Marcus Raitner: Manifest für menschliche Führung
Rezensiert von Prof. Dr. Paul Brandl, 09.12.2024
Marcus Raitner: Manifest für menschliche Führung. 6 Thesen und 14 Prinzipien für eine neue Führung im Zeitalter der Digitalisierung. Verlag Franz Vahlen GmbH (München) 2024. 155 Seiten. ISBN 978-3-8006-7292-9. 24,90 EUR.
Der Autor
Marcus Raitner begleitet Unternehmen als Agile Coach zu mehr Agilität. Nach seiner Promotion in Informatik an der Universität Passau arbeitete er bei msg systems als Senioroartner und GF bei esc solutions im Projektmanagement und -coaching bevor es ihn zu BMW als Agile Transformation Agent und Infineon (Agile Leadershio) sowie zur Allianz Consulting zur weltweiten Unterstützung zog. Seine Themen sind vor allem Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit und Agilität.
Thema und Zielsetzung
Love it, leave it, change it
Die Einleitung zeigt in Kurzform das persönliche Vorangehen der eigenen Entwicklung des Autors in Abhängigkeit des jeweiligen Unternehmens und des IT-Marktes. Initiative Persönlichkeiten finden ständig neue Angebote, es stellt sich immer wieder die Frage wie die Persönlichkeit der Mitarbeiter:innen zu den jeweiligen Unternehmen passt und neue interessante Angebote von anderen Unternehmen zum Wechseln in ähnliche Themenbereiche animieren. Wichtig erscheint die Erkenntnis, dass die Entwicklung des Unternehmens und des/r Mitarbeiter:in sich gegenseitig bedingen. Gut wenn sie zusammenpassen, sonst steigt der Wunsch zum Unternehmenswechsel. Es braucht ein gegenseitiges Bemühen auf Augenhöhe.
Beharrlich im Bemühen, Bescheiden in der Erfolgserwartung
Die Sehnsucht nach wertschätzender und wertschöpfender Zusammenarbeit ist mittlerweile riesengroß. Die zunehmende Wissensarbeit steigert die Ansprüche der Menschen. Der Taylorismus mit seinem „Mensch ist Mittel.“ gelangt so an die Grenzen. Die Frage nach dem Sinn entsteht. Es entwickelt sich so ein Traum, dass der Mensch Zweck des Wirtschaftens sein soll. Es entsteht weiter immer wieder die Frage, ob Führung nicht auch Selbstführung die einzig legitime Aufgabe sei. Die Publikation geht dabei immer wieder zurück auf das Thema Wissensarbeit von Peter Drucker und beinhaltet damit auch die Führung von Wissensarbeiter:innen. Dazu gehört auch im Sinne des humanistischen Menschenbildes die Theorie Y mit dem positiven Menschenbild von Douglas McGregor als Anspielung auf die menschliche Seite von Organisationen inclusive der Zusammenarbeit. Der Autor folgt dann Peter Drucker im Bereich der artgerechten Haltung von Wissensarbeitern, insbesondere auch deren Führung, ganz als wären sie nur aus Überzeugung und der gemeinyamen Sachce wegen im Unternehmen. Im weiteren geht der Autor dasvon aus, dass Corona hier als Turbo in Richtung von New Work wirkte. Einerseits ermöglichte die zunehmende Digitalisierung das dislozierte Arbeiten, andererseits brachte die Pandemie die Mitarbeiter:innen zum Nachdenken über sich selbst. Zu dem nahm der Wert zeitlicher Flexibilität dramatisch zu. Zudem ist es bei Wissensarbeitern möglich die Arbeit in relativ kurzer Zeit in den virtuellen Raum zu verlagern. Ein Führung auf Distanz wird möglich, Vertrauen notwendig. Es wäre vorher schon möglich gewesen bei der Arbeit auf Impact umzuschalten. Führungskräfte stehen so häufig vor der Wahl in Richtung einer Führung die auf Selbstorganisation und Vertrauen beruht und und dem Weg in Richtung einer klassisch gewachsenen hierarchischen Führung. Diese Frage wird zunehmend zu einer Frage des Seins und Nicht-Seins.
Das Menschliche im Digitalen
Digitalisierung ersetzt nicht den Menschen, denn gerade hier ist bei der Zusammenarbeit das Digitale umso mehr gefragt: gemeinsam, vernetzt, im Team. Spätestens mit dem Smartphone wurden neue Dimensionen erschlossen. Durch die Digitalisierung rückt besonders die Qualifikation der menschlichen Arbeitskraft in den Mittelpunkt. Die Neugier wurde im Schulsystem verlernt, u.a. auch weil das Wirtschaftssystem „genormte“ Menschen verlangte. Damit hatte man dann Angst vor der Automatisierung, Digitalisierung bis hin zur künstlichen Intelligenz. Mit ihrer angeborenen Neugier können nur Menschen die richtigen Fragen stellen. Damit kommt Agilität ins Spiel, gekennzeichnet u.a. durch kurze Lernschleifen zum Umgang mit Komplexität. Gelernt wird nicht nur das Was, sondern vor allem das Wie. Es geht um die kontinuierliche Verbesserung der Zusammenarbeit, auch mit dem Kund:innen und dem Markt. Auf diese Weise kam zu den sieben Verschwendungsarten des Kaizen und des Lean Managements die achte Art dazu: das ungenutzte menschliche Potenzial. Es sollte sich lohnen, wenn aus den Humanressourcen mit der Zeit Humanpotenzial wird. Menschliche Führung muss also auch befähigen, damit steht im Zentrum der Agilität das selbstorganisierte Team. Das Menschliche im Digitalen ist nicht nur eine individuelle Angelegenheit, sondern eine Frage der Kultur und der Organisation – also eine Frage der Teamarbeit.
Sechs Thesen für die neue Führung: Es geht um folgende Punkte
- Humanpotenzial statt um Humanressourcen
- Diversität und Dissens
- Führen mit Sinn und Vertrauen
- Netzwerk und Hierarchie
- Begegnung auf Augenhöhe
- Die Kunst der Beidhändigkeit – Bestehendes ausschöpfen und Innovation integrieren
Diese sechs Thesen für menschliche Führung sind bewusst offen gehalten und sind wenig handlungsleitend.
Die nachfolgend angeführten 14 Prinzipien liegen hinter dem Manifest der menschlichen Führung und sollen zur Reflexion einladen:
- Der Mensch im Mittelpunkt
- Führung beginnt mit Selbstsorge
- Stärken stärken
- Beziehung statt Erziehung
- Kontext statt Kontrolle
- Gärtner statt Schachmeister
- Eigenverantwortung statt Gehorsam
- Weniger ist mehr
- Fragen statt Antworten
- Vertrauen ist das Fundament von Führung
- Sicherheit statt Angst
- Wer A sagt, muss nicht B sagen!
- Integrität statt Charisma
- Störung der Komfortzone
Führung darf so nicht nur den Status Quo aufrechterhalten, sondern muss die Organisation immer wieder herausfordern – führen ist so eine Gratwanderung zwischen Stabilität und Störung.
An die Arbeit!
Anstatt einer Zusammenfassung finden sich hier weitere fünr Leitsätze:
- Führen durch Vorbild
- anstiften zum Rebellentum
- Prioritäten setzen
- Dissonanz ertragen
- sein bestes geben
Im Anhang finden sich drei Designs für Workshops: + Grundaufbau für einen Gruppenworkshop + Aufbau für mittelgroße Gruppen + Aufbau für große Gruppen
Diskussion
Die Einleitung ist der Abriss der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit in Abhängigkeit mit dem jeweiligen Unternehmen. Ja es braucht ein gegenseitiges Bemühen, um auf Augenhöhe und gegenseitiger Achtung zu bleiben. Das humanistische Menschenbild Sinn noch dazu im Kontext der Digitalisierung. Es stellt sich des öfteren die Frage inwieweit der Ansatz tatsächlich über den hierarchischen Ansatz hinauszugehen vermag. Ein Generationenwechsel von Führungskräften im Sinne des Umdenkens dauert eventuell zu lange oder nicht? Sowohl die sechs Thesen der neuen Führung als auch die 14 dahinterliegenden Thesen klingen sehr interessant, bedürfen aber einer soliden Einführung über Workshops so wie sie im Anhang im Buch angeboten werden. Das Buch ruft auch nach der Lektüre von weiteren Publikationen, wie etwa zur Theorie U sowie zur agilen Organisation um den eigenen Blickwinkel zu erweitern. Auch der Austausch in Seminarform oder mit Personen, die bereits auf dem Weg sind, sollte hilfreich sein. Ein reines Selbststudium ist nicht anzuraten!
Ein kleines, faszinierendes Büchlein, wenn man sich gerade in das Thema Agilität einliest. Ein Kick in Richtung von humanistisch geprägter Führung. Leise Zweifel beschleichen den/die Leser:in wenn die Frage aufkommt, ob denn alle Mitarbeiter:inne.n dieser Denke folgen. Dem Recruiting und der Personalentwicklung der Mitarbeiter:innen wird jedenfalls ein hoher Stellenwert beizumessen sein. Will man vorankommen, so muss man wohl immer wieder Anläufe auf Basis des Manifests der menschlichen Führung bei sich und den Mitarbeiter:innen machen müssen. Eine Frage bleibt offen: Wie ist das mit den „Nicht“-Wissensarbeiter:innen?
Fazit
Ein interessantes Buch auf dem Weg in die Zukunft. Das Manifest der Menschlichkeit ist in Zeiten wie diesen eine Art Leuchtturm oder ein Aufrütteln zum Innehalten. Es wäre gerade deshalb ein weiteres Kapitel wert, wenn man auf die Mitarbeiter:innen mit höherem Entwicklungsbedarf stärker eingehen würde. Polarisierung gibt es wahrlich genug, weshalb die Betonung von einem humanistischen Menschenbild durchaus gut tut.
Rezension von
Prof. Dr. Paul Brandl
war Professor für Organisationsentwicklung und Prozessmanagement an der FH Oberösterreich, Department für Sozial- und Verwaltungsmanagement und ist Berater insbesondere für die prozessbasierte Optimierung und Neugestaltung von sozialen Dienstleistern
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Zitiervorschlag
Paul Brandl. Rezension vom 09.12.2024 zu:
Marcus Raitner: Manifest für menschliche Führung. 6 Thesen und 14 Prinzipien für eine neue Führung im Zeitalter der Digitalisierung. Verlag Franz Vahlen GmbH
(München) 2024.
ISBN 978-3-8006-7292-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32195.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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