Paul Reinbacher: Systemisches Qualitätsmanagement
Rezensiert von Prof. em Hanne Bestvater, 13.09.2024
Paul Reinbacher: Systemisches Qualitätsmanagement. Grundlagen, Systemtheorie und Anwendung.
UVK Verlagsgesellschaft mbH
(Konstanz) 2023.
236 Seiten.
ISBN 978-3-8252-6113-9.
D: 24,90 EUR,
A: 25,60 EUR,
CH: 32,50 sFr.
Reihe: UTB - 6113.
Autor
Dr. Paul Reinbacher, Jahrgang 1978, ist Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler und Inhaber einer Professur für Bildungs- und Qualitätsmanagement an der PH Oberösterreich. Er berät Organisationen sowohl in der Privatwirtschaft als auch im Hochschulwesen.
Thema
Das Buch will systemtheoretisch fundiert auf das Thema Qualität und Qualitätsmanagement (QM) in und von Organisationen blicken und damit eine Lücke schließen. Management von Organisationen betrachtet als “Mechanismus zur Verarbeitung von Komplexität” könne QM als System und Instrument zur Reduktion von Komplexität gestalten und es damit zur zielorientierten Steuerung einer Organisation einsetzen. Das Buch geht der Frage nach, inwieweit ein systemisch-systemtheoretisches QM zur Reduktion von Komplexität beitragen kann, ohne mit einfachen Methodenangeboten zu trivialisieren. Die Publikation richtet sich sowohl an Neueinsteigende als auch an erfahrene Expert:innen.
Aufbau
Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert: ein einführendes, fünf inhaltliche und ein werkübergreifendes, zusammenfassendes Abschlusskapitel „Coda“. Daneben bietet es ein Glossar, ein Literatur- und ein Abbildungsverzeichnis.
Das Buch wird durch einen eLearning-Kurs ergänzt, mit dem man sich ggfls. auf „Prüfungen“ (S. 10) vorbereiten kann. Dieses Material für das Selbststudium ist über QR-Codes zugänglich. Es ist mit Musterantworten versehen, mit denen Lesende ihr frisch erworbenes Know-how selbst überprüfen können.
Darüber hinaus bietet der Text den Lesenden mehrere Hilfen, sich das jeweilige Thema zu erschließen. Für jedes Kapitel wird zu Beginn beschrieben, wie dieses zum Verständnis des Gesamtzusammenhanges beitragen soll. Im darauffolgenden darstellenden Text fassen grau unterlegte kurze Absätze wichtige Aussagen zusammen. Zum Abschluss jedes Kapitels werden Impulsfragen gestellt.
Inhalt
Das Buch verfolgt das „ehrgeizige Ziel […] unter Rückgriff auf ausgewählte systemtheoretische Ansätze […] eine Einführung in das Qualitätsmanagement für verschiedene Bereiche der Gesellschaft und für verschiedene soziale Kontexte […] vorzulegen […]“ (S. 14). Dabei wird auf so verschiedene Organisationen eingegangen wie „Unternehmen und Universitäten, Schulen und Spitäler, Einrichtungen des Sozialbereichs oder Behörden der öffentlichen Verwaltung“ (S. 11).
Im Kapitel 1 „Einleitung und Einladung“ formuliert Reinbacher seine zentrale „Vermutung“: „Aus systemisch-systemtheoretischer Perspektive ist Qualitätsmanagement […] eine Antwort auf steigende soziale Komplexität, die immer öfter Auswahlentscheidungen erforderlich macht“ (S. 13).
Diese Vermutung dient dazu, die Inhalte des Buches zu bestimmen und seinen Aufbau zu strukturieren.
Angeregt durch „Wünsche und Warnungen“ des Kapitels 2 sollen Lesende sich fragen, welche Probleme in Organisationen und auch für die Gesellschaft durch QM gelöst bzw. durch dieses neu erzeugt werden, und welche Gefahren mit „Fehlvereinfachungen” des QMs verbunden sind (S. 57).
Kapitel 3 „Grundlagen und Hintergründe“ informiert über die beiden zentralen Themen Systemdenken bzw. Systemtheorie sowie Qualität bzw. QM.
Organisationen, betrachtet als soziale Systeme, seien auf Management angewiesen. Dieses Management benötige Instrumente zur Steuerung. QM hätte zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Steuerungsparadigmen unterstützt.
Reinbacher nimmt Bezug sowohl auf einschlägige systemisch-systemtheoretische Autor:innen als auch auf Managementliteratur insb. diejenige die sich dem QM widmet. Dabei hebt er jeweils hervor, für welche Steuerungsentscheide das Management von Organisationen, Unterstützung aus dem QM erhalten könne.
Das Management in der Phase der Industrialisierung nach dem 2. Weltkrieg habe danach gesucht, gleichbleibende Produktqualität zu sichern. Als QM-Ansätze, die hierfür Lösungen anböten, werden sektorenübergreifende Normen der „International Organization for Standardization“ (ISO) sowie externe Zertifizierung angeführt.
Mit zunehmend komplexer werdenden Umweltanforderungen muss auch das QM angepasst werden. Da das heute alles bestimmende Qualitätsziel zufriedene Kund:innen sei, müsse die Herangehensweise des QM angepasst werden. Mit dem Modell der „European Foundation for Quality Management“ (EFQM) reagiere das QM auf diese Veränderungen. Zu dem Ansatz gehöre, dass das Management Selbstbeurteilungsberichte erstellt und die Organisation in den Wettbewerb um Exzellenz führt.
Für die Verbreitung der verschiedenen QM-Ansätze in Wirtschaft und Gesellschaft sorge deren Imitation durch die Mitbewerber (Isomorphie). Reinbacher betont, dass das Management mit dem Instrument des QM dabei nur den Rahmen setzen kann. Für Qualität dagegen seien „in der Tat alle Mitarbeiter*innen bzw. alle Mitglieder einer Organisation verantwortlich” (S. 106).
Kapitel 4 „Methoden und Techniken“ präsentiert Antworten auf die Fragen, welche rasch und auch mit kleinem Budget umsetzbaren Methoden und Techniken „das systemtheoretisch informierte systemische Qualitätsmanagement“ (S. 123) nutzen können. Vorgestellt werden SMART Ziele, SWOT Analyse, Prozessdefinitionen und Prozesslandkarten, QM-Zirkel, Stakeholder-Befragungen und, passend zur hohen Bedeutung von Kundenzufriedenheit, die Kanalisierung von Beschwerden.
Kapitel 5 „Probleme und Lösungen“ analysiert, wie das klassische QM aus systemisch-systemtheoretischer Sicht dazu beitragen kann, „integrative systemische Spannungen“ zu überwinden (S. 151). Systemisch betrachtet sei QM ein Untersystem einer Organisation. Die „Selbstorganisationsfähigkeit“ von QM und seine Beziehungen zu anderen Untersystemen einer Organisation sowie die „Leistungen“, die QM für diese erbringe, werden adressiert (S. 165). Systemisch-systemtheoretisches QM erweitere „den Bick auch auf „Funktionen“, die QM für übergeordnete Systeme erbringe und auf die „Reflexion“ des Systems auf sich und seine Beziehungen“ (S. 165).
Kapitel 6 „Dos and Don’ts” präsentiert unter Rückgriff auf die Religions- und Kunstgeschichte die „7 Todsünden“ und die wichtigsten Tugenden für ein QM: Superbia, Avaritia, Invidia, Ira, Luxuria, Gula, Acedia und Iustitia, Temperantia, Fortitudo und Prudentia. Diese Prinzipien gäben dem QM die Orientierung, um die „Komplexität nicht zu verdrängen, sondern sie zu feiern“ (S. 178). Besondere Bedeutung gibt Reinbacher der Ausgewogenheit, dem Augenmaß, der Gelassenheit und der Geduld, um Ambiguität und Ambivalenz auszuhalten. Eindeutige Rezepte mögen verlockend erscheinen, so seine Warnung, doch sie könnten es nicht leisten, komplexe Probleme zu lösen (S. 179).
Kapitel 7 „Coda“ resümiert das Werk, indem es erneut und mit – durch die Ausführungen des Buchs – erweitertem Blick auf die „Wechselwirkungsgefüge zwischen „gesellschaftlicher (Makro-)Ebene, organisationaler (Meso-)Ebene und interaktionaler (Mikro-)Ebene“ eingeht (S. 199).
Diskussion
Reinbacher zeigt mit seinem Ansatz, wie systemisches QM die Steuerung von Organisationen unterstützen soll und kann, welche „Fallstricke“ und Risiken es mit sich bringt, welche Widersprüche und Konflikte ihm immanent sind, und welche neuen Fragen sich mit dem Einsatz von QM stellen.
Lesende können zwischen zwei Perspektiven hin und her wandern: dem betriebswirtschaftlichen Blick auf QM zur Einhaltung von Qualitätsstandards, und dem systemisch-systemtheoretischen, der die Komplexität innerhalb von Organisationen, und deren Beziehungen zur Umwelt in den Mittelpunkt rückt. Lesende können sich aus systemisch-systemtheoretischer Sicht beschriebene Herausforderungen an Organisationen und die damit verbundenen Steuerungsanforderungen, die an Management gestellt werden, in historischer Reihenfolge anordnen. Sie können aber auch verfolgen, wie die QM-Ansätze zueinander in Beziehung gesetzt sowie Ähnlichkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden. Sie können nachvollziehen, welche gemeinsamen Prinzipien allen Ansätzen zugrunde liegen und somit eine „Grammatik“ (S. 100) des QM darstellen. Sie können vergleichen, welche Lösungen die verschiedenen QM-Ansätze und Methoden anbieten. Dabei dient der systemisch-systemtheoretische Blick immer dazu, Simplifizierungen zu vermeiden.
Seine beiden Zielgruppen, „Neueinsteiger*innen und erfahrene Expert*innen“, holt Reinbacher erfolgreich ab, indem er daran erinnert, dass es weder dem Einzelnen noch Organisationen in der zeitgenössischen Diskussion möglich ist, der verbreiteten Rede von Qualität und ihrem Management zu entgehen. Jeder und jede, sei es privat oder beruflich, sei kontinuierlich betroffen und jeder und jeder habe eigene Vorstellungen von Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung, sei es als „Kund*in einer Bäckerei, Patient*in im Krankenhaus oder als Student*in“ (S. 11).
Reinbacher erklärt eine Vielzahl von Begriffen und Paradigmen. Personen, die im QM tätig sind, sind diese geläufig. Aber auch Mitarbeitende sind damit konfrontiert, die z. B an Audits, Zertifizierungen, Erstellung von Selbstbeurteilungsberichten oder Prozesslandkarten mitwirken.
Der ergänzende eLearning Kurs macht das Werk anschlussfähig für verschiedene professionelle Situationen: vom rein selbstorganisierten Studium bis zum prüfungsvorbereitenden Hochschulseminar.
Dem Anspruch, Neueinsteigende einzuführen, läuft die sprachliche Gestaltung zuwider. Reinbachers Stil ist ausschweifend und assoziativ, die Sätze sind lang und verschachtelt. Häufig werden ausschmückende oder erweiternde Nebengedanken als Parenthesen eingefügt. Dies erschwert es, dem Hauptgedanken eines Satzes oder eines Absatzes zu folgen. Nicht immer gelingt es dem Autor, die komplexe Struktur seiner Sätze mit allen notwendigen grammatikalischen Bestandteilen zu versehen (z.B. nicht nur/sondern auch S. 32). Begrifflich bedient sich Reinbacher häufig bei der Kunst- und Religionsgeschichte oder der Musikwissenschaft, was entsprechendes beinahe schon Spezial-Wissen voraussetzt.
Das Buch lohnt sich für (noch nicht) im QM Tätige,
- die Vorwissen haben und Verbindungen ziehen möchten zwischen einschlägigen Autor:innen;
- die ihr Know-how zu Ansätzen des QM systematisieren und kontextualisieren möchten;
- die innehalten, systematisch ihren Alltag und ihre Handlungsroutinen im QM reflektieren und neue, vielleicht innovative Strategien für wiederkehrende spannungsgeladenen Phänomene in ihrer Organisation finden möchten;
- die ohne substanzielle Ausbildung und/oder mit einem kleinen Anteil ihrer Berufstätigkeit im Qualitätsmanagement tätig sind;
- die sich unerwartet in Konflikte ihrer Organisation verwickelt finden;
- die von ihrer Organisation als Gegenspieler: innen des Innovationen fördernden Wissensmanagements inszeniert werden.
Fazit
Das Buch ist durch den eLearning-Kurs anschlussfähig an verschiedene Settings und Zielgruppen mit unterschiedlichen Lese- und Lerngewohnheiten. Es lohnt sich für ambitionierte (noch nicht) im Qualitätsmanagement Tätige, die Zeit für das Lesen investieren, ihr Know-how zu Ansätzen, Bedingungen und Folgen des QM systematisieren und kontextualisieren möchten – am besten, indem sie hierfür einen Lese- und Diskussionszirkel gründen.
Rezension von
Prof. em Hanne Bestvater
selbständige Beraterin zu Wissenschaftsmanagement/Third Space an Hochschulen; zuletzt Leiterin Zentrum Ausbildung an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik, Zürich
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Zitiervorschlag
Hanne Bestvater. Rezension vom 13.09.2024 zu:
Paul Reinbacher: Systemisches Qualitätsmanagement. Grundlagen, Systemtheorie und Anwendung. UVK Verlagsgesellschaft mbH
(Konstanz) 2023.
ISBN 978-3-8252-6113-9.
Reihe: UTB - 6113.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32163.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.
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