Jacqueline M.-C. Schmidt: Grundlagenwissen zu Künstlicher Intelligenz von angehenden Lehrkräften
Rezensiert von Dr. Franziska Sophie Proskawetz, 04.12.2024
Jacqueline M.-C. Schmidt: Grundlagenwissen zu Künstlicher Intelligenz von angehenden Lehrkräften. Modellbasierte Testentwicklung und Validierung.
wbv
(Bielefeld) 2024.
236 Seiten.
ISBN 978-3-7639-7652-2.
49,90 EUR.
Reihe: Berufsbildung, Arbeit und Innovation - Dissertationen und Habilitationen.
Thema
In den letzten Jahren, insbesondere seit der Veröffentlichung von ChatGPT, haben Themen rund um Künstliche Intelligenz (KI) rasant an Aufmerksamkeit gewonnen und sind ins Zentrum gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Diskussionen gerückt. Dadurch hat sich ein nahezu neues Forschungsfeld eröffnet, das unzählige Forschungsinteressen birgt. Besonders relevant ist dabei der Bildungsbereich, insbesondere die berufliche Bildung und die Rolle des (angehenden) Lehrpersonals. Jacqueline Marie-Charlotte Schmidt widmet sich in ihrer Studie einer bislang wenig erforschten Thematik: Welche KI-bezogenen Kompetenzen benötigt das berufliche Bildungspersonal? und Wie ausgeprägt sind diese Kompetenzfacetten bereits? Um diese Fragen zu beantworten, entwickelt die Autorin ein Strukturmodell, das die verschiedenen Kompetenzbereiche von (angehenden) Lehrkräften im berufsbildenden Bereich systematisch abbildet. Darüber hinaus untersucht sie, wie dieses Grundlagenwissen empirisch erfasst werden kann und erstellt hierfür ein umfassendes Testinstrument. Mit ihrer Arbeit schließt Schmidt eine Forschungslücke und liefert wichtige Impulse für die Entwicklung und Förderung von KI-bezogenen Kompetenzen im Kontext der beruflichen Bildung.
Autorin und Entstehungshintergrund
Jacqueline Marie-Charlotte Schmidt ist Juniorprofessorin für Wirtschaftspädagogik, insb. Digitalisierung in Bildungs- und Arbeitswelten an der Technischen Universität Dresden. 2023 promovierte sie an der Wirtschafswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören u.a. der Einsatz von KI im berufsbildenden Bereich, die Modellierung und Erfassung von KI-bezogenen Kompetenzen sowie quantitative Methoden der empirischen (Berufs-)Bildungsforschung. Die Studie ist im Rahmen des Promotionsverfahrens der Autorin entstanden und wurde als Dissertation in der Reihe Berufsbildung, Arbeit und Innovation bei wbv Media veröffentlicht.
Aufbau und Inhalt
Die Doktorarbeit umfasst fünf Kapitel, die jeweils zahlreiche Unterkapitel beinhalten. Die Inhalte der einzelnen Kapitel werden im Folgenden dargestellt.
Entwicklung des Forschungsvorhabens
In ihrer Arbeit betont Schmidt zunächst die Dringlichkeit des Forschungsfeldes und arbeitet die Bedeutung Künstlicher Intelligenz im beruflichen sowie privaten Alltag heraus. Sie führt aus, wie KI inzwischen omnipräsent geworden ist und sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringt. Mit einem besonderen Fokus auf den berufsbildenden Bereich analysiert sie den Kompetenzerwerb durch digitale Medien wie E-Learning-Plattformen und betont die durch die Covid-19-Pandemie beschleunigte Dynamik der Digitalisierungsprozesse – insbesondere im Kontext der (berufsbildenden) Lehre.
Schmidt verweist zudem auf die kontroversen Diskussionen rund um KI, die sich zwischen wirtschaftlichen Potenzialen wie Effizienzsteigerung und Zeitersparnis einerseits und ethischen Risiken wie Diskriminierungsproblematiken andererseits bewegen. Sie hebt die essenzielle Rolle hervor, die Schulen und Ausbildungsstätten bei der Vorbereitung von Schüler*innen auf eine hochdigitalisierte Arbeitswelt spielen. Dabei stellt sie fest, dass KI-bezogene Themen bislang in den Curricula der Ausbildungsberufe in Deutschland kaum berücksichtigt werden, obwohl ihre Relevanz in Berufsfeldern wie der Pflege (z.B. durch die Diskussion um Pflegeroboter) stetig wächst. Lehrkräfte im berufsbildenden Bereich sieht sie als zentrale Akteur*innen in diesem Wandel.
Basierend auf Erkenntnissen aus Vorgängerstudien vermutet Schmidt, dass (angehende) Lehrkräfte ein eher lückenhaftes Wissen über KI haben, und begründet damit die Relevanz und Notwendigkeit dieses Forschungsfeldes.
Im Anschluss formuliert sie die zentralen Zielstellungen und Forschungsfragen ihrer Studie. Die übergeordnete Forschungsfrage lautet: Wie kann das Grundlagenwissen zu Künstlicher Intelligenz von (angehenden) Lehrkräften im berufsbildenden Bereich theoretisch modelliert und empirisch erfasst werden?
Das Kapitel endet mit einem Überblick über den Aufbau der Arbeit, der die Struktur und Methodik der Studie zusammenfassend darstellt.
Theoriebasierte Modellierung des KI-Grundlagenwissens für Lehrkräfte
Das zweite Kapitel der Arbeit beginnt mit einer umfassenden Verortung des Untersuchungsgegenstandes. Schmidt setzt diesen in Beziehung zu bestehenden Modellen der professionellen Kompetenz von Lehrkräften sowie zu spezifischen Modellen für digitalisierungsbezogene Kompetenzen. Ergänzend greift sie auf Ansätze der Technologieakzeptanzforschung zurück, um ein breiteres Verständnis der Kompetenzanforderungen zu gewinnen.
Auf dieser Grundlage argumentiert Schmidt, dass eine Berücksichtigung sowohl kognitiver als auch non-kognitiver Kompetenzfacetten unverzichtbar ist. Sie widmet sich vertieft den Dimensionen Wissen, Einstellungen, Überzeugungen und Motivation.
Darüber hinaus untersucht Schmidt die inhaltlichen Anforderungen an das Grundlagenwissen zu KI, wobei sie Erkenntnisse aus Expert*inneninterviews einbezieht. Diese Interviews dienen als empirische Basis zur Identifikation relevanter Inhalte und Kompetenzen, die für den Umgang mit KI im berufsbildenden Kontext wesentlich sind.
Abschließend entwickelt Schmidt ein Strukturmodell für KI-bezogene Kompetenzen von (angehenden) Lehrkräften im berufsbildenden Bereich. Dieses Modell integriert die gewonnenen Erkenntnisse und wird auf Seite 75 grafisch dargestellt.
Operationalisierung KI-bezogener Kompetenzfacetten
Kapitel 3 der Arbeit widmet sich der Operationalisierung des Untersuchungsgegenstandes und setzt dabei auf das zuvor entwickelte Strukturmodell für KI-bezogene Kompetenzen von (angehenden) Lehrkräften im berufsbildenden Bereich.
Zu Beginn definiert Schmidt den Messgegenstand. Dabei legt sie besonderen Wert auf Validierungsaspekte und formuliert grundlegende Annahmen, aus denen sie präzise Validierungsschritte ableitet, um Güte und Aussagekraft des Instruments sicherzustellen.
Anschließend geht Schmidt auf die konkrete Item- und Testkonstruktion ein. Sie erläutert, wie die einzelnen Testteile gestaltet wurden, um Kompetenzfacetten zu erfassen.
Darüber hinaus beschreibt Schmidt die Rahmenbedingungen der Untersuchung, darunter Aspekte wie Zielgruppe, Testumfeld und organisatorische Vorgaben. Das Kapitel stellt somit die Grundlage für die empirische Erhebung dar und bildet eine Brücke zwischen Theorie und praktischer Umsetzung.
Empirische Erprobung des Testinstruments
Kapitel 4 der Arbeit beschäftigt sich mit der empirischen Erprobung des entwickelten Tests und umfasst die Schritte der Datenerhebung, Datenaufbereitung und Datenanalyse.
Der Test wurde zwischen April 2021 und Oktober 2022 an neun Hochschulstandorten online im Rahmen universitärer Lehrveranstaltungen durchgeführt. Zielgruppe waren Masterstudierende der berufs- und wirtschaftspädagogischen Studiengänge, ergänzt um Kontrastgruppen, um Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen. Die Datenerhebung erfolgte dabei zu zwei Messzeitpunkten, was eine differenzierte Betrachtung der Entwicklung der KI-bezogenen Kompetenzen ermöglichte.
Die maximale Bearbeitungszeit des Tests betrug 45 Minuten. Insgesamt nahmen 153 Studierende an der Befragung teil, von denen 95 Studierende angaben, eine berufliche Tätigkeit im Schuldienst anzustreben.
Das Grundlagenwissen zu Künstlicher Intelligenz bei angehenden Lehrkräften: neue Erkenntnisse und Perspektiven
Die Ergebnisse der Studie werden in Kapitel 5 der Arbeit anhand von 17 Leitfragen behandelt, wobei diese vergleichsweise knapp beantwortet werden. Eine exemplarische Leitfrage soll hier wiedergegeben werden:
Leitfrage 15: Wie ist das Grundlagenwissen zu KI in der Zielgruppe ausgeprägt?
Die Testergebnisse zeigen ein defizitäreres Wissen der angehenden Lehrkräfte im berufsbildenden Bereich. Weniger als die Hälfte der Fragen zum Wissen über KI konnten von den Studienteilnehmer*innen korrekt beantwortet werden. Schmidt hebt jedoch hervor, dass die Ergebnisse in diesem Bereich einer sehr breiten Streuung unterliegen, was auf große Unterschiede innerhalb der Zielgruppe hindeutet.
Im weiteren Verlauf des Kapitels geht Schmidt auf die Limitationen der Studie ein. Sie betont u.a. die vergleichsweise kleine Stichprobe, die die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränkt.
Die Arbeit schließt mit Implikationen für die theoretische Weiterentwicklung des Modells, für die Entwicklung des Instruments sowie für die Aus- und Weiterbildung von (beruflichen) Lehrkräften. Im letzteren Bereich weist Schmidt auf die Notwendigkeit der Stärkung digitalisierungsbezogener Kompetenzentwicklung hin. Diese betrifft nicht nur angehende Lehrkräfte, sondern sollte auch bereits tätige Lehrkräfte in den Blick nehmen, die sich nicht mehr in der Ausbildung befinden.
Diskussion
Jacqueline Schmidt schafft es auf nur 236 Seiten (inklusive umfangreichem Anhang und Literaturverzeichnis), eine sehr umfangreiche Studie zu einem hochaktuellen Thema kompakt und präzise darzustellen. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Tabellen und übersichtlichen Grafiken, von denen einige farbig abgedruckt wurden. Diese Elemente erleichtern das Lesen erheblich, machen die Arbeit übersichtlich und sorgen an vielen Stellen für eine anschauliche Darstellung der Inhalte. Das im Anhang abgedruckte umfangreiche Testinstrument bietet den Leser*innen nicht nur einen detaillierten Einblick in die erstellten Items, sondern lädt sie auch dazu ein, ihr eigenes Wissen über KI anhand der Fragen zu testen. Persönlich beeindruckend ist dabei die Erkenntnis, wie umfangreich das benötigte Wissen über KI tatsächlich ist. Die Darstellung der Ergebnisse fällt jedoch recht knapp aus, was etwas enttäuschend ist, insbesondere angesichts des umfassenden empirischen Teils der Studie. Bedauerlich ist auch, dass die Relevanz der Ergebnisse angesichts der rasanten Entwicklungen im Bereich KI vermutlich nur von begrenzter Dauer sein wird. Dennoch liefert die Studie einen wertvollen Beitrag, der die Bedeutung von KI-bezogenen Kompetenzen im berufsbildenden Bereich betont und als Grundlage für weitere Forschung dienen kann.
Fazit
Jacqueline Schmidt liefert mit ihrer Studie einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von KI-bezogenen Kompetenzen im berufsbildenden Bereich und schließt damit eine Forschungslücke. Die Arbeit verdeutlicht die Dringlichkeit, digitale Kompetenzen bei (angehenden) Lehrkräften systematisch zu fördern. Schmidts Ansätze bieten wertvolle Impulse für die zukünftige Forschung und die praxisorientierte Weiterentwicklungen in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften.
Rezension von
Dr. Franziska Sophie Proskawetz
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Es gibt 8 Rezensionen von Franziska Sophie Proskawetz.
Zitiervorschlag
Franziska Sophie Proskawetz. Rezension vom 04.12.2024 zu:
Jacqueline M.-C. Schmidt: Grundlagenwissen zu Künstlicher Intelligenz von angehenden Lehrkräften. Modellbasierte Testentwicklung und Validierung. wbv
(Bielefeld) 2024.
ISBN 978-3-7639-7652-2.
Reihe: Berufsbildung, Arbeit und Innovation - Dissertationen und Habilitationen.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32199.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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