf sich nähmen – in einem für sie intransparenten Verfahren, das in einer für sie unverständlichen Sprache geführt wird.
Nicht zuletzt die (abstrakte) Rechtssprache selber und die spezifische Wahrnehmungsfolie des Rechts, die nicht die Diskriminierungserfahrung in den Mittelpunkt der Verhandlung stelle, sondern aus der Logik ihrer rechtlichen Relevanz denke und wahrnehme (A.) begründeten diese Disparität zwischen Richter*in und Rechtssuchendem.
Vor allem aber das nicht ausschaltbare subjektive Element durch den oder die Richter*in ließen erwarten, dass offenes Sprechen, Verstehen und Wahrnehmen auch im Gericht nicht ohne weiteres erfolgen: Sei es nicht zuletzt der oder die (im Regelfall ebenfalls weiß gelesene[r]) Richter*in, der oder die die mehrfach notwendigen Übersetzungsakte von Realität in Recht und umgekehrt leisten müsse (A./B.) und dabei u.U. nicht nur auf Grund der eigenen Prägung die dafür erforderliche Sensibilität nicht besitze, sondern sich auch durch unbewusste rassistische Einstellungen (Stix verweist insoweit auf Untersuchungen zum [judicial] racial bias, S. 109 ff.) an rassistischen Wertungen orientiere.
Auch die rechtsdogmatische Rahmung der Thematik „Diskriminierung“ (C.) gebe eine Struktur vor, die Diskriminierung durch die Rechtsprechung begünstigen könne.
Auf verfassungsrechtlicher Ebene betrachtet Stix dafür das herrschende Gleichheitsverständnis und dessen Verhältnis zu den Freiheitsrechten, auf einfachrechtlicher Ebene das AGG.
Die verfassungsrechtliche Reflexion ist insofern relevant, als hier die – später nicht mehr hinterfragten – Prämissen für den Umgang mit der Thematik „Diskriminierung/​Rassismus“ gesetzt und damit unsichtbar wirksame Weichen für Einordnung und Bewertung durch den oder die Richter*in gestellt werden. Stix setzt sich in diesem Part kritisch mit dem von der herrschenden Meinung zugrunde gelegten formalen Gleichheitsverständnis auseinander. Dieses stelle Diskriminierung – entgegen der faktischen Verhältnisse – als Ausnahme dar und negiere so vorhandene Machtasymmetrien. Dass das die diskursive Position der unterlegenen Partei im Ausgangspunkt schwächen muss, liegt auf der Hand. Verstärkt werde dieser Effekt dadurch, dass der der Thematik innewohnende Konflikt zwischen Freiheitsrecht und Gleichheitssatz im Zweifel zu Gunsten der Freiheit gewertet – Gleichheitspostulate als potenzielle Einschränkungen der Freiheit verschattet würden.
Auch in der Theoriebildung führe die Thematik ein Schattendasein: Eine theoretische Durchdringung der Begriffe „Rassismus“ und „Rasse“ sei bislang weder in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung noch im deutschen rechtswissenschaftlichen Schrifttum erfolgt.
Diese Überlegungen erklären ein auf den ersten Blick überraschendes Paradoxon, dem sich Stix in der Folge zuwendet: Das formal hohe Rechtsschutzniveau des AGG im einfachen Recht, das durch erhebliche Vollzugsdefizite konterkariert werde.
Kapitel 3: Empirische Rechtsprechungsanalyse
Dieses Kapitel ist das Herzstück der Forschungsarbeit. Stix hat dazu eine Vielzahl einschlägiger Judikate der letzten 20 Jahre (methodisch nach der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring und der Diskursanalyse nach Jäger) auf einen subalternisierenden Umgang mit dem Thema „Rassismus“ hin ausgewertet (A. Auswahl der Methoden).
Die erkenntnisleitenden Fragestellungen folgen dem Faden, den Stix im 1. Kapitel (unter C.) aufgeworfen hat:
- Im ersten Analyseteil liegt der Fokus der Untersuchung auf dem Sprechen über Rassismus, konkret: Ob sich auch in der Rechtsprechung Vermeidungsdiskurse um Rassismus finden lassen (B. Erster Analyseteil: Vermeidungsdiskurse um Rassismus als Subalternisierung).
- Im zweiten Analyseteil untersucht Stix die Rechtsprechung exemplarisch anhand ausgewählter Entscheidungen darauf hin, ob sich dort Rassifizierungsprozesse erkennen lassen (C. Zweiter Analyseteil: Rassifzierungsprozess als Subalternisierung).
Beide Fragen – auch das sei vorweggenommen – bejaht Stix: Was sich in Stix gesellschaftstheoretischer Analyse im 1. Kapitel zeigte, und sich prägend auf das Setting der Rechtsprechung (Kapitel 2) auswirkte, schlage sich auch auf die konkrete Praxis der Rechtsprechung durch: Die Gerichte arbeiteten mit einem verkürzten Rassismusbegriff bzw. -verständnis. In der Folge werde die Thematik dethematisiert bzw. nicht angemessen bewertet (S. 204), weiter noch: Die Rechtsprechung reproduziere gesellschaftlich vorhandene Ausschlussmechanismen ihrerseits.
Die Judikate, die Stix dafür ausgewählt hat, bewegten sich im Strafrecht, Arbeitsrecht sowie dem AGG und haben alle unverkennbar rassistische Sachverhalte zugrunde liegen, darunter etwa rassistische Beleidigungen (u.A. die Bezeichnung eines schwarzen Kindes einer weißen Frau als „Rassenschande“, S. 155), fremdenfeindliche Anschläge (u.a. Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, S. 160), rassistische Äußerungen am Arbeitsplatz („… Scheiß N***“, S. 165 ff.) oder – als „Klassiker“ des Alltagslebens – die Abweisung nichtweißer Männern an Diskotheken (S. 76 ff.). Es war schon fast erschütternd, zu lesen, wie trotz insoweit klarer einfachrechtlicher Vorgaben – etwa die ausdrückliche Vorgabe zur Einbeziehung rassistischer, fremdenfeindlicher Motive in die Strafzumessen (§ 46 Abs. 2 S. 2 StGB) oder des AGG – die rassistische Dimension des Sachverhalts auf u.A. ethnische Konflikte – bis hin zum Übergehen rassistischer Tatmotive (vgl. etwa S. 159) – reduziert und die Opferperspektive in der Abwägung mit den Tätermotiven relativiert wurden.
Bei – insoweit nicht ganz so eindeutigen – Sachverhalten mit mehrdeutigen Bezügen (Wahlplakate mit rassistischen Insinuationen [z.B. „GAS geben“, S- 190 f., und „N-Wort“- Entscheidungen, S. 200 ff.] hingegen, zeigt Stix eindrücklich auf, dass die verfassungsrechtlichen Grundvorgaben im Konflikt zwischen (diskriminierender) Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht (der diskriminierten Person[engruppe]) sich in der Praxis der Rechtsprechung durchweg zu Gunsten der Meinungsfreiheit und damit von Diskriminierungen auswirken.
Für ihren zweiten Analyseteil hat Stix markante Diskussionsfelder gewählt: Die Debatte um das Tragen eines Kopftuchs (von Referendarinnen) im Staatsdienst zum einen, die Rechtsprechung zu Femiziden zum anderen (Partnergewalt versus Ehrenmord). Auch hier kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Rechtsprechung ihrerseits ausschließende Effekte (Rassifizierung) generiert.
Zusammenfassend sieht Stix ihre Ausgangsthese in weiten Teilen bestätigt.
Diskussion
Mit der Frage nach der Sensibilität für Rassismus in der Rechtsprechung nimmt sich die Dissertation eines in der Rechtswissenschaft ungewöhnlichen und wenig beachteten Randthemas an. Ebenso originell wie auch reizvoll ist dabei vor allem der interdisziplinäre Zugriff auf den Forschungsgegenstand.
Deutlich wird bereits zu Beginn: Die Arbeit bewegt sich nicht nur in ideologischen und zugleich mutmaßlich „unliebsamen“ Gefilden, sie „denkt“ auch vom Standpunkt einer Minderheitenposition aus. Ob ihre Erkenntnisse von der dominierenden Sichtweise der Gesellschaft ernst genommen werden können oder sich als „Gesinnungswissenschaft“ werden abqualifizieren lassen müssen, hängt nicht zuletzt von der Wissenschaftlichkeit der Vorgehensweise ab. Diese erfüllt die Arbeit auf allen Ebenen. Durchweg fallen die Akribie und Transparenz, mit der sich Stix an das Thema heran – und später durch es hindurch – tastet, ins Auge. Nicht zuletzt die Offenlegung und kritische Reflexion der eigenen Verortung in Bezug auf die Thematik zeugen von großer wissenschaftlicher Redlichkeit.
Ich habe die Arbeit mit großem (und wachsendem) Interesse und ebensolchem Gewinn gelesen. Jeder Bereich für sich – der Blick aus der Perspektive des Subalternitätskonzepts, die damit verbundenen Anforderungen an den „überlegenen“ Part der Gesellschaft, ebenso wie die Hintergründe und Wirkmechanismen von Rassismus, nicht zuletzt in ihren Auswirkungen auf die Handhabung des Rechts – haben mich bewegt, nachdenklich werden lassen und meinen Blick auf Alltagsphänomene verändert.
Wenn die Kraft des Rassismus heute nicht zuletzt darin liegt, dass er sich unbewusst reproduziert, dann ist es das große Verdienst dieser Arbeit, den Lichtkegel der Wahrnehmung darauf gerichtet zu haben. Dass die Rechtsprechung als Teil der Gesellschaft vorhandene Rassismen bedient bzw. reproduziert, ist im Lichte von Stix' Analyse ebenso naheliegend wie überzeugend. Die an sie gerichteten Erwartung, solchermaßen tief in der Gesellschaft verankerte und zugleich unbewusste Mechanismen angemessen bewerten und lösen zu können, erscheint vor diesem Hintergrund fast schon naiv. In der geballten Analyse zu lesen, wie stark und zugleich wirkmächtig sich dieses Denken in der Rechtsprechung reproduziert, hatte gleichwohl etwas Schockierendes.
Wenn es stimmt – und diese Arbeit legt diesen Denkansatz mehr als überzeugend nahe – dass Subalternität nur durch eine Sensibilisierung und Öffnung der „machtvollen“ Akteur*innen in der Gesellschaft für das Phänomen der Subalternität und deren Stimme überwunden werden kann, dann bedarf es einer mehr als nachhaltigen Sensibilisierung für die Thematik und deren Wirkmechanismen.
Fazit
Die mehrfach ausgezeichnete Arbeit (Goethe-Preis 2022 und WISAG Preis 2023) von Stix leistet diesen Beitrag in der gesellschaftlichen Diskussion eindrücklich und auf höchstem wissenschaftlichem Niveau.
Sie ist es ohne Frage wert, gehört und nachhaltig rezipiert zu werden.
Rezension von
Prof. Dr. Annegret Lorenz
Professorin für Recht mit Schwerpunkt Familien-, Betreuungs- und Ausländerrecht am Fachbereich Gesundheits- und Sozialwesen der Hochschule Ludwigshafen am Rhein
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