Ellen Langer: The mindful body
Rezensiert von Thomas Reinhardt, 16.07.2024

Ellen Langer: The mindful body. Wie Achtsamkeit Körper und Gesundheit beeinflusst. Verlag Franz Vahlen GmbH (München) 2024. 260 Seiten. ISBN 978-3-8006-7244-8. 29,80 EUR.
Herausgeberin, Thema und Entstehungshintergrund
Prof. Ellen Langer gilt als „Mutter der Aufmerksamkeit.“ Sie ist die erste Frau, die in Harvard einen Lehrstuhl für Psychologie erhielt und wird als eine der großen Psychologinnen des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Seit über 40 Jahren widmet sich die Forscherin an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, den Themen Entscheidungsfindung, Achtsamkeit und Alter. Die von ihr entwickelte „Langer Mindfulness Scale“ besteht aus einem 21 Punkte umfassenden Fragebogen, der die individuellen Unterschiede von „Mindfulness“ aus einer sozial-kognitiven Perspektive messen soll. Im hier besprochenen Buch stellt sie die persönlichen Memoiren ihrer Arbeit zur Verfügung und spickt diese mit einer überwältigenden Anzahl von Studienberichten.
Aufbau
Das Buch widmet sie ihren beiden Enkelkindern Emmett und Theo und gliedert es in 11 Hauptkapitel, die jeweils in Unterkapitel unterteilt sind. Diese Unterteilung unterstützt die Übersichtlichkeit und hilft, Schwerpunkte ihrer Studienarbeit herauszufinden und einem roten Faden zu folgen. Die Kapitel werden jeweils mit einem treffenden Zitat eingeleitet. In den Endnoten werden zitierte Studien belegt und ein hilfreiches Stichwortverzeichnis gibt es auch.
Inhalt
Das Motto des Buches könnte sein: „Es lohnt sich vielleicht, einmal darüber nachzudenken, wie das Leben wäre, wenn wir nicht von der Sorge um Knappheit beherrscht werden“ (S. 223). Grundlegend an der Forschungsarbeit von Langer ist die Annahme, dass das, was wir zu wissen meinen, doch nicht so ist, wie wir denken. Ausgehend von der Krebserkrankung ihrer Mutter begann sie sich Fragen zu stellen, ob der Umgang mit Gesundheit im heutigen Medizinalbetrieb uns manchmal nicht eher kränker macht. Sie landete alsdann beim Thema „Achtsamkeit“. Dabei versteht sie Achtsamkeit als einen „Prozess, Dinge aktiv wahrzunehmen, für den keine Meditation erforderlich ist“ (S. XIII). Sie geht von der Einheit von Geist und Körper aus und meint damit auch, dass Veränderungen im kognitiv-geistlichen auch Veränderungen im hormonell, körperlichen und im Verhalten bewirken oder umgekehrt. Eine ihrer wichtigsten Studienansätzen in ihrem „Labor“ in Harvard ist die „Studie gegen den Uhrzeigersinn“: Ältere Menschen leben eine gewisse Zeit so, als wären sie ihr jüngeres Ich. Dabei wird die Umwelt genauso gestaltet, wie sie zu einem früheren Zeitpunkt war. Über diesen Forschungsansatz sollte einmal ein Film mit bekannten Schauspielerinnen gedreht werden, der jedoch nicht zu Stande kam. Für Langer, die sich zwar sehr über die Verfilmung gefreut hätte, spielt dies keine Rolle, denn sie kann die Enttäuschung mit einem weiteren Motto ihres Lebens kompensieren: „Ich lebe in der Welt der Möglichkeiten und um die nächste Ecke wartet immer etwas spannendes“ (S. 31). In dieser „Counterclockwise“ Studie wurde die Umgebung also so gestaltet, dass diese dem Zustand zwanzig Jahre früher ähnelte. Die Kontrollgruppe wurde auch in die Vergangenheit geschickt, jedoch ohne die „Vorgaukelung“ dieser. Beide Gruppen verbesserten biologische, psychologische und körperliche Merkmale. Jedoch zeigten sich diese Verbesserungen deutlich stärker in der Versuchsgruppe. Weitere Forschungsarbeiten bestätigten diese positiven gesundheitsbezogenen Aspekte und dienen Langer als Hinweis für die Richtigkeit der These der Einheit von Körper und Geist.
Dadurch bekräftigt Langer die Bedeutung des Einflusses sozialer Regeln auf die Gesundheit und die Rolle der Medizin, die das Potenzial hat, den Menschen das Gefühl, Kontrolle über sich selbst zu haben, zu nehmen. Um dies zu verdeutlichen entwarf Langer mit ihrem Team gezielte Experimente, die den Teilnehmenden bewusst machen sollen, dass Regeln eben von Menschen geschaffen wurden. So konnte verdeutlicht werden, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, Unterstützung zu erbitten, wenn die Person und nicht die Rolle angesprochen wird. Wie unsinnig solche Regeln sind, schildert die Autorin beispielsweise an der Festlegung von Grenzwerten, z.B. Verfalldaten von Lebensmitteln oder ab wann jemand als Diabetiker eingestuft wird. Ersteres führt zu food-waiste, zweites zu höheren Krankenkassenprämien oder zu selbsterfüllenden Prophezeiungen. Ihre Untersuchungen und zahlreiche Experimente belegen die These, dass Aufmerksamkeit für viele vorhandene Optionen dabei hilft, die Kontrolle dennoch wahrzunehmen. Dies führt – und dies zeigen weitere Studien – zur Förderung von Gesundheit. Wichtig dabei ist, sich zu entscheiden und „all unsere Entscheidungen als Chance für Wachstum und Bildung“ (S. 47) zu betrachten.
Im Kapitel „Eine Welt des Überflusses“ fragt Langer provokativ: „Ist die ‚Normalverteilung‘ normal?“und „Wer profitiert von der Perspektive der Knappheit“ (S. 50)? Warum gibt es einen Druck, nicht alle Schüler beispielsweise als intelligent zu bezeichnen? Entscheidend ist, wie wir die Dinge beurteilen. Sehen wir sie als Anstrengung oder Spaß? Spielen wir oder arbeiten wir? Sie kommt zum Schluss: „Achtsamkeit beseitigt im Wesentlichen die Vorstellung von Anstrengung“ (S. 56). Langer nimmt in ihrem Buch Bezug zu vielen Studien anderer Wissenschaftler und streicht ihren eigenen Standpunkt heraus. Dabei folgt sie immer wieder der Maxime, dass es kein Schwarz-Weiß-Denken gibt, sondern dass alle Aspekte, je nach Kontext oder Betrachtungsweise in sich widersprüchlich sind und es dadurch keine „Falschen Entscheidungen“ gibt, genauso wie es keine „Richtige Entscheidungen“ gibt. Wenn wir nämlich diese Beurteilung aufgeben verlieren Emotionen wie Stress, Bedauern, negative Gefühle ihre schwächende Kraft. Deshalb ist ein „Level-3-Denken“ wichtig. Es ist nicht so oder so, sondern es kann auch ganz anders sein. Dadurch erlauben wir uns mehrere Blickwinkel einzunehmen. Level 1 meint: wir wissen, dass wir nichts wissen, Level 2 beschreibt unser Denken, von dem wir überzeugt sind, dass etwas vernünftig ist. Level 3 erlaubt uns, mehrere Perspektiven einzunehmen. Dies wiederum ist für Langer „Achtsamkeit“ und diese sei gut für die Gesundheit. Diese multiperspektivische Haltung führt uns auch zur Frage des Sinns und Langer antwortet damit, dass es „vielleicht keinen äußeren Sinn oder Zweck für irgendetwas gibt.“ und diese Erkenntnis „kann uns alle dazu befähigen, das was wir tun, zu genießen“ (S. 115).
In den folgenden Kapiteln „Geist und Körper als Einheit“ und „Placebos als Ausreisser“ schildert sie viele Experimente, die die Einheit von Geist und Körper belegen und welche Möglichkeiten sich durch dieses Verständnis ergeben. Ausführlich beschreibt sie, wie entmutigende Kommunikation sich negativ auf die Gesundheit oder die Genesung auswirkt. Andererseits ist eine Kommunikation, die Zuversicht vermittelt und Kontrolle ermöglicht förderlich.
Eines von vielen Beispielen ist das „Zimmermädchenexperiment“. Der Versuchsgruppe der Hotelangestellten wurde beigebracht, ihre Arbeit so zu betrachten, als wären sie in einem Fitnessstudio. Die Kontrollgruppe arbeitete normal weiter. Die Versuchsgruppe zeigte deutliche körperliche Veränderungen: Die Frauen nahmen ab, der Body-Mass-Index und der Blutdruck gingen zurück. Im Kapitel über die Placebos schildert sie eigene und teilweise in der Psychosomatik vielzitierte Studien über deren Wirkung. Langer schreibt: „Ich glaube, das macht Placebos zu unseren wirksamsten Medikamenten“.
Ausgehend von diesen Darstellungen folgert sie, dass es bedeutend ist, „Variabilität“ wahrzunehmen. Festzustellen, wann Krankheitssymptome kommen und wann sie gehen. Ziel ist es, diese kontrollieren zu können. Diese Überlegungen haben Konsequenzen für den Medizinbetrieb. Das achtsame Krankenhaus, indem das Personal diese „Variabilität“ wahrnimmt und den Fokus auf die Individualität des Patienten oder der Patientin richtet, ist ein gesundheitsförderndes Krankenhaus. Dies kommt auch den Pflegenden, Ärztinnen und Ärzten zu Gute, betont Langer.
Diese achtsame Haltung spüren auch Tiere, die sich anders verhalten, wenn sie achtsamen Menschen begegnen und kann auch übertragen werden. In einem Experiment mit drei Gruppen konnte nachgewiesen werden, dass die Geschwindigkeit Unterschiede in einem Test zu registrieren bei einer Gruppe grösser ist, die den Test in einem Raum durchführt, in dem zuvor (ohne dass die Gruppe dies weiss) meditiert wurde. Langer, die sich als Atheistin einstuft, schreibt dazu: „Ich glaube weder an die Existenz paranormaler Phänomene noch glaube ich nicht daran.“ (Seite 216)
Diskussion
In „The Mindful Body“ fasst Ellen J. Langer auf sehr anspruchsvollem Niveau und dennoch gut verständlich ihr herausragendes Lebenswerk zusammen. Es wird deutlich, weshalb die Autorin auch als „Mutter der Positiven Psychologie“ bezeichnet wird, ist doch ihr Ansatz durch und durch auf der Suche nach Mehrung von Optionen. Ihr Buch ist ein Beispiel für eine Wissenschaftlerin mit einem open mind! Zunächst kann es irritierend sein, ihre persönlichen Geschichten inmitten der Darstellung zu lesen. Erst am Ende wird mir klar, dass das Buch Memoiren sind und die Autorin schreibt in der Danksagung ihre selbstreflektierende Frage: „ob ich zu viel von meinen privaten Abenteuern preisgeben würde“ (Seite 245). Nein, diese eingestreuten „Abenteuer“ zeigen, wie die Forschung untrennbar auch mit der Forscherin und ihrem Leben verbunden ist. Viele Fragen hätte sie sich vielleicht so nicht gestellt, wenn sie nicht durch ihren Lebensweg, darauf gestoßen wäre.
Fazit
Dieses Buch ist kein gewöhnliches Fachbuch. Es liest sich wie eine Geschichte der Positiven Psychologie bei dem der Gegenstand der Untersuchung kongruent mit dem Forschungsansatz verschmilzt. Die zahlreichen Studien, die die Autorin zitiert, sind Grundlage für diesen gesundheitsfördernden und die Vielfalt betonenden Ansatz zum Verständnis unserer Existenz.
Ein Buch, das immer wieder hervorgeholt werden kann, um Belege dafür zu finden, dass Körper und Geist unzertrennlich sind.
Rezension von
Thomas Reinhardt
Diplomierter Berater für Organisationsentwicklung. Arbeitet als interner Coach im Universitätsspital Basel und freiberuflich in den Bereichen Organisationsentwicklung, Gesundheitsmanagement, Konfliktmoderation, Coaching für Führungsverantwortliche, Teamentwicklung und Supervision. Schwerpunkte: Gesundheit und Führung, Change Management, Leadership, Kommunikation, Psychohygiene und Glück.
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