Iris Ruppin (Hrsg.): KiTa-Kinder vor und in der Corona-Pandemie
Rezensiert von Jörg Raeder, 31.07.2024

Iris Ruppin (Hrsg.): KiTa-Kinder vor und in der Corona-Pandemie. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 152 Seiten. ISBN 978-3-7799-7128-3. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR.
Thema und Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch untersucht das Spannungsverhältnis zwischen den Anforderungen an eine zeitgemäße Arbeit in Kindertagesstätten im Kontext unterschiedlicher pädagogischer Paradigmen und den Herausforderungen, die durch die Corona-Pandemie entstanden sind. Im Fokus steht dabei der einschränkende Einfluss der Pandemie auf die pädagogische Arbeit des Kitapersonals und die Auswirkungen auf die Kita-Kinder. Der Band thematisiert die Ergebnisse der Projekte Kita-differenzsensibel und KiTa-Kinder der Corona-Pandemie.
Herausgeberin
Der Band wurde von Iris Ruppin herausgegeben. Ruppin ist Professorin an der Fakultät für Sozialwissenschaften im Bereich Soziale Arbeit und Pädagogik der Kindheit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Professionsforschung und Kindheitsforschung. Sie begleitet die Projekte Demokratie leben und Kita differenzsensibel sowie Fortbildungen im Kontext differenzsensibler Frühpädagogik. Die Beiträge des Bandes sind von verschiedenen Sozialwissenschaftlerinnen verfasst.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in zwei Hauptteile gegliedert. Zunächst werden in drei Beiträgen zentrale Anforderungen an die pädagogische Praxis in Kindertagesstätten vor der Corona-Pandemie diskutiert.
Ein Beispiel hierfür ist der Beitrag von Iris Ruppin, Sigrid Selzer, Natalie Papke-Hirsch, Simona Pages und Andrea Adam. Die Autorinnen skizzieren die professionelle Haltung von pädagogischen Fachkräften vor dem Hintergrund der UN-Kinderrechtskonvention und den zentralen Kennziffern demokratischer Erziehung in Kindertageseinrichtungen. Sie zeigen auf, dass es bei pädagogischen Fachkräften Wissenslücken hinsichtlich der UN-Kinderrechtskonvention gibt und Dilemmata im Spannungsfeld der in den Bildungsplänen der Länder formulierten Anforderungen und ihrer pädagogischen Umsetzung bestehen. Zudem unterstreichen die Autorinnen die Relevanz partizipativer pädagogischer Arbeit für die Demokratiebildung in Kitas. Auch hier konstatieren sie, insbesondere im Kontext der Beschwerdekultur in Kindertageseinrichtungen, Mängel in der pädagogischen Arbeit und schlussfolgern die Notwendigkeit einer fortwährenden Thematisierung auf unterschiedlichen Ebenen des pädagogischen Alltags.
Weitere Beiträge thematisieren die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, Kinder an der Gestaltung von Kita-Räumen zu beteiligen, und der tatsächlichen Umsetzung dieses Anspruchs. Zudem werden die Grenzen des Agency-Konzepts im pädagogischen Alltag von Kindertagesstätten diskutiert.
Der zweite Teil des Bandes beleuchtet die Situation von Kita-Kindern während der Corona-Pandemie.
Ein Beispiel hierfür ist der Beitrag von Sigrid Selzer und Iris Ruppin. Die Autorinnen diskutieren die Professionalität von pädagogischen Fachkräften, speziell im Kontext des Verständnisses von Partizipation während der Corona-Pandemie. Sie heben die hohe Bedeutung von Partizipation für die pädagogische Arbeit in Kitas hervor und zeigen auf, dass deren Umsetzung in den Bildungsplänen der Länder unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Basierend auf der Studie Kita-Kinder in der Corona-Pandemie beschreiben Selzer und Ruppin die Auswirkungen der pandemiebedingten Einschränkungen auf die Partizipationsmöglichkeiten der Kinder im Kita-Alltag, beispielsweise während der Hygienemaßnahmen. Dabei stellen sie fest, dass das Machtverhältnis zugunsten der Fachkräfte verschoben wurde und der Umgang mit den Einschränkungen je nach Verständnis von Partizipation variierte. Zusammenfassend betonen die Autorinnen den Bedarf an einer Diskussion über die unterschiedlichen Einstellungen der pädagogischen Fachkräfte zur Partizipation in Kitas, die durch die pandemiebedingten Einschränkungen deutlich geworden sind.
Weitere Beiträge des zweiten Teils thematisieren die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Rechte von Kindern hinsichtlich Bildung und Gesundheit, die Grenzen der Kindheitsforschung in der Pandemie sowie die Situation von Kita-Kindern, die in der Pandemie von häuslicher Gewalt betroffen waren.
Diskussion
Im ersten Teil des Bandes wird ein Überblick über die zentralen Anforderungen an die Praxis in Kindertagesstätten gegeben. Besonders aufschlussreich ist die Diskrepanz zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit partizipativer, Demokratie förderlicher Pädagogik. Die Beiträge zeigen Potenziale zur Reflexion und Erweiterung des pädagogischen Paradigmas der Partizipation und seiner Implementierung im pädagogischen Alltag in Kitas auf.
Die Beiträge des zweiten Teils legen die Dilemmata der pädagogischen Arbeit in Kitas offen, die durch die Corona-Pandemie entstanden sind, und weisen damit auf Probleme hin, die bei ähnlichen Szenarien entstehen können. Der Text zur Kindheitsforschung in der Corona-Pandemie zeigt zudem, vor welchen Herausforderungen Sozialforschung im Kontext von Krisen steht. Insgesamt bieten die Beiträge eine Reflexionsfläche zur Optimierung pädagogischer Arbeit und zur Anpassung pädagogischer Konzepte sowie zur Reflexion von Forschungsstrategien in Krisensituationen.
Der Band dürfte gleichermaßen für pädagogische Fachkräfte und Forscher*innen von Interesse sein. Eine Einführung, die die Texte des ersten und zweiten Teils zusammenführt, wäre jedoch wünschenswert gewesen. Es wird teilweise nicht deutlich, inwiefern die Beiträge des ersten Teils mit denen des zweiten Teils zusammenhängen. Zwar gibt es begriffliche Überschneidungen, insbesondere bezüglich des Paradigmas Partizipation, aber nicht alle Beiträge des ersten Teils werden im zweiten Teil gewürdigt oder aufgegriffen.
Im dritten Beitrag des zweiten Teils vermischen sich verschiedene Themen, was bei Leser*innen, die nach Zusammenhängen zwischen den beiden Teilen suchen, zu Verwirrung führen könnte. Zudem steht der abschließende Beitrag eher für sich, da er nicht im ersten Teil aufgenommen und die Situation vor der Pandemie nur beiläufig besprochen wird. Daher könnte bei interessierten Leser*innen ein falscher Eindruck entstehen, wenn der Titel andere Erwartungen weckt, als sie im Band erfüllt werden.
Fazit
Das Buch "KiTa-Kinder vor und in der Corona-Pandemie" bietet eine tiefgehende Analyse der pädagogischen Herausforderungen und Entwicklungen in Kindertagesstätten vor und während der Pandemie. Es zeigt sowohl theoretische als auch praktische Auswirkungen auf und liefert wertvolle Impulse zur Optimierung der pädagogischen Arbeit sowie zur Reflexion von Forschungsstrategien der Kindheitsforschung in Krisensituationen. Kritisch anzumerken ist die teilweise unklare Verbindung zwischen den beiden Teilen des Buches.
Rezension von
Jörg Raeder
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